Ich stand gerade mit der Band und Lance quatschend um einen Tisch, als Toby den Club betrat. Sobald Peter ihn sah, verabschiedete er sich mit einer Ausrede hinter die Theke. Da ich keinen Grund dazu sah, blieb ich. Lance sah nach einem kurzen Blick auf Toby fragend zu mir, während Zombie Peters Abgang mit einem Augenrollen kommentierte und Zulu nur etwas vor sich hin murmelte.
Toby hielt direkt auf unseren Tisch zu und grüßte einmal in die Runde, bevor er Zombie kräftig umarmte. »Alles Gute, du alter Sack.«
»Pfft. Du hast gut reden, du langer Lulatsch.« Zombie boxte ihm kurz in die Rippen. »Du bist auch nicht mehr der Jüngste.«
»Ja, aber ich kann noch behaupten, dass ich nicht über dreißig bin. Du weißt doch, mit über dreißig wird man als Schwuler unattraktiv.« Toby zwinkerte dem Drummer zu. »Hast du dir schonmal überlegt, ob nicht doch etwas Langfristiges zielführender ist, als die ganzen kurzen Nummern? Ich hab draußen jemanden, der dir das gern erleichtern würde. Er liegt mir, seitdem ich ihm von unserem letzten Gespräch erzählt habe, in den Ohren, dass es scheiße ist, dass er immer noch keine Zeit für ein spontanes Treffen gefunden hat. Ich wollte ihn aber noch nicht mit reinbringen, solange ich nicht wusste, ob das für dich okay ist. Wegen dem zusätzlichen Stress und so.« Tobys Blick ging kurz in Peters Richtung, der ziemlich geschäftig Gläser polierte.
Zombies folgte diesem und zuckte dann mit den Schultern. »Von mir aus hol ihn rein, ist immerhin meine Party. Langsam sollte er mal drüber hinwegkommen.«
Toby lächelte und ging nach draußen.
Anthony sah Zombie fragend an. »Wen hat er mitgebracht?«
»Ich schätze mal seinen Kumpel.« Ich konnte spüren, dass Zombies Blick kurz zu mir flog. Kaum merklich nickten Angel und Zulu.
Innerlich grinste ich. Ich hatte schon verstanden, wen Toby meinte, und ich freute mich darauf, ihn zu sehen.
Als Roger hereinkam, erst das Geburtstagskind kurz umarmte, um ihm Glückwünsche zu überbringen, und dann mir nach einer Umarmung durch die Haare strubbelte, fiel Zombie fast die Kinnlade herunter. Und auch die anderen beiden Bandmitglieder sahen bei dieser Begrüßung interessiert zu uns. »Hi, Kleiner. Du bist ja immer noch so kurz.«
»Pah, körperliche Größe ist nicht alles«, konterte ich und sah ihn herausfordernd an.
Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, dann wandte er sich Lance, Zulu und Angel zu, um sie ebenfalls zu begrüßen.
Da ich wenig Lust hatte, von Peter mit den beiden gesehen zu werden, schnappte ich mir Lance und verabschiedete mich, um nachzusehen, ob schon irgendwo Gläser eingesammelt werden mussten oder es sonst irgendwas zu tun gab. Lance verstand das wohl so, dass ich nicht mit den beiden reden wollte, denn sofort kam er mit und warf mir einen mitleidigen Blick zu.
Wir unterhielten uns gerade mit zwei Mädels, als Zombie zu mir kam. »Kann ich kurz mit dir reden?«
Ich zuckte mit den Schultern, sah die anderen drei fragend an und ging nach einem Nicken von ihnen mit Zombie in den Flur.
Ohne weitere Umschweife fragte er: »Du kennst Roger?«
»Ja. Und bevor du umständlich versuchst, es herauszufinden: Ich weiß auch, dass Toby und er ein Paar sind.«
Zombie machte ein wirklich erstauntes Gesicht. »Woher?«
»Hmm. Lass mich überlegen ... Vielleicht haben sie es mir gesagt?« Mir gefiel sein verwirrter Blick. Für mich war es eine Art Rache für die vielen Male, die er mich bloßgestellt hatte.
»Sie haben ... Was? Warum?«
»Weil Toby kurzzeitig vergessen hat, dass er noch in unserer Küche saß, und eine halbe Peepshow veranstaltet hat. Ihm blieb quasi nichts anderes übrig, als es dem Kleinen zu sagen«, hörte ich plötzlich Rogers Stimme neben mir.
Bei seiner Formulierung musste ich grinsen. So wie Roger zurück grinste, dachte er dasselbe. Als wäre das die größte Peepshow der beiden gewesen.
Er legte mir einen Arm um die Schulter und forderte damit meine Aufmerksamkeit. »Wie geht’s dir denn? Tut mir leid, wenn ich dir Schwierigkeiten bereitet habe. Ich war einfach zu erschrocken.«
»Schon gut, ich bin drüber weg. Ich war ja auch irgendwo selbst schuld. Tut mir leid.« Mich freute, dass er sich wirklich für sein Verhalten entschuldigte. Er schien mir nicht mehr böse zu sein, dass ich sie angelogen hatte. Und ja, mittlerweile war es für mich in Ordnung, was passiert war.
»Sicher? Toby meinte, du hättest ihn letztens ziemlich angefahren und wärst auch nicht mehr beim Training gewesen.« Dieser forschende Blick war so typisch für Roger.
»Ja, mir ging es da nicht so gut und ich hatte eine ziemlich harte Zeit. Ich war auch die letzten zwei Wochen beim Training, aber er war jeweils nicht da. Ich wollte mich noch für meine Reaktion bei Gelegenheit entschuldigen«, gab ich zu. Mehr wollte ich ihm aber nicht erzählen. Zumal uns Zombie immer noch neugierig beobachtete.
»Schön, vielleicht schafft ihr beide es ja mal für eine Weile ohne Missverständnisse auszukommen. Toby wird sich freuen, wenn du dich entschuldigst.« Er wuschelte mir nochmal durch die Haare, dann ging sein Blick zu Zombie. Er grinste ihn breit an. »Toby hat gesagt, du hättest mich vermisst?«
Auch wenn mir das Schauspiel durchaus hätte gefallen können, merkte ich, dass ich störte. Denn Roger nahm seinen Arm weg, machte einen halben Schritt auf den Drummer zu und legte ihm die Hand auf die Wange. Sein Gesichtsausdruck und der Tonfall waren eindeutig.
Ich wollte mich umdrehen und gehen, da griff mir eine Hand ans T-Shirt und hielt mich zurück. »Schon, aber erstmal würde ich gerne wissen, was der Käfer genau mit euch zu tun hat.«
»Der Käfer?« Roger lachte.
»Einer von Zombies vielen Spitznamen für mich. Braucht ihr mich wirklich, um das zu klären? Ich würde gerne wegen Peter nicht allzulange hierbleiben.« Mein Blick ging in Richtung der Clubtür.
»Klar, geh wieder rein, ist besser so«, änderte Zombie seine Meinung. Als Roger verständnislos zwischen uns hin und her schaute, erklärte er: »Die Schabe ist unser neuer Sänger und ich hab ihn schon gewarnt, dass Peter das mit ihm und Toby nicht rausfinden sollte. Wenn er uns drei so sieht, wird es nicht besser.«
Roger nickte.
Ich verabschiedete ich mich und ging zurück in den Club. Ich konnte noch hören, dass Roger begann, unser Verhältnis zu erklären. Wenn er Zombie so offen erzählte, dass ich mit ihnen beiden ein Verhältnis hatte, mussten sie ihm schon sehr vertrauen.
Eigentlich hatte ich zu Lance oder Peter gehen wollen, doch ich wurde von ein paar Freunden von Zombie aufgehalten, die mich von den Konzerten kannten. Ich unterhielt mich eine Weile mit ihnen, dann zog ich zum nächsten Grüppchen weiter, unterhielt mich mal kurz mit Peter, allzu viel hatten wir eh nicht zu besprechen, was nicht auffällig gewesen wäre, dann wieder mit einer anderen Gruppe.
Irgendwann kam ich auch wieder bei Lance an. Oder besser, er bei mir. »Zombie kennt Toby und Roger?«
»Mhm. Toby ist sowas wie ein Jugendfreund von ihm. Entschuldigst du mich kurz nochmal?« Als Lance mich an Toby erinnerte, ging mein Blick automatisch auf Wanderschaft. Ich hatte bisher noch nicht geschafft, mit diesem zu reden. Zum Glück fand ich ihn. Er stand mit einem Bier in der Hand allein in einer Ecke.
Etwas genervt nickte Lance. Ich konnte es ja verstehen, immerhin kannte er hier außer mir, der Band und ein oder zwei Stammgästen niemanden und ich ließ ihn den ganzen Abend allein. Ich nahm mir vor, sobald ich mit Toby geredet hatte, ihn nicht noch einmal stehenzulassen.
Kaum hatte ich mich in Bewegung gesetzt, traf mich Tobys Blick. Er schien ziemlich überrascht, als er erkannte, dass ich auf ihn zuhielt. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
Als ich vor ihm stand, lächelte ich ihn schüchtern an. »Hi.«
»Hallo, Kleiner.« Neugierig lag sein Blick auf mir.
Einen Moment herrschte Stille. Gut, irgendwo war es auch an mir, etwas zu sagen, aber mich hatte der Mut verlassen. Etwas betreten sah ich zu Boden, während ich murmelte: »Tut mir leid, dass ich dich letztens so angepampt habe. Ich hatte etwas viel Stress und hab überreagiert.«
Ich erschrak leicht, als plötzlich seine Hand an meiner Wange lag und sanft darüber streichelte, dann sah ich auf und lächelte ihn an. Er lächelte zurück und zog mich in seine Arme. Das Bier hatte er auf einen Tisch gestellt. Sofort entspannte ich mich, während seine Hand über meinen Rücken streichelte. Ruhig flüsterte er mir ins Ohr: »Schon gut. Dich hat das Ganze wohl etwas mehr mitgenommen, als ich dachte. Du wirktest so abgeklärt. Sorry. Ich hätte wissen sollen, dass du das auch nicht einfach so wegsteckst.«
Ich genoss die Nähe dieses Mannes, der mich in seinen Armen hielt, und blendete dabei meine Umgebung aus. Mir fiel erst wieder ein, dass wir noch immer mitten im Club standen, als er fragte, ob wir tanzen wollten. Ich verneinte und zog mich aus seinen Armen zurück. »Sorry. Ich hab Angst, dass Maniac uns sieht. Zombie hat gesagt, dass er ziemlich böse werden würde.«
Verstehend nickte Toby. »Ich vergaß, du stehst ja jetzt auch unter seiner Fuchtel. Glückwunsch übrigens. Das meine ich ernst. Er ist ja ziemlich wählerisch. Es freut mich, dass du es geschafft hast, Phantoms Platz zu bekommen.«
»Danke.« Er hatte ja keine Ahnung, wie sehr ich unter Peters Fuchtel stand. Und ich wollte es ihm auch nicht sagen, denn ich hatte keine Ahnung, wie er darauf reagierte.
»Was hältst du davon, wenn wir uns irgendwann mal wieder woanders treffen? Du solltest doch auch bald 18 werden, oder?« Toby lehnte sich wieder etwas mehr zu mir herüber, hackte seine Finger in meine Gürtelschlaufen und zog mich daran zu sich. Jetzt, wo ich etwas klarer dachte, konnte ich auch das Bier aus seinem Atem riechen. Das hier war eindeutig nicht sein erstes. Auch seine nächste Aussage, die er mir ins Ohr raunte, bestätigte den Verdacht. »Außerdem würde ich gerne noch andere Dinge mit dir machen.«
»Ehm, ja, ich wollte wieder etwas häufiger zum Training kommen, da sehen wir uns sicher.« Hastig machte ich zwei Schritte von ihm weg, denn er streichelte mit den Daumen über meine Hüftknochen. Nicht, dass ich es nicht hätte genießen können, aber es gab zu viele Gründe, die dagegen sprachen. Scheinbar war ich noch etwas nüchterner als er, auch wenn ich schon recht angetrunken war. »Ich werd erst im März 18, bis dahin komm ich in keinen anderen Club.«
Toby respektierte den nun zwischen uns bestehenden Abstand, er machte keine Anstalten ihn wieder zu reduzieren und zog seine Finger aus den Schlaufen. »Na dann hab ich ja was, worauf ich mich freuen kann. Es sei denn, du willst nicht mehr?«
Ob ich nicht mehr wollte? Natürlich wollte ich. Aber ich konnte ja noch nicht einmal sagen, ob es dann möglich wäre. Ich wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen. »Wollen schon ... aber ... na ja ... ich hab einen festen Freund.«
Einen Moment schien es zu brauchen, bis die Information in seinem Kopf ankam, dann grinste er mich an. »Oh. Sorry. Dann nochmal Glückwunsch. Klar, dann will ich dir das natürlich nicht kaputtmachen. Aber eine Runde tanzen ist doch sicher trotzdem mal wieder drin, oder?«
Ich überlegte einen Moment, bevor ich antwortete: »Klar, spricht ja nichts dagegen. Aber nicht hier im Exile.«
»Klar. Ich hab auch keine Lust, dass Peter wieder Streit anfängt. Dann freu ich mich, dich bald mal wieder beim Training zu sehen. Meld dich, damit wir einen Termin ausmachen können.« Noch immer betrachtete er mich freundlich.
Ich mochte ihn noch mehr dafür, dass er meine Gründe ohne Diskussion akzeptierte und stattdessen einfach in einen freundschaftlichen Modus wechselte. Daher willigte ich ein, bevor ich mich verabschiedete.
Statt direkt zu Lance zurückzugehen, nahm ich einen Umweg über die Toiletten. Auf die paar Minuten, kam es auch nicht mehr an.