CN: Drogenmissbrauch (Hasch)
Die erste Schulwoche verlief ruhig. Die wenige Zeit, die ich zu Hause verbrachte, gingen Rose und ich uns aus dem Weg. Wir hatten eine Art Waffenstillstand geschlossen. Sie nörgelte nicht ständig an mir herum, dafür hielt ich mich von Dave fern. Das war zwar absolut unnötig, doch wenn sie mich dafür nicht nervte, sollte es mir recht sein.
Am Dienstag der zweiten Woche schlug die Stimmung jedoch schlagartig um. Schon in der ersten Pause wirkten die Lehrer nervös, redeten immer wieder miteinander, es wurde überall gemurmelt, einige Schüler und auch Lehrer fuhren nach Hause, doch so wirklich wurde nicht deutlich, was passiert war. In der zweiten Pause wurde es immer klarer. Worte wie Tote, Unfall, Krieg, Evakuierung, Entführung und Terror lagen in der Luft. Immer mehr Schüler wurden vom Direx aus dem Unterricht geholt und kamen an diesem Tag nicht wieder. Die letzten Kurse wurden abgesagt, die verbliebenen Schüler nach Hause geschickt.
Ich machte mich nicht auf den Weg nach Hause, sondern fuhr meine Gitarre holen und dann nach Roxbury. Ich wollte der Hektik entkommen, die von der ganzen Stadt Besitz ergriffen zu haben schien. Immer wieder waren dieselben Worte zu vernehmen, es lag fast schon Panik in der Luft, die auch langsam mich zu erfassen drohte. Das beste Mittel, mich zu beruhigen, war für mich die Musik.
Erst auf dem Weg zur Probe erfuhr ich, was passiert war. Ich lief an einem Elektrogeschäft vorbei. Jeder, der vorbeiging, warf einen Blick ins Schaufenster, viele blieben eine Weile stehen und so konnte auch ich meine Neugier nicht zügeln.
Zuerst hielt ich das, was die Fernseher dort zeigten, für einen schlechten Horrorfilm, erst dann fielen mir die Nachrichtenbanner auf. Ich blieb stehen, sah die Bilder aus New York und Washington und mich durchfuhr ein eisiger Schauer. Sicher fünf Minuten stand ich vor dem Schaufenster, starrte die Bildschirme an, die auf unterschiedlichen Sendern alle dasselbe zeigten: Immer wieder sah ich die rauchenden oder einstürzenden Türme, das Flugzeug, das hineinflog, das brennende Pentagon und doch konnte ich nicht realisieren, dass es wirklich geschehen sein sollte. Langsam spürte ich wieder die Panik der Stadt in mich eindringen, die ich glaubte, im Park zurückgelassen zu haben.
Ich riss mich von den Bildschirmen los und setzte meinen Weg wie in Trance fort.
Peter saß im Hauseingang, in der Hand hielt er eine seiner Selbstgedrehten. Langsam hob er den Kopf. »Hey. Probe ist heute nicht. Ich wollte dir schreiben, hatte aber keine Nummer von dir.« Er schien wie jeder andere heute auch völlig durch den Wind.
Ich setzte mich neben ihn, suchte meine Nummer im Handy und hielt es ihm unter die Nase.
Es dauerte einen Moment, bis er verstand, was ich wollte, dann nahm er es mir aus der Hand und drückte mir dafür seine Zigarette in die Hand. Sie roch völlig anders als die Zigaretten von Zombie. Während Peter meine Nummer in sein Handy tippte, sah er kurz zu mir: »Kannst ruhig mal ziehen. Du siehst aus, als könntest du es auch vertragen.«
Ich zog daran. Es schmeckte anders, viel herber. Dabei hatte ich gedacht, mich mittlerweile daran gewöhnt zu haben. Immerhin teilte ich mir jede Woche eine Zigarette mit Zombie. Auch wenn es Mr. Payne nicht gefiel, da es meine Stimme langsam veränderte.
Nach zwei Zügen gab Peter mir mein Handy zurück und ich ihm den Glimmstängel. Nachdem er mich kurz angeklingelt und ich seine Nummer gespeichert hatte, hielt er ihn mir erneut zum Ziehen hin.
Wir blieben still sitzen, rauchten zu zweit, bis ich plötzlich anfing zu kichern. Mir war selbst nicht klar, was ich so lustig fand, aber es ließ sich nicht aufhalten.
Peter sah zu mir und lachte dann: »Oh oh, na das haut bei dir ja schnell rein. Dein erster Joint?«
Ich nickte und kicherte dabei wie ein kleines Kind, das etwas Verbotenes getan hatte. Was ja auch nicht falsch war.
Das Kichern steigerte sich zu einem Lachen, dass so stark wurde, dass ich mich sitzend nicht mehr halten konnte und gegen Peter sackte. Noch immer schmunzelte er über mich.
»So kann ich dich definitiv nicht heimschicken. Na, immerhin hast du an diesem Scheißtag was zu lachen. Komm mit hoch, da kannst du dich etwas beruhigen.« Er legte den Arm um meine Hüfte und ging mit mir nach oben. Er setzte mich aufs Sofa. »Was magst du für Pizza?«
»Käse. Weil heute alles Käse ist.«
Er grinste kopfschüttelnd und griff zum Festnetztelefon, bestellte für uns Pizza. Dann setzte er sich neben mich, unterhielt sich mit mir.
Als die Pizza kam, nahm er sie an der Haustür an und kam dann mit den beiden Pizzen auf die Couch.
Wie ich den dünnen Kerl so sah, machte es für mich Sinn, dass er zwei essen wollte. »Gute Idee, wenn du zwei isst, kommt auch was auf deine Rippen.«
»Glaub mir, das ist harte Arbeit, kein Gramm Fett anzusetzen«, feixte er und reichte mir eine der beiden und ich merkte plötzlich unglaublichen Hunger in mir aufsteigen. »Außerdem musst du gerade reden, so viel mehr bist du auch nicht.«
»Ich hab aber dafür starke Muskeln.« Stolz spannte ich meinen Oberarm an.
Kurz prustete er. »Klar, Mr. Muscle Man.«
»Komm, ich beweis es dir.« Ich stützte meinen Ellenbogen auf den Couchtisch und sah ihn herausfordernd an.
»Ich werd jetzt sicher nicht ausnutzen, dass du bekifft bist.« Er schnippte mir gegen die Stirn.
Es tat so höllisch weh, dass ich direkt beide Hände auf die Stelle legte. Das gab sicher eine gewaltige Beule. Ich konnte regelrecht spüren, wie sie wuchs und meine Hände wegdrückte. Schon bald waren meine Hände gute fünf Zentimeter von meiner Stirn entfernt.
Peter sah mich die ganze Zeit belustigt an. »Du solltest deine Pizza essen, bevor sie kalt wird.«
»Kann nicht, wenn ich die Hände wegnehme, dann wird die Beule noch größer.« Heftig schüttelte ich den Kopf.
»Na wenn es nur das ist.« Er nahm ein Stück meiner Pizza und hielt sie mir vor den Mund.
Ich versuchte, ein, zwei Mal hinein zu beißen, verfehlte sie jedoch. »Hey, halt doch mal still.« Ich versuchte es weiterhin, verfehlte jedoch immer wieder.
Seufzend nahm er meinen Kopf in eine Hand und hielt mir wieder das Stück Pizza davor. Diesmal konnte ich abbeißen.
Noch während ich kaute, sprach ich meine Gedanken bei der Geste aus: »Willst du mich küssen?«
Seine Augen wurden groß. Er schüttelte verwirrt den Kopf und nahm das Pizzastück weg. »Was?«
»Du hältst mich unterm Kinn, also willst du mich küssen.« Ich spitzte die Lippen.
»Sicher nicht, aber du kannst allein ja nicht essen.« Er lachte und stupste mir mit dem Pizzastück gegen die Lippen.
Irgendwie schaffte ich es so, etwa die Hälfte der Pizza zu essen, dann wurde es mir zu anstrengend und ich legte mich auf die Couch, die Hände immer noch vor die Beule haltend.
Nach einer Weile merkte ich, wie die Euphorie wich und ich ruhiger wurde. Ich ließ die Hände auf meine Stirn sinken, die Beule war verschwunden. Dafür hatte ich gewaltigen Hunger. Auf dem Couchtisch stand noch immer der Rest meiner Pizza, den ich mir schnappte und gierig verputzte.
Peter neben mir grinste. »Na, dein Trip endlich vorbei? Bist du jetzt kein Einhorn mehr?«
Ich grummelte. Na wenn er meinte, dass es das peinlichste war, was ich an diesem Abend gesagt oder getan hatte, dann war es ja gut.
Nachdem ich aufgegessen hatte, lümmelte ich noch eine Weile mit ihm auf der Couch, den Fernseher wollten wir nicht anmachen. Immerhin konnten wir uns denken, was auf allen Sendern lief. Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause.
Peter erinnerte mich nochmal, dass er Donnerstag Geburtstag hatte und wir deswegen keine Probe hatten sondern ab 20 Uhr im Exile feierten.
Auf dem Heimweg fiel ein, dass Toby die Woche spontan frei genommen hatte, weil er und Roger die Zusage für ein Haus erhalten hatten und alles für den Umzug vorbereiteten. Ich hatte keine Ahnung, wo das Haus stand und wo sie waren. Hatten sie sich nicht vorletztes Wochenende noch eines in New York angeschaut? Hatten sie dafür die Zusage bekommen? Und wie ging es Tobys Familie?
Schnell schrieb ich ihm eine SMS, bekam aber schon nach kurzer Zeit die Antwort, dass seine Familie wohl auf sei und sie beide in Boston. Das beruhigte mich unglaublich.
Rose und Dad saßen Zuhause wie gebannt vor dem Fernseher und nahmen kaum von mir Notiz, als ich zur Tür hereinkam. Dave war bereits im Bett. Ich grüßte kurz, hörte noch, dass das Feuer im Pentagon unter Kontrolle sei und ging dann nach oben.
Am Freitag wachte ich mit gewaltigen Kopfschmerzen im Probenraum auf, wo ich mit einigen anderen Gästen der Geburtstagsfeier geschlafen hatte. Trotz der Ereignisse der letzten Tage hatten alle ausgelassen gefeiert. Oder gerade deshalb? Dennoch hatte ich scheinbar ein paar Shots zu viel mit Zombie getrunken.
Dass es mehr als nur ein paar zu viel waren, wurde mir klar, als sich eben dieser nur mit einer Hose bekleidet unter meiner Decke vorkämpfte.
Das konnte doch nicht wahr sein! Mein Herz schlug panisch.
Sein Blick fiel auf mich. »Morgen, Käferchen. Was? Noch nie einen echten Kerl gesehen?«
»Mo... Morgen.« Noch immer wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Bitte! Jeder! Nur nicht er! Meine Augen klebten an ihm, als er aufstand.
Er suchte seine Klamotten aus dem Klamottenwirrwarr, das in einer Ecke lag. Nachdem er alles gefunden hatte, sah er wieder zu mir, der ich immer noch völlig perplex halb unter der Decke lag. Er kam mit seinen Klamotten in der Hand zu mir und beugte sich runter. »Keine Angst, ich würde so’n Hänfling wie dich nicht mal anfassen.«
»Tse, das beweist, dass du keine Ahnung hast, was ich alles drauf hab.« Ich versuchte, meine Erleichterung zu überdecken. Keine Ahnung, was ich getan hätte, wenn ich wirklich betrunken mit ihm rumgemacht hätte.
»Kannst es mir ja beweisen, wenn du mir mal weiter als bis zur Gürtelschnalle reichst.« Er richtete sich auf und verließ den Probenraum.
Schon wieder jemand, der auf meiner Größe herum ritt. Dabei war er gar nicht mal wirklich größer als ich. Vielleicht ein paar Zentimeter, noch nicht einmal so groß wie Lance.
Ich suchte ebenfalls mein Oberteil aus dem Haufen, den jemand aus allen herumliegenden Klamotten gebaut hatte, die Hose hatte ich noch an. Es schien also wirklich nichts gelaufen zu sein. Ich zog das Shirt über und ging ins Exile zum Klo, um mich frisch zu machen.
Auf dem Weg warf ich einen Blick aufs Handy. Es war schon fast Mittag, ich hätte schon lange in der Schule sein müssen. Da ich aber auch keinen Anruf von meinem Vater verpasst hatte, schien mich dort niemand zu vermissen. Vermutlich dachten sie, dass ich zu Hause blieb oder wie viele anderen mit meinen Eltern für eine Weile zu Verwandten aufs Land gegangen war. Die Angst und Lähmung vieler war gerade in der Schule sehr zu spüren, auch wenn die Lehrer sich bemühten, mit den wenigen verbliebenen Schülern etwas Normalität zu bewahren.
Zombie hatte wohl dieselbe Idee gehabt wie ich, denn er stand fluchend an einem der Waschbecken und wuschelte an seinem Iro herum. Als er mich bemerkte, fragte er: »Hast du Gel oder Haarspray?«
»Nope, seh ich aus, als bräuchte meine strahlende Schönheit so etwas?« Für meine Haare nutzte ich, wenn überhaupt, mal etwas Haarspray, aber gerade hatte ich wirklich nichts dabei.
»Ich dachte so eine Lady wie du hat immer alles in ihrem Handtäschchen. Scheiße, dann muss ich rumfragen.« Er machte sich auf den Weg zum Ausgang, blieb dann aber nochmal stehen. »Ach ja, deine Schönheit: Nochmal pass ich nicht auf deinen betrunkenen Arsch auf und schlaf bei dir, damit sich keiner daran vergreift, während du weggetreten bist. Du klammerst mir zu sehr.«
»Danke, aber ich kann immer noch gut auf mich selbst aufpassen.« Warum glaubte er immer, auf mich achtgeben zu müssen? Ich war alt genug.
»Klar.« Seine Stimme tropfte vor Sarkasmus. »Das teil ich den beiden Kerlen mit, die dich gestern besoffen machen und dann ficken wollten. Dann seh ich mal, wie gut du auf dich aufpasst.« Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Klo.
Einen Moment blickte ich ihm nach, dann stützte ich mich auf eines der Waschbecken und starrte mein Spiegelbild an. Das war doch nicht sein Ernst, oder? Ich hatte doch gestern mit ihm gesoffen.
Ich spritzte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, versuchte, klarer zu werden.
Es stimmte, ich hatte zuerst mit Peter und ihm getrunken, dann war Peter gegangen, hatte uns beide allein gelassen und wir hatten noch ein paar getrunken und rumgealbert. Irgendwann waren zwei Typen gekommen, hatten mit uns geredet und immer wieder neuen Alkohol geholt. Immer, wenn sie Nachschub holten, tuschelten sie miteinander. Als sie einmal kurz weg waren, hatte Zombie gesagt, ich hätte genug, hatte seinen Arm um mich gelegt – ich konnte kaum noch selbst stehen – und war mit mir in den Probenraum verschwunden.
Scheiße! Er meinte das gerade wirklich ernst!
Ich stand noch eine Weile da und biss mir auf die Unterlippe. Eigentlich sollte ich mich bei ihm bedanken, doch mein Stolz stand mir im Weg. Ich redete mir ein, dass es schon nicht so schlimm gewesen wäre, immerhin stand ich doch auf Dreier.
Die leise Stimme in meinem Hinterkopf, die mir einflüsterte, dass ich auf Dreier mit zwei bestimmten Kerlen stand, ignorierte ich. Genauso wie den Fakt, dass ich wirklich nicht mehr in der Lage gewesen wäre, mich zu wehren, hätte mir etwas nicht gepasst. Ich konnte mich ja nicht mal mehr erinnern, wie sie ausgesehen hatten.
Nachdem ich mir die Schminke vom Vortag aus dem Gesicht gewaschen hatte, verließ ich das Klo.
Im Clubraum standen Peter, der Gläser auf einem Tablet stapelte, und Zombie, der eine Flasche Haarspray in der Hand hielt, scheinbar mit Peter diskutierte und dabei mit den Händen gestikulierte.
Peters Blick fiel auf mich und er lächelte, winkte mich dann zu sich ran. »Morgen.«
»Morgen.« Wie immer musste ich sein Lächeln einfach erwidern. Und auch wenn er für meinen schmerzenden Kopf deutlich zu laut gesprochen hatte, seiner angenehmen Stimme konnte ich das verzeihen. »Soll ich dir beim Aufräumen helfen?«
»Gern.« Er drückte mir die Papierdeko auf dem Tisch in die Hand. »Stimmt das, was Mat grad erzählt hat?«
»Keine Ahnung, ich kann mich nicht wirklich erinnern.« Anhand von Zombies wildem Gefuchtel konnte ich mir schon denken, worüber sie gesprochen hatten.
»Ich glaub, ich weiß, wen du meinst, ich red mal mit den beiden, was das sollte«, sagte Peter zu Zombie und seufzte. Dann sah er wieder zu mir. »Du solltest nicht so viel trinken, sonst bekommst du hier gar nichts mehr. Ich sag den Jungs an der Bar Bescheid, dass du heute nichts bekommst.«
»Ach, kiffen ist okay, saufen nicht?« Ich grinste frech und machte mich auf den Weg, den Müll zu entsorgen. »Schon gut, ich glaube, der Restalkohol reicht noch bis heute Abend.«
Zombie regte sich noch etwas auf, dann ging er wieder ins Klo, seine Haare machen.
Als er zurück war, räumten wir zu dritt das Exile und den Probenraum auf, damit sie rechtzeitig zur Öffnung wieder in Ordnung waren. Das Training ließ ich ausfallen, ich hätte es eh nicht rechtzeitig geschafft, und schrieb Lance, dass ich schon im Club auf ihn wartete. Nach dem Aufräumen gingen wir zu Peter in die Wohnung, aßen die Reste von der Party, gammelten auf der Couch und quatschten, bis der Club öffnete.
Ich flirtete am Abend zwar mit ein zwei Leuten, aber mir stand immer noch nicht wieder der Sinn nach einer flüchtigen Bekanntschaft. Also schlief ich die Nacht tatsächlich mal wieder bei Lance.
»What happend in the world today?«
Tell me what we really know
There are far too many secrets
We are all kept in suspense
Do we really know the reason why they fight in the middle-east?
Do we really know the reason why the terrorists attack?«
Funker Vogt – Paralyzed