»Wo warst du so lange?«, wurde ich zu Hause von Peter empfangen, der vor dem Fernseher saß.
»Beim Training. Hab dir doch einen Zettel hingelegt.« Ich ging direkt nach oben ins Bad, um meine Tasche auszuräumen. Wenn ich sie stehen ließ, würde sich Peter wieder darüber aufregen.
Als ich nach unten kam, meckerte er direkt weiter: »Es ist kurz nach acht! Ich glaube nicht, dass das Studio an einem Feiertag so lange offen hat.«
Ich setzte mich in den Sessel und warf einen Blick auf den Fernseher. Es liefen Nachrichten. Natürlich. »Ich hab doch geschrieben, dass ich noch was Essen bin und du nicht auf mich warten musst.«
Er sah mich skeptisch an. »So lange?«
»Peter! Es ist gerade mal acht! Ich bin doch kein kleines Kind mehr! Wir haben uns eben etwas verquatscht.«
»Tut mir leid, wenn ich mir Sorgen mache, wenn mein Freund plötzlich verschwindet und erst Stunden später wieder auftaucht! Und wer ist uns?«
Genervt verdrehte ich die Augen. »Ich hab Toby und Roger beim Training getroffen. Sie haben gefragt, ob ich noch mitkomme was Essen. Dabei haben wir eben etwas die Zeit vergessen. Passiert.«
Peter griff nach der Fernbedienung, schaltete den Fernseher aus und drehte sich dann zu mir. »Du warst mit Toby und Roger essen?!«
»Ja.« Ich zuckte mit den Schultern. Wenn er sich darüber aufregen wollte, dann sollte er das tun. Ich hatte ihm deutlich gesagt, dass ich die Freundschaft zu ihnen nicht aufgeben würde.
»Und das soll ich dir abkaufen? Dass du sie rein zufällig beim Training getroffen hast, nachdem wir uns gestritten haben? Und dich dann einfach nur mit ihnen ›verquatscht‹ hast?« Peters Augen sprühten Funken.
Ich stand auf und holte mir eine Cola aus dem Kühlschrank. Ich konnte gerade nicht ruhig sitzen. Dieser Blick war mir zu unangenehm. »Genau das. Oder willst du mir etwas anderes unterstellen?«
»Woher soll ich wissen, was da läuft? Du hast mir verheimlicht, dass du sie kennst! Und dann triffst du sie ganz zufällig. Wie soll ich dir das glauben?«
Ich angelte im Küchenschrank nach einem Glas. »Du könntest mir auch einfach vertrauen?«
»Wie soll ich dir denn vertrauen, wenn du unbedingt fremdgehen willst?«, fuhr er mich an.
Etwas zu heftig stellte ich das Glas ab. »Ich will nicht fremdgehen!«
»Egal wie du es nennst, es bleibt dasselbe!« Peter war aufgestanden und starrte zu mir herüber.
Mit einem Ruck drehte ich die Flasche auf. »Nein. Ich hatte nie vor, irgendwas hinter deinem Rücken zu tun! Ich will einfach nur mit jemandem flirten können, wenn mir danach ist, und sehen, wohin es führt. Ich will mich ausprobieren, wissen, wie ich bei anderen ankomme.«
»Haben die dir diesen Mist eingeredet?« Peter kam auf mich zu, blieb aber auf der anderen Seite des Tresens stehen. »Diese ganze Scheiße haben die dir doch in den Kopf gesetzt! Damit sie dich weiterhin ficken können!«
»Sie haben mir gar nichts eingeredet!« Ich stellte die Flasche ab und beugte mich zu ihm herüber. Während ich ihm starr in die Augen blickte, senkte ich die Stimme etwas. Wir waren beide ziemlich laut geworden. »Sie haben mir lediglich gezeigt, dass es geht. Wenn ich sie nicht kennengelernt hätte, hätte ich mich nie auf eine Beziehung eingelassen!«
Doch Peter schien gar nicht daran zu denken, mal etwas leiser zu werden. Wütend deutete er in Richtung Flur. »Dann geh doch zu ihnen, wenn es dir dort besser gefällt!«
»Hör auf mit der Scheiße!« Jetzt reichte es mir. Wütend schlug ich mit der Handfläche auf das Möbelstück zwischen uns. »Ich habe dir schonmal gesagt, dass ich nichts mit ihnen anfange! Ich will mit dir zusammen sein! Nicht mit irgendjemand anderem! Mit dir! Weil ich mich in dich verliebt habe! Weil ich mich bei dir wohlfühle! Weil es mir mit dir egal ist, ob uns alle sagen, dass unsere Beziehung eine scheiß Idee ist! Verdammt, ich liebe dich und niemand anderen!«
Wir hatten beide unsere Hände auf den Tresen gestützt und starrten uns direkt in die Augen.
Eine Weile standen wir so da, bis Peters Haltung plötzlich in sich zusammensackte und er den Kopf senkte. Leise, kaum verständlich, brach es aus ihm heraus: »Trotzdem bin ich dir nicht genug.«
Ich atmete einmal tief durch, schloss die Augen. Dann drückte ich mich ab und ging zu Peter herüber. Vorsichtig nahm ich ihn in den Arm und führte ihn zurück ins Wohnzimmer. Langsam ließ ich mich auf dem Sessel nieder. Dabei zog ich ihn mit. Diesmal war er es, der auf meinem Schoß saß, den Kopf auf meine Schulter gelegt. Ich streichelte ihm über den Rücken. Leise erklärte ich: »Es geht nicht darum, ob du mir reichst. Ich ... Vielleicht hast du recht. Vielleicht brauch ich es, im Mittelpunkt zu stehen. Ich brauch die Bewunderung anderer Leute. Ich mag das Gefühl, begehrt zu werden. Von mehr als nur einer Person. Peter, mir fehlt dieses Gefühl. Nicht nur der Sex mit anderen. Auch alles, was dazugehört. Das Flirten, das Rantasten, die ersten Berührungen, die Abwechslung.«
Peter atmete hörbar aus. »Ich bin dir also zu langweilig.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich dachte auch immer, mir würde es mit nur einer Person zu langweilig werden. Aber das ist es nicht. Mir macht es mit dir immer noch unglaublich viel Spaß, ich will das auch gar nicht verlieren. Aber ich will mehr.«
Peter richtete sich etwas auf. »Was können dir andere geben, was ich dir nicht geben kann? Du musst es doch nur sagen, wenn du etwas anderes willst. Ich bin für alles offen. Selbst wenn du unbedingt irgendwelche ...«
Schnell unterbrach ich ihn. Das wollte ich gar nicht hören, was er sich zusammenreimte. »Du bist zum Beispiel keine Frau. Wenn ich dich ausziehe, dann weiß ich, was mich erwartet. Ich weiß, was du gern hast. Wenn ich mit dir flirte, weiß ich, dass du mich willst. Das ist schön, darüber freu ich mich auch, aber es fehlt die Ungewissheit, der Nervenkitzel.«
»Das mit der Frau kann ich ja verstehen. Aber warum andere Kerle?«
Ich seufzte. »Was soll ich noch sagen? Ich habe doch schon alle Gründe genannt.«
»Hättest du keine Angst, wenn ich mit einem anderen Mann ins Bett steige?« Peters Blick zeigte deutlich, welche Antwort er sich erhoffte.
Doch ich konnte sie ihm nicht geben. Nicht, wenn ich ehrlich war. »Müsste ich die denn haben?«
Verwirrt sah er mich an.
»Ich vertraue dir. Ich weiß, dass du mich liebst. Ich weiß, dass du danach zu mir zurückkommen und dich freuen würdest, wieder bei mir zu sein.«
»Ich weiß nicht, ob ich das Vertrauen habe«, gab er leise zu.
Ich nickte. »Ich kann dich nicht dazu zwingen. Ich weiß nur nicht, ob ich das ewig kann. Ich habe darauf vertraut, dass du mir diese Freiheiten lassen würdest. Keine Ahnung, ob ich damit klarkomme, sie nicht zu haben.«
Einen Moment herrschte Stille. Dann fragte er: »Würdest du mich deswegen verlassen?«
Ich atmete einmal tief ein und wieder aus, dachte einen Moment über die Antwort nach. »Ich weiß nicht, ob es sich irgendwann ändert. Aber im Moment nicht. Außerdem wolltest du mir doch Ende des Monats noch etwas zeigen.«
Überrascht richtete er sich auf. Scheinbar verstand er sofort. »Du machst es?«
»Ja. Ich will es probieren.«
Ohne Vorwarnung küsste er mich.
»Aber danach müssen wir wirklich darüber reden. Auch wegen uns und der Band.«
»Ich dachte, wir hätten geklärt, dass es die anderen nichts angeht?« Peter legte die Stirn in Falten.
»Alison hat heute Morgen etwas gesagt, dass mich zum Nachdenken gebracht hat: Wie willst du erklären, dass du plötzlich niemanden mehr aufreißt?«
Seine Miene verriet, dass er noch gar nicht darüber nachgedacht hatte. »Ich ... ich weiß nicht ... Vielleicht ...«
Weiter kam nichts. Ich küsste ihn auf die Stirn und schob ihn dann leicht von mir herunter. »Ich muss dringend etwas trinken. Lässt du mich bitte aufstehen? Wir haben ja noch Zeit uns etwas zu überlegen.«
Ich holte mein Glas und die Flasche. Mit beidem setzte ich mich zu Peter auf die Couch, wo wir bis zum Abend kuschelten. Wir hatten das zwar noch nicht geklärt, aber zumindest wussten wir nun beide, woran wir waren.
Irgendwann fiel mir ein, dass er noch gar nicht gesagt hatte, was Phantom gewollt hatte. Peter erzählte, dass sich dessen Freundin wohl von ihm getrennt und ihn mit dem Kind sitzen gelassen hatte. Er hatte es dann zu seinen Eltern gebracht und war nach Boston gekommen, um Peter zu fragen, ob er wieder für die Demons singen könnte.
Ich verstand, dass er wütend war, mit einem kleinen Kind dazustehen und keinen Job zu haben, aber war auch froh, dass Peter ihm klar gesagt hatte, dass er nicht einfach wiederkommen und erwarten konnte, dass jeder nur auf ihn wartete.
»Du weiß trotz dieser tausend Meilen – trotz Sturm trotz endloser See
Will dein Leuchtturm sein der dich führt – dir deine Seele berührt«
Irrlicht – Leuchtturm