Ich nahm Marie am nächsten Morgen mit nach Downtown, wo ich sie absetzte. Von dort aus fuhr ich zum Massachusetts General Hospital.
Als ich ankam, klingelte ich Rogers Handy an und suchte die Cafeteria. Wir hatten ausgemacht, uns dort zu treffen, auch wenn es mir lieber gewesen wäre, das Gespräch bei ihnen zu Hause zu führen. Aber ich konnte verstehen, dass Roger so viel Zeit wie möglich bei seinem Freund verbringen wollte.
Er hatte sich bereits einen Tisch in einer Ecke ausgesucht und winkte mir zu, als ich endlich fündig wurde. Die Nachbartische waren leer. Es konnten uns also hoffentlich nicht zu viele Leute zuhören, das war beruhigend.
Ich ging zu ihm und wurde natürlich mit einer Umarmung begrüßt.
»Schön, dass du dich entschieden hast, doch herzukommen. Was ist denn passiert?« Er setzte sich wieder und lächelte einladend.
Ich zog meine Jacke aus, hing sie über den Stuhl und verstaute den Helm sicher unter dem Tisch. Das kaufte mir Zeit, um darüber nachdenken, wie ich anfing. Mir fiel jedoch nichts Gutes ein, also musste ich improvisieren. »Tobys Art beim letzten Mal ... Dieser befehlende Ton ... Ich hab Angst, dass mich das unmännlich wirken lässt.« Ich senkte den Kopf und biss mir auf die Lippe.
Als Roger nicht reagierte, blickte ich auf. Hatte ich etwas Falsches gesagt?
Er hatte mich scheinbar die ganze Zeit mit einem freundlichen Lächeln beobachtet. Als ich ihn ansah, sprach er endlich: »Siehst du, das ist doch viel besser. Du kannst mich ruhig anschauen, wenn du mit mir redest, das muss dir nicht peinlich sein. Ich weiß nicht, wer dir eingeredet hat, dass du unmännlich wirken könntest, aber das ist totaler Bullshit. Warum solltest du? Du bist vielleicht etwas schüchtern und mit der Situation überfordert, deswegen bist du aber noch lange nicht unmännlich. Es gibt so viele Männer, die darauf stehen dominiert zu werden, egal ob sie mit anderen Männern oder mit Frauen schlafen. Was sollte dich daran weniger männlich machen?«
»Na ja, es ist ja nicht nur das. Ich bin noch dazu klein und schmächtig. Und eben manchmal auch schüchtern. Egal, was ich gelesen habe, das war immer derjenige, der irgendwie richtig weiblich wirkte.« Ich wollte wieder auf den Tisch starren, zwang mich aber, Roger weiter anzusehen.
Er musterte mich kurz, dann seufzte er. »Von mir aus kannst du so einen Schund gerne lesen, wenn er dir gefällt, aber lass dir doch davon nicht so einen Mist einreden. Ja, es gibt so Kerle, aber ich habe nicht das Gefühl, dass du dazugehörst. Und selbst wenn, wäre das wirklich so schlimm? Toby und ich ziehen dich zwar gerne mal mit deiner Schüchternheit auf, aber das ist etwas völlig anderes. Ich hab dich nicht so häufig getroffen, aber das, was ich von dir erlebt hab, spricht dagegen. Und ich glaube, du weißt sehr gut, was du willst. Außerdem kenn ich Toby und er steht nicht auf solche Kerle. Schon auf devote Männer, aber sicher nicht auf Püppchen, die alles mit sich machen lassen. Er mag es, wenn man ihm auch mal die Stirn bietet. Dass er dich dazu auch noch aufziehen kann, ist eben ein netter Bonus.« Er grinste mich an. »Außerdem: Ich hab erlebt, wie du und Lance davon gesprochen habt, Musiker zu werden. Du warst davon so überzeugt und begeistert. Würdest du dich davon abbringen lassen, nur weil du Geschichten – fiktive Geschichten! – darüber liest, dass jemand es nicht schafft, seinen Traum zu erreichen?«
Ich sah ihn schockiert an. Niemals würde ich das tun! »Nein! Das ist doch aber nicht dasselbe!«
»Nicht? Auch der Schund, den du scheinbar gelesen hast, ist fiktiv. Ja, es gibt solche Männer, es gibt aber auch Leute, die es nie schaffen, ihren Traum zu erfüllen. Und so weit ich das einschätzen kann, warst du beim Sex ziemlich leidenschaftlich dabei.«
Mal wieder wurde ich rot.
Er ignorierte es diesmal jedoch. »Es ist vielleicht eine andere Leidenschaft als zur Musik, aber da lässt du dich doch auch nicht beeinflussen. Und das ist gut so. Ich mag ja keine Ahnung von Musik haben, aber was ich gehört hab, müsst ihr recht gut sein, wenn ihr es an die Boston University geschafft habt. Wovon ich jedoch Ahnung habe, ist Sex und glaub mir, ich kann verstehen, was Toby an dir findet. Du bist wirklich geil, wenn du dich treiben lässt.«
Ich senkte den Kopf. Das war zu viel.
Roger lachte leise und der Schalk tanzte in seinen Augen, als ich ihn wieder ansah. »Okay, versuchen wir es anders: Fandest du Toby unmännlich, als ich ihn genommen habe?«
Was war das für eine Frage? Natürlich nicht! »Das war doch was ganz anderes.«
Sein Grinsen wurde breiter, er beugte sich weiter zu mir herüber, flüsterte mir ins Ohr: »War es das? Bist du dir da sicher? Hat er nicht schön geduldig auf seine Strafe gewartet, weil er mich einfach von dir weggedrängt hat?«
Mir schoss noch mehr Blut in die Wangen. Er konnte so etwas doch nicht in der Öffentlichkeit sagen! Ich sah mich um, ob uns jemand beobachtete.
Er nahm mein Gesicht in seine Hand und drehte es wieder zu sich. »Wenn du die Leute ansiehst, werden sie eher auf uns aufmerksam. Meinst du, es hilft dir, wenn du siehst, dass man nicht unmännlich wird, nur weil man es genießt, sich komplett in die Hände eines anderen Mannes zu geben?«
Was zur Hölle hatte er vor? »Ich weiß nicht ...«
»So wie ich das verstanden habe, ist Toby für dich alles andere als mädchenhaft, oder nicht? Ich kann dir zeigen, dass auch er es genießen kann, sich komplett hinzugeben. Danach kannst du entscheiden, ob es jemanden wirklich weniger männlich macht.«
»Na gut«, ging ich widerwillig auf das Angebot ein. Aber was hatte ich dabei schon zu verlieren? Vielleicht half es ja wirklich, zu sehen, dass nichts dabei war.
Roger lehnte sich in seinem Stuhl wieder zurück. »Schön. Aber erst, wenn es Toby besser geht und unter der Bedingung, dass du dich wieder mit ihm verträgst und ihr euch aussprecht. Anders wird er sowieso nicht zustimmen.«
»Wir haben uns doch gar nicht gestritten!«
Roger seufzte. »Dann tu, was immer du tun musst, damit dieses elende Schweigen zwischen euch endet. Es ist zum Kotzen! Du sitzt hier und redest mit mir statt mit Toby und er zieht zu Hause eine Miene, als wäre seine Katze krank.«
Hey, er sprach schon wieder von mir, als wäre ich ein Haustier! »Er hat mich einfach stehenlassen, als wir das letzte Mal gesprochen haben.«
»Einfach so?« Roger zog eine Augenbraue hoch.
Ich biss mir kurz auf die Lippe und schüttelte den Kopf. Ich schaffte es, nicht wieder den Tisch anzustarren. »Ich konnte ihm eine Frage nicht beantworten.«
»Kannst du es jetzt?«
Ich nickte zaghaft. Ja, zumindest die zweite Frage konnte ich beantworten. Und die erste ... Ja, so langsam wurde mir auch diese Antwort klarer.
Roger klang erleichtert; »Gut. Dann komm mit hoch und gib ihm endlich die Antwort.«
Als wir ins Krankenzimmer kamen, war gerade ein Pflegeschüler dabei, Toby sein Mittag auf dem Nachttischchen bereitzustellen.
Toby lächelte ihn freundlich an. »Danke dir. Jetzt sollte ich gut rankommen.«
»Keine Ursache, Mr. Blanchett, dafür bin ich doch da.« Der junge Mann lächelte zurück.
»Hey, Toby, lass die Finger von meinem Lieblingskrankenpfleger.« Roger lächelte anzüglich und zwinkerte seinem Freund zu.
Der Pfleger dagegen sah sich zu uns um und wurde kreidebleich, als er Roger erblickte. Er legte hastig das Besteck neben den Teller und verschwand eilig aus dem Raum. An der Tür drehte er sich noch kurz um und haspelte: »Ich hol die Sachen später ab. Einfach klingeln.«
Toby sah ihm verwundert hinterher, dann wurde sein Blick ärgerlich und ging zu Roger. »Roger, das war nicht ne... Oh. Isaac. Was ... Was machst du hier?«
»Ich hab doch gesagt, ich bring dir was Süßes mit.« Roger hatte seine Freude am Mienenspiel seines Freundes von verwirrt, wegen des flüchtenden Pflegers, zu verärgert, weil Roger diesen verunsichert hatte, zu erstaunt, als er mich neben Roger stehen sah. »Ich hab nie von Essen gesprochen. Du wirst sonst noch fett.«
Ich ging zu Toby und fiel ihm um den Hals.
Er wirkte etwas erschrocken, erwiderte aber die Umarmung. »Schön dich zu sehen, aber was machst du hier? Ich hab nicht mit dir gerechnet.«
»Ich ...«
Verdammt, Isaac, sag es endlich!
Ich nahm allen Mut zusammen. »Du ... Du darfst mich gern gegen jede Wand drücken, wenn du möchtest.«
Einen Moment sah er mich perplex an, dann krallten sich seine Finger in meine Haare und er zog mich an sich. In den folgenden Kuss ließ er die gesamte angestaute Leidenschaft einfließen. Fast befürchtete ich, er würde mich aufs Bett ziehen und augenblicklich vernaschen.
Roger räusperte sich.
Sofort löste sich Toby von mir. Sein Blick ging zu seinem Freund. »Tut mir leid.«
»Schon gut.« Roger regte sich nicht wirklich auf. Zumindest lächelte er mild. »Ich weiß, dass du ihn vermisst hast. Ist das zwischen euch dann jetzt geklärt?«
Toby und ich sahen uns kurz an und nickten dann beide. Da Roger nun auf Toby zukam, stand ich auf und machte Platz.
Er setzte sich auf die Bettkante und sein Blick wandelte sich. Er wurde kalt, aber gleichzeitig stand Begehren darin. Roger fasste Toby unters Kinn und zwang ihn so, ihn anzusehen. »Gut. Ich hab nämlich eine Abmachung mit dem Kleinen.«
Toby sah mich fragend an. Dann wurde er wieder von Roger abgelenkt, der ihm ans Ohr sprach, allerdings laut genug, dass ich es hören konnte. Seine Stimme klang dabei genauso kalt, wie bei unserem Dreier. »Er würde gerne mal sehen, wie du richtig schön durchgenommen wirst. Was hältst du davon?«
Gerade war ich sehr froh, dass Toby ein Einzelzimmer hatte, denn ich traute Roger zu, sowas auch zu sagen, wenn noch andere Patienten im Raum waren. Seine Hand wanderte langsam von Tobys Kinn die Brust hinab unter die Decke und dort weiter. Dann hielt sie. Da Toby sich sofort zurückwarf und sowohl schmerzerfüllt als auch lustvoll aufstöhnte, musste Roger ihm wohl ziemlich stark in den Schritt gepackt haben.
Als er sich wieder gefangen hatte, starrte er mich an. Ich konnte den Blick nicht deuten. Es hätte so vieles sein können. Lust, Angst, Hass oder auch alles zusammen.
Ich hatte das dringende Bedürfnis mich zu rechtfertigen: »Es war Rogers Idee. Damit ich mich vielleicht sicherer fühle. Aber du musst ...«
Toby warf sich wieder zurück, diesmal keuchte er etwas lauter und mit weniger Lust.
»Ich hab noch keine Antwort gehört.« Roger klang unerbittlich.
»Natürlich, wenn du das willst.« Tobys Stimme klang verzehrt.
»Das klingt doch schon besser.« Ich sah, wie sich Rogers Hand etwas bewegte, dann zog er sie wieder unter der Decke hervor und legte sie unter Tobys Kinn. Er zog ihn zu einem Kuss heran. Danach sah er kurz zu mir, dann wieder zu Toby. Sein Blick und seine Stimme waren wieder normal. »Wie du dich dann bei dem Kleinen bedankst, ist dir überlassen.«
»Oh, ich bin mir sich, da wird mir was einfallen.« Toby sah mir geradewegs in die Augen. Er klang ziemlich fies.
Was hatte ich mir da eingebrockt?
»Aber erstmal muss es dir bessergehen. Und dafür musst du essen.« Roger stand auf und schob den Tisch ran.
»Ich hatte gehofft, du bringst mir was Vernünftiges mit.« Mit missmutigem Gesicht aß Toby.