(Hinweis: Die Prompt-Geschichten sind Teil einer zusammengehörenden Story)
Unterdessen, in den Bädern der Hölle, nagte eine Ungeduld an Luisa.
Sie hatte so ihre Probleme mit Lokis Gelassenheit.
Ja, sie waren zum Warten verdammt.
Warten auf die Nachrichten, mit denen Luce zurückkommen, und darauf, ob der Eine intervenieren würde.
Und vor allem sorgte sie sich um Lysander, den der verräterische Weltenlenker in einen Engel der Stufe Eins verwandelt hatte. Machtlos war er jetzt, was ihr das Herz brach, aber sie liebte ihn nicht weniger. Die Tiefe ihrer Gefühle wurde ihr erst jetzt, durch seine Schwäche bewusst.
Er lag im Vorraum der Sauna in eine Decke gewickelt und schlief, derweil sie sich von Loki hatte überreden lassen, für einen Aufguss mit hineinzukommen. Entkleidet lag sie bäuchlings auf der unteren Pritsche und döste vor sich hin. Dabei gestand sie sich widerwillig ein, die Wärme zu genießen, nachdem Luce die Hölle hatte gefrieren lassen.
Bis Loki den Mund aufmachte.
„Ein Tässchen Kaffee wäre jetzt schön“, summte er versonnen, „Wärest du so lieb, und würdest einen holen?“
Ihr Kopf ruckte hoch. „Was? Hast du vergessen, in welcher Lage wir sind? Der Eisklotz, in den Luce den Verräter eingeschlossen hat, hält nicht ewig! Und du hängst hier herum wie ein Großkönig und erwartest, dass ich, eine Walküre, dir einen Kaffee bringe?“
Er lachte dunkel. „Das klingt geradezu so, als wäre das ein Verrat an Asgard und die Beleidigung all dessen, was uns heilig ist“, er klimperte mit den Wimpern und schnurrte wie ein Kätzchen, „Bitte, meine Liebe. Auch wenn du Odins Lieblingswalküre bist.“
„Oh ja“, tönte Wilhelm, der auf der oberen Pritsche vor sich hindämmerte, „Kaffee. Ich habe ihn noch nie getrunken, aber was ich über ihn hörte, klingt verheißungsvoll.“
„Meinetwegen“, grummelnd stemmte sie sich hoch, klemmte sich ihre schweißnassen roten Locken hinters Ohr und wickelte sich in ihr flauschiges Handtuch.
„Und schließe die Tür richtig“, rief Loki ihr nach.
„Jaja“, knallend verschloss sie die Tür.
Verärgert, wie sie war, tappte sie durch den wohnlichen Spabereich, hoffend, sie fände einen dieser kleinen, in roten Latex gewandeten Teufel, die hier das Personal gaben.
Sie sah sich um.
Zwischen zwei marmorgefassten Becken, eines mit kaltem, eines mit heißem Wasser, standen die weich gepolsterten Ruheliegen. Auf einer von ihnen ruhte Ly, wohlig seufzend, mit einem vagen Lächeln im bleichen Antlitz. Davor stand der Eisklotz, der Gegner noch darin gefangen, aber die Pfütze um ihn herum hatte sich schon vergrößert.
Sie presste die Lippen fest aufeinander.
Es wurde Zeit, dass Hilfe nahte. Sie wusste nicht, wozu dieser mächtige Feind in der Lage wäre, wenn er in die Freiheit entlassen ward.
An den beiden Brunnen vorbei, die als kristallklare Säulen links und rechts neben der Doppeltüre hinaus sprangen, tappte sie weiter.
Als sie zurückkehrte, trug sie ein Tablett mit drei dampfenden Tassen, hielt es mit einer Hand und versuchte, die Tür zur Sauna aufzuziehen.
Aber sie klemmte.
Oder Loki hatte wieder irgendeinen Unsinn fabriziert.
„Mach auf!“, rief sie gereizt, „Ich habe keinen Nerv für deine Späße!“
Nichts geschah.
Sie rüttelte an der Tür.
Nichts.
Ihre Verärgerung wuchs. „Lok! Hör mit der Scheiße auf!“
Stumm zählte sie bis zehn, dann versuchte sie es erneut, und war wieder erfolglos.
„Wie du willst! Dann musst du eben kalten Kaffee trinken.“
Sie war eben im Begriffe, das Tablett auf einem fein ziselierten Bronzetischchen neben der Tür abzustellen, als ein verzerrtes Gesicht hinter der Scheibe im oberen Drittel der Tür auftauchte.
„Aaah!“, klirrend ging das Tablett zu Boden, „Loki! Du bist so ein Arschlo...“
„Luisa“, keuchte es hinter der Scheibe, „Wir sind eingesperrt! Und jemand hat die Temperatur hochgedreht. Du musst uns helfen.“
Mit zusammengekniffenen Augen nahm sie Loki näher in Augenschein.
Um ehrlich zu sein, war sie auf der Suche nach Anzeichen nach einem seiner miserablen Scherze. Doch sein hageres Gesicht wirkte eingefallen. Schweiß lief in Sturzbächen Stirn und Wangen hinunter, und seine grauen Augen schienen fast aus den Höhlen zu fallen.
Der Schreck manifestierte sich in ihr, als sie sich panisch umwandte. Auf der Kline Lysanders lag nur noch die zerknüllte Lambswooldecke, in der er geschlafen hatte. Und neben dem Ruhemöbel prangte eine gigantische Pfütze. Der Eisklotz war geschmolzen. Der Feind auf der Flucht, und der hatte...
„Er hat Lysander mitgenommen!“
„Hol uns hier raus!“, entgegnete Loki matt, „Dann sehen wir weiter.“
Die Sorge um Ly schnürte ihr die Kehle zu, aber er hatte recht.
Vergeblich zog und zerrte sie an der Holztür. Weil sie damit nicht weiter kam, wandte sie sich der Technik zu. Wenigstens konnte sie versuchen, die Temperatur herunterzudrehen. Aber hartnäckig verblieb die Anzeige auf 666 Grad.
„Loki, es geht nicht! Ich bin völlig aufgelöst!“ Und das war sie. Nie zuvor war sie so ratlos gewesen, und es war Sorge und Angst, die sie lähmten.
„Aufgelöst sind wir hier drin gleich“, schnappte Loki zurück, „Reiß‘ dich zusammen. Hol' Hilfe. Notfalls von oben.“
Von oben?
Ja, natürlich.
Bisher war sie zwar äußerst stolz drauf gewesen, dass sie niemals in ihrem Walkürendasein die Nothilfe-Hotline hatte anrufen müssen, aber es gab immer ein erstes Mal. Es ging nicht anders. „Hast du ein Handy?“, keuchte sie.
„In meiner Jacke. Mach schnell.“
Ihre Augen hetzten zur Garderobe. Mit zwei Schritten war sie da und wühlte in Lokis speckiger Lederjacke, bis sie das Handy fand, das ihr fast entglitt. Knapp fing sie es auf. Fahrig tippte sie die Geheimnummer, lauschte dem Freizeichen und wanderte während des Wartens planlos umher.
„Herzlich willkommen beim Asgard-Walküren-Support. Wenn sie Hilfe brauchen, beim Auffinden eines gefallenen Helden, drücken sie die eins. Sollten Zweifel an Mut und Tapferkeit des Helden bestehen und Sie sind unentschlossen, drücken sie die zwei. Im Falle einer fragwürdigen Gesinnung des vermeintlichen Helden, die nichts mit der uns eigenen Toleranz zu tun hat, drücken sie die drei, in allen anderen Fällen wählen sie die vier.
Mit schweißnassem langem Finger drückte sie die Vier.
„Asgard-Walküren-Support. Mein Namen ist Gunhild, was kann ich für sie tun?“
„Wir haben ein Problem“ ,redete Luisa schnell, „wir sitzen in der Hölle fest, haben einen mächtigen Gegner und brauchen dringend Hilfe.“
„In Hel, meinen Sie?“, klang es zuckersüß zurück, „Wie viele seid ihr? Und wer ist mit dabei?“
„Loki! Und es ist nicht...“
„Oh“, klang es erstaunt und nicht mehr ganz so klebrig, „Im Falle von Loki steht es mir nicht zu...“
„Und nicht in Hel! In der Hölle!!“, Luisa kreischte schon wutentbrannt und warf einen Blick über die Schulter zur Glasscheibe, hinter der Loki sich mager schwitzte. Sie fragte sich, wie es Wilhelm wohl ging, den der jahrhundertelange Aufenthalt im Himmel gewiss erschlafft hatte.
„Die Hölle? Dafür sind wir nicht zuständig.“
„Was?“, fassungslos wischte sie sich über die Stirn, „Nicht zuständig? Sie können doch nicht einfach...“
„Die Hölle ist ein, einem anderen Glauben zugehöriger Sektor, der außerhalb unserer Zuständigkeit liegt. Aber ich kann ihnen die Durchwahl zum Himmelsoktogon geben.“
Hinter der Scheibe war Loki schon ein Stück runter gerutscht, so dass sie nur sein klatschnass geschwitztes Haar am Glas kleben sah.
„Das dauert zu lange“, gab sie schnell zurück, „Vielleicht könnten Sie im Rahmen der Amtshilfe eine Ausnahme machen.“
„Amtshilfeanträge bearbeiten eine andere Abteilung. Da muss ich sie verbinden.“
„Nein!“, hektisch fuchtelte sie mit der Hand in der Luft herum, „Verbinden sie mich mit der Himmels-Hilfe-Hotline. Aber schnell!“
„Gerne“, trillerte es, „Ich freue mich, Ihnen geholfen zu haben, und ich wünsche ihnen einen schönen Tag.“
Ja ja, du mich auch, dachte sie und klopfte zaghaft an die Scheibe, derweil sie einem weiteren Freizeichen lauschte.
Wäre doch Luce hier. Der kannte sich in seiner Hölle wenigstens aus und wusste vielleicht, was zu tun wäre. „Loki“, hauchte sie, „Geht es noch?“
„W-was?“ Aufgeschreckt rückte er hinter dem Glas ein Stück hoch, dass sie sein ganzes Gesicht sehen konnte. Furchterregend sah er aus.
„Sie sind nicht zuständig!“, erklärte sie.
„W-wie? Was? Nicht zuständig? Ich verstehe nicht.“
Warum ging denn da im Himmel keiner dran, verdammt?
„So sind sie nun einmal“, schnappte sie, „Es sind Beamtinnen, die zuerst die Zuständigkeit prüfen. Ich war von Anfang an gegen diesen Wellness-Firlefanz.“
Sie schwang herum, schielte zur Tür, als am anderen Ende endlich abgenommen wurde.
„Himmlische Heerscharen, Susi am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“
Sie hob den Kopf. Ganz wenig nur, und schaute zur doppelflügeligen Tür, in der breitbeinig und in nassem Brokat der Weltenlenker stand, Lysander am Schlafittchen. Dessen große Augen hatten einen undurchsichtigen Glanz, aber sie las den Widerstand in ihnen.
„Die wohligen Wasserorgien haben jetzt ein Ende“, höhnte der Weltenlenker und Luisa schrie ins Handy: „Wie stecken in der Hölle fest. Euer Weltenlenker ist ein Verräter!“
„Anschuldigungen dieser Art wiegen schwer. Mit wem spreche ich denn?“
„Er hat Lysander! Er hat ein Pfand aus Königsblut!“