Rückblickend kam Lysander die ganze Geschichte völlig absurd vor. Einst war er ausgeschickt worden, um eine widerborstige Frau als Schutzengel zu schützen, beziehungsweise deren eigentlichen Schutzengel zu unterstützen und am Ende hatte sich das Ganze als eine Intrige des einstigen Weltenlenkers entpuppt, der hatte verhindern wollen, dass eine Walküre zwei Helden aus der Hölle holte und nach Walhalla brachte.
Sie waren in Asgard gewesen, er hatte an der Seite Lokis in der Hölle gekämpft und aus Luce einen Engel gemacht.
Die ganze Höllensache hatte sich als Farce offenbart.
Und am Ende waren er und die Walküre ineinander verliebt und ein Paar, das eine Fernbeziehung führen musste.
Er erinnerte sich noch gut, wie sie nach dem blutigen Intermezzo in der Hölle, nach dem letzten Kampf, den letzten fehlenden Normannen in die große Halle gebracht hatten.
Robert Hauteville, der erste, den sie geholt und dort abgegeben hatten, hatte im Prinzip schon alles an sich gerissen.
In der silbrigen Thronhalle Valaskjalf hockte ein entnervter Odin auf seinem Thron, das Kinn auf die Faust gestützt, das eine Auge gestresst flatternd, derweil Frigg, seine Gemahlin, auf Wilhelm zu rauschte und ihn an der Schulter nahm.
"Es wird Zeit", zwitscherte sie, "Wenn noch ein Normannenherzog an der Tafel sitzt, bringt es vielleicht alles wieder ins Gleichgewicht. Dieser Robert ist zwar eine Augenweide, "naserümpfend glitten ihre Augen an Wilhelm hinauf und hinab, "aber er ist wie ein Raubtier. Die Weltenunruhe, die zur Asgardunruhe geworden ist. Wir machen die Tür zu Walhalla kaum noch auf."
Sie schob Wilhelm an der Schulter hinaus in den leuchtenden Gang, über den eilig einige Walküren flitzten, und Luisa nur nachlässig als eine der Ihren grüssten.
Als sie die Tür zur großen Halle eigenhändig aufstieß, brandete ein Trinklied und ohrenbetäubender Lärm auf sie ein.
Lysander zuckte zurück, weil der auch nicht erstarb, als die Herrin Asgards im Rahmen stand. Aber ein Mann schaute halb interessiert auf, Diamantenaugen sahen die Frau an, dann Luisa und blieben bei Lysander hängen. Dann glitt er aus dem Stuhl und kam zu ihnen.
Wilhelm den Eroberer würdigte er keines Blickes.
Er starrte Lysander an.
Lysander starrte zurück.
Aus dem Wimperkrankz seiner dunklen Augen sah er auf den Athletenhalbgott, der Robert Hauteville hier oben geworden war. In der Hölle, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte der auch nicht eben verlottert ausgesehen. Allein, dass er Lucifer einen recht bequemen Teil der Hölle abgeluchst hatte, hatte dies verhindert. Aber hier oben hatte sich seine Bestimmung offenbar vollendet.
"Lysander", sagte er rau und berührte ihn sachte am Arm, "es hat lange gedauert, bis ich verstand was und wer du bist."
"Es ist nicht der Rede wert", gab er in prinzlicher Bescheidenheit zurück.
"Es ist, da wo du her kommst, alles wert."
"Aber hier oben", Ly ließ die Augen über das Tohuwabohu in der Halle schweifen, "hier oben nichts. Und es spielt keine Rolle", er lächelte schmal, "wie ich höre, kam es hier zu einer lieblichen Besitzergreifung durch Euch?"
"Eine lieblich würdige, würde ich es nennen", die dunkelblauen Augen des Normannen blitzten vergnügt.
"Sicher wird das Temperament dieses hochbegabten Wikingers ihn immer wieder zu ungemein Taten treiben", trillerte Frigg und klimperte in Roberts Richtung mit den Wimpern, was Luisa entgeistert zur Kenntnis nahm, "aber nun soll er erst einmal einen alten Freund begrüßen."
Jetzt erst schenkte Robert dem Normannenherzog an der Seite der Belegschaft einen recht kühlen Blick. "Es ist nicht so, dass wir Freunde waren."
"Ich habe dir Schiffsbauer geschickt, damit du für die Eroberung Siziliens mehr als die fünf läppischen Langboote hast", begehrte Wilhelm auf.
"Nun, sie waren ziemlich arrogant, deine Schiffsbauer. Wie ich höre warst du im Himmel. Was ich gelinde gesagt für eine Unverschämtheit halte."
"Es war auch nicht sonderlich bequem. Deine Frau hat mir den Himmel zur Hölle gemacht."
"Sichelgaita? Wo ist sie denn jetzt."
"Das weiß keiner so genau. Und ich wünsche mir, es bliebe so."
"Sagen wir es so", warf Lysander ein, "da sie keine Normannin ist, und somit auch keine Wikinger-Dame, bedarf es einer längeren Untersuchung über die Frage, ob sie überhaupt...."
"Sie hat gekämpft", entgegnete Robert harsch, "Die Schlacht um Durazzo hätten wir ohne sie niemals gewonnen."
"Das ist mir bekannt", versuchte es Ly erneut, "aber als gebürtige Lombardin..."
"Es ist alles sehr bürokratisch da", Luisa zog eine zerknirschte Miene.
"Die Behörde für Integration und Ausreise hat sie auf unserer geheiligten Rangtafel auf mein Betreiben von Rang 720 auf Rang 2 geschoben."
"Welch ein Aufwand", Frigg betrachtete ihre weißen Fingernägel.
"Lasst Sichelgaita um Himmels Willen, wo sie ist", zischte Wilhelm gereizt.
Roberts Brauen schossen und die Höhe. In derselben Sekunde zog er schleifend sein Schwert, Johlen brandete auf und Frigg stieß die Tür zu.
"Das wird Odin freuen. Dass der Normanne jetzt beschäftig ist." Sie rieb die Hände, "Und ihr zwei? Ihr habt endlich Ruhe verdient."
Lange wird die nicht wären, dachte Lysander, nickte aber gehorsam.
In flauschigen Daunen wälzen, das war es, was Lysander und Luisa dann getan hatten, bevor Lysander heim musste, ins Himmelsoktogon, um seinen neuen Job anzutreten.
Er freute sich nicht eben darauf, aber gegen seinen Vater hatte er einfach kein Argument ins Feld führen können.
Übermenschliche Haltung war alles.
Bei seiner Amtseinführung als neuer Weltenlenker stierten ihn zwanzigtausend in Brokat gewickelte Würdenträger vom inneren Dienst unterwürfig an, aber er wünschte sich nur, Luisa wäre hier.
Aber wenigstens, und das kam nur alle paar Hundert Jahre vor, war sein Vater anwesend. Die Amtseinführung eines neuen Weltenlenkers war es ihm wert, und aus seinen lang bewimperten Ikonenaugen leuchtete der Stolz, mit einer Spur Ironie. Als gesteigerte Gestalt in der Goldnische sitzend, folgte er dem Zeremoniell halb belustig, was Lysander wieder zornig machte.
Rechts und links, zu Mondsicheln ausgebogen, standen die Reihen seiner Untergebenen, starrend vor Metall und Silber.
Und dieses unvermeidliche Brokat.
Zwanzigtausend Beamte, dachte er gereizt, er würde wirklich eine Menge ändern müssen. Aber aus den Reihen zwinkerte ihm ein junger, blondhaariger Mann von großer Schönheit zu, aufgestiegen zu den Engeln und ausgestattet mit messerscharfem Verstand.
Lucifer, der heim durfte, weil er den Verrat offengelegt hatte, und an ihrer Seite gekämpft.
Vom abgesetzten Weltenlenker hatten sie nichts gehört.
Meisterhaft untätig verharrte der in der Tiefe der Hölle, der er nun vorstand, aber Lysander ging davon aus, dass er nur seine Kräfte sammelte, um ihnen wieder Ärger zu machen.
Er war nicht erpicht darauf, zu erfahren, was der plante.
Mit den Reformen würde er alle Hände voll zu tun haben.
Er hoffte genügend Zeit für Luisa zu haben. Die Regenbogenbrücke nach Asgard stand ihm jederzeit offen.
Aber er hatte da so ein Gefühl, was den miesen, hinterhältigen, neuen Teufel da unten anging.
Er schloss die Augen, sog tief Luft ein und hob das Haupt würdevoll.