„Was?“, Loki, mit Wilhelm noch immer in der überhitzten Sauna, presste sein Gesicht an die Scheibe.
„Singen!“, kreischte Luisa, die sich unter einem Marmortisch neben zwei Ruheliegen vor den heransausenden Flammen in Sicherheit brachte, „wir sollen singen!“
Sie warf den Kopf hin und her und guckte verdutzt, als eine zierliche Gestalt mit angstirrem Blick in das Bad getaumelt kam. "
"Wer bist du denn?", rief sie.
"Öhm, ich...äh", der Kopf des Jungen schwang panisch hin und her, "Der Falten und Lockenleger des Herrn Luc..."
"Du liebe Güte! Wer hat denn so was! Los, gib mir das Handtuch und renn dann unter die Tafel im Nebenraum!"
Der Knabe angelte nach einem nassen Handtuch, warf es ihr zu und sauste hinaus, als hätte er nur auf eine Ansage gewartet.
Schnell legte sie es sich über den Kopf, wartete eine Lücke ab und hetzte hinaus.
„Wo willst du hin?“, brüllte Loki, „Du kannst mich nicht hier zurücklassen!“
Nackt wie sie war, sprang sie in das Kaltwasserbecken und tauchte unter. Nach zehn Sekunden tauchte sie mit dem Handtuch über dem Kopf wieder auf. „Warum nicht? Ich muss Lysander suchen! Er hat ihn mitgenommen!“
„Das kannst du nicht tun! Ich bin ein Gott! Wenn du mich zurücklässt, würde das Nachforschungen nach sich ziehen!“
Kurz tauchte sie wieder ab. Als sie wieder hochkam, und zur Tür stierte, hinter deren Fenster dem nassgeschwitzten Loki die Augen bald aus den Höhlen purzeln wollten, wuchs die Verzweiflung in ihr.
Er hatte ja Recht.
Aber alles drängte sie, Lysander zu retten.
Obwohl ihr unklar war, wie sie das bewerkstelligen sollte.
„Wenn du ein Gott bist, dann mach jetzt gefälligst was Göttliches!“, forderte sie aufgebracht.
„DU bist lustig“, das kam nur gedämpft bei ihr an, „Für Regen ist Thor zuständig. Und ich bezweifle, dass er es in der Hölle regnen lassen könnte.“
Sie sprang aus dem in Marmor gefassten Kaltwasserbecken, hechtete mit dem Tuch über dem Kopf zum Heißwasserbecken näher bei der Sauna, sodass sie nicht mehr so schreien musste.
Unterwegs kam ihr eine Idee.
„Vielleicht hat das Lied, das wir singen sollen, was mit Regen zu tun?“, überlegte sie leise, aber als sie hoch sah, war hinter der fleckigen Scheibe Lokis schwarzhaariger Schopf verschwunden, und an seiner statt klebte Wilhelm an der Tür. Den hatte sie ja fast vergessen.
„Wenn man hier drin ist“, keuchte er, „hört man Kampflärm.“
„Kampflärm? Verstehe ich nicht.“
„Vielleicht, ich meine, wir sind doch hier in der Hölle und der Weltenlenker gehört hier nicht hin...“, der Sermon brach mit einem heftigen Husten ab.
Vor lauter Nachdenken vergaß sie das Untertauchen.
Die kleinen Flammen waren lästig wie ein Mückenschwarm, aber nicht verzehrend heiß, wie auf der Erde. Sie stachen und pickten. Am Ende waren sie gar nicht so gefährlich. Aber noch wollte sie es nicht drauf ankommen lassen und tauchte noch einmal unter.
Was, wenn Wilhelm recht hatte?
Aber wenn gekämpft wurde, hatte der Feind immerhin einen Teil der Höllenbewohner auf seine Seite gezogen. Und irgendwie musste sie die beiden Männer aus der höllisch heißen Sauna rauskriegen.
Als sie wieder auftauchte, sah sie sich nach etwas um, das sie in die Glasscheibe werfen konnte. Notfalls mussten sie sich da durch zwängen.
„Just Walking in the rain.“
„Was?“ Sie prustete das Wasser aus.
„Getting soaking wet...“
„Er singt!“, rief Wilhelm, „Wenn auch nicht schön! Er meint, es könnte sich nur um ein Lied über Regen handeln.“
„Du lieber Himmel!“
„When the rain beginns to fall....“, blökte Loki einen neuen Song.
„Here Comes the rain again...“, versuchte es Luisa lustlos, „falling on my haed like a Memory...“, dann gab sie es dran. Für zehn Sekunden tauchte sie unter. Als sie wieder hochkam, hörte sie schiefe Töne aus der Sauna dringen.
„Ich weiß nicht“, schrie sie, „wenn gekämpft wird, kann es ja nicht nur Regen sein, der uns helfen wird!“
„O Lux beatisima...“ Das war Wilhelms Stimme.
„Was macht er da?“
Replecordis Intima....“
„Er betet“, meinte Loki lahm, „Luisa, mir klebt die Zunge am Gaumen, ich habe mindestens zehn Kilo abgenommen und ich war schon vorher nicht eben dick. Ich verstehe, was du meinst....“
„Tuorum fidelium....“, wurde Wilhelm lauter.
„Das Lied hilft uns nicht allein mit Regen“, überlegte sie leise, und tauchte ein weiteres Mal. Als sie hochkam, war Wilhelm mit seinem Gebet offenbar zu einem Ende gekommen. „Haleluja!“, sang er „Halelujaaaaa!“
Ein letztes Mal schöpfte sie tief Atem und tauchte unter Wasser. Ihre Haut war schon ganz schrumplig. Dann sprang sie mit aller Kraft aus dem Wasser, die Arme weit ausgebreitet und mit fein melodischer Stimme singend: „It’s raining men! Haleluja! It’s raining men!“
Und da tat sich der Himmel auf.
Vielmehr die Gewölbedecke der zur Burg Dis gehörenden Räume, aus der plötzlich Gestalten stürzten. Wie die Warägergarden, die sie in der Vorhölle schon mal gesehen hatte, sahen sie aus. Angetan in Schuppenpanzer, im Ohr den goldenen Ohrring und ausgestattet mit der zweischneidigen Axt. Aber so viele, so ansehnliche, die genau wussten, was zu tun war.
Ohne sie, die noch mit erhobenen, aber weit ausgebreiteten Armen nackt im Becken stand, auch nur eines Blickes zu würdigen, rannten sie hinaus in den Kampf.
Der Flammenregen war zu Ende.
Verdutzt wie sie war, schielte sie zur Sauna, wo Loki die Tür aufstieß, als wäre nie etwas gewesen. Kaum draußen, schöpfte er tief Atem.
„Wo ist Wilhelm?“ Sie runzelte die Stirn, aber da kam er schon auf allen vieren aus der Sauna gekrochen.
„Gut“, sie kletterte aus dem Becken, wo sie vor sich hin tropfte, „Sucht eure Klamotten zusammen und dann hinterher. Wir müssen Lysander finden.“
Sie stiegen alle in ihre Kleidung, die erstaunlicherweise nicht arg versengt war, als sie ein Gezanke herannahen hörten. Überrascht schauten sie auf, und sahen Lucifer und einen anderen Mann, in dem sie Lys Vater erkannte, auf sie zukommen, in ihrer Mitte eine Frau.
Sichelgaita, die aufgeregt schimpfte wie ein Rohrspatz. „...weil es nur Männer regnet..!“
„Hättet Ihr eigentlich gar nicht mitkommen dürfen, Principessa.“ Lysanders Vater wirkte, als hätte er schon tausend Mal mit der Frau gestritten und vor allem so, als machte es ihm Spaß. Luisa konstatierte, dass sie alle in mittelalterliche Kleidung gewandet waren. Waffenröcke über Kettenhemden. An den Waden geschnürte Hosen, und in den Händen Schwertern.
„Ah“, der Eine betrachtete Luisa wohlwollend und hob eine schmale Braue; „Wenn Ihr euch beeilt, könnt ihr mitmachen. Das wird ein Spaß.“
„Spaß?“, stieß sie aus und schloss den Gürtel ihrer Jeans, „Es ist Euer Sohn, der in Gefahr ist. Wie könnt Ihr da von Spaß reden?“
„Sorge dich nicht, meine Schöne“, er tätschelte ihr die Wange, „Alles wird gut. Auch, wenn der Feind es uns nicht leicht machen wird.“
Er drehte sich um und rief in fast belustigtem Tonfall: „Mir nach!“
Im Schwung des Augenblicks rasten sie hinaus aus der Burg und auf die Brücke zu, wo jetzt ein Getümmel ohnegleichen herrschte.
Bogenschützen ließen Pfeile auf sie regnen. In letzter Sekunde fanden sie Deckung unter der Brücke, wo sich bereits eine rege Zahl vormaliger kleiner Teufel in rotem Latex Schutz suchend versammelt hatten.
„Gut“, Luce fasste sie ins Auge, machte etwas geheimsnivolles mit seinen Händen und durch einen Nebel schwebten Waffen und Schilde heran, „Nehmt das und kämpft. Ich will keine Feiglinge sehen.“
Luisa war es, als könnte sie den ein oder anderen ängstlich schlucken hören, aber Luce wurde seinem Namen gerecht. Seine blauen Augen funkelten diabolisch.
Der Pfeilregen stockte, weil der Gegner die Bögen spannte. In diesem Augenblick rasten sie hinaus.
Sie schrie.
Sichelgaita brüllte.
Sie brüllten alle, den Schwertarm erhoben, rasten sie auf den Gegner zu, in dessen Mitte sich ein Reiter auftat.
Der Weltenlenker, zu Ross, der mit erhobener Waffe seinen Leuten die Richtung anzeigte. Aber ihr Trupp, dem sich immer mehr Teufel und Dämonen anschlossen, und der angeführt von Lysanders Vater wurde, trieben die Angreifenden brückenwärts. Dort, am Brückenkopf schnitt ihnen jemand den Weg ab.
Luisa blinzelte.
War das?
Ein junger Mann, von der erdrückender Schönheit ihres Lysanders, den sie geschwächt wähnte.
Er führte eine kleinere Gruppe Bewaffneter an, die den Gegner aufs Korn nahm.
„Ly!“, schrie sie über den Schlachtenlärm, aber er reagierte nicht. Sie fühlte, wie sie am Arm berührt wurde, und als sie sich umwandte, blickte sie in das Gesicht des Einen, der ihr ein mildes Lächeln schenkte.
„Er ist mein Sohn, Luisa. Glaubst du wirklich, er würde sich niederwerfen lassen?“
„Aber..“, verwirrt schüttelte sie den Kopf, doch der Mann stürzte sich erneut in den Kampf. Ein Dämon mit Sper raste auf sie zu, rechtzeitig niedergemacht von Loki.
„Träum‘ nicht!“, krakeelte er zornig, „Kämpf!“
„Ähm, ja“,sie hob das Schwert.
Jagte die Feinde gen Fluss.
Was sich nicht schwimmend retten oder an einen Pfeiler klammern konnte, wurde niedergemacht. Vor der Brücke stauten sich die Leiber, auf ihr wurde gedrängelt. Darunter floss schäumend aufgewühlt der höllische Blutfluss.
Das Pferd, das einzige Ross in dem Durcheinander wieherte. Der Weltenlenker lotste es durch die sich windenden Massen.
Es stieg auf.
Er hob das Schwert.
Aber auf einem Brückepfeiler, ganz nahe, stand Lysander.
Riesenhaft gereckt aus schmalen Lenden.
Gradschultrig wie ein Pharao hob er ein Zweihänderschwert und spaltete den Reiter vom Schädel bis zum Nabel.
Die beiden Hälften sanken seitlich ab. Das Pferd blieb schnaubend stehen und alle Kämpfe endeten schlagartig.
Sie sah Lysander an, dem der Schweiß auf der Stirn stand und der schnell atmend auf die zerteilte Gestalt stierte.
Mit wenigen Schritten war sein Vater bei ihm und legte ihm einen Arm über die Schulter. „Gut“, er wuschelte seinem Sohn durch die kastanienfarbenen Locken, „wenn auch sehr destruktiv, aber es ist der Weltenlenker. Der wächst schon wieder zusammen.“
Er zwinkerte ihr zu, wahrscheinlich weil sie so entgeistert im Chaos stand.
In heiliger Dämonie, dachte sie.
An Luce‘ Seite, als wären sie nicht zwei grundverschiedene Seiten der Medaille.
Nicht Gut und Böse.
Nicht schwarz oder weiß.
Sondern eins. In Eintracht gegen das wahrhaftig Unheilige, das nichts mit der Hölle zu tun hatte.