(Hinweis: Die Geschichte ist Teil eines Romans Luisas Engel, der im Rahmen der Fingerübungen entstanden und gewachsen ist)
Mit dem Sieg über den Weltenlenker war die Schlacht zu Ende. Wie ausgestorben stand die Höllenstadt Dis. Verkrochene Teufel hockten unter der Brücke, sich ihres Ungehorsams bewusst, in Erwartung ihrer Strafe. Doch die Sieger hatten andere Sorgen.
„Lysander“, der Eine zuckte mit dem Kinn zu seinem Sohn, „gib mir deinen Gürtel.“
Von der harschen, ja befehlsgewohnten Stimme seines sonst so sanftmütigen Vaters erschreckt, nahm er den Gürtel ab und streckte ihn vor.
„Der wird nicht reichen“, Ly ließ seinen Blick über die anderen schweifen, was Aufforderung genug war. Sofort nahmen alle ihre Ledergürtel ab. Und es war Luisa, die den Zweck des Ganzen durchschaute und sofort anfing, den in der Mitte zerhackten Weltenlenker zusammenzuschnüren. Der hatte schon aufgehört zu bluten und hielt sich mit den Armen umschlungen, um sich zusammenzuhalten. Er sagte nichts. Trotzig mit erhobenem Doppelkinn stand er da, und starrte nur dem Einen in die Augen.
Der hob maliziös eine fein geschwungene Braue. „Ich denke, ich verdiene eine Erklärung“, er schob den Verschnürten vor sich her in die Burg, „Und ich hoffe, in deinem Sinne, sie ist klug.“
Lysander, erschöpft vom Kampf, schüttelte nur resigniert den Kopf. „Erklärung“, schnaubte er müde, „In seinen Augen habe ich mir die Unbotmäßigkeit des eigenständigen Denkens und Kritik an der Führung zuschulden kommen lassen. Damit fing alles an.“
Ohne eine Antwort abzuwarten und ohne die anderen zu beachten, betrat er die Halle und lehnte seine zitternde Stirn an das Wandgehänge. Aus seiner Schulter tropfte Blut in den Seidenteppich, dessen Persischgrün dunkel glitschig anlief. Es zog ihn zum erdigen Duft Luisas, die für ihn der Inbegriff allen normalen Irdischen war. Schwammig durchrauschte ihn die Hoffnung auf ein gemeinsames Glück. Vor seinem inneren Auge sah er sie; die Augen glückgebrochen in der letzten Offenbarung ihres Weibwesens, das der Anfang von allem, der Anfang von Leben ist. Schmucklos. Nymphenglatt und völlig hingegeben an das Einzige, das zählt: das Sein.
Er wollte fort von diesem himmlisch höllischen Irrsinn, aber war diese Hoffnung realistisch?
Immerhin war er Teil davon.
Er drehte sich um und sah sie an.
Zaghaft lächelte sie. Zaudernd, was gar nicht zu ihr passte. Er begriff, dass jetzt nicht die Zeit der Sehnsüchte war. Etwas Entscheidendes war geschehen. Der Weltenlenker hatte nach Jahrhunderten willkürlicher Auslegung und Fehlinterpretationen das Fass zu überlaufen gebracht und den Zorn des Einen heraufbeschworen. Etwas würde sich ändern und Lysander dachte, das wurde auch Zeit.
Der Eine setzte sich in einen gepolsterten Stuhl, der offenkundig Lucifers Herrschaftsstuhl war, aber die alte Ordnung hatte sich aufgelöst.
Hier, in der Atmosphäre der Gediegenheit und des guten Geschmacks kam die raumfüllende Gestalt des Einen richtig zur Geltung. Wie er so ein Bein über das andere legte, einen Arm aufstützte und den Weltenlenker, der steif und verschnürt dastand, anstarrte. Der wuchs schon zusammen. In blutdurchtränktem Brokat wartete er ab. Lysander fiel auf, dass dem Kerl langsam der Hochmut abhandenkam. Dass sich Verunsicherung in die schwabbeligen Züge stahl. Er stellte sich hinter seinen Vater, mit einer Hand auf der Rückenlehne.
Des Einen sinnlicher Mund lächelte gefährlich. „Setz‘ dich.“
Erstaunlich, aber der Weltenlenker gehorchte.
Er saß, anscheinend lässig in einem Sessel, dessen Brokatbezug von gleicher Farbe wie sein Gewand eine Symbiose mit dem einging. Aber es war allzu offensichtlich, dass ihm innerlich überhaupt nicht lässig zumute war.
„Fang an.“ Der Eine betrachtete scheinbar gelangweilt seine polierten Fingernägel, während der Weltenlenker nach anfänglichem Stocken einen empörten Sermon absonderte.
In Lysander wuchs der Ärger. „Er redet nur belangloses Zeug“, spie er aus, „und du gibst Belanglosigkeiten zurück. Es ist doch offensichtlich, was passiert ist“, erregt, fuchtelte er mit der Hand gegen den Gefangenen, „Du hast ihm den Auftrag gegeben, zu regieren, und er hat die Macht missbraucht.“
Die väterlichen Augen richteten sich auf ihn. Und sie sahen ganz und gar ungemütlich aus. „Schon, aber glaubst du nicht, wir sollten ihn anhören?“
Zum Weltenlenker sagte er gesellig: „Du hast geglaubt, ich würde mich nicht mehr einmischen, oder? Hast geglaubt, ich würde bis zum Tage des jüngsten Gerichtes in meinem Himmel mit Lena sitzen, mir von Jimmi Gitarrenriffe beibringen lassen, während du weiterhin die Welt mit Dogmen und schwachsinnigen Regeln plagst“, er beugte sich vor, „Nur schade für dich, dass Regelverstöße nicht mehr mit Folter und Tod auf dem Scheiterhaufen geahndet werden können.“
„Das ist es ja eben“, Lysander rieb sich die Stirn, „Dich hat es ja nicht interessiert. Die unseligen Kreuzzüge, die Verfolgung Andersgläubiger, all das.....hast du das überhaupt mitbekommen, da in deinem Nirwana?“
„Nirwana, ich bitte dich. Wollen wir doch bei etwas bleiben, worin wir uns auskennen“, des Einen Stimme verlor an Belustigung, „Ich habe es gewusst, Sohn. Ich habe es mir sogar selbst angesehen.“
„Das stimmt“, schrie Sichelgaita mit einem Mal, „Er war auf der Erde! In Menschengestalt, und er hat....“
„Die Schnauze voll gehabt, ja, meine Liebe“, seine Ikonenaugen huschten liebevoll zur ehemaligen Herzogin von Salerno, „Derartig, dass ich mich nicht mehr groß um die Menschen kümmern wollte. Ich gebe zu, das war ein Fehler.“
„Und was geschieht jetzt?“, ließ sich Luisa von der Wand vernehmen, an die sie gelehnt stand.
„Wenn du den Helden meinst, den du aus der Hölle nach Walhalla führen sollst? Du kannst ihn mitnehmen“, der Eine wies sachte auf Wilhelm, der, mit dem Schwert waagerecht auf dem Schoß, in einem anderen Lehnstuhl an der Tafel saß und jetzt aufsah. Erleichtert sah er aus.
„Und die Principessa darf meinetwegen auch gerne in euer Walhalla“, er lächelte sie mit liebevoller Nachsicht an, „aber ich muss eine Warnung aussprechen. Sie, als Lombardin, hat keine große Ahnung von euren Riten und wird vieles in Unordnung bringen.
Loki, der mit verschränkten Armen neben Luisa stand, schnaubte. „Mit Unordnung kommen wir zurecht.“
„Gut“, er blickte den Weltenlenker an, „Und nun zu dir. Zum Kotzen siehst du aus. Steh auf.“
Die massige Gestalt schraubte sich aus dem Stuhl, was sich mit an den Körper gebundenen Armen schwierig gestaltete. Der Eine sah ihn eine Weile rätselhaft lächelnd an und federte dann aus dem Stuhl. Er legte den Arm um die Schulter des Weltenlenkers, drehte ihn zur Wand und wischte einmal mit dem Arm.
Raunen erfüllte die Halle, als die steinerne Mauer verschwand, als wäre sie nie dagewesen. Mit einem Mal waren sie in einem frei dem Meer zugewandten Raum. Von der See kam ein rhythmisches, beständiges Rauschen und sie alle wurden von der eben fallenden Sonne überpupurt.
Luisa kniff die Augen zusammen, so schön war es.
Sehnsüchtig schweiften ihre Augen zu Lysander, der den Zauber hinnahm, als wäre er ihn gewohnt. „Üblicher Hokuspokus“, nuschelte er und rieb sich über die Augen, „Einleitung zu irgendeiner Entscheidung. Bin so erzogen worden.“
„Also wirklich“, ironisch grinste der Eine seinen Sohn an, wandte sich dann aber dem Weltenlenker zu. Einen Arm ließ er auf der Schulter des Besiegten liegen, mit dem anderen holte er weit in den Ozean aus. Möwen flogen kreischend über azurblauen Himmel. „Das hier wirst du so schnell nicht wieder sehen, mein Freund.“
Der Weltenlenker zuckte zusammen. „Wie? Was?“
„Ich habe nachgedacht. Ursprünglich wollte ich die Hölle ja abschaffen. Ich habe nie um die Errichtung einer solchen gebeten.“
„Aber es muss einen Ort geben“, begehrte der Weltenlenker auf, „an dem die Bösen bestraft werden!“
„Ja“, maulte Lucifer, der bis jetzt geschwiegen hatte, „Aber was nach seinen Maßstäben so alles böse sein soll, geht auf keine Kuhhaut“, nachlässig griff er nach einem Weinkelch auf dem Tisch und linste hinein. Dem gefundenen letzten Schluck darin machte er den Garaus. „Menschen, die nicht getauft waren. So ein Schwachsinn. Sogar die, die vor der Begründung unseres Glaubens geboren und gestorben waren. Als ob sie die Wahl gehabt hätten.“
„Die waren in der Vorhölle!“, grollte der Weltenlenker, „Die wurde abgeschafft!“
„Sie waren ja trotzdem noch hier“, Luce sank in einen Sessel und schlug die Beine übereinander, „Ihr da oben schafft dieses an und jenes ab, ohne zu fragen, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll. Und ich sitze hier in der Hölle und muss zusehen, wie ich Leute bestrafe, die überhaupt nichts verbrochen haben.“
Der eine blinzelte. „Was gab es denn noch für welche, die zu Unrecht hier einsitzen?“
„Nun“, Luce betrachtete die Gewölbedecke, „Menschen, die an andere Götter glauben, aber deren Glauben rein ist, Leute, die....“ er guckte den Einen an, „Das würde zu lange dauern, ich mache es kurz. Alle, die ihm nicht passten. Und dem Erdenlenker in Rom nicht. Eine Mordsarbeit für mich, die alle noch mal einer Bewertung zu unterziehen. Sie waren hier, obwohl ich nichts Böses in ihnen fand. Und dennoch musste ich sie bestrafen. Ich habe sie in rote Latexanzüge gesteckt und ihnen eine Hau-mich-Kau-mich-Lakritzpeitsche gegeben, mit der sie die anderen angeblich Bösen züchtigten. Alles eine einzige Farce. Jedenfalls in den meisten Fällen. Es war keine gute Idee, das Himmelsoktogon so bürokratisch zu gestalten.“
„Du lieber Himmel“, der Eine rieb sich das Gesicht und blickte Luce dann fest an: „Du wirst sie leiten.“
„Wen?“
„Die Aufarbeitungskommision. Du siehst dir an, wer zu Unrecht hier sitzt und diejenigen schicken wir dann in in den Himmel.“
„Das wird Monate dauern.“
„Egal“, der Tonfall duldete keinen Widerspruch, „Es ist zu spät, etwas an der Struktur des Oktogons zu ändern, aber eine Reform wäre angebracht. Lysander!“
„Äh, ja?“
„Ich ernenne dich zum Weltenlenker.“
„Was!?“, blökte der Abgesetzte entrüstet, „dieser Jüngling, der mit einer Walküre herum gemacht...“
„Halt das Maul“, zischte der Eine, „Du kannst froh sein, dass wir dich rechtzeitig genug zusammengebunden haben, dass du noch zusammenwachsen kannst. Sonst würdest du dein Amt gegürtet ausüben müssen.“
„Äh, Amt?“
Der Eine schnippte mit den Fingern und die Mauer war wieder da, wo sie war. Das Meer und der unendliche Himmel waren davon. Sie stierten alle auf einen Wandbehang.
Luisa seufzte enttäuscht.
„Du wirst der neue Teufel“, der Eine zwinkerte.
„Was? Aber.....!“
„Du wirst hier unten dafür sorgen, dass es mit rechten Dingen zugeht. Und keinen Einfluss darauf haben, wer hier einfährt. Das entscheiden wir.“
„Das wird aber ne Menge Arbeit“, nölte Lysander, „Ich weiß auch nicht, wie du dir das vorstellst. Ich hatte vor, mit Luisa den fehlenden Helden nach Walhalla zu bringen, und mit Odin zu reden“, seine Augen huschten zu Luisa, die sich nervös auf die Unterlippe biss, „Und jeden Verstorbenen einer Prüfung...“
„Sohn, bei aller zwitschernder Geschmeidigkeit bockt deine Rede merklich.Das wirst du schon schaffen.“
Lysander schloss die Augen. Sah seine Hoffnungen auf ein Zusammensein mit der Walküre davon segeln wie ein kraftloses Blatt im Wind.
Als hätte sein Vater diese Gedanken gelesen, nahm er ihn bei der Schulter. „Das kannst du“, wisperte er, „Etwas anderes als eine Fernbeziehung ist ohnehin nicht möglich.“
Lysander sah ihm fest in die Augen. „Aber die ist möglich?“
„Aber ja“, er hauchte seinem Sohn einen Kuss auf die Stirn, „die Liebe überwindet alles. Auch fremde Kulturen.“