Der Elektrobus, der Elektrobus, der.....verdammte Axt, der Elektrobus!!!
Damiano flattert wie wild mit den Flügeln.
Sieht sie den denn nicht? Mit einer sachten Drehung verursacht er eine kleine Bö, die einen Blumenkübel vor den Bus weht. Der Fahrer stemmt sich in die Eisen und kommt genau 10 Meter vor ihr zum Stehen. Erleichtert atmet Damiano aus und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Dabei erhascht er einen Blick auf diese unmögliche Frau, Luisa, die zu beschützen seine Aufgabe als Schutzengel ist und die jetzt heftig zu dem Busfahrer hin gestikuliert, weil er sie fast überfahren hat. Der gestikuliert nicht weniger aufgebracht zurück. Wutentbrannt greift sie ihre Einkaufstaschen fester und setzt sie ihren Weg fort.
Damiano stöhnt auf. Seine Verschnaufpause ist vorbei, denn er hat nicht den Hauch eines Zweifels, dass sie es vermag, auf den letzten 200 Metern bis nach Hause in mehrere lebensbedrohliche Situationen zu geraten. Auf der Piazza del Duomo springt er zwischen sie und einen Regenschirm, dessen Spitze auf ihr rechtes Auge zusteuert. Auf der Via Cavour lenkt er zwei Segways ineinander, damit sie nicht mit ihr kollidieren und als sie die schwere Eichenholzhaustüre aufsperrt, ist er einen Moment unachtsam. Da ist Signora Avagliano, die putzt, und ein paar freundliche Worte mit Luisa wechselt. Aber da ist auch der Eimer mit dem Wischwasser, auf den sein Schützling zielsicher zusteuert. Er teleportiert ihn unmerklich zwei Meter nach rechts und schwebt danach hinter ihr her in ihre Wohnung. Und eigentlich hat er geglaubt, bis auf die Vermeidung kleiner Haushaltsunfälle nichts mehr zu tun zu haben. Erleichtert sinkt er in den Sessel gegenüber ihres Sofas, als sie sich mit einem Buch dort niederlässt, ihre Brille aufsetzt, und zu lesen anfängt.
Glücklich, dass sie die Schnapsidee mit den Kontaktlinsen aufgegeben hat, schließt er die Augen. Das war was gewesen, das mit den Kontaktlinsen. Augenentzündungen ohne Ende.
Er döst erschöpft vor sich hin, tief verankert im Glauben an ihre Sicherheit, denn sie isst nichts, woran sie sich verschlucken könnte. Das Getränk ist kalt, Verbrennungen von daher ausgeschlossen. Seinetwegen hätte der Abend genau so reibungslos in eine ereignislose Winternacht übergehen können, doch leider läutet das Telefon. Er klappt halb interessiert ein Augenlid auf, als ihre Stimme am Telefon lauter wird.
„Jetzt noch?“, sie wirft einen raschen Blick auf die Wanduhr, „aber da oben liegt Schnee.“
Wachsam öffnet er das zweite Augenlid.
„Ja, okay, ich komme.“
Panisch fährt er die Flügel aus und flattert sich schon mal warm. Das kann ja heiter werden.
Stunden später ist er völlig fertig. Oben, im Castell Fiorentino hat er ihren Sturz den Weinberg hinunter verhindert, ihren Weg geschickt um eine Eispfütze gelotst und das Pferd beruhigt, dessentwegen sie noch einmal, in ihrer Eigenschaft als Tierärztin, raus gefahren ist. Als sie in finsterer Nacht auf dem Heimweg zurück ins Tal sind, in dem Florenz relativ schneefrei liegt, erlaubt er es sich, einzunicken. Dieser rotschöpfige Tollpatsch, zu dem er strafversetzt worden ist, ist nun auch schon 19 Stunden auf den Beinen. Er glaubt nicht, dass noch viel passieren wird. Sie ist ja wohl fähig, ein allradgetriebenes Fahrzeug auf leeren Straßen nach unten zu lenken, ohne zu verunfallen. Aber eine Vollbremsung, ein eindringlicher Schrei aus ihrem schönen Mund und das unaufhörliche Schliddern des Autos reißt ihn aus einem unruhigen Schlaf. Atemlos krallt er sich in die vor ihm liegende Kopfstütze und sucht sie nach Verletzungen ab. Sie klammert sich ans Lenkrad, aber sie sieht nur geschockt aus. Erleichtert versucht er, ihre Flüche zu ignorieren, und bemerkt, wie schief sie stehen. Er wagt einen Blick nach draußen. Ein Wind weht daumengroße Schneeflocken in tiefer Finsternis reinweiß gegen die Wagenscheiben.
Neuschnee, so ein Mist. Und so stark, dass die Scheibenwischer kaum mitkommen.
„Verdammte Kacke“, schimpft sie halblaut, derweil sie in ihrer Handtasche kramt. Vorsichtig beäugt er sie dabei, stets auf der Hut, denn sie neigt zu absonderlichen Entscheidungen. Sein Puls beruhigt sich, als er ihres Handys gewahr wird. Hilfe herbei zu telefonieren ist nicht sonderlich riskant. Er lauscht dem Klacken der Warnblinkanlage und wartet, was sich aus dem Telefonat ergäbe.
„Verfluchter Mist!“, schreit sie und seine schmalen Augenbrauen schießen nach oben.
Okay, kein Empfang. Was hat sie vor?
Ihre schmale Hand bewegt sich auf die Tür zu, finden den Griff....
Du wirst doch nicht?
Nein!!! Sie steigt aus!
Schnell klebt er sich an sie und schwebt hinterher in die eisige Kälte. Sie stapft durch den Schnee, beguckt die Balken auf dem Display ihres Handys.
Totenstille. Entsetzt schätzt er die Höhe des Neuschnees auf fünfzehn Zentimeter ein. Die Äste der Bäume hängen durch, einige liegen bereits abgeknickt auf der weißen Fahrbahn. Kein Laut, kein Motorengeräusch. Der Wind pfeift ein wenig und die Schneeflocken fühlen sich auf der Haut wie kleine Brandmale an. Ihn fröstelt es. Luisa auch. Sie schüttelt ihr Handy, als ob das irgendeinen Nutzen hätte, und stampft gegen die Kälte etwas im Schnee. Er sieht die Flocken hinten in ihren Jackenkragen wehen und fragt sich, ob es auch seine Aufgabe ist, schwere Erkältungen zu verhindern. Sie stampft meckernd und mosernd um das Auto, sucht es nach Schäden ab und blinzelt dann ratlos in den Schnee. Eine Flocke bleibt in ihren langen Wimpern hängen, was er wahrlich reizend fände, wenn er sie überhaupt leiden könnte. Das kann er nicht. Sie geht ihm gehörig auf den Zwirn, wie sie da jetzt schon wieder.....
Dem Herrn sei Dank!
Zuerst wirkte es, als wollte sie runter in den Graben, in den sie gerutscht war, um sich den Wagen auf dieser Seite anzusehen. Aber dann rast sie mit wieder gezücktem Handy so schnell an ihm vorbei, dass er in die Knie knickt vor Schreck. Als er sich wieder hoch rappelt, späht er den Hang hinunter. Durch den weißen Vorhang kann er die Stadt zuerst nur schwer ausmachen, aber dann malen sich die roten Dächer von Florenz in der Nacht ab. Dort unten ist es also sicher.
Nur, wie hinkommen?
Erneut latscht sie fluchend mit in die Luft gerecktem Smartphone über die Straße.
Plötzlich hört er ein Geräusch.
Oder?
Ein Brummen?
Verdrossen und doch wachsam schwebt er hinter ihr her den Hügel aufwärts.
Und lauscht.
Da ist irgendetwas, das näher kommt, er ist sicher....
Sie quält sich im Schneetreiben immer weiter aufwärts, in der Hoffnung irgendwann einmal einen Handyempfang zu haben, aber da hinter ihr, hinter ihnen kommt ein mysteriöses Brummer immer näher. Ein anderer PKW ist es nicht, da ist er sicher. Viel zu laut, viel zu dumpf. Doch sie hört es nicht.
„Scheiße“, denkt er. Seine Hände und sein Gesicht werden langsam taub.
Lichter, da nähern sich auch Lichter.
Er wirbelt herum. Mit vor Schreck aufgerissenem Mund erkennt er die orangeroten Lampen eines gigantischen Schneepfluges, der unaufhaltsam auf sie zurast. Links und rechts davon spritzen Schneefontänen in die Gräben. Er schwebt hektisch zu Luisa.
Warum bemerkt sie das nicht?
Sie läuft auf der Straße, hinter ihr der heranrasende Schneepflug und tut was?
Sie lacht!
Offenbar redet sie mit jemandem. Endlich funktioniert das Mist-Telefon. Aber die Lichter irrisieren auf dem Weiß in der Dunkelheit, und sie bemerkt es nicht.
Wie kann man so was nicht bemerken? Panisch sucht er die Umgebung ab. Ihm muss etwas einfallen, irgendetwas.