Die von Luce ausgelöste Verunsicherung verflüchtigte sich schon während der Teleportation. Dennoch hielt er es für besser, den Weltenlenker nicht selbst danach zu fragen, was er gemeint hatte, mit dieser einen Bemerkung über Luisa.
Dass ihr Gefahr drohte.
Unter anderem wollte er sich nicht im Kuppelsaal sehen lassen, weil er sich zuhause nur sein zerknittertes, nicht mehr blütenweißes Leinenhemd übergeworfen hatte und darüber hinaus nur löchrige Jeans trug. Das war definitiv nicht die perfekte Garderobe für einen Auftritt im Kuppeloktogon. Vermutlich käme er ohnehin weiter, fragte er jemand anderem.
Ihm schwebte schon vor, wen.
Und er wusste auch, wo er sie fände.
Barfuß strebte er vorbei an den sieben Palästen und an den Fontänen mit duftendem Wasser. Der weiße Kiesel knirschte unter jedem Schritt, bis sich das Gelände lichtete und den Platz freigab. Es roch nach Pferden und Schweiß, was er nur bemerkte, weil die unten benötigten Sinne in ihm nachhallten. In einer Gruppe Engel in bequemer Sportbekleidung entdeckte er sie Poloschläger schwingend und mit einem breiten Lachen im Gesicht. Offensichtlich gehörte sie zum Siegerteam. Lysander räusperte sich. „Isa!“ Er setzte sein harmlosestes Lächeln auf.
Alle schauten hinüber und verneigten sich, was ihn daran erinnerte, dass er zur ersten Familie gehörte. Isa schlenderte in weichen Lederstiefeln herbei, den Schläger wie ein Kreuz über den Rücken gelegt. „Lysander“, Freude schwang in der hellen Flötenstimme mit, „du siehst unbehaglich aus.“
Er griff sie sachte am Arm und zog sie außer Hörweite. Dort stützte sie sich auf den in den Boden gestemmten Schläger.
„Isa, dein Vater hat mich hinunter geschickt, um Damiano zu helfen, diese Luisa zu schützen“, er musterte sie wachsam. Wenn Isa davon wusste, war es mehr als ein Lehrauftrag. Dann steckte mehr dahinter.
„Ach, ich weiß. Er redet beim Essen von nichts anderem mehr. Er geht allen gehörig damit auf den Zeiger.“
Befriedigt von der Reaktion sprach er weiter. „Gut, er hat gesagt, diese Person zu schützen, wäre wichtig. Weil sie demnächst jemandem begegnen würde, der nicht nur ihr gefährlich würde.“
„Echt?“ Isa scharrte mit der Ferse auf der Wiese und grub ein Loch. „Äh, weißt Du, davon weiß ich nichts.“
Lügen war nie ihre Stärke gewesen. „Bitte höre mit dem Flunkern auf“, er klimperte mit den langen Wimpern, „Du weißt genau, was Sache ist.“
Ihr olivfarbener Hals wurde dunkler vor Scham. „Ly“, bat sie, „bitte. Ich weiß nur, dass Vater gesehen hat, dass Luce sich direkt an die Frau heranmachen wird. Und stell Dir vor“, Empörung schlich sich in ihre Stimme, „mehr weiß er nicht!“
„Das willst Du mir weismachen?“
„Es stimmt“, beharrte sie weinerlich, „das ganze Barbarenbüro hat er schon in Aufruhr versetzt. Dort sammeln sie wie die Verrückten Informationen. Aber alles, was sie zusammen bekommen, ist, dass die Gefahr, die von dieser Aktion aus dem Untergeschoß ausgeht, auf unserer heiligen Rangtafel an 5184. Stelle steht.“
Lysander zog die Brauen zusammen. „Sicher?“
„Na ja, einige Experten aus dem statistischen Amt erwägen, es bereits an 5183. Stelle zu führen.“
„Demzufolge ist es nichts, was es rechtfertigte, Gott in seinen elysischen Gefilden zu stören“, überlegte er halblaut.
„Nein, bewahre!“, abwehrend streckte sie die Hand aus, „Wir haben ihn schon seit 1756 Jahren nicht mehr gestört und er ist sehr stolz auf uns. Dass wir das alles alleine hinkriegen.“
„Hat das dein Vater gesagt?“
Sie nickte energisch. Aber er fragte sich, wann der Weltenlenker zuletzt mit Gott geredet hatte. Das war auch so was Kryptisches. Er vertrat die Ansicht, sie alle müssten über Gespräche dieser Art informiert werden. So wie es jetzt war, wusste niemand, ob eine neue Anweisung von ganz oben kam, oder nur eine neue Verwaltungsvorschrift des Weltenlenkers war. Dennoch, die Platzierung auf der Gefahrenliste kam ihm zu optimistisch vor. Womöglich war das subjektiv, wegen seiner persönlichen Verstrickungen. „Isa, was hat das Barbarenbüro herausgefunden?“
„Bitte frag doch selbst“, quengelte sie, „Ich kann doch keine Sachen erzählen, die der Geheimhaltung unterliegen. Wenn ich..“
„Isa!“, sagte er scharf, „Es geht mich an. Du weißt selbst am besten, wie gefährlich Lucifer ist. Dass Du damals dabei warst und ich nur deswegen an dieser Höllenfahrt des ersten Kreuzzuges mitmachen musste, um deinen zarten Po zu retten, weiß dein Vater nicht. Und wenn Du willst, dass das so bleibt....“
„Das ist Erpressung.“ Sie schleuderte den Schläger von sich. Aus der Gruppe der zwei Teams linsten einige interessiert zu ihnen herüber. Er begegnete dem mit Marmormiene. Alle guckten weg. „Das weiß ich“, zischte er, „aber keine so große. Verglichen mit Deinem Ungehorsam.“
„Es ist nicht viel“, lenkte sie ein und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Er folgte ihr zu einer marmornen Sitzgruppe neben dem Erosbrunnen und setzte sich auf die Bank ihr gegenüber. Sie seufzte. „Das Barbarenbüro hat die Sache dem Legendenbüro zugeteilt. Was nur beweist, wie unwichtig und ungefährlich sie ist. Jedenfalls für das große Ganze.“ Mit einem Arm umfasste sie die Umgebung.
„Legenden?“, Lysander hob beide Brauen, „Welche Legende?“
„Das ist es ja gerade!“, Isa warf die Arme in die Luft, „Mein Vater will es nicht an die große Glocke hängen.“
„Ich dachte, es hätte nur den Gefahrenrang 5184? Weshalb wird ein Geheimnis um eine solche Belanglosigkeit gemacht?“
„Weil niemand gerne von anderen Religionen spricht“, schnaubte sie, „Diese nordischen Götter sollen nun schon seit 2000 Jahren vergessen werden und da kommt es niemandem zupass, wenn wegen der Vorfälle um diese Frau dauernd von ihnen geredet wird.“
„Ah!“ Lysander legte grazil ein Bein über das andere und beugte sich vor. „Mir dämmert da was. Diese Sage, nach der eine Frau die sieben Höllenkreise öffnet, um die Leute frei zu lassen.“
„Ja. Aber nur zwei, die fehlerhaft dorthingeschickt wurden. Sie nennen sie Helden“, Isa rümpfte ihre kleine Nase, „Zwei, die zwar getauft aber nicht wirklich gläubig waren.“
„Die nach Walhalla gehören.“
„Und geholt werden sollen.“
„Von einer Walküre.“
„Richtig“, Isa sah sich verstohlen nach Lauschern um und wisperte, „Nur, dass niemand hier oben dran geglaubt hat.“
„Nicht einmal, Dein Vater? Der Weltenlenker? Wo man sagt, er sei fast so weise wie Gott?“
„Spar Dir die Ironie. So ist es.“
„Nur, dass sie nicht wie eine Walküre auf mich wirkt. Und die Sache mit ihrer Ungeschicklichkeit kommt mir auch merkwürdig vor.“
„Die hat Luce zu verantworten. Er will nicht, dass ihm Leute aus seinem Höllenloch geklaut werden“, schnappte sie, „Er glaubt, es verhindern zu können, indem er ihr das Leben so schwer wie möglich macht.“
Lysander wippte mit dem Fuß. „Das bedeutet, sie weiß, wer sie ist.“
„Wahrscheinlich, Ly.“
Mit vor der Brust verschränkten Armen stierte er zu der Erosstatue am Spielfeldrand.
„Das hat Vater auch gemeint. Mutter räumte bei Tisch ein, dass genau das von Luce initiiert wird, damit Du runterkommst.“
Verwirrt blinzelnd sah er sie an. „Ich?“
„Er will die Frau für irgendwas benutzen. Das scheint nichts mit dir zu tun zu haben. Aber wo er schonmal dabei ist, will er es zu einer Sache zwischen euch machen.“
„Das ist weit hergeholt, Isa.“ Er sah an ihr vorbei auf die Myrtenmauer, hinter der das Barbarenbüro lag. Die Bürohengste kamen ihm für gewöhnlich dilettantisch vor. Sollten sie dieses Mal gute Arbeit gemacht haben?
„Warum? So wichtig bist du nicht“, verschnupft hob sie das zarte Köpfchen, „Wenn es nur mit Dir zu tun hätte, rangierte es auf der heiligen Rangtafel an Stelle 123456 Millionen. Sie werden ihre Gründe haben, das zu denken.“
Er schnaubte. Gedanken galoppierten durch ihn hindurch wie wilde Ponys. Wenn das stimmte, sollte er eine innigere Verbindung mit Luisa Saliestri herstellen. Angestrengt überlegte er, wie.
„Ein Haustier“, trällerte Isa glockenklar, „Du brauchst ein Haustier.“
„Wie ich sehe, bist du im Gedankenlesen nach wie vor unschlagbar.“
„Ja, aber wie ist sie denn so?“
„Ganz trätabel“, meinte er abwesend, „Was meinst Du, Isa, Katze oder Hund?“
„Katze wäre praktischer. Und sie passt besser zu dir.“