Von da an mit einer wutschnaubenden Luisa und dem Rest zum Kloster in die Kapelle zu marschieren, um so schnell wie möglich in den Himmel zu reisen, war der Plan. Aber Lysander hätte wissen müssen, dass das Leben das ist, was geschieht, wenn man dabei ist, Pläne zu schmieden. Denn vor der Bar Tabacchi gegenüber des Klosters stand ein Mann, der ihm leidlich bekannt vorkam, in einem maßgeschneiderten Anzug und mit nur einem blauen Auge, das verärgert zuckte. Neben ihm schlenderte eine Frau in einem eleganten Kostüm mit Bleistiftrock auf Stöckelschuhen auf und ab, dabei strahlte sie Ungeduld aus. Wer der Kerl war, erschloss sich ihm erst, als Loki das Gesicht verzog. „Ach, scheiße“, der schob seine schwarze Haartolle nach hinten und versenkte beide Hände in die Taschen seines Ledermantels, „Wir haben es eilig.“
„Das interessiert jetzt nicht“, grollte Odin, „wir haben zu reden. Da rein.“
Mit dem Daumen zuckte er in die verqualmte Bar, aber ausgerechnet Luce konterte: „Wie wohl es auch pressiert, so ist unsere Angelegenheit nicht weniger dringend. Dies kleine Engelchen hier“, er schob Isa an ihren dürren Schultern nach vorn, „beging einen Verrat. Weshalb wir wahrscheinlich im Hintertreffen sind.“
„Ich weiß. Es wäre nicht uninteressant, den Verrat zu rekonstruieren, aber deshalb bin ich nicht hier.
„Ich bin überraschend angetan von der Idee einer Rekonstruktion, aber wir sind derart in Eile, dass sich er hier“, Luce deutete zu Lysander, "schon bald in die Hosen macht.“
Lysander verzog gereizt das Gesicht. „Es ist wohl wahr, dass wir in Eile sind, dennoch gebietet es die Höflichkeit, anzuhören, was Ihr wollt, Herr. Zumal wir dasselbe Ziel haben.“ Er schickte Luce einen Seitenblick und ging voraus in das Hinterzimmer, zu dem die Dame im Kostüm die Tür aufhielt und ungeduldig mit dem Fuß tappte. Bald saßen sie versammelt um einen Tisch, angestarrt aus nur einem gefährlich gereizten Auge.
„Verrat ist das Einzige, das ich nicht verzeihe“, Odin blieb vor Isa stehen, umfasste ihren schmalen Hals mit einer Pranke und strich ihr mit der anderen Hand sanft übers Haar.
Es wurde ganz still, nur das Gemurmel der Gäste drang durch die schlecht gezimmerte Tür. Gläserklirren und Lachen, bis Lysander aufbegehrte: „Sie ist die Tochter des Weltenlenkers. Es wäre nicht sehr geschickt, Hand an sie zu legen.“
Isa, schwer schluckend, schickte ihm einen gehetzt dankbaren Blick.
„Der Weltenlenker ist nicht euer Gott“, konterte Odin, ohne das zarte Hälslein loszulassen, „Und meine beste Walküre...“, abrupt drehte er sich um, „Wo ist euer Gott eigentlich?“
„Das frage ich mich auch häufig", murmelte Ly, um dann lauter zu sagen, „Es ist schwer zu erklären. Es gab Begebenheiten seit der Geburt seines Sohnes, die ihn nicht mit Wohlwollen erfüllen.“
„Das erste Mal war er sauer wegen des ersten Kreuzzuges“, trillerte Isa und rieb sich den Hals, glücklich, die Aufmerksamkeit dieses bedrohlichen Kerles von sich abgewandt zu haben, „und der war die Idee eines hinterlistigen Wiesels.“ Ihre Augen huschten zu Lucifer, der zuerst seine fein manikürten Nägel und dann sie betrachtete. „Moi? Der erste Kreuzzug? Aber wie käme ich denn ...“
„Du hast jeden Unfrieden angezettelt, den es auf der Welt gegeben hat“, schnappte sie, „du hast den Papst besetzt, damit er zum Krieg gegen die Ungläubigen aufruft! Du hast sogar dafür gesorgt, dass im Auftrag des Herrn Ketzer gejagt...“
„Ich besetzte keine...“
„Moment!“
Alle stierten Lysander an, der eine Hand gehoben hatte. Ihm kam da gerade eine Idee.
„Luce, hast du die Telefonnummer noch?“
„Welche Telefonnummer?“, ließ sich die Frau im Kostüm hören, die es sich inzwischen auf dem einzigen Sofa im Raum bequem gemacht hatte. Ly hatte sie mittlerweile als Odins Gemahlin identifiziert.
„Eine in Rom. Genaugenommen im Vatikan“, erklärte Ly schnell und tastete seine Klamotten nach einem Handy ab. Als er keines fand, reichte ihm Loki seins, von dem ihm das Bild einer rothaarigen Schönheit entgegen stierte, die nicht Luisa war. Aber das war derselbe Ty Frau.
War auch hier Eifersucht angebracht?
Egal.
Das musste warten.
Fragend sah er Luce an und tippte dann die Nummer, die der ihm vorsagte.
Er hörte ein Freizeichen.
Dann: „Herzlich willkommen bei der Inquisitionshotline Torquemada. Wenn sie einen Verstoß gegen stille Feiertage wie Karfreitag melden wollen, drücken sie die eins. Wenn sie einen Verstoß gegen die Sittlichkeit wie Vielweiberei oder Sodomie melden wollen, drücken sie die zwei, wenn sie ein bußfertiger Sünder sind, drücken sie die drei und sie werden sofort mit der Engelsburg verbunden, wo die Schüreisen auf sie warten. Für alle weiteren Anliegen drücken sie die vier.“
Lysander drückte die Vier.
„Büro Ratzinger, was kann ich für sie tun?“
„Ich wünsche, mit ihrem Abteilungsleiter zu sprechen“, forderte er und erhielt ein gehässiges Lachen zur Antwort.
„Das muss ein Missverständnis sein. Es steht Ihnen nicht zu..“
„Lysander, mein Name ist Lysander. Ich gehe davon aus, dass Sie wissen, was dieser Name bedeutet. Und wenn sie nicht wollen, dass ich meinem Vater ausrichte, welchen Mist sie allein damit bauen, dass es dieses Büro überhaupt noch gibt, dann werden sie mich mit ihrem Abteilungsleiter verbinden oder mir eine simple Frage beantworten.“
„Äh, oh. Nein, natürlich will ich nicht...also, um was geht es denn?“
„Ich stelle mal eine These in den Raum“, sagte er scharf und fühlte aller Blicke heiß auf sich brennen, „Ich nehme an, es ist der Weltenlenker, der Ihr Büro ins Leben gerufen hat.“
„Äh, nein, genaugenommen war es Tomaso di Torquemada.
„Mein Vater.“
„Äh, ja. Ja, Signore. Es war der Weltenlenker, der durch Torquemada sprach.“
„Danke.“
Er drückte das Gespräch weg.
„Das sieht mir nach einem abscheulichen, internen Verrat aus“, spitzte Frigg und kramte eine Flasche kölnisch Wasser aus ihrer Handtasche, das sie auf ein Tüchlein träufelte. Damit ging sie zu Isa, die grünlich-gelb im Gesicht war und tupfte auf ihrer Stirn herum. „Siehst du“, sagte sie dabei zu ihrem Gemahl, „Wegen des Mädchens Ragnarök heraufzubeschwören, lohnt allein deswegen nicht, weil deren Gott ja schon seit Jahrhunderten verraten wird.“
In Lysander überschlugen sich alle Gedanken und Gefühle zu einem einzigen Tornado.
Warum waren sie da nicht früher drauf gekommen?
All die Folter und Qualen der armen Menschen im Spanien der Inquisition waren nur der Anfang von etwas Gigantischem, das nicht das Geringste mit der Botschaft des Herrn zu tun hatte.
Offenbar waren ihm seine Gefühle ins bleiche Gesicht geschrieben, denn Odin reichte ihm einen Tumbler mit einer honigfarbenen Flüssigkeit. Dankbar trank er sie in einem Rutsch ohne das Gesicht zu verziehen. „Danke.“
„Und all die Jahrhunderte ist es mir in die Schuhe geschoben worden“, maulte Luce und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Darin bist du ja ganz gut gelaufen“, gab Ly trocken zurück und wandte sich an Odin, „Weshalb wolltet Ihr uns eigentlich Sprechen?
„Um euch zu sagen, dass Wilhelm nicht mehr im Himmel ist. Euer Weltenlenker hat ihn gerade hier auf der Erde, direkten Weges zur Hölle.“
Ly stutzte. „Woher wisst ihr das?“
„Wir haben eine Spionin oben“, er zuckte mit seinem markanten Kinn zu Loki, der entschuldigend die Schultern hob. „Die Frau auf dem Handyfoto.“
Verwirrt blickte Ly von einem zum anderen. „Und wer ist sie?“
„Sichelgaita von Salerno. Die Frau des Mannes, den ihr aus der Hölle hochgebracht habt.“
„Ich dachte, der hätte oben eine Frau. Die die ihn begrüßt hat?“
„Das war die Herrin des Herdes, mein Junge“, Odin tätschelte Ly die Wange, „aber das schließt ja eine zweite, christlich eingegangene Ehe nicht aus.“
„Du liebe Güte“, Ly sank neben Luisa auf einen Stuhl und griff ihre Hand. Sommersprossen sah er auf ihrem Handrücken und einen romantischen Moment wollte er nichts tun, als sie zählen. Aber sein Kopf ruckte hoch. „Wo ist sie jetzt? Ist sie noch oben?“
„Nein“, Frigg holte ein eigenes Smartphone aus der Tasche, „Wir stehen in Kontakt. Sie verfolgt den Weltenlenker, der Wilhelm gefesselt mit sich führt.“
Damit stellte sie auf laut und hielt das Gerät in den Raum.
„Jetzt stehen sie schon an den Uffizien! Wo bleibt ihr, verdammte Kacke!? Wirds bald!“