In der Halle der Satansburg zu Dis, im klaren rosigen Licht des von außen hinein flimmernden Feuerscheins, gab der Weltenlenker mit nichts zu erkennen, dass er aufgab. Im Gegenteil. Verärgert schlang er seinen Brokatumhang um sein dürres Fleisch. „Ich bin den ganzen Weg vom Himmelsoktogon gekommen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen“, spie er aus, „das der Vater dieses Bengels hier“, er deutete auf Lysander, „gemeinsam mit dem Satan eines anderen Glaubens“, seine Augen hefteten hasserfüllt auf Loki, „aus dem Lot gerissen hat.“
Er fixierte die Runde lange und schweigend. Es bereitet ihm sichtlich Unbehagen, dass Sichelgaita ohne Unterlass auf Wilhelm einschwatzte und ihn, den Lenker der Himmelsharmonien, überhaupt nicht beachtete.
„....nach Walhalla bringen“, zwitscherte sie am Tisch, derweil sie Wilhelm einen Becher Wein einschenkte.
„Walhalla? Wirklich? Das ist ja....“
„Supi, oder? Ich wusste gar nicht, dass es das gibt“, sie legte eine starke Hand auf seinen breiten Rücken, „Ich bin ja christlich erzogen. Aber die Welt steckt voller Überraschungen. Und dort oben wird auch Robert sein. Dann könnt ihr endlich miteinander kämpfen!“, sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
Wilhelm sah gereizt aus. „Ich wüsste nicht, warum. Ich habe nichts gegen ihn.“
„Dazu wird es nicht kommen!“, brüllte der Weltenlenker, „Niemals wirst du diesen verruchten Ort erreichen!“ Sein ausgestreckter Finger wackelte Richtung Wilhelm, der ihn gelangweilt beäugte.
„Nun, mein Lieber“, Luce führte den Mann in versengtem Brokat zu einem Sessel, aber seine Versuche, ihn zum Sitzen zu bewegen scheiterten, „Es mag überraschend sein, aber hier unten ist Eure Macht dahin.“
„Meine Macht erlischt mit dem Tode und meinen Tod kannst du nur ersehnen.“
„Ich befürchte, Ihr irrt.“ Luce, schöner dunkler Engel mit blondem Haar schenkte ihm ein diabolisches Lächeln, „Hier unten....“
Nein, bitte nicht, dachte Lysander. Ganz fahl im Gesicht machte er einen Satz nach vorne, um Luce am Oberarm zu greifen. Er ahnte, worauf das hier hinauslaufen würde. „Bitte“, hauchte er, „bitte provoziere ihn nicht.“
Und als hätte der Lenker nur auf diesen Augenblick gewartet, demonstrierte er das Einzige, wozu er in der Hölle imstande war. Er raubte Lysander die menschliche Gestalt. In einem Strahlenkranz, in dem ein Leuchten in die Dimension des Klanges überging, verlor der langsam an Substanz. Ganz schmal geworden, sittichgleich sank er zusammen.
„Nein!“, Luisas Gesicht war mit einem Mal tränenüberströmt, „Nein.“ Vor ihrer Liebe auf die Knie gesunken wagte sie es kaum, sei zartes Engelsantlitz zu berühren. Die Haut so durchscheinend, dass darunter das Skelett schimmerte, fürchtete sie, ihn zu zerbrechen.
Alles war wie erstarrt.
Die Sekunden zogen sich wie Minuten.
Dann, wie nach einem Startschuss stürzte Luisa auf den selbstgefälligen Mann, der sich zufrieden im Sessel zurückgelehnt hatte. „Du Schwein!“, hämmerte sie auf ihn ein, dass er schützend beide Arme hob, „Du mieses dreckiges Schwein!“
Loki zerrte sie von ihm weg.
Der Weltenlenker zupfte an seinem Mantelärmel. „Er ist ein Engel. Nichts weiter. Ein Werkzeug. Es war an der Zeit, ihn daran zu gemahnen.“
„Mach das wieder rückgängig“, forderte Luce, dem anzusehen war, wie er nur mühsam seine gelassene Fassade aufrecht erhielt.
„Das ist ja das Letzte!“, kreischte Sichelgaita im Hintergrund. Weinend lag Luisa in Lokis Armen.
„Mach das wieder rückgängig“, wiederholte Luce eine Spur schärfer.
„Eher friert die Hölle zu.“
„Das kannst du haben.“ Lucifer wirbelte einmal halb herum, hob die Arme und gab ein dämonisches Zischen von sich. Ein Ziehen begann. In immer engeren Spiralen schien sich der ganze Raum zu drehen und es wurde zunehmend kälter. Alle begannen zu zittern, am stärksten aber der Weltenlenker, um den sich als einziger eine Eisschicht legte. Als der Wirbel ein Ende nah, lag eisige Kälte über dem Raum. Sichelgaita hetzte ans Fenster und spähte hinaus. Draußen lag mindestens dreißig Zentimeter Schnee und sie verzog das Gesicht, als der pfeifende Wind ihr Schneeflocken ins Gesicht trieb. Die Kälte kroch ihr in die Knochen. „Das gibts doch nicht“, wisperte sie und sah Luce an, „Ich...“Sie ließ die Arme fallen.
Luce hob eine schmale Braue. „Und? Machst du es jetzt rückgängig?“ Seine Diamantenaugen klebten auf dem zu einem Eisklumpen gefrorenen Weltenlenker. Das Eis knirschte und brach, als der vage den Kopf schüttelte. Allzu menschlich rieb sich Luce das Gesicht und ging neben Luisa in die Knie, die Lysander mit einem Berg Decken zuschichtete. „Er friert nicht“, hauchte er in ihr Ohr, „Ich kann das einrichten und habe es getan.“
„Aber er ist so schwach“, schluchzte sie langsam nach Lysanders durchscheinenden Fingern tastend. In dessen großen Augen lagen Tränen.
„Er hat ihn zu einem Engel der Stufe eins gemacht“, Luce’s Stimme bebte vor Hass, „einem Machtlosen.“
„Heilige Scheiße“, schrie Sichelgaita und versetze dem Eisklotz, in dem der Mann hauste einen Tritt, „Er es doch der Sohn von...naja...Mann!“ Und noch einen Tritt versetzte sie dem Klumpen.
„Was kann man da machen?“, fragte Loki, der die schlanken Arme vor der Brust verschränkt hielt und als einziger die Fassung zu wahren schien.
„Genau das tun“,Luce schob sich das dichte blonde Haar aus der Stirn und wanderte rastlos umher, „Ins Himmelsoktogon reisen und mit seinem Vater reden.“
„Und wie kommen wir dahin ohne ihn“, meinte Loki Lysander, der geschwächt auf einem Sofa hockte.
„Ich komme hoch“, wisperte Luce auf den Steinboden, „Ich habe immer hoch gekonnt“, er blickte auf und die anderen an, „Aber es ist in meinem Fall mit vernichtenden Schmerzen verbunden.“
Sichelgaita riss die Hand vor den Mund und sog zischend Luft ein. Aber in Luisas grünen Augen wohnte ein Flehen. Neben Lysander sitzend, der vage schimmerte, wagte sie noch immer nicht, mehr als seine Finger zu halten. Der schüttelte unmerklich den Kopf. „Es wird qualvoll sein“, hauchte er ungläubig, dass dieser einstige Freund, von dem er sich enttäuscht und verraten gefühlt hatte, dies überhaupt in Erwägung zog.
Luce stand mittlerweile am Fenster und sah hinaus. Im Graben strömte der Blutfluss als eisiges Wasser vorbei und der vormals aufsteigende Dampf war zu Eiswolken gefroren. Vor ihm wirbelten rote Lichter in der Dämmerung. Seine kleinen Dämonen, die gegen die Kälte anflogen. Sich bewegten und schwirrten, reflektiert von weiter fallendem Schnee. Angst durchströmte ihn. Angst vor der Pein, die ihm widerfuhr, sollte er den Weg in das Himmelsoktogon antreten. Er drehte sich um zu den anderen. Musterte den Eisklotz mit dem Weltenlenker voller Tothaß. Dann suchten und fanden seine Augen Loki. „Wenn ich das hier so lasse“, er umfasste den Raum mit einer ausgreifenden Handbewegung und meinte die ganze Hölle, „Kommst du damit zurecht?“
Lokis Brauen schossen überrascht in die Höhe. „Klar.“
Luce nickte, lehnte sich an den Fenstersims. „Gut, dann übertrage ich dir meine Gewalt über das hier.
„Er wird Unsinn machen“, wisperte Luisa melancholisch, aber Luce winkte ab. „Und wenn schon. Wichtig ist nur, dass der Typ da in seinem Eisklotz bleibt. Ihr anderen könnt nur warten. Aber ich brauche jemanden an meiner Seite. Alleine ist es unerträglich.“
„Ich komme mit“, preschte Sichelgaita nach vorne, „Es ist ander Zeit, seinem Vater endlich mal gegenüber zu treten.“
Und noch einen Augenblick schwieg Lucifer, sammelte seine Gedanken. Dann sagte er mit ungespielter Ruhe: „Lysander wird nicht frieren, aber wenn es euch zu kalt wird, im Untergeschoß ist ein Hammam“, er schritt zum Tisch und griff ein Glöckchen, mit dem er leise bimmelte. Sofort tauchte ein kleiner schlotternder Dämon vor ihm auf und verneigte sich ehrerbietig. „Bereite den Hammam vor. Für unsere Gäste.“
„J-a-ja-Herr“, klapperten seine Zähne und er huschte davon.
„Bitte nur nacheinander, ja?“, bat Luce und nahm ganz besonders Loki in Augenschein. Der nickte beruhigend. „Ich werde aufpassen, dass der hier nicht auftaut.“
„Gut“, dann werde ich mich zurückziehen, um mich auf die Reise vorzubereiten.“ Eher langsam, als zwangen seine Füße ihn zu bleiben, verließ Lucifer die Gemeinschaft.
„Er wird leiden“, hauchte Lysander und versuchte kraftlos Luisas Hand zu umfassen.
„Aber das tut er für dich.“, gab sie tränenerstickt zurück
Ein flüchtiges Erröten floß über seine helle Haut. „Auch. Aber eigentlich tut er es für uns alle. Um die Himmelsharmonie zurückzuholen.“
„Ich bin jedenfalls froh, dass sie mitgeht“, brummte Wilhelm der Eroberer, streckte die Beine aus, und zuckte mit dem Kinn zu Sichelgaita, die sofort beide Fäuste in die Hüfte stemmte und mit dem Fuß tappte. „Was soll das heißen?“
„Fast tausend Jahre an Deiner Seite, meine Schöne, ähnelt dem, was man sich als Hölle im Himmel vorstellt.“
Sie verengte die Augen. „Was?“
„Robert hier, Robert da. Kühner, größer, machtbessener als ich. Blablabla“, er wedelte mit der Hand.
„Na und?“, spitzte sie, „Ihm ist nichts in die Wiege gelegt worden.“
„Mir doch auch nicht. Vielleicht darf ich dran erinnern, dass es der Bürgerkrieg war, in dem seine Familie übrigens gegen meine Anhänger kämpfte, der seine ganze Sippe nach Italien fliehen ließ.“
„Aber...!“
„Würde mal jemand diese Frau abstellen“, er langte nach einem Weinbecher auf dem Tisch.
„Bitte“, flehte Lysander sie an, „bereitet euch vor, ihm zu helfen. Er wird es schwer haben. Ich bitte Euch.“
Schlagartig verstummt, sank die Herzogin von Salerno ein Stück zusammen. Beide Arme schlang sie um ihren Körper und kämpfte gegen die Kälte an. „Ja“, versprach sie leise, „Ich werde beten.“ Damit rauschte sie heraus.
Nur um sofort wieder zurück zu schwirren, das Gesicht vor Empörung verzerrt. „Gibt es hier keine Kapelle?“
„Das ist die Hölle, Principessa.“
„Ach so. Ja dann.“
Ja dann.
Dann kam Lucifer zurück. Auf den ersten Blick unverändert ein schlanker schöner Mann, mit strahlenden blauen Augen, in denen ein verborgenes Licht aufleuchtete. Verborgen, verloren, seit dem Tag, an dem er gefallen ward. Doch nun stand er da. Aus schauernden Schichten stürzte sein weltenverwandelnder Trieb mit langen Schwingenschlägen dem Andersten zu.
Einem noch niemals Gewesenen.
Alle stierten ihn an.
„Andiamo“, sagte er in Sichelgaitas Richtung und marschierte zielgewiss hinaus.