Erschöpft und schweigend waren sie im Frühdunst des Tages nach Hause zurückgekehrt. Unterwegs hatte er allerlei Gelegenheit, sich über Lucifers Erstarkung den Kopf zu zerbrechen.
Anscheinend hatte er wieder genügend Kraft, dass er versuchte, sie aufzuhalten.
Vom Palazzo Medici-Ricardi stürzten zum Beispiel riesige Dachschindel auf Luisa hinab, die sie nur deswegen nicht trafen, weil er sie rechtzeitig auf Seite stieß. Leider direkt vor zwei Touristen im Partnerlook, die ihre Fahrräder aus dem Verleih nebenan schoben. Allerlei Geschrei erscholl. Erschrecken, Flüche von Luisa, Entschuldigungen von Lysander.
Aber sie erreichten das Treppenhaus unbeschadet, wo sie vereinbarten, sich gleich wieder in seiner Wohnung zu treffen.
Wegen der zahllosen Beinahe-Unfälle erwachte seine Sorge um Damiano neu, während er die Treppen hoch jagte.
Er hoffte, Isa kümmerte sich ein wenig um ihn.
Er wusste aus leidvoller Erfahrung, wie es sich anfühlte, wenn Lucifer versuchte, die Seele aus einem zu saugen.
Mit sorgenvollem Herzen, beladen mit Befürchtungen, die die geplante Reise in die Hölle betrafen, stieß er die Tür auf und trat ein.
Sofort ballte sich der Ärger in ihm zusammen.
Das Wohnzimmer sah aus wie Ypern 1917. Die Federbetten und Kopfkissen aus beiden Schlafzimmern waren herbeigeschleppt und lagen zerknautscht halb auf, halb vor dem großen Sofa im Wohnzimmer. Drumherum verteilt lagen leere Süßwarenverpackungen, Cola und Weinflaschen.
Kokosflocken, abgeschneit von weißen Pralinen, bestäubten das Arrangement wie Schnee.
Mitten darin Isa und Damiano.
Fleischlich.
Menschlich.
Und zutiefst vergnügt.
So strahlten sie ihn an.
Obwohl auf seiner Stirn eine Ader tickte, konnte er Isas feine Schönheit nicht ignorieren. Wie ein Silberstich in der Kulisse des Chaos. Fein und schmal. So fühlte er sich gleich in dem Augenblick des Zorns zerrissen zwischen dem sittichgleichen Mädchen und der prachtvollen Flamme, die lodernd ausging von Luisa.
Seine ersten halb erstickten Worte klangen daher nicht so, wie er es wollte. „Erklär mir das“, tiefernst umschrieb seine Hand eine Luftfigur und meinte den Raum, „Ich wäre umgekommen vor Sorge, wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen, die Frau am Leben zu erhalten.“
Damiano kämpfte sich aus den Decken. Lag an das Sofa gelehnt, derweil Isas spitze Finger über seinen Brustkorb wanderten. „Sie hat sich um mich gekümmert“,Unbehagen wenigstens klang in seiner Stimme mit, „Es geht schon wieder.“
„Das kann ich sehen. Aber hattest Du nicht einen Eid geleistet, mein Freund? Als Du zum Schutzengel berufen wardst? Was denkst Du, was da draußen passiert ist? Lucifer erholt sich und wirft mit Steinen und Dachschindeln nach der Frau, die Du schützen sollst.“
„Ich war nie zuvor ein Mensch!“, Damiano sprang auf und schnappte sich seine Boxershorts, in die er forsch hinein stieg, „Und ich hatte Schmerzen! Als Lucifers uns angriff! Ich dachte, Du würdest es mir gönnen...“
„Als eine Art Schmerzensgeld, was?“ Angewidert stiefelte Ly über das Durcheinander und ließ sich in den Sessel sinken.
„Und der Schutzengel-Eid verbietet es ihm nicht“, ließ sich Isas Vogelstimmchen vernehmen, „Es steht nirgendwo, dass er sich den fleischlichen Genüssen fernhalten soll.“ Sie glitt auf die zarten Füßchen und hüllte sich in Gaze.
„Ach, die Weiberklausel war mir ganz entfallen“, Ly schnaubte, wurde dann aber schärfer, „Du gehörst an die Leine, Damiano. Vor uns liegt eine Aufgabe, deren Ausmaß Du nicht erfasst. Wenn Du denkst, das, was Dir in der Kapelle widerfahren ist, war bestialisch, so irrst Du gewaltig. Du wirst Dich jetzt anziehen. Bring Dein Haar in Ordnung und rasier dich. Sie kommt gleich runter und ich will mich nicht für Dich schämen.“
Mit einem zerknitterten Shirt in der Hand und mit abstehendem Blondhaar widersetzte sich Damiano. „Rasieren?“
„Was hast Du für ein Problem mit dem Wort?“
„Wozu denn? Als Schutzengel schwirre ich ja ohnehin wieder nur wie ein Geist um sie herum?“
„Du tust, was ich sage.“ Unter den Worten wie Peitschenhiebe zuckte Damiano zusammen und schlurfte ins Bad. Isa schlüpfte wie ein Silberfischchen zu Ly auf die Sessellehne und strich mit einem Finger um sein Kinn. „Oh, sei doch nicht so gemein“, flötete sie, „der Ärmste kennt den Genuss doch noch gar nicht.“
Grob schnappte er nach ihrem Handgelenk. „Ihn zu kennen, wird ihm dort unten nichts nutzen.“
„Wie sieht es denn hier aus?“
Beide sahen zu der Stimme in der Tür, wo Luisa, mit dem Buch in der Hand innehielt. Lysander vergaß das Silberfischchen Isa auf der Stelle. Zwar hatten er und die Walküre sich erst vor wenigen Minuten getrennt, aber doch erschien sie ihm jetzt von fieberhafter Schönheit, als hätte sie einen Zauber angewandt, um sich zu stärken.
„Das hat nichts zu bedeuten“, Isa schwirrte zu ihr rüber und wollte ihr das Buch abnehmen, doch die Walküre hielt es fest umklammert. Misstrauisch musterte sie die grazile Frauengestalt in durchsichtigem Gaze. „Wer ist das?“, fragte sie Lysander.
„Isa, die Katze“, gab er resigniert zurück.
„Ah, verstehe“, ihre grünen Augen glitten über Isa hinweg. Fast schien es ihm, als läge ein Hauch Eifersucht in ihrem Blick, aber womöglich war hier nur der Wunsch der Vater des Gedankens. „Ich habe nachgedacht“, sagte er fest, „Luce wird wieder kraftvoller, aber noch ist er nicht ganz beisammen. Wir haben die Adresse der Höllenpforte und wir sollten direkt los.“
„Aber ich weiß noch nicht, welchen Spruch aus der Bibel ich zum Öffnen brauche.“ Sie hob kurz das Buch an.
„Das weiß ich. Wir sehen unterwegs nach. Oder hast du einen Anhaltspunkt, wonach Du suchst?“
„Nein“, gab sie zu, „Du hast recht.“ Ihre Augen folgten Isa, die in die Küche schwebte und sich ein Glas Wasser holte. „Kommt die da mit?“
„Nein. Isa bleibt hier.“
„Was?“ Schrill flog ihre Glockenstimme zu ihm hin, „Nein, das kommt überhaupt nicht infrage. Ich..“
„Du bleibst hier. Ich habe keine Lust, dem Weltenlenker zu erklären, dass seine Tochter im Höllenkreis der Hochmütigen in ihrem eigenen Blut kocht.“
Isa zog die schmalen Brauen zusammen. „Was deutest Du damit an?“
„Oder tonnenschwere Steine schleppst, so schwer, dass Du Dich nicht aufrichten kannst.“
„Was?“ Die langen Hände in die schmale Taille gestützt, das Köpflein hoch erhoben, zwinkerte Isa, irritiert.
„Stolz“, erklärte Luisa vorsichtig, „Die der Sünde des Stolzes erliegen, schleppen die Steine, damit sie sehen, wie schwer die Sünde auf ihrer Seele lasten“, sie schüttelte verständnislos den Kopf, „Komische Regeln habt ihr.“
„Genau“, ging Lysander auf die letzte Bemerkung nicht ein, „Und die Wollüstigen schmoren auf ewig in einer Feuerwand.“
„Aber ich will mit!“, beharrte das Amselweibchen.
„Kränze aus Gedärmen stehen Dir nicht.“
Isa kam nicht dazu, weiter zu protestieren, weil Damiano, duftend und sauber herbei kam. „Oh. Da ist sie ja schon.“ Und er verpuffte.
Luisa wedelte gereizt mit der Hand. „Warum ist er ein Geist?“
„Er ist beleidigt. Das gibt sich wieder.“ Er stemmte sich aus dem Sessel, „Lasse uns los. Die Uffizien öffnen gleich. Dann müssen wir wenigstens nicht einbrechen.“
„Der Eingang zur Hölle ist in den Uffizien?“ Isa klang schrill empört.
„Das ist weniger sinnlos, als es scheint“, gab er in der Tür stehend zurück, „Immerhin waren die Uffizien vor ein paar hundert Jahren mal die Stadtverwaltung.“