Die Treppen hinauf, vor den anderen her, konnte Lysander seine Besorgnis nicht abschütteln. Es gefiel ihm nicht, gegen den Weltenlenker zu arbeiten. Und das zusammen mit Lucifer und dem windigen Loki. Aber der Mann ließ ihm keine andere Wahl. Und Grübeln half nicht. Sie würden sich zusammen setzen, er hörte sich die Geschichte an...
Moment.
Erst an der Wohnungstür kam ihm in den Sinn, dass sich dahinter Damiano mit seinem flüchtigen Teufelchen verbarg. Weil er mit Spuren exzessiver Ausschweifungen rechnete, stieg neuer Ärger in ihm auf. Mit seinem merkwürdigen Gefolge im Rücken steckte er den Schlüssel in das Schloss und stutzte.
Die Tür ließ sich nicht öffnen.
Verdutzte Blicke wurden ausgetauscht. Er versuchte er es noch einmal, wieder erfolglos. Zornig rüttelte er an der Tür. „Damiano! Öffne die Tür! Sofort!“
Nichts geschah, und obwohl er angestrengt lauschte, machte er keinen Ton hinter der Tür aus.
„Ich hole ein Brecheisen!“, mit den Worten schwang Luisa herum und eilte die Treppen hinunter in ihre Wohnung.
„Ein Brecheisen?“, Luce rieb sich schief grinsend eine Braue, „So was hat sie zuhause.“
„Wir neigen dazu, auf alles vorbereitet zu sein“,murmelte Loki.
„Aber auf Einbrüche?“
Nur im Augenwinkel bemerkte Ly Isa, die abwesend ihre Fingernägel betrachtete. Etwas an ihrem Ausdruck kam ihm eigenartig vor, aber er konnte den Gedanken nicht weiter vertiefen, weil Luisa mit dem Stemmeisen die Treppen hoch gesprintet kam. Loki nahm ihr das Ding weg und machte sich sofort an die Arbeit. Knirschend splitterte das Holz, doch die Tür gab nicht nach.
„Gib her“, Luce schnappte sich das Eisen, setzte es an, stemmte sich gleichzeitig gegen die Tür und bewegte das Werkzeug vorsichtig hin und her. Es vergingen drei Minuten ohne einen Ton aus dem Inneren. Dann war die Tür offen, sie strömten hinein und das Geschrei brach los.
„Exsurgit Deus!“, schrie Damiano hinter dem Sofa hervor, „et dissipantur....!“ Sein blonder Schopf wippte hinter der Sofalehne, sein Antlitz krebsrot, „inimici eius!“ Er tauchte weg.
„Was ist das denn für eine Scheiße?“, verärgert deutete Luisa in das Zimmer, in dem sämtliche Sitzmöbel nebeneinander wie Barrikaden aufgestellt waren.
Lysander ignorierte sie. „Damiano! Was soll der Blöds...“.
Im Strom des sie übergießenden Wassers sah er eben noch Damiano und seinen Teufel erneut hinter der Sofalehne in Deckung gehen.
„Omnius incusio infernalis!“, kreischten die Jungs im Chor, „Adversarii omnis Legio!“
„Mann!“, Luisa, nass und stinksauer, krakeelte zurück und machte einen Schritt auf die Mauer aus Möbeln zu. Luce hielt sie fest. „Er denkt, ich wollte seinen kleinen Satan zurück in die Hölle bringen.“
„Ja, na und?“, ihre Wangen waren glutrot, „Deshalb spritzt er uns nass?“
„Das dürfte Weihwasser sein“, Ly griff hinter das Sofa und zerrte Damiano aus der Deckung, „nur, mein Lieber, nützt es nichts“, er griff ihm unters Kinn und zwang dessen Blick auf Luce, der tropfend und milde lächelnd da stand.
„Wa-as?“ Damiano zitterte, aber lange nicht so, wie sein zarter Geliebter, der hinter dem Sofa zu einem bibbernden Bündel zusammengeschrumpft war.
„Weihwasser nützt nichts“, Luce zuckte die Achseln und ging vor dem bebenden Jüngling in die Hocke, „Weil es nur eine Absprache mit Gott ist. In der Regel besetze ich niemandes Seele, aber der Weltenlenker braucht gelegentliche Machtdemonstrationen des Glaubens. Also taten wir ihm den Gefallen, ebenso wie der Exorzismus nur eine Show ist.“
„I-ich verstehe nicht“, Damiano sank wie ein nasser Sack in Lys Arme, der ihn aufs Sitzmöbel schleuderte.
Luce legte den Kopf schief. „Ein gelegentlicher Scheinsieg über meinen vermeintlichen Willen macht den Weltenlenker zahm vor Glück“, er strich dem Geflohenen sachte über die Wange, „Ist gut. Du kannst hierbleiben, solange bis wir eine Lösung gefunden haben.“
„Lösung“, schluchzte Damiano.
„Er will die Hölle abschaffen“, Loki reichte Luisa ein Handtuch, das er aus dem Bad geholt hatte, „Und wir haben gerade andere Probleme. Wollen wir uns nicht setzen?“
„Ja, das wollen wir“, Ly strich sich die feuchten Locken aus der Stirn und schob ein Möbel in Ausgangsposition, „Hol Bier!“
Damiano zögerte zuerst, schlich schließlich doch in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Luce setzte sich neben den zitternden Teufel und legte seine Hand auf dessen Knie, was nicht dazu angetan war, das Zittern schnell zu beenden. Nur langsam kam Ruhe in den Burschen.
Als Damiano mit den Flaschen zurückkam und sie verteilte, begann Loki seinen Bericht. „Warum Wilhelm im Himmel ist“, er lehnte sich zurück und nahm einen kräftigen Schluck, „Dein Vater, Lysander, kam nach dessen Tod zu mir und sprach mich darauf an, dass der Normanne Wilhelm ja eigentlich für Walhalla gedacht war. Aber er wollte ihn gerne im Himmel“, er nahm noch einen kräftigen Schluck, „obwohl euer Papst ihn zu Lebzeiten au der kirchlichen Gemeinde ausgestoßen hatte.“
„Das war geschehen, weil er eine Frau geheiratet hat, gegen den Willen des Papstes“, warf Lysander ein, der seine Hausaufgaben gemacht hatte. Erinnern konnte er sich daran nicht, aber es war leicht, nachzulesen.
Loki, mit weit aufklaffendem Ledermantel, die langen Beine ausgestreckt im Sessel lümmelnd, nickte. „Liebe. Der Mann hatte aus Liebe geheiratet und dein Vater war sauer, dass er vom Papst dafür gestraft wurde. Deshalb wollte er ihn im Himmel wissen, und zwar so, dass der Papst das zu sehen bekam.“
Ly kniff die Augen zusammen. „Das schließt den Tod und die Anwesenheit dieses Papstes im Himmel mit ein.“
„Richtig“, mischte sich Luce ein und schlüpfte aus seinem nassen Jackett, „Und hier kommt der Knackpunkt. Papst Leo war für die Hölle bestimmt.“
„Ein Papst?“, quietschte Luisa, die sich auf dem Zweisitzer eng an Lysander drängte, „In der Hölle?“
„Er hat einen Feldzug angeführt“, Luce strich versonnen lächelnd über sein Jackett, das ihm auf den Knien lag, „die Schlacht von Civitate gegen die Normannen in Süditalien. Er hasste alle Normannen abgrundtief. Er war zerfressen von Hass. Dass Wilhelm und seine liebliche Mathilde zu nahe verwandt waren, war weniger wichtig, als ihre Herkunft. Sie entstammten beide Rollo, dem Wikinger, der zuerst Herzog der Normandie war. Barbaren. Heiden, was auch immer“, er griff nach seiner Bierflasche, „Es war die Menge an Hass, die ihn für eine Unterbringung in der Hölle prädestinierte.“
„Okay“, Luisa schmiegte sich an Ly, „Also kamen zwei Typen nicht dahin, wohin sie sollten. Wilhelm im Himmel und Papst Leo, der sehen sollte, dass Wilhelm dorthin gekommen war.“
Loki machte eine bestätigende Geste und fingerte eine zerknautschtes Päckchen Zigaretten aus der Tasche seiner abgewetzten Jeans. „Damit kam dein Vater zu mir, Ly. Der Hochwohlgeborene. Ich tat ihm den Gefallen“, die Zigarette wippte zwischen seinen Lippen, das Feuerzeug klickte und er inhalierte tief.
„Aber doch sicher nicht ohne eine Gegenleistung“, warf Ly ein. Ihm rauchte der Kopf. Die Nummer passte zu seinem Vater. Liebe war sein Dauerthema, und dem Weltenlenker eins auszuwischen sein liebstes Hobby, als er jung gewesen war. Damals war er gerade mal tausend Jahre alt gewesen und sichtlich genervt, dass die Botschaft nie so verbreitet wurde, wie er sie gemeint hatte.
Loki stieß den Rauch aus. „Natürlich nicht. Ich dachte, es wäre lustig, eine Frau im Himmel zu wissen, die eigentlich in die Hölle gehört.“
„Wer?“
„Die Herzogin von Salerno. Sichelgaita. Ein Biest von einer Frau“, er lächelte, als wäre er in eine besonders lustige Erinnerung versunken, „Schade, dass sie nicht nach Walhalla gehört. Sie ist eine getaufte Lombardin, aber eine wahre Schwertmaid.“
Ly nickte verstehend. „Und du?“, er spießte Luce mit den Blicken auf, „Du hast doch gewiss nicht gerne auf Ware in der Hölle verzichtet. Was hast du verlangt?“
„Moi?“, Luce deutete mit schmalem Finger auf seine Brust, „Gar nichts. Dein feiner Vater muss von mir nichts verlangen. Er schafft Fakten. Himmel und Hölle sind sein Ressort. Er hier“, sein Kinn zuckte zu Loki, „verlangte mehr.“
Loki beugte sich vor und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. „Yep. Ich wollte Harald Blauzahn in Walhalla. Er ist zwar Wikinger, aber tief gläubiger Christ. Es ist witzig, wie er seit Jahrhunderten da oben herum nölt. Sein christlicher Glaube ist erschüttert, weil er an einem Ort ist, von dem er angenommen hatte, dass es ihn nicht gibt“, er lachte schäbig, „Macht Spaß und sorgt für Kämpfe an der Tafel.“
„Moment mal“, warf Luisa dazwischen, „Dieser Leo, der Papst. Der musste dann doch auch schnell in den Himmel, damit er verärgert zusieht, wie der exkommunizierte Wilhelm dort Manna genießt. Wie hast du das....“, mitten im Satz hielt sie inne, Empörung breitete sich in ihr aus, „Mir schwant was.“ Angewidert sank sie in die Lehne zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und schlug die Beine übereinander.
„Was denn?“, Ly blinzelte verwirrt und angelte sich das zerknautschte Päckchen Zigaretten vom Tisch.
„Thor“, spie sie aus, „Ein Gewitter, nehme ich an.“
„Ein hübsches kleines Sommergewitter, als Leo, also der Papst, in einer Kutsche auf dem Weg von Melfi nach Rom war. Stunden donnerten die Gießbäche. Felsen. Schuttlawinen. Zuckende Blitze“, entzückt untermalte er seine Worte mit dramatischen Gesten.
"Als schmettere das Erdreich ihn in den Schlund der Hölle", war Luce vergnügt ein.
"Ihr beide versteht euch", spitzte Luisa. Aber Loki sprach unbeirrt weiter: „Bis die Kutsche am Ende einen Abhang hinab stürzte und die Pferde hufoben im Schlamm lagen. Hinabgestürzt. Ihn zermalmend.“
„Wie konntest du ihn nur in so etwas hineinziehen“, giftig funkelte sie Loki an.
„Der ist längst nicht der Musterschüler, für den er im Allgemeinen gehalten wird“, meinte Loki gelangweilt, „Spielt doch auch keine Rolle. Das sind die Fakten. Und nun überlasse ich euch das Feld. Dieses Himmelsoktogon ist nicht mein Revier.“