„Wenn ich Dich richtig verstanden habe, machst du alles über Teleportation“, murmelte Lysander in den Chianti, dessen Aroma er mit der Nase einsog. Er stellte dem Jüngling eine Cola auf den Tisch und ließ sich mit seinem Glas in das butterweiche Sofa fallen. Über die Einrichtung gab es nichts zu meckern. Anscheinend war ihm der Boss entgegengekommen und hatte die Wohnung nach seinem Geschmack gestaltet. Das große, zur Küchenzeile offene Wohnzimmer mit den drei hohen Fenstern war in hellgrauen und anthrazitfarbenen Tönen gehalten, und harmonisierte dennoch mit den Deckenfresken, aus denen verblasste Gesichter auf sie hinabsahen. Sie saßen schon seit einer knappen Stunde beisammen, in der er versuchte, herauszufinden, warum Damiano so einen Stress mit seinem Schützling hatte. Denn grundsätzlich hielt er ihn nicht für einen miserablen Schutzengel. Der linste verstohlen auf die Cola und dann zu dem Glas Wein. „Keine Ahnung, wie ich sonst machen sollte“, gab er pampig zurück, „ständig muss ich Gegenstände verrücken, in die sie rein rennt, wenn ich es nicht tue.“
„Und so ein Schneepflug ließ sich nicht so gut teleportieren, nehme ich an.“ Lysander nahm noch einen Schluck Wein und stellte das Glas ab.
„Sehr witzig“, schnappte der Blonde, „nein, aber was hätte ich sonst tun sollen?“
Lysander legte ein Bein über das andere und lehnte sich zurück. „Viel wichtiger als Teleportation ist Telepathie. Insbesondere, weil sie sich mit der Zeit verselbständigt.“
Damiano sagte nichts. Seine Brauen waren zusammengezogen. Er wirkte trotzig, wie ein Kind, das nicht lernen wollte, aber etwas in seinen dunkelblauen Augen signalisierte Bereitschaft. Immerhin nahm er sich die Flasche Coke und trank daraus.
„Du musst sie lehren, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Zu Beginn ist das nicht weniger mühselig, wie das Teleportieren von gefährlichen Gegenständen, aber hinterher kannst Du Dir Pausen erlauben, weil sie lernt, auf das zu hören, was sie ihr Bauchgefühl nennt.“
„Ich verstehe das nicht“ maulte Damiano, „Ich weiß, dass wir das in der Schule hatten. Hab auch ne Idee, wie das geht. Ich muss ihre Mitte finden und so. Aber ich find‘ sie nicht.“
„Okay. Du kannst sie nicht leiden?“
Damiano schüttelte den Kopf.
„Finde heraus, warum nicht.“
„Warum?
„Weil Du nur die Mitte, den Seelenkern von jemandem findest, den du magst.“ Lysander verschränkte seine schlanken Finger ineinander und legte sie auf seinen steinharten Bauch. Dabei musterte er den Bengel interessiert. Im entging nicht, wie hübsch er war. Das dichte blonde Haar fiel ihm weich in die Stirn, die leuchtenden blauen Augen glänzten wach und intelligent. Wenn der innere Widerstand erst mal gebrochen wäre, hätte er das Zeug zu einem gelehrigen Schüler. Das wäre ihm nur recht. Dann könnte er schnell wieder die Zelte abbrechen. Denn ausgerechnet in Florenz zu sein, war nichts, worauf Lysander scharf war, denn hier, in der Stadt der tausend Bilder, wohnte das schmerzliche Geheimnis seines Herzens.
„Sie mag Tiere“, grummelte Damiano.
„Wäre schlecht für eine Tierärztin, wenn das anders wäre.“
„Mann! Ja, ich zähl‘ ja nur auf. Sie mag Tiere. Manchmal hilft sie der alten Donna Maschiella beim Einkaufen. Fährt sie auch zum Arzt und so.“
„Das klingt jetzt nicht nach einer Frau, die man verabscheuen müsste.“
Damiano warf die Arme in die Luft. „Sie ist so...keine Ahnung. Chaotisch? Tolpatischg, ungeschickt. Sie macht nur Arbeit.“
„Das“, sagte Lysander mit seidiger Stimme, „hört ja auf, wenn sie die Intuition gelernt hat.“
Aufgewühlt murmelte Damiano etwas vor sich hin.
„Bitte?“
„Ich glaub ja, dass sie ein besonders schwerer Fall ist. Und dass der Chef sie mir nur deswegen zugeteilt hat. Weil ich...“
„Der Sohn des Sebastokrators bist, verstehe. Deshalb glaubst Du, man will es Dir schwer machen, damit kein Gerede über Vetternwirtschaft entsteht.“
„Hm“, der junge Mann machte die kleine Colaflasche mit einem Zug leer, „genau. Und das ist einfach nicht fair.
„Ich denke, Du irrst.“
„Nein!“, begehrte der andere auf, „Sie ist eine Katastrophe! Wenn irgendwo eine Bananenschale herum liegt, latscht sie rein.“
Lysander hob die Hand. „An Deinen Manieren musst Du arbeiten. In diesem Ton....
Irritiert sahen sie beide zur Tür. Dahinter rumpelte und dengelte es, als gäbe sich jemand daran, das Geländer abzureißen. Lysander glitt elegant vom Sofa und schritt zur Tür. Dabei entging ihm, wie Damiano, der hinterher eilte, das Gesicht verzog, als wüsste er, was sie erwartete. Hinter Lysander trat er ins Treppenhaus. Und dort kam sie. Von oben, aus ihrer Wohnung. Und weil Luisa Saliestri war, wer sie ist, schleppte sie in der Linken zwei schwere, mit Leergut gefüllte Taschen, die bei jeder Bewegung gläsern klingelten. Und mit der Linken zerrte sie einen circa einen Meter großen Weihnachtsbaum an der Spitze gefasst hinter sich her. Das Ding war abgeschmückt, aber vereinzelte, vergessene Kugeln und struppiges rotes, Lametta hing noch darin. Tannennadeln und abgebrochene Zweige verteilten sich auf den Steinstufen. Luisas Stirn war gerunzelt, ihre Lippen angestrengt aufeinander gepresst.
„Siehst Du“, giftete Damiano, „so was meine ich. Der Unfall ist vorprogrammiert. Wie soll man da ohne Teleportation helfen?“
„Dafür ist es jetzt zu spät. Du hast Recht. Wenn Du sie besser in Intuition unterrichtet hättest, wüsste sie, dass sie zweimal gehen sollte.“
Lysander setzte ein zauberhaftes, schiefes Lächeln auf und ging auf sie zu, aber von unten kam jemand hoch, blieb vor Luisa stehen. „Oh, Signora“, der Neue grinste jungenhaft, „wenn ich Ihnen helfen darf.“
Lysander spürte sein Herz heftig im Hals pochen. Ihn zu treffen war genau das, was er hatte vermeiden wollen. Natürlich sah er blendend aus. Dieser Mistkerl sah immer aus, als würde er seinem Gegenüber die Sterne vom Himmel holen. Unter dem offenen grauen Kaschmirmantel schimmerte der wie maßgeschneiderte anthrazitfarbene Anzug, die eleganten, garantiert handgefertigten Oxforder an seinen Füßen wirkten nicht eben frisch geputzt, was der eleganten Erscheinung, die Luisa gerade entgegenkam, die Strenge nahm. Das dichte blonde Haar stand in einem kecken Wirbel von von der Stirn, die Augen leuchteten samten. Aber Lysander wusste, dass sie auch anders konnten, diese Augen. Nicht umsonst gab es Waffen aus Diamanten. Plötzlich kehrte ein alter Schmerz zurück.
„Nein“, rief Luisa, „ich kann das alleine!“
In Lysanders Widerwille schlich sich eine leise Belustigung, als er sah, wie der andere nach der Baumspitze griff, und sie dabei versuchte, die helfende Hand abzuschütteln. Sollte sie etwa vor dem Charme gefeit sein?
Das wäre ja mal was neues.
Eine Weile guckte er dem kleinen Tänzchen zu, das die beiden da aufführten. Wie dieser unwiderstehliche Mann dieses magische Lächeln anknipste, das an der bemerkenswerten Frau abprallte.
„Bis jetzt“, keifte sie und rupfte heftiger an dem Baum, „habe ich noch alles alleine hingekriegt!“ Klirrend und klimpernd drängte sie sich mit ihrer Last an dem Mann vorbei. Der drückte sich an die Wand. Dabei fiel sein Blick zur offen stehenden Tür, in deren Rahmen Lysander mit Damiano stand. Sofort lachte er er die beiden breit an. Lysander wusste genau, dass das nur ihm galt. „Lysander“ hauchte der andere samten, „Ich habe gehört, dass Du nach Florenz versetzt wurdest.“ Er deutete eine kleine Verneigung an. Dabei hatte er seine schmale Hand auf der Stelle liegen, wo das Herz war. Normalerweise.
Aber Du hast da nichts, dachte Lysander, vielleicht einen Stein, aber ein Herz? Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er da und fuhr sämtliche innere Schutzschilde auf. Damiano, mit verwirrtem Antlitz daneben, versuchte ihn auf etwas aufmerksam zu machen. Mit dem Kinn zuckte er immer zu dem Neuen hin.
Lysander fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Verzieh Dich, Luce.“
„Mio Caro. Bitte. Du weißt....“
Es krachte. „Merda Maledetta!“, schallte die aufgebrachte Frauenstimme von unten, „Maledetto Albero! Cazzo....!“
Alle sprinteten die Treppen hinab und blickten dann auf Luisa, die unter der Tanne in einem Meer aus Scherben lag und versuchte, sich strampelnd zu befreien. Damiano riss den Baum von der Frau. Lysander hielt ihr die Hand. Sie zögerte, doch dann ließ sie sich aufhelfen. Derangiert stand sie vor ihnen. „Danke“, sagte sie in einem Tonfall, als schimpfte sie ihn aus, „so ein Scheißding.“ Sie versetzte der Tanne einen Tritt. Damiano, der panisch dreinblickte, weil er ahnte, was ihr noch alles passieren konnte, wieselte umher und versuchte, zu unterbinden, dass sie die Scherben aufsammelte. Lysander holte rasch ein Kehrblech vom Innenhof. Zusammen mit Damiano räumte er den Baum auf die Straße, fegte die Scherben auf und klaubte die größeren mit der Hand in eine der Tüten. „Ein Freund von Dir?“, wisperte Damiano.
Lysander verzog das Gesicht. „Würde ich nicht sagen.“
„Aber Euch verbindet etwas.“
Ablehnung stieg in ihm auf. Ja, ihn verband etwas mit Luce, aber darüber würde er nicht mit diesem Bengel reden. „Glaub‘ nicht“, sagte er lahm, aber ihm fiel einfach nichts Besseres ein.
„Er hat Asche auf der Stirn“, raunte Damiano, als er das Kehrblech an die Wand neben die Briefkästen stellte. Lysanders Augen huschten zu Luce, der dabei war, die Frau zu umgarnen. Stimmt, er hatte Asche auf der Stirn. Und wenn man genau hinsah auch hinter der Ohren. Endlich kehrte das innere Lachen in sein sonniges Gemüt zurück. Er riss den Blick von Luce los und kam zu Luisa. „Signora Saliestri, nehme ich an.“
Die Ablehnung, die sie Luce eben noch entgegenbrachte, zerbröckelte, als sie ihn ansah.
„Ich bin Lysander“, er zog Damiano herbei, „und das ist mein Freund Damiano. Wir wohnen direkt unter Ihnen und wenn Sie Hilfe brauchen, sind wir jederzeit für sie da.“
Die Frau war es nicht gewohnt, dachte er als er das Wechselspiel der Gefühle in ihrem sommersprossigen Gesicht betrachtete. Sie war Hilfe nicht gewohnt und etwas sperrte sich in ihr gegen das Angebot. Er ließ einen Strahlenglanz Wärme aus seinen Augen fließen. Ein Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht. Es war zwar etwas schief, aber es war echt. „Danke“, kratzte sie heraus, „wenn Sie dann vielleicht den Baum...?“ Mit behandschuhter Hand wies sie zur offenen Tür, vor der ihr Jeep parkte. Damiano geriet in Bewegung. Mit dem Baum ging er hinaus. Luisa hinterher.
Lysander verblieb mit Luce im schummerigen Hauseingang. Von draußen floß das Leben hinein. Die Autos rauschten vorbei, jemand hupte. „Und Du?“, raunte er ihm zu, „Ich soll glauben, Du freutest Dich über mein Hiersein? Wo Du Dir nicht mal Mühe gibst, Dich ordentlich zurechtzumachen.“
Luce blinzelte verwirrt und guckte an seiner exquisiten Aufmachung herab.
„Ich weiß nicht, was Du meinst.“
„Wenn Du aufsteigst, Luce, sorge wenigstens dafür, dass Du nicht voller Asche bist. Egal, was Du anziehst, das Höllenloch, aus dem Du kommst, kannst Du nicht verbergen.“
Damit ließ er ihn stehen und trat hinaus in das Licht der Welt.