Sie vergeudeten keine Zeit und liefen stumm hinter Luce her, der im Vorbeigehen eine Kristallkugel aus einem Regal nahm und sie Luisa wie ein Ball zuwarf. „Sieh nach, wo sie jetzt sind“, befahl er schroff.
Sie blinzelte auf die Kugel, die sie mit beiden Händen umfasste und entdeckte zwei schemenhafte Figuren in einer bleichen Salzwüste unter grellender Sonne. Der Weltenlenker in Brokat gehüllt, der Wilhelm gefesselt und geknebelt an einem Seil hinter sich her zog. Über Findlinge stolpernd an dürrem Gestrüpp vorbei, direkten Weges nach Dis.
„Ich glaube, sie sind bald da. Den Wald der Selbstmörder haben sie schon hinter sich gelassen.“
Luce hob eine Braue und verzog die Lippen. „Bewundernswerte Disziplin.“
„Er ist der Weltenlenker“, Luce“, warf Lysander gereizt ein, „Wir sollten ihn nicht unterschätzen.“
„Schon, mein Lieber, er ist es aber bereits so lange, dass wir getrost von einer kleinen Degeneration ausgehen können.“ Er war stehen geblieben und strich Lysander sachte über einen Brauenbogen.
Der fuchtelte den Arm des anderen grob weg. „Was hast du denn vor? Ich meine, sie sind ja schon hier. Wir müssen doch nur warten, bis er Wilhelm in irgendeines deiner Höllenlöcher wirft, ihn wieder rausziehen und gen Walhalla bringen.“
„Sagen wir es so. Ich will ihn hier nicht mehr raus lassen, den Weltenlenker“, Luce grinste diabolisch und schritt auf eine Tür zu einem Raum. Schob einen knarzenden Riegel zurück. Darin beschienen gelbe Lampen verblasste verschlungene Tänzerinnen an der Wand, die mit gleichgültig erstarrtem Lächeln auf sie hinab starrten. An den Wänden stapelten sich Kisten. Luce schwang herum und heftete seine Augen auf die anderen. „Helft mir, den Kram hinter die Brücke zu schaffen.“
„Hinter?“, Loki verengte die grauen Augen.
„Hinter.“
„Du willst ihn über den Graben nach Dis reinkommen lassen....“, Ly zuckte mit dem Daumen nach draußen.
„Sie kommen näher“, kreischte Luisa.
„Er wird schon wissen, was er tut“, fauchte Sichelgaita und wuchtete die erste Kiste hoch, mit der sie dem Ausgang zustrebte, „Was ist überhaupt drin?“
„Oh, nur ein kleines Feuerwerk.“ Luce schnappte sich die nächste Kiste und folgte Sichelgaita nach draußen. Lysander griff sich eine Dritte. „Du willst....“
„Wir werden schon sehen“, keifte Sichelgaita, deren schweres Schwert in seiner Scheide über den Boden kratzte, während sie über die breite Brücke schritten. Lysander schielte kurz über die Brüstung. Wo vor wenigen Tagen arme Sünder durch die zähe Masse des Blutflusses versuchten, nicht an der trüben stinkenden Suppe zu ersticken, floss das Dunkelrot blubbernd und leer dahin. Hitzeschwaden waberten hoch. In den schroffen Felsen am Ufer lagen erschöpfte, blutüberzogene Leiber und gelangweilt herum lümmelnde Teufel. „Wenn du nicht da bist, machen die hier aber auch, was sie wollen“, konstatierte Ly unter dem Gewicht der Kiste ächzend.
Luce zuckte die Achseln. „Das Ding hier, die Hölle, ist ohnehin obsolet.“
Auf der anderen Seite angekommen, wuchtete er seine Kiste am Abhang zum Flussufer herunter. „Holt die Kapseln raus und verteilt sie!“ , befahl er.
Sie gingen konzentriert an die Arbeit.
„Sie sind bald da!“ Luisa strahlte Dringlichkeit aus.
„Okay“, Luce rieb sich die Hände an den Anzughosen ab, „dann zurück in den Palast. Schnell.“
Eilig rannten sie zurück, erreichten den Torbogen des Palastes und blieben mit Blick auf die Brücke stehen.
„Wollen wir nicht rein?“, Luisa zuckte mit dem Kinn zum Palast.
„Nö“, meinte Luce belustigt, „das sehen wir uns aus der Nähe an.“
„Dürfen wir kämpfen?“, ließ sich die schrille Stimme Sichelgaitas vernehmen.
„Eher nicht“, Luce streichelte sie mit einem nachsichtigen Blick, als sie enttäuscht einen Flunsch zog. Aber sie war die Erste, die das herankommende Duo erblickte. Sie legte ihre Stirn in Falten. „Seht euch das an! An der Leine geführt wie ein Hund! Robert würde sich das nicht bieten lassen! Was ist das überhaupt für ein Waschlappen, dieser Wilhelm!“
„Ist ja gut!“, schrie Luisa.
„Wir wissen alle, welch großartiger Held Euer Gemahl....“, versuchte es Ly, aber er verstummte. Stierte nach vorne, auf die Brücke, auf deren Scheitelpunkt angekommen der Weltenlenker dem Gefangenen den Knebel löste. Wilhelm fuhr sich mit der Zunge über die knochentrockenen Lippen. Es war totenstill. Sterbenstille, wie sie unmöglich auf der obigen Welt und selten im Himmel war. Kein Geräusch, nicht einmal das Blubbern des dampfenden Blutflusses.
„Wie habt Ihr das gemacht?“, Sichelgaita stierte Luce verwirrt an.
„Pst!“
Der Weltenlenker löste den Strick um seinen Gefangenen und stieß ihn voraus. Wilhelm sah weder verängstigt, noch erschöpft aus. Natürlich nicht, denn egal, was Sichelgaita sagte, er war eben kein Weichei. Aber nach fast tausend Jahren im Himmel war ihm das Unverständnis über die Entwicklung seines Schicksals ins markante Gesicht geschrieben. Der Weltenlenker, der schon im Begriffe war, sich umzudrehen, um den Rückweg anzutreten, schwang noch einmal herum, als die dunkle Stimme des Eroberers rief: „Das ist Wahnsinn! Warum schickst du mich in die Hölle?“
Aus tausend Kehlen hallte es vom Blutfluss: „Hölle! Hölle! Hölle!“
„Jetzt“, zischte Luce, aber keiner sah, was er überhaupt machte. Wie er anfachte, was er zündelte. Fassungslos und gleichermaßen fasziniert blickte Ly mit den anderen nach vorne, wo der Weltenlenker ohne Erklärung seinen Rückweg fortzusetzen versuchte, aber vor einer Feuersbrunst stand. Wie gelähmt blieb er stehen. Der Flammenschein färbte sein Antlitz kupfern und warf ihn voller Entsetzen zurück. Doch sofort schoss eine weitere Flamme neben ihm hoch und schnitt ihm den Weg ab.
Wilhelm, der blonde Hüne, begriff schnell, dass die Flammenbarrikaden nicht ihm galten. Er scannte seine Umgebung nach einem Ausweg ab, entdeckte die Gestalten im Torbogen zum Palast stehen. Sichelgaita gestikulierte wild. „Hierher!“ Und er lief los.
Der Weltenlenker, umschlossen von stets neben ihm wie Geysire aufsteigenden Flammen, lief immer hektische im Kreis. Zurück konnte er nicht. Hinter ihm stand eine einzige gleißende Flammenwand. Panik verfärbte sein Antlitz grünlich. Und während er vergeblich nach einem Ausweg suchte, schlenderte Luce gemächlich durch die Flammen hindurch, nicht ohne Lysander, am Handgelenk gefasst, mitgenommen zu haben. Auf der Brücke, umgeben von Feuer trafen sie zusammen. Zum ersten Mal war Luce dem Weltenlenker nahe. Dem Mann, der ihn als das Monster gezeichnet und in seinem Namen Unrecht getan hat. „Gemütlich, nicht wahr?“
„Was wagst du es?!“, donnerte des Weltenlenkers Stimme.
Das Feuer hatte sie zwischen ihnen gelichtet, weil dies Luce’s Wille war. Sein Antlitz war grausame Schönheit, schoss es Lysander, der erschreckt dabei stand, durch den Sinn. Die Haut gespannt über erhöhten Jochbögen, die geschrägten Brauen, die nüsterne Nase, der scheußlich herrliche Mund eines Kriegers, dem sadistische Freude bereitete, was er sah.
Es war heiß.
Das Antlitz des Weltenlenkers war von Fassungslosigkeit gezeichnet. Erhellt vom Flammenschein. Ein schwaches Knistern und Knacken der Flammen stieg auf. Funken trieben Aschewolken durch die substanzlose Luft.
„Was willst du?“, brüllte der Weltenlenker mit unmerklichem Beben in der befehlsgewohnten Stille, „Und Du?“, seine Augen streiften Lysander, „Ein Verräter! Der Zorn Gottes wird dich in Stücke reißen, deine Seele aushauchen. Pulverisiert wirst du gestaltenlos zwischen den schlafenden Wolken zu sehen sein, auf das du ewig einsam im unendlichen Universum...“
Luce hackte mit der Handkante in die Luft, um den Wortschwall zum Erliegen zu bringen. Ein Stück näher rückte er an den Feind heran. Sah ihn an. Dessen zerrauftes Haar versengt, die Augen blutunterlaufen waren. „Euer Habit lässt etliches zu wünschen übrig“, seufzte er, „aber was ich will?“, er deutete mit ausgestreckter Hand zu seinem Palast, „Seid mein Gast. Empfangt das Joch des Herrn, denn es ist leicht und sanft. Ich verspreche Wasser, Brot und ein bescheideneres Gewand als dies hier“, er zupfte am angesengten Brokat. „Kommt mit.“