Foxy erstarrte. Schreie tönten durch den Wald, gellende Schreie von Menschen voller Schmerzen oder Angst. Kassia, die mit ihr bis eben Beeren gepflückt hatte, warf ihr mit weit aufgerissenen Augen einen Blick zu.
Leise und beinahe lautlos zogen sie sich in den Schutz einiger niedriger Büsche zurück. Inzwischen war der Wald um ihr Lager herum sehr leer geworden und so gab es nur wenig Deckung. Foxy schlug das Herz bis zum Hals.
„Fuck, was passiert da?“, fragte sie leise.
Kassia antwortete nicht. Die Schreie kamen näher. Jetzt merkte auch Foxy, dass es sich nicht um die Stimmen ihrer Freunde handelte. Auch klangen die Schreie nicht so sehr nach Schmerzen, als nach Wut. Rasender, wahnsinniger Wut.
„Es nähert sich dem Berg!“, erkannte Kassia entsetzt.
Tatsächlich wurden die Schreie wieder etwas leiser. Foxy wollte schon erleichtert aufatmen, als ihr gleichzeitig mit Kassia etwas einfiel – jemand.
„Mikail!“, riefen sie fast gleichzeitig. Kassia sprang sofort auf und lief los, aber Foxy griff sie am Arm.
„Wir können da nicht hin! Das wäre Selbstmord“, sie zweifelte keine Sekunde daran, dass die Verursacher der Schreie ihnen Böses wollten. Und es klang nach vielen Menschen.
„Hol du die anderen“, sagte Foxy, als sich in ihrem Kopf die ersten Umrisse eines Plans zeichneten. „Ich gucke, ob ich Mikail helfen kann!“
„Aber du darfst doch nicht alleine gehen!“, protestierte Kassia.
Sie grinste die andere an. „Dann finde Nokori besser schnell!“
Mit diesen Worten ließ sie die andere Sammlerin stehen und lief in den Wald. Der Weg war weit, denn um Nahrung zu finden, mussten sie sich immer weiter von dem Berg entfernen. Foxy legte den Weg trotzdem in Rekordzeit zurück.
Keuchend kam sie am Fuß des Berges an und versteckte sich hinter einem Baumstamm. Mehrere große Dinosaurier standen schnaubend dort, wo der Weg begann. Foxy hatte die Hälfte von ihnen noch nie zuvor gesehen, aber es waren auch Dreihörner darunter, die Scaramouche missbilligens anschnaubten. Ihre restlichen Saurier, Oskar und der kleine Parasaurus Smiley, hatten sich hinter der Dreihorndame versteckt.
Atemlos sah Foxy nach oben. Sie entdeckte die Spuren vieler Füße, die den gewundenen Weg nach oben führten. Es sah aus, als wäre eine Armee eingefallen. Geistesgegenwärtig zählte sie die Dinosaurier, die gesattelt vor ihnen standen. Sie kam auf zwanzig, war sich aber nicht völlig sicher, da die Tiere durcheinander liefen, und diejenigen, die wie Raubsaurier aussahen, misstrauisch in der Luft schnüffelten. Foxy fragte sich sofort, ob die Tiere sie riechen konnten.
Sie fuhr herum, als hinter ihr ein Ast knackte. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie einen dunklen Schatten, menschengroß und mit etwas Rotem an sich, dann presste sich ihr eine Hand auf den Mund und ihr Kopf wurde in den Nacken gezwungen. Sie zappelte in einem eisernen Griff, dem sie nicht entkommen konnte. Sie sah nur grüne Blätter und Ausschnitte vom Himmel.
„Wie viele von euch gibt es noch?“, knurrte eine dunkle Stimme in ihr Ohr. Foxy erkannte erstaunt, dass die Stimme einer Frau gehört. Dass änderte nichts daran, dass die Fremde stark war.
Der Griff um ihren Mund lockerte sich etwas.
„Hilfe!“, rief Foxy sofort und kassierte einen heftigen Schlag in den Magen.
„Falsche Entscheidung“, knurrte die Frau. „Du wirst es mir jetzt mit den Fingern zeigen: Wie viele Maden gehören noch zu deiner Gruppe, Kleine?“
Foxy rang nach Atem. Der Schlag hatte ihr Tränen in die Augen getrieben. Sie schloss einen Moment die Augen und rief sich die Mitglieder ihrer kleinen Gruppe in Erinnerung. Mit nur einer freien Hand zeigte sie erst fünf, dann nochmals vier Finger.
„Neun Leute?“, fragte die Frau drohend.
Foxy nickte und fühlte sich elend. Ihre Knie zitterten.
„Wie lange wird es dauern, was meinst du, bis sie alle angerannt kommen?“ Diesmal schien es nicht so, als erwarte die Frau eine Antwort von Foxy. Mit unheimlicher Kraft zwang sie die Jugendliche nach vorne, auf die Dinosaurier zu zu gehen.
„Wie viele von euch sind da oben?“ Ein Kniff in Foxys Arm verlangte diesmal eine Antwort.
Einer, zeigte sie der Frau mit den Fingern an.
„Lächerlich“, kommentierte diese und riss ein wenig mehr an Foxys Haaren. Inzwischen hatte Foxy jeden Widerstand aufgegeben.
Etwas trompetete.
„Scheiße!“, rief die Frau laut. Der Boden bebte unter den schweren Schritten von etwas Großem. Dann fiel Foxy plötzlich zur Seite. Sie schlug auf den Boden und der Griff der Frau löste sich. Sofort rollte sie zur Seite und von der Fremden weg.
Neben ihr stieß etwas großen aus dem Himmel und bohrte sich in den Boden. Eine Art grauer Säule. Foxy stieß einen Angstlaut aus, als ein ähnliches Gebilde auf ihrer anderen Seite in dem Matsch stieß und ihr Dreck in die Augen schleuderte. Dann rumpelte etwas Großes über sie hinweg, das am Ende spitz zulief.
Nach einem Moment völliger Panik erkannte Foxy das Hinterteil von Scaramouche. Das Dreihorn hätte sie beinahe geplättet!
Eine Hand ergriff ihren Arm und zog. Erschrocken wollte Foxy sich losreißen.
„Ich bin es!“, rief eine vertraute Stimme. Mikail!
Er zog sie auf die Beine und zu dem Dreihorn, das schnaubend auf sie wartete. Foxy landete quer über dem breiten Rücken. Eine Frau rannte auf sie zu, die kurze, schwarze Haare hatte, ein kantiges Gesicht und Hass in den dunklen Augen. Dann setzte sich Scaramouche plötzlich mit einem Sprung in Bewegung. Neben Foxys Händen, die ohne Halt zum Boden hingen, lief der kleine Oskar, und ihm folgte Smiley mit wackeligen Entenschritten. Erst nach einer Weile, als die Wutschreie der Frau hinter ihnen verhallten, merkte Foxy, dass Mikail hinter ihr saß.
„Wo sind die anderen?“, rief Mikail ihr zu.
Foxy konnte nicht sprechen, und in ihrer Position auch nicht mit den Schultern zucken. Sie zitterte vor Angst.
Scaramouche bremste, als eine Stimme laut „Halt!“ schrie. Foxy rechnete mit dem Schlimmsten, doch als sie den Kopf wandte, entdeckte sie Thanatos, sowie den Rest ihrer Gruppe.
„Vergiss meine Frage“, sagte Mikail ruhig. Foxy rutschte von Scaramouche herunter und fiel beinahe. Die Angst saß ihr tief im Nacken.
Kassia lief zu ihr und stützte sie: „Du hast Mikail gerettet!“
„Eigentlich war es eher andersherum“, stottere Foxy.
„Wir können nicht zurück“, sagte Mikail derweil der Gruppe und warf Thanatos einen düsteren Blick zu. „Wir müssen weg.“