„Bei den Göttern, man sollte meinen, ein paar Stunden würden etwas verändern, aber dein Anblick widert mich tatsächlich immer noch an!“ Hedera, die kaum erst dem Bett entstiegen war, trug ihre üble Laune wie eine schwarze, dichte Wolke vor sich her und Alexeys Anblick schien sie nicht gerade zu vertreiben.
Natürlich kümmerte ihn ihre Meinung nicht, schließlich trug sie selbst die Schuld an seinem derzeitigen Erscheinungsbild und dass er ihr glücklicherweise im Moment noch nicht einmal eine Antwort geben könnte, wenn er es denn überhaupt wollen würde.
Die Beleidigung vom Vortag hatte sie offensichtlich immer noch nicht vergessen oder gar verdaut. Aber glücklicherweise waren ihre Freundinnen sofort an ihrer Seite, um sie wieder etwas zu beruhigen.
„Kräme dich nicht seinetwegen“, versuchte es Julia mit beinahe verschwörerischem Tonfall. „Du wirst sehen, ein paar Tage ohne ihn werden dir ganz gut tun. Du kommst doch zu meiner Feier, nicht wahr? Außerdem gibt es da jemanden, den ich dir unbedingt vorstellen möchte und solltest du dich wegen deines Schutzes Sorgen machen, kannst du ja immer noch die beiden hübschen Leibwächter mitnehmen. Wie war ihr Name doch gleich? Azuro und Arvand?“
Alexey hörte nur noch mit halbem Ohr zu, denn was Julia hier andeutete, würde bedeuten, dass nicht nur Hedera ein paar Tage vor ihm Ruhe hätte, sondern vor allem er nicht für sie da sein müsste. Er könnte … Nein, war das Schicksal ihm wirklich einmal gewogen?
Plötzlich pochte ihm das Herz heftig bis zum Hals und Alexey wurde vor Aufregung ganz zittrig, obwohl er sich natürlich keine Reaktion anmerken ließ. Doch alleine die Aussicht, ein paar Tage nicht dienlich sein zu müssen … Das letzte Mal war schon zu lange her und er wusste schon gar nicht mehr, wie es sich anfühlte, nicht die meiste Zeit des Tages und der Nacht an Hederas Seite sein zu müssen oder in ihr.
„Du wirst sehen, Julias Stadthaus wird dir gefallen“, versuchte es nun Aurelia und fing dann auch schon an, von den Vorzügen der Großstadt zu schwärmen, während sie sich von dem reich gedeckten Frühstücksmahl bediente. Da Hedera sich in ländlicheren Gegenden wohler fühlte, bezweifelte Alexey, dass es großartig etwas bringen würde, aber sie schien der Idee tatsächlich nicht abgeneigt zu sein, zumal sie Julia versprochen hatte, zu ihrer Feier zu kommen.
„Wenn ihr meint“, gab sie sich schließlich ob der Überredungskünste ihrer Freundinnen geschlagen. „Ein paar Tage auf andere Gedanken zu kommen und mich in anderer Gesellschaft zu bewegen, könnte mir tatsächlich ganz gut tun. Servius hat hier ohnehin alles soweit im Griff.“ Und wenn er das nicht hatte, dann würde Hedera ihm zeigen, was es bedeutete, sie zu verärgern.
„Nun gut. Ich sollte wirklich einmal unter Leute. Du hast recht, Julia. Ich werde mitkommen.“
Zwar sah Alexey Julias triumphierenden Blick nicht, aber er konnte es geradezu auf der Haut fühlen, wie sich die Stimmung im Raum merklich hob und freudiger Erwartung Platz machte. Wenn es nach ihm ginge, könnten diese Schlange nicht früh genug ihr Nest verlassen, um anschließend nie wieder zurückzukehren.
„Briseis? Pack meine Sachen zusammen, ich mache eine Reise!“, verkündete Hedera schließlich beschwingt, und zum ersten Mal war Alexey froh über die Gesellschaft der Vipern, die es geschafft hatten, Hedera von ihm wegzubringen. In der Tat hatten sie einmal etwas wahrlich Gutes vollbracht.
***
Vals Welt bestand für lange Zeit nur aus Finsternis und Schmerz. Es gab nur wenige lichte Momente, in denen sie mehr als ihr grässliches Körpergefühl wahrnahm. Wohlige Wärme, das Gefühl von Geborgenheit, das ihr aber kurz darauf schon wieder entzogen wurde. Einen unvergleichlichen und zugleich vertrauten Duft, den sie sofort wieder vermisste, als er immer mehr verblasste. Cearas verzweifelte Stimme und das Gefühl ihrer Tränen auf Vals Wange.
Kurz glaubte sie sogar die Sklaventreiberin zu hören und zu spüren, wie diese grob an ihrem Arm riss, nur um sie dann doch wieder in Ruhe zu lassen und zu verschwinden. Danach war es lange still. Still und kalt und irgendwann auch nass.
Val begann zu frieren, während die Schmerzen an ihrer Rückseite unerträglich wurden, sodass sie sogar irgendwie die Kraft dazu aufbrachte, sich herumzudrehen, um ihr Gewicht davon zu nehmen. Dabei fiel sie ins Leere und landete hart auf dem Gesicht. Vom Aufprall stach es so heftig in ihrer Brust, dass ihr die Luft wegblieb und sie einen gequälten Laut von sich gab, doch niemand hörte es. Niemand war hier. Sie war allein in der Dunkelheit. So entsetzlich allein …
***
Als Ceara es endlich schaffte, sich von ihrer Arbeit davon zu stehlen, um zurück zu ihrer Kammer zu eilen, fand sie Valeria neben ihrem Strohsack auf dem kalten Boden liegen. Ihr Nachthemd klebte feucht und klamm von ihrem eigenen Urin an ihrem Körper und die Decke war nur noch notdürftig um ihre Beine geschlungen.
Ceara wollten erneut die Tränen bei diesem erbarmungswürdigen Anblick kommen, doch sie versuchte sich zusammenzureißen, um für Valeria da zu sein. Darum legte sie hastig das wenige Brot weg, das sie für Valeria hatte stehlen können, ehe sie zu ihrer Freundin eilte und sich mühte, sie wieder zurück auf ihren Strohsack zu bekommen. Doch so klein und zart Valeria auch war, wenn sie so gar nicht dabei mithalf, bekam Ceara sie kaum von der Stelle. Wie nur – bei den verfluchten Göttern – sollte sie es schaffen, für ihre Freundin da zu sein, bis diese wieder auf den Beinen war, wenn man ihr noch nicht einmal gestattete, sie zu pflegen?
Gràinne hatte heute Morgen nur kurz einen Blick auf Valerias Zustand geworfen und befunden, dass sie ganz offensichtlich nicht zur Arbeit gehen konnte, aber nicht schlimm genug zugerichtet worden war, um sie zu Rashad zu bringen. Kostete schließlich alles Geld, den Quacksalber zu unterhalten, hatte sie gesagt und war mit Ceara abgerauscht. Bis jetzt, Stunden später, war es Ceara nicht gelungen, zu Valeria zurück zu kommen, um ihr wenigstens etwas Wasser einzuflößen. Davon abgesehen, dass sie auch völlig überfordert mit der Situation war, da ihr nicht einmal die Mittel zur Verfügung standen, sich ausreichend um Valeria zu kümmern. Gerade mal vom Abendessen war ihr gestattet worden, etwas davon für Valeria in ihre Kammer mitzunehmen. Aber davon abgesehen, bekam Ceara NICHTS! Keine frischen Kleider, Tücher oder Laken. Nichts, womit sie Valeria so versorgen konnte, damit diese nicht in ihren eigenen Hinterlassenschaften liegen musste, da sie nicht dazu in der Lage war, den Abort aufzusuchen oder einen Nachttopf zu benutzen. Und selbst wenn sie endlich einmal zu Bewusstsein kam, wie sollte Ceara ihr dabei helfen, wenn sie sie noch nicht einmal auf diesen verfluchten Strohsack bekam?
Die absolute Verzweiflung übermannte Ceara so plötzlich, dass sie es schließlich aufgab, Valeria auf den Strohsack zu zerren, stattdessen hob sie ihren Oberkörper so weit an, dass sie ihre Freundin auf ihren Beinen ablegen und die Decke wieder richtig über sie ziehen konnte. Tränen, die sie bisher mühsam unterdrückt hatte, liefen ihr in rauen Mengen über die Wangen, während Cearas verzweifeltes Schluchzen die Kammer erfüllte. Dabei hielt sie Valeria fest in den Armen und bat tausendmal um Verzeihung, weil sie ihr nicht wirklich helfen konnte, aber auch, weil es ihr so unendlich leidtat, was Valeria angetan worden war. Ob nun vom Bluthund der Domina oder vom Dominus selbst, so genau wusste Ceara es nicht. Doch nachdem dieser verflucht einschüchternde Kerl heute Morgen mit Valeria im Arm aufgekreuzt war, glaubte sie irgendwie nicht, dass er etwas mit dem Zustand, in dem Valeria sich befand, zu tun hatte. Im Gegenteil. Obwohl man Valeria ganz eindeutig auf vielerlei Arten Gewalt angetan hatte, war sie doch duftend, sauber und angezogen hierher gebracht worden. Mit einer zusätzlichen Decke, die sie wärmen sollte und auch wenn sie den Ausdruck im Gesicht dieses riesigen Kerls nicht hatte sehen können, so waren seine Gesten doch irgendwie sehr eindeutig gewesen. Er hatte Valeria nicht verlassen wollen und auch die Art, wie er zärtlich ihre Hand aus seinem Haar befreit hatte, sagte mehr aus, als Worte es beschreiben könnten.
Warum auch immer – die Bestie der Domina schien gar kein so grausames Monster zu sein, wie alle ihr immer glauben machen wollten.
Was genau jene Bestie auch noch einmal deutlich damit unterstrich, indem sie plötzlich mit allerlei Sachen im Arm in der Tür zu ihrer Kammer stand.
Ceara fuhr reflexartig hoch, ohne Valeria dabei jedoch loszulassen. Dieser Mann war nun einmal furchteinflößend bis in die Haarspitzen. Nicht nur allein wegen der metallenen Fratze, die er ständig vor sich hertrug, seiner riesenhaften Statur oder den beiden brutal wirkenden Schwertern an seinen Seiten, sondern auch, da seit kurzem unter dem Umhang, den er trug, immer wieder rote Schnitte an seiner Haut hervorblitzten, als wäre er in einen Kampf verwickelt worden. Sein unheimliches Schweigen rundete den Eindruck der unberechenbaren Bestie nur noch ab, doch Ceara fing sich schnell wieder. Nicht zuletzt beruhigten sie die frischen, gefalteten Laken im Arm des Hünen, die er mit Sicherheit nicht aus Spaß mit sich herumtrug.
Dennoch fühlte sie sich unwohl, als der Bluthund die Tür zu ihrer Kammer hinter sich schloss und näher kam. Für gewöhnlich wirkte der Raum nicht allzu klein, aber mit dem Kerl darin, könnte man beinahe Platzangst bekommen. Zumindest für einen flüchtigen Moment, ehe er sich neben Valeria in die Hocke begab, die mitgebrachten Sachen zur Seite legte und seinen undurchschaubaren Blick schließlich auf Ceara richtete, die ihre Freundin immer noch fest umklammert hielt.
Kurz zögerte Ceara noch, bevor sie Valeria langsam losließ. „Ich bin nicht stark genug, um sie zurück auf den Strohsack zu heben und … ich konnte auch nichts tun, um … um …“ Um sie wieder zu säubern und in trockene Sachen zu kleiden.
Der Riese nickte, als hätte er verstanden, ehe er die Decke von Valeria zog, diese neben ihr ausbreitete und die junge, bewusstlose Frau leichthändig darauf ablegte, als wöge sie nichts, um ihr sogleich auch das Nachthemd auszuziehen. Mit einem der frischen Tücher trocknete er Valeria ab, bevor er sie auf Kores Strohsack legte und gut zudeckte. Danach stand er mit den schmutzigen Sachen auf und verließ die Kammer wieder.
Auch, wenn er nichts gesagt hatte, so hatte Ceara das Gefühl, dass er nicht lange weg sein würde. Wenn sie sich so die mitgebrachten Sachen ansah, war es offensichtlich, dass er vorhatte, sich um Valeria zu kümmern. Ceara verstand es zwar immer noch nicht, aber das musste sie auch nicht, solange Valeria geholfen wurde, wenn auch von völlig unerwarteter Seite.
***
Alexey hatte nur so lange gewartet, bis Hedera tatsächlich mit Sack und Pack das Anwesen verlassen hatte. Er hatte zur Sicherheit auch noch nachgeprüft, wo Vorenus sich im Augenblick befand, doch irgendetwas musste mit seinen Schriftsachen vorgefallen sein, denn er saß offenbar schon den ganzen Tag daran, um irgendwelche Schriftstücke neu aufzusetzen. So schnell würde er ihm also bestimmt nicht in die Quere kommen, und wenn man Valerias Zustand bedachte, konnte er ohnehin nicht glauben, sie schon so bald wieder zu sich rufen zu können. Es sei denn, er fickte gerne bewusstlose Frauen, allerdings wäre das neu für Alexey. Vorenus bevorzugte es, seine Sklavinnen zu dominieren, was sich schwer bewerkstelligen ließ, wenn diese nicht wirklich auf ihn reagieren konnten.
Da nun beide potentielle Gefahrenquellen aus dem Weg waren, nahm Alexey sich alles, was er glaubte, zu brauchen und machte sich eilig auf den Weg zu seiner kleinen Kriegerin. Natürlich achtete er darauf, dass ihn dabei niemand sah, wie er ihre Kammer betrat. Einmal von der rothaarigen Sklavin abgesehen, mit deren Anwesenheit er zwar nicht gerechnet hatte, von der er sich aber auch absolut nicht bedroht fühlte. Erst recht nicht, wenn er sah, wie sie Valeria beschützend in ihren Armen hielt und daran verzweifelte, dass sie ihr nicht wirklich helfen konnte. Es war jedoch wirklich gut, noch jemanden an seiner Seite zu wissen. Wenn auch nur als moralische Unterstützung für Valeria.
Nachdem Alexey sich notdürftig um seine kleine Kriegerin gekümmert hatte, machte er sich auf den Weg, um warmes Wasser zum Waschen zu besorgen.
Als er Valeria heute Morgen in ihre Kammer gebracht hatte, hatte er nicht bedacht, dass sie wahrscheinlich noch nicht in der Lage sein würde, ihre Notdurft selbst zu verrichten. Aber dem würde er nun Abhilfe schaffen, bis sie zumindest soweit wieder bei Bewusstsein war, dass er sie zum Abort tragen konnte. Wenn sie es denn zuließ. So sicher war sich Alexey trotz ihrer Hilfe nicht, dennoch schuldete er es ihr, ihr mit allem, was er hatte, zu helfen.
Wäre Hedera hier geblieben oder hätte von ihm verlangt, sie zu begleiten, wäre es ihm tatsächlich unmöglich gewesen, so aber schien es das Schicksal endlich einmal gut mit ihnen zu meinen. Mit ihnen beiden, denn bei seiner kleinen Kriegerin sein zu können, auch wenn es um ihre Pflege ging, gab Alexey so unglaublich viel. Jeder Moment mit ihr war kostbar. Jede kleine Geste. Jede noch so winzige Berührung.
In den finstersten Stunden waren eben diese Erinnerungen sein Licht, um daraus Hoffnung zu schöpfen und weiter zu machen, auch, wenn er selbst manchmal verzweifelte. Doch Valeria gab ihm tatsächlich immer wieder die Kraft weiterzumachen. Für sie allein kämpfte er.
Zurück in Valerias Kammer stellte Alexey die Schüssel mit dem warmen Wasser neben dem Strohsack auf dem Boden und wollte schon nach einem der frischen Tücher greifen, ehe Ceara ihn davon abhielt und ihm stattdessen einen Becher mit Wasser in die Hände drückte.
„Ich mache das. Bitte versuche, ihr etwas Flüssigkeit einzuflößen. Sie hat heute den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen.“
Alexey zögerte kurz, nickte dann und tauschte mit Ceara den Platz, ehe er vorsichtig seine Hand in Valerias Nacken schob und sie ein wenig aufrichtete, um ihr den Becher an die Lippen zu setzen.
Da sie überhaupt nicht reagierte und ihr das Wasser einfach an den Lippen vorbei den Hals hinablief, stellte Alexey den Becher wieder weg und berührte sie stattdessen an der weniger geschwollenen Wange. Er streichelte sie und versuchte sie mit zärtlichen Gesten, zum Aufwachen zu bewegen. Wenn er gekonnt hätte, hätte er auch zu ihr gesprochen, egal, ob sie es verstand oder nicht. Doch er konnte sie nur anschweigen und das war im Augenblick wirklich unglaublich frustrierend.
Im Augenwinkel nahm er wahr, wie Ceara Valeria gründlich mit dem warmen Wasser wusch, was seiner kleinen Kriegerin irgendwann doch eine Reaktion entlockte. Ihre Augenbrauen zogen sich vor Unmut zusammen und sie gab einen schmerzerfüllten Laut von sich, ehe sie sich unter ihren Berührungen zu winden versuchte.
„Ruhig, Valeria“, beschwichtigte Ceara ihre Freundin an seiner statt. „Lass mich dich wenigstens fertig versorgen, damit du nicht wieder im Nassen liegen musst. Danach drehen wir dich auf die Seite …“
Ceara warf Alexey einen flüchtigen Blick zu, den er kurz erwiderte, ehe er ihr noch mehr von den größeren Stofftüchern reichte, damit sie Valeria wie einen Säugling wickeln konnten, wobei Alexey ihr mit Valerias Beinen half. Zumal seine kleine Kriegerin sich langsam ordentlich zu wehren begann.
Doch als sie sie endlich auf die Seite drehten und somit den Druck auf ihre Verletzungen verminderten, beruhigte Valeria sich glücklicherweise wieder.
„Ich will zwar nicht gehen“, meinte Ceara plötzlich und Alexey sah ihr an, wie ungern sie ihre Freundin in diesem Zustand allein lassen wollte. „Aber ich muss zu meiner Arbeit zurück, ehe Gràinne nach mir sucht und uns drei hier so vorfindet.“
Wieder nickte Alexey. Das konnten sie wahrlich nicht riskieren, zumal er nun ohnehin bei seiner kleinen Kriegerin bleiben würde. IHN suchte nun ganz bestimmt niemand. Im Gegenteil, alle waren sie froh, wenn er ihnen nicht über den Weg lief.
„Bleibst du bei ihr?“, fragte die rothaarige Sklavin beinahe hoffnungsvoll und atmete sogar erleichtert auf, als er daraufhin noch einmal nickte. Das er das einmal erleben würde …
„Danke. Ich danke dir so sehr!“ Ceara schenkte ihm überraschenderweise ein warmes Lächeln, ehe sie aufstand und zur Tür ging. „Bitte sorge dafür, dass sie etwas trinkt. Am Abend bringe ich Eintopf vorbei und dort liegt etwas Brot für sie.“ Mit diesen Worten machte sich Valerias Freundin und seine neueste Verbündete auf den Weg.
Sobald ihre Schritte endgültig verklungen waren, zog Alexey sich seinen Helm vom Kopf, ergriff den Becher mit dem Wasser und nahm einen großen Schluck davon in den Mund, ehe er sich zu Valeria beugte, ihren Kopf etwas zur Seite drehte und seine Lippen auf ihre drückte, um sie auf diese Weise zum Trinken zu bewegen.
Seine Lippen schmerzten zwar immer noch und bestimmt würden Valeria die Fäden daran auch stören, wenn sie denn mehr von ihrer Umgebung mitbekommen würde, doch auf andere Weise bekäme er momentan wohl keine ausreichende Menge an Flüssigkeit in sie.
Diese spontane Eingebung funktionierte zu Alexeys Erleichterung tatsächlich, also wiederholte er den Vorgang so lange, bis der Becher leer war und er ihn erneut füllen konnte, um die Prozedur fortzuführen.
Anschließend nahm Alexey seinen Waffengürtel ab, zwängte sich auf den winzigen Strohsack und zog Valeria mit dem Bauch voran auf seine Brust, da sie anders keinen Platz hätten, ehe er sie wieder ordentlich zudeckte, ihr noch ein kühles, feuchtes Tuch auf die stark geschwollene Gesichtshälfte legte und sie schließlich einfach nur hielt. Solange er hier war, solange er bei ihr blieb, würde ihr kein Leid geschehen. Es war vielleicht nur eine Illusion, oder reines Wunschdenken, da die Realität seiner Welt oftmals zur Gänze anders aussah und dennoch klammerte Alexey sich an diesen einen Gedanken. Solange er bei seiner kleinen Kriegerin war, war es gut.
***
Etwas hatte sich verändert. Es war nicht mehr nass und kalt. Die Schmerzen waren noch da und sie schienen schlimmer denn je zu sein, doch das war nicht alles, was Valeria nach so langer Zeit in der Einsamkeit der Dunkelheit fühlte.
Wärme unter ihr. Kühle auf ihrem geschwollenen Gesicht. Die Trockenheit in ihrer Kehle war verschwunden und dieser herrliche Duft war wieder da. Ganz intensiv und nah, sodass Val sogar ihre Nase ein wenig in die Falten von Stoff drückte, um noch mehr davon in sich aufzunehmen. Dieses Gefühl von Geborgenheit und Wärme. Wie ein Schwamm sog sie alles in sich auf, verlangte sogar nach noch mehr davon, indem ihre Finger kraftlos danach suchten und sich solange durch Stoff wühlten, bis sie auf warme, weiche Haut stießen, die immer wieder von groben Stellen durchbrochen war.
All das kam ihr irgendwie bekannt vor und in Vals Hinterkopf erhob sich eine kleine Stimme, doch sie war zu müde und erschöpft, um darauf zu reagieren. Das Atmen fiel ihr in dieser Lage schwer, ihr Rücken brannte und tobte, doch es war erträglich, solange sie hier war. Hier bei ihm. Der Duft nach Geborgenheit trug einen Namen. Ein Name, der ihr auf der Zunge ja geradezu auf den Lippen lag … Alexey. Sein Name war Alexey …
Vanadis‘ Mörder, Valerias Peiniger, ihr Patient und nun … ihr Beschützer?
Obwohl Valeria kaum noch die Kraft dazu hatte, nahm sie den Kopf ein wenig zurück und drehte ihn, um an dem Tuch in ihrem Gesicht vorbei etwas sehen zu können. Ihre Augenlider wollten ihr fast nicht gehorchen, doch schließlich, nach mehrmaligem Versuch, sah sie schließlich ein mit leichtem Bartschatten gezeichnetes Kinn und genähte Lippen, die ihre Handschrift trugen. Er war es also wirklich. Ihr Peiniger. Ihr Vergewaltiger. Ihr … Beschützer …
Val schloss wieder die Augen. Sie hatte nicht die Kraft, um sich mit ihren wirren Gedanken auseinanderzusetzen. Stattdessen krallte sie sich schwach mit ihren Fingern an Alexey fest und gab sich erneut der Dunkelheit hin, die nun nicht mehr ganz so dunkel auf sie wirkte, denn er war da. Dieser Mann … war für sie da.