Wie oft sie es auch versuchte, es gelang ihr einfach nicht, ihre zittrigen Hände zur Ruhe kommen zu lassen. Immer wieder verhedderte sich eine der Haarsträhnen, die sie zu einem Zopf zu flechten versuchte, oder sie vertauschte sie, sodass ihre Versuche ein weiteres Mal in einer Katastrophe endeten.
Ceara war ihr Äußeres im Grunde genommen gleich, doch unter diesem Dach wurde man für ungepflegtes Aussehen bestraft, und das nicht gerade milde. Immerhin spiegelten selbst die Sklaven die Macht und den Reichtum der Domina wider. Also löste sie Strähne für Strähne erneut, kämmte sich die Knoten aus dem Haar und versuchte es noch einmal.
Unablässig liefen dabei stumme Tränen über ihre Wangen, die sie inzwischen nicht einmal mehr fortwischte. Selbst ihre Nase zog sie lediglich immer wieder undamenhaft hoch. Wen sollte es auch kümmern? Sie war allein. Nicht nur in ihrer Kammer, die inzwischen viel zu groß wirkte, nachdem drei der vier Strohbetten verwaist waren, sondern auch auf der Welt, wie es schien.
Als Ceara sich ein weiteres Mal in ihrem tristen kleinen Gefängnis umsah, fühlte sie sich einsamer denn je.
Nie hätte sie gedacht, dass sie dieses Gefühl so bald wieder empfinden würde. Dabei war es inzwischen drei Jahre her, dass die Römer ihr Dorf überfallen und ihre Familie abgeschlachtet hatten. Bereits damals hatte sie geglaubt, ihre Welt würde zusammenbrechen, obwohl ihr nicht lange nach diesem Schicksalsschlag Vanadis begegnet war – ein eher stilles Mädchen, das sich mit nur wenigen Worten und einer liebenswürdig schüchternen Art umso rascher in Cearas Herz geschlichen hatte.
Dabei war Vanadis alles andere als schüchtern gewesen, wenn sie erst einmal Mut gefasst hatte. An guten Tagen war sie sogar zu Neckereien aufgelegt gewesen und hatte Ceara dadurch oft ein Lächeln entlockt.
Der Verlust ihrer Freundinnen schmerzte sie immer noch enorm. Vanadis' Lachen und Neckereien fehlten ihr, genauso wie Kores ruhige und besonnene Art, oder Kesaras Talent, selbst in den schlechtesten Dingen noch etwas Positives zu entdecken.
Sie alle hatten den Tod gesehen und Leid erfahren. Nicht zuletzt durch die kalten Ketten der Sklaverei, in die sie verkauft worden waren. Dennoch waren sie nicht allein gewesen. Hatten selbst in Zeiten größter Not zusammengehalten, sich das karge Brot geteilt, das unter der Herrschaft des Sklavenhändlers Rutilus kaum zum Überleben gereicht hatte, und sich des Nachts aneinander gewärmt, wenn ihnen nichts anderes als der nackte Boden zum Schlafen geblieben war.
Es war beinahe einem Segen der Götter gleichgekommen, als sie alle zusammen an die Domina dieses Hauses verkauft werden sollten, doch inzwischen wusste Ceara, dass es kein Segen sondern ein Fluch war.
Ein Fluch, der sie eine nach der anderen geholt hatte. Selbst Valeria, die von ihnen allen die größte innere Stärke und enorm viel Mut besessen hatte. Vielleicht sogar zu viel Mut, denn womöglich könnte gerade dieser ihr zum Verhängnis geworden sein. Es sei denn, Ceara schenkte den verstörenden Gerüchten Glauben, dass Valeria dem Bluthund der Domina zum Fraß vorgeworfen worden war. Ein Schicksal, das angeblich auch Kesara ereilt hatte.
Sie selbst könnte schon bald die Nächste sein, doch der Gedanke erschreckte Ceara nicht länger – er hatte vielmehr etwas Tröstliches.
Sie wusste nicht, wie lange sie bereits regungslos dagesessen hatte, die Finger im Haar verknotet und ins Nichts starrend, als die Tür zu ihrer Kammer aufging.
Ceara blickte nicht hoch, obwohl sie jeden Moment Gràinnes Rohrstock auf sich zu spüren erwartete, um für ihre Verspätung bestraft zu werden. Doch es folgte weder Gezeter noch eine Tracht Prügel, stattdessen wurde die Tür wieder leise geschlossen und leichtfüßige Schritte näherten sich.
Als Ceara nun doch hochsah, wich ihr vor Schreck jegliche Farbe aus dem Gesicht und sie musste mehrmals blinzeln, da sie ihren Augen kaum traute.
Valeria stand in Form einer geisterhaften Erscheinung vor ihr!
Die junge Frau war fahl wie der Tod. Das offene lange Haar umhüllte ihre zarte Gestalt wie ein Unheil verkündender Schatten und ließ sie noch zerbrechlicher wirken, während unter ihren müden Augen dunkle Ringe lagen.
Valeria ließ sich kraftlos neben Ceara auf das Stroh fallen, sah sie einen Moment lang voller Sorge an und nahm sie schließlich in die Arme.
Erst als sie Valerias Wärme an ihrem Körper und ihre feste Umarmung spüren konnte, begriff Ceara, dass es sich tatsächlich um ihre Freundin handelte, nicht einfach nur um ein Trugbild, das ihren düsteren Gedanken entsprungen war.
Sie lebte! Sie lebte tatsächlich!
Rasch löste Ceara ihre Finger aus ihrem wirren Haar, schloss ihrerseits die Arme um Valeria und hielt sich so verzweifelt an ihr fest, dass diese womöglich kaum noch Luft bekam, doch ihre Freundin beschwerte sich mit keinem Wort.
Nach Nähe suchend vergrub sie ihr Gesicht in der schwarzen, seidige Mähne und begann hemmungslos zu schluchzen, dieses Mal war ihr Herz jedoch von Erleichterung erfüllt anstatt von Trauer.
Obwohl nicht sie es war, der man offenkundig Leid zugefügt hatte, gab Ceara sich dem Trost von Valerias warmer Umarmung hin und wiegte sich in der Geborgenheit dieser ungebrochenen Stärke, die ihre Freundin auch jetzt noch aus jeder Pore ausstrahlte, obwohl sie offensichtlich eine grauenvolle Nacht hinter sich hatte.
Es dauerte lange, bis Ceara sich zumindest so weit wieder beruhigen konnte, dass sie Valerias vertrauten Duft, zugleich aber auch den schweren Geruch eines fremden Mannes an ihr wahrnehmen konnte. Ein Mann, der auf keinen Fall der Dominus des Hauses war.
Ihr wollte sich der Magen umdrehen bei dem Gedanken, dass an den Gerüchten in der Tat etwas dran sein könnte.
War Valeria wahrhaftig Hederas Bestie zum Fraß vorgeworfen worden? Diesem Ungeheuer, dessen Antlitz so grauenvoll war, dass es sich hinter einer metallenen Fratze verstecken musste?
Aber wenn dem so war, wie hatte Valeria es nur geschafft, diese Begegnung zu überleben?
Voller Sorge löste sich Ceara so weit aus der Umarmung ihrer Freundin, dass sie Valeria ins Gesicht blicken und es gründlich mustern konnte.
Dem ersten Anschein nach schien die Jüngere vollkommen unversehrt zu sein. Zwar müde und ausgezehrt, doch immerhin unverletzt. Es waren keine blauen Flecken zu sehen. Keine Kratzer oder Schürfwunden. Nichts, das irgendwie darauf hingewiesen hätte, dass man ihr Gewalt angetan hatte. Allerdings war es der Ausdruck in Valerias Augen, der Ceara wirklich Sorgen bereitete.
Ihre Freundin weinte zwar nicht, schien auch keine einzige Träne vergossen zu haben, doch Ceara konnte in Valerias gehetztem und zugleich leicht abwesenden Blick erkennen, dass sie etwas stark beschäftigte. Etwas, das erst kürzlich vorgefallen war und nichts mit Kores Tod zu tun hatte. Im Gegenteil. Die Leere, die seit dem schweren Verlust einer weiteren Freundin in Valerias Blick vorgeherrscht hatte, war nun unübersehbar verschwunden.
Irgendetwas hatte es geschafft, die Mauern, die Valeria seit Vanadis' und Kores Tod um sich herum aufgebaut hatte, ins Wanken zu bringen.
„Was ist passiert? Bist du verletzt?“
Valeria zuckte überrascht zusammen, begegnete Cearas Blick daraufhin für einen kurzen Moment, ehe sie wieder wegsah. Stattdessen starrte sie ihre verschlungenen Hände in ihrem Schoß an und schüttelte schließlich langsam den Kopf.
„Es ... geht mir gut“, war ihre zögerliche Antwort, als würde sie selbst nicht wirklich daran glauben, oder als sei sie nicht sicher.
Mitfühlend nahm Ceara Valerias Hand und hielt sie fest, während sie ihrer Freundin sanft über den Handrücken streichelte.
Immer noch konnte sie nicht richtig glauben, dass Valeria tatsächlich vor ihr saß. Lebendig und zumindest dem Anschein nach wohlauf.
„Ich dachte, die Bestie hätte dich getötet“, gestand Ceara schließlich leise, während ihr erneut die Tränen kommen wollten, doch sie riss sich zusammen.
„Wer?“ Valeria runzelte fragend die Stirn.
Das Wort 'Bestie' war ihr also nicht geläufig. Dabei sollte es das inzwischen sein.
Ceara ließ Valeria für einen Moment los, um mit ihren Händen einen Helm auf ihrem Kopf anzudeuten und verzog das Gesicht zu einer grässlichen Fratze.
Der Blick ihrer Freundin verdüsterte sich daraufhin, während sie ihre Arme um sich selbst schlang und wieder zur Seite blickte.
„Nein, er ...“ Sie hielt für einen Moment inne, als würde sie sich an etwas erinnern, ehe sie erneut den Kopf schüttelte. „Es geht mir gut.“
Also war sie tatsächlich bei der Bestie gewesen!
„Was hat er getan? Hat er ...?“ Ceara wagte den Gedanken noch nicht einmal fortzuführen, wurde ihr doch schon allein bei der Vorstellung ganz flau im Magen, dass dieses Monstrum von einem Mann über die kleine Valeria hergefallen sein könnte – zum Vergnügen der Domina und ihren grausamen Freundinnen, die bekanntermaßen solche Vorstellungen liebten.
„Alles gut“, betonte Valeria noch einmal mit Nachdruck und sah Ceara dabei fest in die Augen.
Es war nur allzu offensichtlich, dass sie nicht über das sprechen wollte, was sie in dieser Nacht erlebt hatte. Ceara verstand das sogar sehr gut, weshalb sie am Ende nicht weiter nachhakte. Valeria würde sicher darüber reden, wenn sie so weit war. Zumindest hoffte sie, dass ihre Freundin ihr zumindest so viel Vertrauen entgegenbrachte.
Gerade als Ceara ihr genau das mitteilen wollte, flog die Tür zu der kleinen Kammer auf und Gràinne stand wie der leibhaftiggewordene Zorn der Götter vor ihnen. Ihren Rohrstock hielt sie dabei so fest in ihrer vor Wut zittrigen Hand, dass er jeden Moment zerbarst.
Noch bevor Ceara reagieren konnte, hatte Valeria sich schon beschützend vor sie geschoben und hob herausfordernd und furchtlos das Kinn, was der alten Zuchtmeisterin ein verblüfftes Runzeln auf die Stirn zauberte, wovon sie sich jedoch allzu schnell wieder erholte.
„Du da!“, blaffte sie Ceara mit ausgestrecktem Zeigefinger an. „Trödel nicht länger herum und mach dich fertig, und dann ab mit dir in die Küche! Über deine Verspätung sprechen wir noch!“
Gràinnes Tonfall machte klar, dass nicht ihr Mund sondern der Stock in ihrer Hand für sie sprechen würde. Im Moment war Ceara jedoch so glücklich über Valerias wohlbehaltene Rückkehr, dass selbst die Aussicht auf eine Strafe ihr das nicht nehmen konnte.
Allerdings änderte sich das schlagartig, sobald Gràinne ihre Freundin grob an der Hand packte und ohne Erklärung einfach mit sich nahm.
Valeria schenkte ihr noch ein letztes, beruhigendes Lächeln, das Ceara ihr keinen Moment lang abkaufte, und folgte dann so gut sie konnte den hastigen Schritten der obersten Haussklavin.
Würde sie ihre Freundin denn dieses Mal wiedersehen?
Ceara verzweifelte langsam an dieser ständigen Ungewissheit!
***
Eigentlich sollte man annehmen, dass Val es in einer Zeit, wo es weder Duschen noch Toiletten mit Spülung gab, genießen würde, wenn man ihr ein warmes Bad bereitete. Doch ihre erst kürzlich gemachten Erfahrungen ließen sie das milchige Wasser wie ein Säurebad fürchten.
Tatsächlich war ihr Widerstand nicht unerheblich, als man sie in die reinigenden Fluten zwingen wollte, obwohl sie immer noch ziemlich schwach auf den Beinen war. Sie würde da trotzdem auf keinen Fall reingehen. Egal, warum. Egal, für wen!
Es bedurfte mehrere Schläge mit dem Rohrstock auf Vals immer noch empfindlichen und vernarbten Rücken samt harscher Drohungen, um sie schließlich dazu zu bringen, doch noch ins Wasser zu steigen und erneut das Rubbeln und Reiben über sich ergehen zu lassen.
Abermals wurde ihre Haut wie kostbares Tafelsilber auf Hochglanz poliert und mit Ölen eingerieben. Man trocknete ihr das Haar, bearbeitete es mit duftenden Essenzen und verpasste ihr eine Frisur, von der sich selbst Ceara noch etwas abschauen konnte, obwohl sie das Mädchen für sehr talentiert in Sachen Flechtfrisuren hielt. Danach zwang man sie in ein bedeutend edleres Kleid, das kaum mehr Stoff als ihre schlichte 'Arbeitskleidung' hatte, doch aus einem viel weicheren, durchsichtigeren Material bestand, das dieses Mal nicht im Geringsten etwas vor den Blicken anderer verbarg.
Ein eigener kurzer Blick genügte und Val konnte ihre dunklen Brustwarzen und die Kontur ihres Körpers durch den weißen Stoff so stark hindurchleuchten sehen, dass sie genauso gut nackt hätte sein können. Vor allem, da die beiden Beinschlitze dieses sogenannten Kleides bis zu ihrer Taille hochreichten, um die man ihr schließlich einen verzierten Gürtel legte, um völlig überflüssigerweise auch noch ihre Figur besser zu betonen. Das ganze Ensemble wurde am Ende mit einem metallenen Sklavenring um ihren Hals abgerundet.
Ein letzter prüfender Blick durch ihre Aufseherin und sie war fertig.
Während Val von dem verdammten Weib in diesem Hauch von Nichts vor den Augen anderer Sklaven durch die Flure geschleift wurde, obwohl ihre wackeligen Beine sie vor Schwäche kaum tragen konnten, begann sich nach und nach abgrundtiefes Grauen in ihr auszubreiten.
Sie brauchte sich nicht erst auszumalen, warum man sie schon wieder so gründlich gebadet oder für wen man sie so zurechtgemacht hatte. Es gab in diesem Haus schließlich nur einen einzigen Wichser, dem es ohne Weiteres gestattet war, sich an den Sklavinnen zu vergreifen.
Eben jenes perverse Schwein, das sich bereits an Vanadis und auch an Kore vergriffen hatte. Mit großer Wahrscheinlichkeit auch an Ceara.
Und nun, da ihre so kostbar gehütete Jungfräulichkeit während irgendeines satanistischen Rituals geopfert worden war, gab es keinen Grund mehr für die Eiskönigin, Val vor den Abartigkeiten ihres Ehemanns zu schützen. Es sei denn, das Miststück hatte noch andere Pläne mit ihr.
Vals Beine gaben unvermittelt unter ihr nach. Sie verdankte es allein dem eisernen Griff um ihren Oberarm, dass sie nicht der Länge nach auf dem Boden aufschlug. Aber was hätte das schon ausgemacht?
Sie hatte kaum die Zeit gehabt, um die Ereignisse der vergangenen Nacht zu verarbeiten und schon sollte sie sich einer neuen Hölle stellen?
Die Sklaventreiberin verpasste ihr eine schallende Ohrfeige, zog sie unter wüsten Beschimpfungen, von denen Val keine einzige verstand, wieder auf die Füße und voran in Richtung Küche.
Dort wurde ihr in einer Art morbidem Déjà-vu ein Tablett mit einem Weinkrug und den dazupassenden Becher in die Hände gedrückt. Dabei schlug Vals Aufseherin einen so bedrohlichen Tonfall an, dass kleine Speicheltröpfchen durch die Luft flogen. Scheinbar hatte auch sie nicht vergessen, was Val beim letzten Mal mit den Gegenständen in ihren Händen angerichtet hatte.
Als würde sie es auch nur wagen, noch einmal auf den Perversen loszugehen! Nicht, nachdem Vanadis mit ihrem Leben dafür bezahlt hatte ...
Val klammerte sich regelrecht an das kleine Tablett, während sie auf wackeligen Beinen vorwärts stakste und der Sklaventreiberin widerwillig folgte. In eine Richtung, die absolut nichts Gutes für sie verhieß.
Es war weniger die Angst, etwas zu verschütten oder das Ganze fallenzulassen, als vielmehr die aufwallende Panik in ihr, die sie das Tablett so fest umklammern ließ, als hinge ihr Leben davon ab.
Nein, ich kann das nicht!
Val stolperte beinahe über ihre eigenen Füße, als die Welt in einem Anflug von purer Verzweiflung vor ihren Augen verschwamm.
Im letzten Moment konnte sie sich noch einmal fangen und hastig wieder aufholen, bevor die verdammte Sklaventreiberin ihr tatsächlich mit dem Rohrstock Beine machte.
Ein verräterisches Schluchzen unterdrückend wischte Val ihr Gesicht an dem Stoff auf ihren Schultern so gut wie möglich trocken und versuchte sich zusammenzureißen.
Sie würde auf keinen Fall zulassen, dass sie sich vor dem Arschloch eine Blöße gab, also straffte sie sich noch ein letztes Mal, bevor sie kaum eine Minute später hinter ihrer Aufseherin das Arbeitszimmer des Perversen betrat.
Zu Vals Erleichterung hob er nur kurz den Kopf von dem Papierkram, der vor ihm auf dem Schreibtisch ausgebreitet war, und widmete dann seine Aufmerksamkeit wieder seinen Geschäften. Er hatte bei ihrem Anblick noch nicht einmal die kleinste Miene verzogen, was sie hoffen ließ.
Die Sklaventreiberin gab ihr ein stummes Zeichen, dem Perversen den Weinbecher zu füllen, was Val nach kurzem Zögern auch tat, obwohl alles in ihr sich dagegen sträubte, auch nur einen Schritt auf das Arschloch zuzugehen.
Sie schaffte es ohne besondere Vorkommnisse, den Becher zu füllen und auf einem freien Platz auf dem wuchtigen Tisch abzustellen.
Gerade, als sie sich wieder zurückziehen wollte, schenkte das griesgrämige Weib ihr einen giftigen Blick und deutete lautlos an eine Stelle an der Wand schräg hinter dem Perversen.
Val verstand nur zu gut, hatte sie doch in den letzten Wochen unter der Fuchtel der Eiskönigin sehr genau gelernt, wo ihr Platz war.
Kaum, dass sie ihren zugewiesenen Posten eingenommen hatte, verpisste sich die Sklaventreiberin auch schon und ließ Val mit dem perversen Arschloch, zwei Wachen und seinem persönlichen Leibsklaven, der wohl das männliche Äquivalent zu Briseis darstellte, allein.
Das Tablett mit Müh und Not vor sich balancierend versuchte Val ihre flatternden Nerven zu beruhigen und ihren Puls wieder runterzubringen, was ihr selbst nach einer geschätzten Stunde noch nicht gelingen wollte. Erst recht nicht, da sie permanent von der Wache Cicero, der heute wohl zum Dienst beim Perversen eingeteilt war, angestarrt wurde, als wäre sie ein saftiges Stück Braten und er regelrecht am Verhungern.
Einzig und allein die Tatsache, dass er sie nicht anrühren durfte, schaffte es, dass sie ihn weitestgehend ignorieren konnte – was ihr bei seinem Herrn jedoch absolut nicht gelingen wollte.
Jede noch so kleine Bewegung von ihm, jedes Kratzen auf eine der Wachstafeln, oder wenn er einen Schluck Wein trank, ließ sie immer wieder innerlich zusammenzucken.
Das Gefühl der Anspannung und Angst, das Zittern und die verkrampften Muskeln in ihrem Bauch waren ihr nur zu vertraut, erinnerte es sie doch sehr stark an die Nächte, als sie ängstlich bangend voller Wut und Abscheu im Bauch unter ihrer Bettdecke gekauert und auf die Besuche ihres Stiefvaters gelauert hatte.
Oft war er an ihrem Zimmer vorbeigegangen und in das elterliche Schlafzimmer verschwunden, um es mit Vals Mutter zu treiben oder direkt schlafen zu gehen, doch manchmal ... hatte er noch einen mehr oder weniger kleinen Abstecher in ihr Zimmer eingelegt.
Sie hatte nie gewusst, wann er sie wieder besuchen würde. Das Einzige, was sie mit Sicherheit hatte sagen können, war der Umstand, dass es immer ein nächstes Mal geben würde.
Erst mit seinem Tod war das anders geworden. Doch Val hatte noch viele Tage danach gebraucht, um wirklich zu begreifen, dass er sie nie wieder anfassen würde. Letztendlich hatte sie erst im Waisenhaus wieder richtig durchzuatmen gelernt.
Die Enge in Vals Brust, die ihr nun das Atmen schwermachte, war ihr daher nicht neu, aber sie gab ihr einen deutlichen Vorgeschmack auf das Grauen, das ihr unweigerlich bevorstand, und ließ sie an jenes denken, das bereits hinter ihr lag.
Val schloss für einen Moment die Augen und versuchte sich zu sammeln.
Sie hatte diese beschissene Nacht mehr oder weniger gut überstanden, obwohl Alexey ihr wirklich verdammt wehgetan hatte. Das Gefühl, wie er gewaltsam in sie eingedrungen, sie regelrecht zerrissen hatte, würde sie nie wieder vergessen können, hatte es sich immerhin tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. Doch zu ihrem eigenen Erstaunen hatte sie die Berührungen dieses riesigen Kerls nicht nur überlebt, sondern fühlte auch nach dieser gewaltsamen Zusammenkunft keinerlei schmerzhafte Nachwirkungen.
Es war ihr schon in Alexeys Kammer aufgefallen, als sie die Decke zurückgeschlagen und nach dem Grund für das viele Blut in seinem Badewasser gesucht und ihre eigene Unversehrtheit vorgefunden hatte.
Sie war zwar bestimmt keine Jungfrau mehr, doch eigentlich hätte sie gerade deshalb wund und aufgerissen sein müssen. Es hätte ihr selbst jetzt noch Schmerzen bereiten müssen, doch stattdessen war das Gefühl zwischen ihren Schenkeln ... Es fühlte sich an, als hätte sie Sex gehabt. Richtig guten Sex. Sex, der auch noch Stunden später an den entsprechenden Stellen nachprickelte ...
Das Scharren von Stuhlbeinen riss Val so heftig aus ihren Gedanken, dass ihr beinahe der Weinkrug von dem Tablett gehüpft wäre, hätte sie ihn nicht noch in letzter Sekunde mit einer Hand festgehalten.
Der Perverse streckte sich ausgiebig in seinem Stuhl, stöhnte und ächzte, bevor er die ganzen Wachstafeln und Schriftrollen auf seinem Schreibtisch einsammelte. Ein paar davon drückte er seinem Leibsklaven in die Hände und gab ihm dazu Anweisungen, bevor der sich ergeben vor seinem Herrn verbeugte und den Raum verließ.
Nachdem der Wichser auch noch akribisch die Arbeitsutensilien auf seinem Tisch neu ausgerichtet hatte, als hätte er irgendeinen Ordnungsfimmel, griff er zu seinem Becher und hielt ihn Val auffordernd entgegen, ohne sie auch nur anzusehen: „Wein.“
Sie war wie erstarrt. Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals, und jedes einzelne Pochen davon dröhnte ihr so laut in den Ohren, als würde nicht unweit jemand Sprengladungen zünden. Val war völlig unfähig, auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen.
Nachdem sie nicht gleich auf seine Aufforderung reagierte, drehte der Perverse sich nun doch halb zu ihr herum.
Sein Blick fühlte sich an, als würde sie ein Bad in flüssigem Stickstoff nehmen und gleichzeitig durch einen Abwasserkanal schwimmen.
Val schauderte es vor Ekel, während eine Gänsehaut ihren gesamten Körper überzog und zu allem Überfluss auch noch ihre Brustwarzen dazu anregte, strammzustehen.
Diese nicht gerade unauffällige Tatsache entging dem Perversen keineswegs, was das kurze Aufflackern in seinen kalten Augen nur bestätigte.
„Komm her!“
Nein!
Widerstand regte sich in Val, sodass sie trotz ihrer schlotternden Knie und dem Zittern in ihren Händen das Kinn eine winzige Spur anhob. Sie versuchte daran zu denken, dass sie vielleicht eine Scheißangst vor ihm hatte, oder besser gesagt, vor dem, was er ihr antun würde, aber es noch viel mehr Gründe für sie gab, ihn zu hassen und ihm ans Leder zu wollen. Sogar sehr viel mehr Gründe, obwohl Vanadis' Tod allein schon ausgereicht hätte.
Der Gedanke daran, wie sie das Tablett abstellte, den Gürtel von ihrer Taille nahm und ihn stattdessen um den Hals dieses Arschlochs legte, um ihm das Leben aus dem Körper zu pressen, war geradezu beflügelnd.
Zwar durfte sie dem Wichser kein einziges Haar krümmen, doch sie würde den Teufel tun, und sich von ihm unterkriegen lassen. Es gab schließlich nichts, was er ihr antun könnte, das sie nicht schon erlebt hätte!
Es würde schlimm werden. Wirklich schlimm, aber sie hatte nicht vor, vor dem verfickten Arschloch klein beizugeben.
Mit einer Entschlossenheit, die sie eigentlich nicht empfand, ging Val dem Anschein nach furchtlos zu ihm, nahm den Weinkrug zur Hand und schenkte dem Perversen mit ruhigen Fingern nach. Dabei war sie sich seines eindringlichen Blicks jederzeit bewusst.
Gerade, als sie wieder an ihren Platz zurückkehren wollte, packte er ihr Handgelenk und hielt sie fest, während er einen ausgiebigen Schluck von seinem Becher nahm und sie dabei keine Sekunde aus den Augen ließ.
Sein Blick streifte ihre kaum verhüllten Brüste, glitt Zentimeter für Zentimeter ihren Körper hinab und blieb letztendlich an dem haarlosen V zwischen ihren Schenkeln hängen.
Er konnte alles sehen. Das wusste sie, denn statt in diesen hauchdünnen Stoff hätte man sie genauso gut in Frischhaltefolie wickeln können.
Val schluckte hart und hielt sich eisern an ihrem Tablett fest, während sie die Musterung des Perversen so reglos wie möglich über sich ergehen ließ.
Schließlich, als er für den Moment genug gesehen und den Becher leergetrunken hatte, stellte er ihn auf das Tablett zurück und stand auf.
Val wollte automatisch einen Schritt vor dem Perversen zurückweichen, doch er hielt immer noch ihr Handgelenk fest.
Schweigend nahm er ihr das Tablett aus den Händen, das ihre Finger nur widerstrebend freigaben, und stellte es auf dem Tisch neben sich ab, bevor er sich Val ganz zuwandte.
Ungeniert griff er in ihr Haar, zog sie mit einem Ruck noch näher an sich heran, sodass Val ihre Hände hob, als wolle sie sich von seiner Brust wegdrücken, ohne ihn jedoch zu berühren.
Sie drehte angewidert den Kopf zur Seite, spürte, wie er an ihrem Haar roch, und konnte dabei selbst nur zu deutlich seinen Geruch wahrnehmen. Er stank zwar nicht, dennoch war es ihr mehr als unangenehm, so nah bei ihm zu stehen, dass sie ihn sogar riechen konnte.
Trügerisch sanft berührte seine andere Hand ihre Wange, brachte sie dazu, den Blick wieder geradeaus auf ihn zu richten, während sein Daumen ihre volle Unterlippe nachzeichnete.
Er lächelte sie an. Beinahe charmant – hätte es auch nur im Geringsten seine kalten Augen erreicht – bevor sich seine Hand auf ihren Hals legte ... und einfach zudrückte.
Von einem Moment auf den anderen bekam Val keine Luft mehr.
Der Scheißkerl drückte ihr nicht einfach nur nachlässig die Luft ab, als wolle er ihr drohen, sondern kappte tatsächlich so gründlich jede Sauerstoffzufuhr zwischen ihrem Kopf und dem Rest von ihr, dass ihr innerhalb kürzester Zeit sowohl die Lunge als auch der Schädel zu platzen drohten.
Vals Hände krallten sich instinktiv und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen in seinen Arm, während ihre Füße verzweifelt nach ihm traten, was nur wenig Wirkung zeigte, da sie keine Schuhe anhatte und sie zu nahe stand, um ihm noch einmal ein Knie in seine Weichteile rammen zu können.
In einem kleinen Moment der Klarheit, kurz bevor die Sicht vor ihren Augen verschwamm, besann sich Val auf ihr jahrelanges Training, und anstatt noch länger Zeit mit dem sinnlosen Versuch zu vergeuden, seine Hand von ihrer Kehle zu ziehen, schlug sie nach dem Gesicht des Perversen, versuchte seine Haare, seine Ohren zu fassen zu bekommen, oder ihm die Augen auszukratzen.
Irgendetwas musste sie damit erreicht haben, denn der Wichser gab ein schmerzvolles Grunzen von sich, ehe sie mit dem Rücken voran so hart auf dem Schreibtisch landete, dass ihr der Aufprall sämtliche verbliebenen Sauerstoffreserven aus der Lunge trieb.
Ein paar wilde Herzschläge lang schien ihr Körper nicht zu wissen, wie man atmete, obwohl die Hand von ihrem Hals verschwunden war.
Oh Gott, hoffentlich hatte er nicht ihren Kehlkopf ...
Der darauffolgende Hustenanfall rettete ihr wahrscheinlich das Leben, da er ihren Körper automatisch dazu zwang, wieder nach Luft zu schnappen, obwohl es nie genug zu sein schien, egal, wie heftig sie nach Atem rang.
Keuchend und röchelnd gab es für Val in diesem Augenblick nichts Wichtigeres, als wieder richtig Luft zu bekommen, weshalb sie es nur am Rande mitbekam, wie sie grob auf den Bauch gedreht wurde, während der Perverse sie mit allen möglichen Flüchen und Beschimpfungen bedachte, die sie unmöglich an dem wilden Rauschen in ihrem Kopf vorbei verstehen konnte. Vorausgesetzt, sie hätte es überhaupt gewollt.
Er zerrte an ihrer Kleidung, was nun doch alle Alarmglocken in Val aufschrillen ließ, zog sie dann aber letztendlich am Gürtel so weit bis zur Kante des Tisches zurück, dass ihre Zehen den Boden berührten, und schob dann den Saum von diesem beschissenen Hauch von Nichts bis über ihren Hintern hoch. Kurz darauf drängte er ein Knie zwischen ihre Beine, um sie für ihn zu öffnen, während er an seiner eigenen Kleidung herumfummelte.
Obwohl sich die Welt um Val drehte, als säße sie auf einem Kreisel in voller Fahrt, und ihr Körper ihr kaum gehorchen wollte, sondern viel mehr immer noch von vereinzelten Hustenanfällen durchgeschüttelt wurde, versuchte sie sich dem Mann in ihrem Rücken instinktiv zu entziehen.
Doch kaum, dass sie sich ein paar Zentimeter von der Tischplatte hochgekämpft hatte, wurde ihre Wange auch schon so fest gegen das harte Holz geklatscht, dass sie sich schmerzhaft auf die Zunge biss und kurz darauf ihr eigenes Blut schmecken konnte.
Für einen Moment wurde Val endgültig schwarz vor Augen, ehe ihr Gehirn wieder flackernd ansprang und ihre Augen sich auf die Gegenstände vor ihrem Gesicht zu fokussieren versuchten.
Da war das Tablett mit dem Weinkrug. Diverse Schreibutensilien. Gestapelte Wachstäfelchen und Schriftrollen. Alles nicht mehr ganz so ordentlich, nachdem ihr Körper mit der Wucht eines Vorschlaghammers auf der Tischplatte gelandet war.
Vals Augen erfassten schließlich einen ganz bestimmten Gegenstand. Es sah aus wie ein hölzerner Stift ... ein Griffel, den der Wichser dazu verwendet hatte, um etwas in die Wachstafeln zu ritzen. Er lag nicht besonders weit von ihr weg, machte sogar einen kleinen Hüpfer in Vals Richtung, als das verdammte Arschloch in ihrem Rücken sich mit einem harten Stoß in sie rammte und dadurch den massiven Tisch zum Wackeln brachte.
Val presste gequält die Augenlider zusammen. Verlor für einen Moment das Bild des kleinen Stifts aus ihrem Blick, bevor sie sich umso verbissener daran festhielt.
Sie versuchte nicht daran zu denken, was gerade mit ihrem Körper passierte. Blendete alles aus, was nichts mit diesem kleinen Gegenstand zu tun hatte, und schob langsam, Stück für Stück, ihre Hand unter ihrem Körper hervor über die immer heftiger bebende Tischplatte.
Val konnte an den Fingern auf ihrem Gesicht vorbei nicht nach hinten sehen, aber den Geräuschen nach zu urteilen, war der Perverse ohnehin gerade zu abgelenkt, um mitzubekommen, was sie vorhatte.
Der kleine Griffel rollte ihr Millimeter für Millimeter immer weiter entgegen, sodass Val ihn sich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich schnappen und ohne weitere Verzögerung damit ausholen konnte.
So gerne sie das spitze Ende irgendwo in den Perversen gerammt, am besten gleich seinen Schwanz und seine Eier damit aufgespießt hätte, sie tat es nicht. Stattdessen benutzte Val das Hölzchen als Verlängerung ihres Arms und stieß damit den Weinkrug um. In genau die Richtung, in die der Rest der roten Flüssigkeit schwappen sollte.
Ein blutroter See breitete sich rasend schnell auf dem Schreibtisch aus, flutete über die kleinen Schreibgegenstände hinweg und stürzte sich zielgenau auf die sorgsam beschriebenen Schriftrollen, an denen der Wichser heute Morgen schon eine ganze Weile gesessen hatte.
Dass er ruckartig von ihr abließ, war für Val die Bestätigung, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatte, und das Geschreibsel anscheinend genauso wichtig für den Perversen war wie das Zeug, das auf dem Schreibtisch der Eiskönigin herumlag.
Über sie hinweg versuchte er noch mit hastigen Bewegungen seine kostbaren Schriftrollen zu retten, doch die sahen inzwischen wie halb vollgesogene Riesentampons aus und dürften somit ruiniert sein.
Val verspürte keinen Triumph über diesen kleinen Sieg, wenn man es denn überhaupt so nennen konnte. Sie kam auch nicht mehr dazu, etwas anderes als den allumfassenden Schmerz in ihrem Körper zu empfinden, da sie im nächsten Moment brutal an den Haaren in die Höhe gerissen und so hart gegen die nächste Wand gestoßen wurde, dass der Aufprall ihr endgültig das Bewusstsein raubte.