Das Urteil war verkündet. Der Tod am Kreuz würde ihre Strafe sein, doch zuvor musste sie für ihre lästerlichen Worten den Göttern gegenüber am Pranger Buße tun.
Val war unschuldig, doch egal wie oft sie ihre Unschuld auch beteuert hatte, niemand mochte ihr Glauben schenken und so wurden ihr vor den Augen der aufgebrachten Menge die Kleider vom Leib gerissen und ihr nacktes Antlitz den hasserfüllten Blicken der Menschen ausgesetzt.
Es war beinahe ein kleiner Trost, als sie sich von dem Anblick schließlich abwenden konnte und stattdessen vor den Pranger geführt wurde.
Das Holz der massiven Säule war rau und ganz fleckig vom getrockneten Blut der unzähligen Bestrafungen, das selbst der Regen nicht mehr hatte reinwaschen können.
Val konzentrierte sich ganz besonders auf eine bestimmte Kerbe im Holz, während man ihr die Hände an einem Eisenring hoch über ihren Kopf festband. Sie wollte das Instrument des Schafrichters – eine mehrgliedrige Peitsche, an deren Enden kleine Metallblättchen im Sonnenlicht geglänzt hatten – nicht noch einmal sehen. Allein die Erinnerung daran ließ sie angstvoll erschaudern.
Als die Bestrafung schließlich begann, verstummte die bis dahin tobende Menge in erwartungsvoller Spannung auf ihren ersten Schmerzensschrei.
Val schloss gequält die Augen und harrte aus.
Der erste Hieb glich dem Biss einer wilden Bestie, die ihr mit ihren scharfen Zähnen das Fleisch von den Knochen riss.
Schmerz ergoss sich wie Höllenfeuer über Vals Rücken und sie schrie ... und schrie, selbst dann noch, als sie aus ihrem Alptraum hochfuhr, nur um festzustellen, dass ihr Rücken immer noch wie Feuer brannte und man sie an Händen und Füßen festhielt, um noch mehr von der wie Säure brennenden Flüssigkeit über die offenen Wunden zu gießen.
„Nein! Bitte nicht! AUFHÖREN!“ Val versuchte sich mit aller Kraft gegen die Hände zu wehren, die sie mit dem Bauch voran auf einer harten Unterlage festhielten, während man ihr dieses nach Kräuter stinkende Teufelszeug ein weiteres Mal über den geschundenen Rücken goss und der Schmerz abermals unerträglich wurde.
Sie war viel zu schwach und selbst das Schreien fühlte sich für ihren schmerzenden Hals wie kleine Rasierklingen zwischen ihren Stimmbändern an, dennoch kämpfte sie weiter, bis man sie ein Stück zur Seite drehte und ein älterer Mann in ihr Blickfeld kam. Er hielt einen tönernen Becher in der Hand und führte ihn an ihre Lippen.
Auch ohne seine Worte zu verstehen, war klar, dass sie davon trinken sollte, doch Val hielt ihren Mund fest geschlossen und weigerte sich, auch nur einen Tropfen davon zu sich zu nehmen.
Der Mann bedrängte sie nicht weiter, sondern schien für einen Moment zu überlegen, wobei sich seine buschigen grauen Augenbrauen fast in der Mitte seiner gebräunten Stirn trafen.
Seine klaren braunen Augen zeugten von einem wachen Verstand und waren zugleich von unzähligen Lachfältchen umgeben, die sich mit den Jahren tief in seine Haut eingegraben hatten.
Eigentlich machte er gar keinen so durchtriebenen Eindruck auf sie. Zumindest war es das erste freundliche Gesicht, das sie seit ihrer Hinrichtung gesehen hatte.
Ihre Hinrichtung ...
Val verzog noch gequälter das Gesicht, als es ihr einen schmerzhaften Stich in die Schläfe gab, während sie für einen Augenblick die Orientierung verlor. Für einen Moment wusste sie nicht mehr, was Traum und was Wirklichkeit war. Doch dann rückte die Erinnerung an das Gefängnis und die Giftspritze wieder in den Vordergrund und sie tat die bruchstückhaften Bilder und Eindrücke als bloße Einbildung ab. Immerhin wurde heutzutage keiner mehr ans Kreuz genagelt. Zumindest nicht in Texas.
Val schaute wieder hoch, als die kühle Hand des Mannes sich wohltuend auf ihre heiße Stirn legte. In der anderen hielt er eine gebogene Nadel, an der ein dunkler Faden hing und die ihr anscheinend etwas sagen sollte, doch sie verstand nicht.
Der Mann ließ sich davon nicht unterkriegen, stattdessen nahm er seine Hand von ihr und deutete damit auf seinen Rücken, bevor er mit der anderen Nähbewegungen imitierte.
Val nickte einmal vorsichtig, aber mehr als skeptisch. Anscheinend wollte er die Verletzungen an ihrem Rücken nähen, wenn sie ihn richtig verstanden hatte.
Sein erfreutes Lachen ließ sie erschrocken zusammenzucken und sofort wurde seine Miene entschuldigend, bevor er ihr dieses Mal sehr viel nachdrücklicher den Tonbecher entgegenhielt.
Sie überlegte fieberhaft. Sollte sie es tatsächlich riskieren, sich noch hilfloser zu machen, als sie es momentan ohnehin schon war? Konnte sie diesem Mann, der auf sie wie ein Arzt wirkte, tatsächlich vertrauen? Andererseits waren die Schmerzen grauenvoll und würden beim Nähen noch sehr viel schlimmer werden. Das war auf jeden Fall etwas, worauf sie verzichten konnte.
Im Endeffekt war es ohnehin egal, ob sie das Zeug schluckte oder nicht. Val war bereits am Boden. Noch weiter bergab konnte es wohl kaum noch gehen. Bestenfalls half es ihr, das alles leichter zu ertragen und im schlimmsten Fall würde sie nie wieder aufwachen und ihre Henker hätten gewonnen.
Sie war dem Tod bereits einmal von der Schippe gesprungen. Vielleicht gelang ihr das auch noch ein weiteres Mal.
Entschlossen öffnete Val schließlich ihre Lippen und trank trotz ihrer engen Kehle das Zeug im Becher bis auf den letzten Tropfen aus. Danach wartete sie ab, was passierte und bemerkte dabei nicht einmal, wie sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf glitt.
***
Als sie erneut zu sich kam, war sie zu schwach, um auch nur die Augen zu öffnen, und Val fühlte sich so elend wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Sie lag immer noch auf dem Bauch gedreht auf einer harten Matratze, dick eingehüllt in mehreren Stoffschichten und dennoch fror sie erbärmlich, während ihr Gesicht glühte.
Ganz offensichtlich hatte sie Schüttelfrost und auch Fieber, doch so wie sich ihr geschwollener Hals und ihre verstopfte Nase anfühlten, kam das wohl von einer Erkältung und nicht von den Wunden an ihrem Rücken.
Das Wissen hätte sie vielleicht etwas beruhigen sollen, doch im Moment fühlte sie sich einfach zu schrecklich, um irgendetwas anderes zu empfinden.
Ihr Nacken war von der verdrehten Haltung ganz steif und schmerzte, weshalb Val nicht lange überlegte, bevor sie versuchte, sich auf die Seite zu drehen.
Oh, fuck!
Es war schlimmer, als sie angenommen hatte. Allein die kleinste Bewegung verursachte ihr Höllenqualen und war dazu noch völlig umsonst. Denn obwohl sie es trotz der starken Schmerzen mehrmals versuchte, schaffte sie es dennoch nicht, sich auch nur ein paar Zentimeter zu drehen.
Das Ergebnis ihrer sinnlosen Bemühungen war nicht nur ein Rücken, der sich anfühlte, als würde man auf ihn einstechen und ihn zugleich anzünden, sondern auch hämmernde Kopfschmerzen, die so übel waren, dass ihr kurz darauf schwindelig und dann auch schlecht wurde.
Obwohl Val mit aller Macht versuchte, den Würgereiz zu unterdrücken, war es doch vergebliche Mühe. Sie schaffte es gerade einmal, ihren Kopf so weit über den Rand ihrer Matratze zu bringen, dass sie auf den Boden zielte, während unsichtbare Hände ihren Magen unbarmherzig auswrangen, bis sie schwer keuchend liegenblieb und das ansteigende Fieber ihr von neuem die Sinne raubte.
***
„Was ist dein Anliegen, Rashad?“ Hedera sah nur kurz zu dem kahlköpfigen Ägypter auf, der zwar mit Abstand der beste Medikus war, den sie bisher in ihre Dienste genommen hatte, aber leider auch bei weitem der Störrischste. Wäre er nicht dazu in der Lage, die wunderlichsten Dinge zu vollbringen, sie hätte ihn schon längst für sein vorlautes Mundwerk vor die Tür gesetzt.
„Ich benötige deine Erlaubnis, um morgen den Markt zu besuchen. Meine Vorräte an Kräutern und Tinkturen sind inzwischen beinahe aufgebraucht.“
Zumindest kam er schnell auf den Punkt.
Hedera ließ ihn dennoch warten, während sie den letzten Absatz auf der kleinen Wachstafel in ihren Händen zu Ende las, bevor sie ihre Unterschrift darunter setzte und sie an ihren Sekretär Titus weiter gab, der ihr sogleich eine kleine versiegelte Pergamentrolle in die Hände legte. Diese ließ sie allerdings ungeöffnet auf dem Schreibtisch liegen und griff stattdessen nach ihrem Weinbecher, während sie sich etwas bequemer in ihrem Sessel zurücklehnte und Rashad überlegend musterte.
„Warst du nicht erst vor einem Monat auf dem Markt, um deine Vorräte aufzufüllen?“
„Gewiss, Domina.“ Rashad neigte ergeben den Kopf und ließ sich von ihrem kühlen Tonfall keineswegs einschüchtern.
„Jedoch benötigte ich eine Menge Kräuter, um die junge Spanierin zu heilen. Sie war sehr krank, ist nun aber wieder beinahe vollständig genesen, während ich nun mein ganzes Können für das ausgepeitschte Mädchen aufbringen muss.“
Rashads Tonfall verriet seine Missbilligung, jedoch war er nicht so dumm, Hedera oder Vorenus etwas offen vorzuwerfen. Schließlich war die Sklavin ihr Eigentum und somit konnten sie mit ihr machen, was sie wollten, egal wie unmenschlich es auch war.
„Ist sie denn immer noch nicht wieder auf den Beinen? Immerhin hatte sie eine Woche Zeit, um sich von der Bestrafung zu erholen. Andere stünden bereits wieder auf dem Felde!“
Völlig überraschend entkam Alexey ein kehliges Knurren, das zum Glück zur Gänze von seinem Helm verschluckt wurde, bevor er seine Beherrschung widererlangen konnte.
In letzter Zeit drohte sie ihm viel zu oft zu entkommen, aber allein die Anspielung darauf, dass die kleine Kriegerin ebenso zäh wie ein ausgewachsener Feldsklave sein müsste, genügte, um seine ständig schwelende Wut von neuem hochlodern zu lassen.
„Vergib mir, Domina, aber das ist sie nicht. Sei versichert, dass ich ihre Verletzungen so gut ich konnte versorgt habe, aber sie war bereits bei ihrem Kauf in einem schlechten Zustand, der sich inzwischen um das Vielfache verschlimmert hat. Wenn sie nicht weiter die Kräuter bekommt, die das Fieber im Zaum halten und ihr dabei helfen, gegen die Krankheit anzukämpfen, dann fürchte ich, dass sie nicht durchkommen wird.“
Bei den verfluchten Göttern, nein!
Alexey wankte, wie es die Welt plötzlich um ihn herum tat, bevor er sich wieder in den Griff bekam, doch da war es bereits zu spät. Nicht nur der Medikus, sondern vor allem Hedera hatte bereits den Blick auf ihn gerichtet, obwohl es eine seiner Aufgaben war, so gut wie unsichtbar zu sein.
Er hatte sich verraten. Dafür würde er bitter bezahlen müssen.
Hedera indes fuhr unbeirrt fort, ohne sich etwas anmerken zu lassen. „Nun gut. Dann besorg die Kräuter und alles, was du benötigst, um die Sklavin wieder auf die Beine zu bringen und ich erwarte von dir, dass du mir von jetzt an einen täglichen Bericht über ihren Zustand ablieferst.“
„So sei es, Domina.“ Rashad verbeugte sich demütig und verabschiedete sich, nicht jedoch ohne beim Hinausgehen noch einmal einen flüchtigen Blick auf Alexey zu werfen.
Kaum dass der Medikus gegangen war, erhob sich Hedera von ihrem Stuhl und trat an ihn heran. Mit schief gelegtem Kopf musterte sie ihn, mit ihren beinahe schwarzen, seelenlosen Augen, ohne dass auch nur die kleinste Gefühlsregung auf ihrem Gesicht zu lesen gewesen wäre.
Es kostete Alexey alles an Selbstdisziplin, die er aufbringen konnte, um ruhig und gleichmäßig weiter zu atmen und sich nichts anmerken zu lassen, obwohl er es abgrundtief hasste, wenn sie ihn so ansah, als könnte sie direkt in seine verdorbene Seele blicken.
Beinahe wäre er zurückgezuckt, als sie plötzlich ihre Hand hob, um sie ihm auf seinen Hals zu legen, direkt auf das heftige Pochen unter seiner feuchten Haut. Einen Moment lang verharrte sie in dieser Haltung, ehe ihre Finger unter den Helm glitten und auf seiner Wange liegen blieben.
Es war Hederas Daumen, der schließlich seine Lippen teilte und die obere Reihe seiner Zähne entlangfuhr, bis er auf einen von Alexeys zur Gänze ausgefahrenen Fangzähnen stieß.
Ihre Reaktion war so subtil wie vernichtend, als sie sich mit einem Lächeln zart auf die Unterlippe biss und schließlich von ihm abließ.
„Titus!“
Ihr Sekretär war sofort zur Stelle.
„Lass die kleine Spanierin, die ich vor kurzem erworben habe, gebadet und wohl duftend in mein Zimmer bringen und sag den anderen, dass ich den Rest der Nacht nicht gestört werden möchte.“
„Wie du wünschst, Domina.“ Auch der Sklave verneigte sich demütig, ehe er den gleichen Weg wie Rashad nahm.
„Und was dich betrifft“, Hedera zog eine Spur mit ihrem Zeigefinger über seinen nackten Brustkorb, ehe sie sich ihn unter die Nase hielt und daran schnupperte.
„Du kannst ebenfalls gehen. Ich sehe dich dann in meinen Räumen. Wasch dich, aber nicht zu gründlich. Ich will, dass dir der Duft deines ausgehungerten Körpers auch weiterhin anhaftet. Das dürfte bei der kleinen Spanierin recht nützlich sein. Du verstehst?“
Alexey schloss die Augen, um das Lächeln dieser falschen Schlange nicht länger mit ansehen zu müssen, bevor er sich steif vor ihr verneigte, um ihren Befehlen nachzukommen.
Heute Nacht würde wieder ein Mädchen sterben.