Im steten Rhythmus von Alexeys Herzschlag schlief Val ungewöhnlich gut. So sehr, dass sie zunächst gar nicht richtig wach wurde, als er sich unter ihr bewegte, sie für einen Moment alleine ließ und dann erneut wie ein kleines Kind hoch und an seine Brust hob.
Val bekam kaum mit, wie er sie aus seiner Kammer trug, über den schwach beleuchteten Gang an den Türen der Sklavenquartiere vorbei zu eben jener, wo dahinter Ceara schlief.
Erst, als Val das Gefühl hatte, zu fallen und sie auf ihren Strohsack gelegt wurde, wurde sie schlagartig wach und klammerte sich instinktiv an Alexeys Tunika fest. Panisch sah sie sich um. Es war ziemlich dunkel, da nur schwach das Licht der Fackeln vom Flur zur Tür hereinfiel, doch das alleine war es nicht. Alexey hatte sie zurückgebracht. Er hatte sie aus seiner schützenden Kammer fortgetragen und so wie es aussah, schickte er sich nun sogar an, zu gehen.
Vals Hände klammerten sich nur noch mehr in den dünnen Stoff und hielten sich daran fest, als hinge ihr Leben davon ab. Sie war noch nicht ganz da. Ihre inneren Schutzmauern waren noch völlig unten. Sie war noch nicht bereit, sich der Scheiße zu stellen, die sie hier erwartete!
Alexey kniete sich neben ihren Strohsack und umfasste mit seinen riesigen Händen ihre zarten Fäuste. Er trug wieder seinen Helm, sodass sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnte, doch die Art, wie seine Daumen über ihre Haut strichen, war nicht falsch zu verstehen. Er versuchte sie zu beruhigen und allein die Tatsache, dass er sich nicht einfach von ihr losmachte, um sofort zu verschwinden, half ihr dabei, sich tatsächlich wieder etwas zu sammeln.
Val wusste doch, dass sie nicht bei ihm bleiben konnte. So, wie sie schon nach der ersten Nacht in Alexeys Kammer nicht hatte dort bleiben können. Doch wenn man bedachte, was kurz darauf geschehen war, war es wohl verständlich, wieso Val solche Panik davor hatte, von Alexey allein gelassen zu werden. Denn wenn sie eines inzwischen mit absoluter Sicherheit begriffen hatte, dann war es die Tatsache, dass er ihr niemals freiwillig etwas antun würde. Im Gegenteil. Wenn sie unter sich waren, war er unglaublich sanftmütig und zärtlich. Ganz anders, als sie ihn im Beisein der Eiskönigin erlebte.
Alexey kümmerte sich um sie. Half ihr. Spendete ihr Trost und Geborgenheit. Er beschützte sie, selbst wenn sie nicht verstand, warum er all das tat. Doch er tat es, so wie vor ihm noch nie jemand sich um sie gekümmert hatte, wenn sie es am dringendsten gebraucht hätte. Auch darum fiel es Val so unglaublich schwer, diesen Mann schließlich loszulassen. Doch sie war sich auch bewusst, dass er sie nicht grundlos hierher zurückgebracht hatte. Vermutlich brach bald der Tag an. Leben würde in diesen verfluchten Ort einkehren und somit wurde die Gefahr, entdeckt zu werden, immer größer. Denn was Alexey hier tat, geschah sicher nicht mit dem Einverständnis des Perversen oder gar dem der Eiskönigin. Was Val darauf brachte, dass Alexey eigentlich ein ziemliches Risiko für sie eingehen musste und dennoch tat er es.
„Danke“, hauchte sie schließlich leise, bevor sie ihn losließ und sich seinen Händen entzog, damit er gehen konnte. Doch Alexey nahm sich noch die Zeit, um sie richtig zuzudecken und ihr einen langen Blick zu schenken, bevor er aufstand und mit deutlichem Zögern ging. Warum fiel es ihm nur so schwer, sie zu verlassen?
***
Obwohl Val sich wirklich konzentrierte, verstand sie nur die Hälfte von dem, was Ceara sagte, die vor lauter Sorge geradezu plapperte. Ihre Freundin war gerade dabei, sich für den Tag fertig zu machen, dabei warf sie immer wieder einen sorgenvollen Blick auf Val, die wie schon die ganze Zeit über eigentlich nur auf der Seite oder dem Bauch liegen konnte. Im Moment lag sie auf der Seite, um Ceara besser sehen zu können, aber mit dem Zuhören tat sie sich dennoch schwer. Die Schmerzen waren dank dieser Kräuterpaste zumindest an ihrer Rückseite erträglicher. Doch so, wie es sich anfühlte, hatte Val auch gebrochene Rippen und ziemlich viele Prellungen. Ganz ohne Schmerzmittel beeinträchtigte das ihre Konzentrationsfähigkeit enorm.
„… froh, dass du wach …“, kam es gerade von Ceara, die es sich nicht nehmen ließ, kurz mit ihrer Katzenwäsche aufzuhören und nackt, wie sie im Moment war, zu Val zu gehen, um sie noch einmal vorsichtig in den Arm zu nehmen. Wieder liefen dem Mädchen Tränen über die Wangen, doch Val hatte inzwischen wirklich nicht mehr die Kraft, sie ihrer Freundin wegzuwischen. Ceara hatte sich wahnsinnige Sorgen gemacht, als Alexey sie so schwer verletzt zurückgebracht hatte. Davon hatte Val nicht das Geringste mitbekommen und sie fragte sich, wie es überhaupt dazu gekommen war.
Lang und breit hatte sich Ceara auch darüber ausgelassen, dass die Sklaventreiberin es nicht für nötig erachtet hatte, Val zu Rashad zu bringen, da sie offensichtlich nicht an ihren Verletzungen sterben würde. Wirklich sehr mitfühlend diese Frau, doch wenigstens hatte diese nicht erst versucht, Val auf die Füße zu zerren, wo es doch ganz eindeutig war, dass sie momentan nicht einmal alleine aufs Klo gehen konnte. Wie lange das so bleiben würde, wusste Val nicht. Doch ihre Schonfrist würde nicht lange dauern. Zumindest das wusste sie mit Sicherheit. Vermutlich, sobald sie wieder auf eigenen Beinen stand, doch was danach kam, wusste Val nicht. Sie gab sich jedoch nicht der Hoffnung hin, dass der Perverse schon mit ihr fertig war. Oh nein, er hatte gerade erst seinen schlimmsten Frust an ihr ausgelassen.
So sehr Val Ceara auch in ihr Herz geschlossen hatte, im Moment war sie wirklich froh, dass ihre Freundin bald gehen musste. Nicht, dass Val im Moment tatsächlich allein sein wollte, aber es war unglaublich anstrengend, die Starke zu spielen, um Ceara nicht zu zeigen, wie schlimm es sie wirklich erwischt hatte. Selbst vor Alexey hatte sie versucht, sich zusammenzureißen, bis es eben nicht mehr gegangen war. Doch bei ihm hatte sie das Gefühl, dass er sie dabei auffing und damit umgehen konnte. Bei Ceara war sich Val nicht so sicher. Das Mädchen hatte bestimmt genug eigene Probleme. Wer hatte die an diesem Ort nicht?
„Es geht mir … soweit gut, Ceara.“ Val strich ihrer Freundin beruhigend über den nackten Rücken und rang sich ein Lächeln ab, um sie noch mehr zu beruhigen. Wie viel Ceara wirklich von dem mitbekommen hatte, was der Perverse Val angetan hatte, wusste Val nicht. Doch wenn es nach ihr ging, musste ihre Freundin auch nicht mehr darüber erfahren, als sie ohnehin schon wusste.
Ceara nickte schließlich, zog einmal die Nase hoch und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie sich anzog und noch rasch die Haare machte. Keine Minute zu früh, denn plötzlich flog die Tür auf und das teuflische Weib von einer Sklaventreiberin stand vor ihnen. Mit unwirschen Worten und herumwirbelndem Rohrstock scheuchte sie Ceara raus, sodass diese beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert wäre und Val diesem Drecksstück am liebsten noch einmal eine Tracht Prügel verabreicht hätte. Vielleicht später, wenn sie wieder fit war …
Die Sklaventreiberin kam näher, packte Val am Kinn und musterte argwöhnisch ihr Gesicht, ehe sie ihr einfach die Decke runterriss, um mit dem Nachthemd nicht gerade anders zu verfahren, nur dass sie dieses soweit hochriss, dass Val plötzlich nackt vor ihr lag.
Das Tuch an ihrem Rücken war verschwunden und auch die Kräuterpaste war weitestgehend eingezogen. Zwar roch sie immer noch nach Kräutern, aber der Geruch des Strohsacks war dann doch stärker, sodass das bösartige Weib es nicht zu bemerken schien. Dafür musterte sie Vals Verletzungen gründlich, ehe sie ihr die Decke wieder so überzog, dass Val sich darunter hervorkämpfen musste, um Luft zu bekommen.
„Einen Tag!“, drohte das Weib und hielt Val dabei ihren Rohrstock unter die Nase. „Danach … arbeiten!“
Wenn man es denn als Arbeit bezeichnen konnte, stundenlang vergewaltigt zu werden!
Val kniff die Lippen zusammen, obwohl es wehtat und starrte die Sklaventreiberin finster an, ohne ihr eine Antwort zu geben. Kurz lieferten sie sich dabei ein kleines Blickduell, das Val gewann, denn schließlich stieß die Furie ein wütendes Schnauben aus, machte auf dem Absatz kehrt und schlug die Tür hinter sich geräuschvoll zu.
Einen Moment lang hielt Val die Fassade der rebellischen Sklavin noch aufrecht, doch dann brach diese in sich zusammen. Val begann vor Verzweiflung hektisch zu atmen, während Tränen ihr in Strömen über die Wangen flossen. Sie schluchzte heftig, obwohl das ihren gebrochenen Rippen überhaupt nicht gefiel und diese nur noch mehr schmerzten, sodass Val sich zu einem Häufchen Elend zusammenrollte und das Schluchzen zu unterdrücken versuchte, was ihr irgendwann auch gelang, doch die Tränen flossen unaufhaltsam und auch ihre Verzweiflung wuchs mit jeder einzelnen Sekunde, in der die Erinnerungen an ihre Folter sintflutartig über sie hereinbrachen.
Es war Alexey mit ihrem Frühstück, der sie schließlich in ihrem Elend fand. Sofort, nachdem die Tür zu war, stellte er die mitgebrachten Sachen weg und riss sich geradezu den Helm vom Kopf, ehe er auch schon bei Val war, um sie so umsichtig, wie ein Riese wie er nur sein konnte, in die Arme zu nehmen. Es tat weh, doch der Trost, den diese Berührung ihr schenkte, war so viel wichtiger als der körperliche Schmerz. Eben noch war sie in ihrem Kopf von dem Perversen misshandelt worden, doch sobald sie den vertrauten Herzschlag an ihrem Ohr hörte und Alexeys beruhigender Duft ihr in die Nase stieg, verblassten die Erinnerungen und Val kehrte ins Hier und Jetzt zurück.
Niemals hätte sie vor ein paar Stunden noch gedacht, dass sie sich einmal so vertrauensvoll an einen Mann drängen könnte, der nicht nur ihre Freundin getötet, sondern sie selbst auch vergewaltigt hatte. Es war vollkommen absurd, ja geradezu wahnsinnig, wenn man es rein oberflächlich betrachtete, doch Val hatte inzwischen begriffen, dass die Dinge an diesem Ort nicht so waren, wie sie zu sein schienen. Es gab weder Schwarz noch Weiß. Alles vermischte sich, doch zumindest eines schien beinahe sicher zu sein: Sobald Alexey diesen teuflischen Helm abnahm, kam sein wahres Wesen zum Vorschein. Vielleicht mochte das nicht immer zutreffend sein, doch bisher war es für Val so gewesen. Solange sie sein Gesicht sehen konnte, konnte sie auch den Mann sehen, der er im Inneren war. Zu dieser Erkenntnis war sie letzte Nacht gelangt, als sie ihm lange beim Schlafen zugesehen und sein Gesicht gründlich studiert hatte.
Alexey mochte vieles sein, aber er hatte sich ganz offensichtlich auch dazu bereit erklärt, die Rolle ihres Beschützers einzunehmen und Val nahm sie in Momenten ihrer Schwäche dankbar an.
Es brauchte eine Weile, doch irgendwann hatte sich Val wieder soweit im Griff, dass sie sich von sich aus von Alexey löste und zurück auf ihren Strohsack sank, um sich wieder richtig zu sammeln. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, benutzte eines der kleineren Tücher als Taschentuch und startete zumindest den Versuch, ihr wirres Haar etwas zu entknoten, gab es aber bald wieder auf. Es war und blieb ein hoffnungsloser Fall.
Wie auch schon in der Nacht zuvor sagte Alexey all die Zeit über kein Wort und ließ Val dabei ihren winzigen Freiraum, indem er ein wenig aufräumte und die mitgebrachten Sachen ordentlich anordnete. Was er nicht hätte tun müssen, doch er gab ihr die Zeit, um sich wieder zu fangen, was noch mehr für ihn und sein Einfühlungsvermögen sprach.
Letzte Nacht war Val noch zu schwach gewesen, doch inzwischen ging es ihr schon besser, weshalb sie sich schließlich wieder auf die Seite drehte, ihre Hände unter ihre geschwollene Wange schob und Alexey betrachtete, wie er da so in seiner riesigen Gestalt neben ihr kniete und ihre Kammer geradezu schrumpfen ließ.
„Warum … schweigen?“, fragte Val, als sie ihre Neugierde nicht länger zurückhalten konnte. Es war besser, als darauf herumzureiten, was für ein nervliches Wrack sie war und dass der bloße Gedanke an den nächsten Tag, sie vor Angst ganz verrückt machte. Sehr viel besser sogar.
Alexey setzte sich in einen Schneidersitz und richtete seine Kleidung, ehe er den Kopf hob und ihren Blick erwiderte. Val sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Vielleicht überlegte er sich gerade eine Antwort oder ob sie es überhaupt wert war, eine zu bekommen. Sie konnte es wirklich nicht sagen, doch schließlich schüttelte Alexey bedauernd den Kopf, nachdem er einen gewaltigen Seufzer ausgestoßen hatte und fasste sich an die genähten Lippen.
Vals eine funktionierende Augenbraue zog sich fragend zusammen. Was wollte er ihr damit sagen? Denn es war ganz eindeutig eine Antwort. Eine, die er auch einfach aussprechen hätte können. Schließlich konnte er sprechen. Das wusste sie nur zu genau. Was hatte sich also seit dem letzten Mal geändert? Kurz überlegte Val, bevor sie ihre Frage umformulierte: „Kannst du sprechen … im Moment?“
Alexeys Antwort kam sehr viel schneller, als sie gedacht hätte. Er nahm seine Hand wieder runter und schüttelte den Kopf.
Val konnte nicht länger so liegen bleiben. Ihr schlug das Herz plötzlich wieder wie verrückt in der Brust und sie sah Alexey besorgt aber auch ein wenig wütend an, als sie sich halb aufrichtete und leise zischte: „Wegen diesem Miststück?“
Alexey runzelte fragend die Stirn, bis Val bewusst wurde, dass sie Englisch gesprochen hatte. Also wiederholte sie die Frage in etwas abgewandelter Form. Sie tat sich schließlich ziemlich schwer damit, auf Latein Schimpfwörter zu finden, die der Eiskönigin gerecht wurden.
Alexey zögerte kurz, nickte dann aber, ehe er sich abwandte und nach der Schüssel mit dem nahhaften Brei griff, den er ihr zum Frühstück mitgebracht hatte.
Val reagierte nicht darauf, stattdessen setzte sie sich ganz auf, obwohl es ihr ihr Arsch überhaupt nicht dankte und sah Alexey fragend aber auch besorgt an. „Kann ich … helfen?“ Sie streckte ihre Hand nach seinem Gesicht aus, doch Alexey fing sie mit seiner ab und hielt sie sanft fest. Dabei schüttelte er einmal aber ruhig den Kopf. Offensichtlich wollte er ihre Hilfe nicht. Irgendwie enttäuschte sie das. Sie hätte ihm gerne irgendetwas als Gegenleistung gegeben, nachdem er ihr eine so große Hilfe war, doch wenn er nicht wollte …
Val entzog sich seiner Hand und nahm stattdessen die Schüssel mit ihrem Frühstück an sich. Inzwischen ging es ihr gut genug, um den Löffel alleine zu halten und selbstständig zu essen, was eigentlich gut war, doch auf der anderen Seite bedeutete es auch das Ende ihrer viel zu kurzen Gnadenfrist.
Auch jetzt konnte Val nicht daran denken, also fragte sie sich stattdessen, was genau die Eiskönigin Alexey angetan hatte, um ihn zum Schweigen zu bringen, und warum. Doch selbst wenn Val danach fragen würde, bekäme sie ohnehin keine befriedigenden Antworten. Alles, worauf sich ein Gespräch mit Alexey momentan beschränkte, war ein Ja und Nein. Sie konnte ihn also auch nicht so einfach fragen, warum er ihr half, aber noch wichtiger: Warum er im Moment nicht bei seiner Herrin war.
„Wie lange …“, setzte Val nach einer Weile an, formulierte ihre Frage dann jedoch so um, dass Alexey ihr auch wirklich darauf eine Antwort geben konnte. „Bleibst du hier … für Weile?“
Alexey legte ein wenig den Kopf schief und Val war beinahe enttäuscht, dass er ihr nicht sofort mit Ja antwortete, denn er könnte auch genauso Nein sagen und sie könnte nichts dagegen machen. Schließlich aber nickte er einmal vorsichtig. Anschließend deutete er kurz zur Tür, legte eine Hand an sein Ohr, als würde er lauschen und tat so, als höre er etwas, ehe er seine flache Hand vor Val ausstreckte und mit Zeige- und Mittelfinger eine laufende Figur darauf andeutete. Fast erinnerte sie das Ganze an die Pantomimenspielchen, die sie mit den Mädchen gemacht hatte, um ein wenig besser Latein zu lernen.
„Also … wenn jemand kommen … du gehst?“, wollte sie zur Sicherheit wissen, bevor Alexey ihr eine weitere Breitseite seines Lächelns gab und noch einmal nickte. Er zeigte dabei zwar keine Zähne und es war immer noch ein sehr schwaches Lächeln, dennoch hätte Val beinahe ihren Löffel fallen gelassen, als sie es so unvermittelt von ihm geschenkt bekam. Wären die Schnitte und Nähte nicht, hätte er bestimmt ein sehr schönes Lächeln.
„Warum?“ Die Frage war raus, ehe Val sie aufhalten konnte. Wieder sah Alexey sie fragend an, also meinte sie vorsichtig: „Warum hilfst du … mir?“
Das Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. Alexey senkte den Blick. Sah zur Seite. Spielte mit den Fingern an einer Falte seiner Tunika und sah dadurch sehr viel jünger aus, als er war. Beinahe wirkte er schüchtern auf sie. Aber wirklich nur beinahe, denn schließlich straffte Alexey sich und sah sie fest an. Geradezu ernst, ehe er seine rechte Hand hob und sie schließlich bedeutungsschwer in die Mitte seiner Brust legte. Was auch immer diese Geste bedeuten sollte, sie hatte eindeutig etwas mit seinem Herzen zu tun. Es war jedoch unmöglich, dass er es aus Liebe tat, denn dafür kannten sie sich nun wirklich nicht gut genug. Viel wahrscheinlicher war, dass sie ihm leidtat und er ihr deshalb half. Ja, das musste es sein. Allerdings würde Val sich davor hüten, genauer nachzufragen, also nickte sie, als würde sie verstehen und widmete sich dann wieder ihrem Frühstück.
***
Wenn Alexey eines sehr genau wusste, dann war es die Tatsache, dass er Valeria zwar ohne Mühe anlügen könnte, es dennoch nicht wollte. Also sagte er die Wahrheit. Oder versuchte sie zumindest mit Gesten auszudrücken, da ihm die Worte im Moment nicht zur Verfügung standen. Wäre es anders, er hätte Valeria gesagt, dass sie ihm sehr viel bedeutete. Ob sie es nun glauben konnte oder nicht.
Sie missverstand seine Geste allerdings oder wollte sie nicht richtig verstehen. Zwar deutete sie an, das sie verstanden hatte, doch das hatte sie nicht. Sonst wäre ihre Reaktion wohl eine andere. Zumindest hoffte der naive Teil in Alexey das, der sehr viel realistischere Teil in ihm meinte jedoch gehässig, dass es ihr auch einfach egal sein könnte. Nach allem, was er ihr angetan hatte, wäre das auch sehr viel plausibler.
Alexey war nicht gekränkt. Seiner kleinen Kriegerin zu helfen, war alles, was er tun konnte, um seine Sünden an ihr wieder gut zu machen. Uneigennützig war es zudem auch nicht, also hätte er verdient, wenn Valeria seinen Gefühlen ihr gegenüber vollkommen gleichgültig wäre.
Da Alexey nicht gehen, sondern auf seine kleine Kriegerin aufpassen wollte, blieb er einfach sitzen und starrte die Wand an, während Valeria glücklicherweise ihr Frühstück schon ganz alleine essen konnte. Für ihn wäre es nicht schwer gewesen, auf diese Weise Stunden mit ihr zu verbringen, da ihre bloße Anwesenheit ihn erfreute, doch Valeria stand offenbar nicht der Sinn nach anhaltendem Schweigen, denn als sie fast mit dem Frühstück fertig war, versuchte sie erneut ein Gespräch zu beginnen. Dabei bemüht, ihm Fragen zu stellen, die er einfach mit Ja oder Nein beantworten könnte, doch leider stellte sie nicht die richtigen Fragen.
Wie lange war er schon hier? Ein Jahr? Zwei Jahre? Drei Jahre? Mehr als zehn Jahre? Weniger als dreißig Jahre?
Sie verwarf die Frage schließlich sichtlich frustriert, was Alexey verstand, denn er gab sich auch keine Mühe, ihr bei genaueren Angaben zu helfen. Zwar wollte er sie nicht anlügen, doch die Wahrheit würde sie mit Sicherheit nicht verstehen und ihm ohnehin nicht glauben.
„Bist du ein Sklave?“, kam dann auch schon die nächste Frage, die Alexey relativ leicht beantworten konnte, also nickte er, was seiner kleinen Kriegerin ein Stirnrunzeln einbrachte. Sie fasste sich an den schmalen Ring um ihren Hals und sah ihn fragend an.
Alexey schüttelte den Kopf. Nein, er trug keinen Sklavenring. Hedera hätte das nicht gutgeheißen, da sie gerne seinen Status vor anderen verbarg. Er sollte ihr Leibwächter sein und kein Sklave, der dazu gezwungen wurde, sie zu beschützen.
Auch, wenn Valeria es mit Sicherheit nicht verstand, so deutete Alexey zuerst auf ihren Sklavenring und berührte dann einen seiner Schnitte im Gesicht. Anschließend streckte er den Arm aus, auf dem sich ebenfalls noch deutlich die Symbole auf seiner Haut abzeichneten, die ihm dort eingeritzt wurden und die er nun einzeln mit dem Zeigefinger nachzeichnete.
„Sind das …?“, begann seine kleine Kriegerin, kaute dann jedoch schweigend und nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. Offensichtlich suchte sie nach den richtigen Worten. Noch eine Barriere zwischen ihnen, von seiner fehlenden Zunge abgesehen.
Schließlich schüttelte sie den Kopf und seufzte, ehe sie die halb leere Schüssel zur Seite stellte und sich wieder hinlegte. Sie sah sehr erschöpft aus, wollte jedoch noch nicht schlafen, denn sie sah ihn weiter unverwandt an. Ihr Blick wurde dabei immer unheilvoller, obwohl sie verbissen schwieg. Sie schwieg sehr lange, als würden ihr die Worte einfach nicht über die Lippen kommen wollen, die sie so sehr beschäftigten.
Als er schon fast glaubte, sie hätte es aufgegeben, versetzte seine kleine Kriegerin ihm einen äußerst schmerzhaften Schlag, indem sie fragte: „Wolltest du … Vanadis … töten?“
Alexeys Schultern sackten herab, als würde plötzlich das Gewicht der ganzen Welt auf ihm lasten und er konnte ihren Blick nicht länger erwidern. Schuldig, betroffen und immer noch unendlich traurig schüttelte er schwach den Kopf. Wenn es nach ihm ginge, hätte er nie ein Leben nehmen wollen. Schon gar kein Unschuldiges. Doch Hedera hatte ihn zum Mörder gemacht. Diese Schuld ließ sich nicht auslöschen und sie lastete schwer auf ihm, vor allem Vanadis‘ Tod, da sie Valerias Freundin gewesen war. Er wünschte so sehr, er könnte es ungeschehen machen.
Valeria sagte nichts weiter dazu, stattdessen senkte sie ebenfalls den Blick und wandte sich schließlich von ihm ab, um sich auf die andere Seite zu drehen. Sie musste wahnsinnig erschöpft sein, denn kurz darauf war seine kleine Kriegerin auch schon eingeschlafen.
Alexey blieb bei ihr, obwohl sein Herz sich ob ihrer Reaktion wie ein zerklüftetes Gebirge in seiner Brust anfühlte, und wachte über ihren Schlaf. Sobald Valeria Anzeichen von Albträumen zeigte, weckte er sie sanft, beruhigte sie und war einfach da, bis sie wieder eingeschlafen war, doch das Gefühl in seinem Herzen blieb.
Im Laufe des Tages brachte er sie zweimal zum Abort, wobei das jedes einzelne Mal ein enormes Risiko für sie beide barg, da Alexey im Flur sich nicht auf seine Augen verlassen konnte und sein scharfes Gehör vielleicht nicht ausreichte, um rechtzeitig drohende Gefahr zu erkennen. Doch glücklicherweise schafften sie es beide Male ungesehen in Valerias Kammer zurück.
Alexey brachte ihr noch mehr zu Essen und zu Trinken, doch die meiste Zeit schlief seine kleine Kriegerin und wenn sie wach war, schwieg sie nachdenklich. Sie stellte keine Fragen mehr und Alexey fühlte sich dadurch immer elender.
Am Abend verschwand Alexey kurz bevor Ceara eintraf, was seine kleine Kriegerin für einen Moment in Panik versetzte, doch soweit Alexey hören konnte, beruhigte ihre Freundin sie.
Später, als alles schlief, holte Alexey Valeria wieder zu sich in seine Kammer, um noch mehr von der heilenden Kräuterpaste auf ihren Verletzungen aufzutragen, die er aus Rashads Vorräten entwendet hatte. Seine kleine Kriegerin erduldete die Prozedur still und leise, doch als Alexey sich anschließend neben sie auf den Boden legen wollte, brach sie endlich ihr erdrückendes Schweigen.
„Kommst du … zu mir?“, hauchte sie so leise, dass tatsächlich nur jemand wie er es hören konnte. Alexey zögerte, da er normalerweise so tun müsste, als hätte er es nicht gehört, doch schließlich kam er wieder näher, um Valeria in die Augen sehen zu können.
„Bitte …“, fügte sie noch leiser gehaucht hinzu, dabei den Blick beschämt gesenkt, dass sie überhaupt um so etwas bat. Sie war es offenbar nicht gewohnt, um Hilfe zu bitten.
Wie letzte Nacht streckte Alexey sich schließlich voll bekleidet neben seiner kleinen Kriegerin aus, zog sie wieder auf seine Brust und hielt sie fest. Dabei streichelte er ihr durchs Haar und lauschte mit schmerzhaft klopfendem Herzen ihrem Atem, bis sie eingeschlafen war, nur schlief sie nicht ein. Wieder wurde das Schweigen zwischen ihnen erdrückend, bis seine kleine Kriegerin es nach einer gefühlten Stunde dann doch brach: „Es tut mir leid, dass du … töten musst.“ Valeria legte ihre kleine Hand wieder auf seine Brust, dorthin wo sie ihn an sich gebunden hatte. „Es … ist grausam … für dich. Nicht recht …“
Seine kleine Kriegerin hob den Kopf und sah Alexey voller Mitgefühl und Trauer an. Eine einzelne Träne lief ihr über die Wange und ihre Unterlippe bebte. „Ich fühle …“ Sie strich sacht über die Stelle über seinem Herzen. „… Wahrheit. Es tut mir leid, Alexey. So leid.“
Alexey konnte sie nicht länger ansehen. Er drehte den Kopf zur Seite, sein Hals war wie zugeschnürt und sein Herz pochte so unglaublich schnell und heftig gegen ihre zarte Hand, bis Valeria sie von dort wegnahm und sie auf seine Wange legte, um sein Gesicht wieder zu sich zu drehen. Erst, als ihr Daumen etwas Feuchtigkeit von seiner Wange wischte und ihr Blick nun so unglaublich weich wurde, wie er es noch nie an ihr gesehen hatte, wusste er, dass er ebenfalls weinte.
„Ich vergebe dir.“ Sie lächelte ihn unter Tränen an.
Es war zu viel. Der Schmerz in seiner Brust schien zu bersten, der Knoten in seinem Hals wie aus massivem Fels. Alexey musste sich aufsetzen und Valeria ein wenig von sich schieben, während er sich halb zur Wand drehte und sein Gesicht hinter seiner Hand verbarg. Die andere krallte sich so hart um den Stoff der Decke, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er sagte nichts. Kein Laut entkam ihm, doch er zitterte plötzlich wie verrückt am ganzen Leib.
Auf einmal schlangen sich zierliche Arme um ihn und zogen seinen Kopf an eine weiche Brust. Alexey spürte die Finger seiner kleinen Kriegerin in seinem Haar und in seinem Nacken. Wie sie ihn streichelten und trösteten. Das Gefühl, von ihr gehalten zu werden, mochte sie noch so winzig im Vergleich zu ihm sein, war so gewaltig, dass Alexey es nicht wirklich fassen konnte. Zum letzten Mal hatte er dieses Gefühl in den Armen seiner Mutter empfunden. Das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Zuneigung und Mitgefühl.
Ohne sein bewusstes Zutun schlang Alexey auch seine Arme um seine kleine Kriegerin und drängte sich an sie. Er wollte sie nie wieder loslassen oder die Geborgenheit ihrer Nähe verlassen, also krallten sich seine Finger in den Stoff ihres Nachthemds, bis dieser schon verdächtig knackte. Allein der Gedanke, jemand könnte sie ihm in diesem Moment entreißen, brachte ihn halb um und weckte die Bestie. Seine Fänge wuchsen, seine Sinne schärften sich. Käme in diesem Augenblick jemand in seine Kammer, um auch nur anzudeuten, Valeria mit sich zu nehmen … es gäbe ein Blutbad!
***
Val hatte wirklich lange darüber nachgedacht, was es bedeutete, dass Alexey Vanadis nicht hatte töten wollen. Er hätte lügen können, doch dafür war der Ausdruck in seinen Augen viel zu intensiv und ehrlich gewesen. Es gab für sie irgendwie keine Zweifel daran. Immerhin hatte er sie noch nicht einmal vergewaltigen wollen und war dennoch durch unbekannte Umstände dazu gezwungen worden. Was das mit einem Menschen anstellte, der im Kern so voller Mitgefühl und Güte war, konnte Val sich kaum vorstellen.
Sie hatte wirklich lange darüber nachgedacht, sich einzufühlen versucht und das hatte es nicht besser gemacht. Im Gegenteil. Sie hatte ihre Gedanken am Ende nicht mehr länger für sich behalten können.
Womit Val auch immer als Reaktion auf ihre Worte gerechnet hatte, dass Alexey plötzlich völlig aufgelöst reagierte, war ihr sicher nicht in den Sinn gekommen. Aber auch das zeigte nur die verborgene Wahrheit tief in seinem Wesenskern. Er war ein guter Mensch, den man zu grausamen Dingen zwang, die schwer auf seiner Seele und auf seinem Herzen lasteten. Darum konnte Val ihn auch nicht mehr loslassen, obwohl es wehtat, wie fest Alexey seine Arme um sie geschlungen hatte. Es war jedoch nichts zu dem Gefühl, wie fertig sie das Zittern seines Körpers an ihrem machte, oder sein schwerer Atem so nah an ihrer Brust.
Val schmiegte ihre heile Wange in sein Haar, wiegte diesen riesigen Kerl sanft wie ein Baby. Zunächst summte sie nur, doch schließlich hob sich ihre Stimme zu einem leisen Wiegenlied an. Es klang irgendwie falsch in ihren Ohren. Es war nicht wirklich ihre Stimme, die normalerweise besser klang, doch es spielte im Augenblick auch keine Rolle. Val kannte das Lied auswendig, hatte sie es doch schon unzählige Male für ihre Babys gesungen, als sie noch sicher in ihrem Bauch gewesen waren und auch danach, als sie die kleinen, toten Körper im Arm gehalten und sich von ihnen verabschiedet hatte.
Das Lied bedeutete für sie Schmerz, aber auch Hoffnung und Geborgenheit. Alles, was in diesem Moment zählte, war dieses Lied und der Mann, dem sie es vorsang. Alles andere rückte mit den vertrauten Strophen in immer weitere Ferne, bis Vals eigener Herzschlag sich wieder beruhigt hatte und auch Alexeys Arme sie nicht mehr so fest hielten, dass es wehtat.
Langsam ließ er sich mit ihr zurück auf die Matratze und in sein Kissen sinken. Val schmiegte dabei ihre Stirn an seine Wange und sang immer noch leise, während sie ihn zärtlich streichelte und schließlich wieder ihre Hand auf sein Herz legte.
Val sang so lange für Alexey, bis auch sein Herzschlag sich wieder beruhigt hatte und er nicht länger am ganzen Körper zitterte. Erst, als sie wirklich nicht länger konnte, verstummte ihr Lied und Val schlief eng an Alexey gekuschelt ein.