Alexey hatte in seinem langen Leben wahrlich schon viele Dinge miterlebt. Das Meiste davon war der Stoff, aus dem Alpträume gemacht wurden. Doch der Anblick, dessen Zeuge er soeben hatte sein dürfen, wurde für ihn zu einer Erinnerung, so selten wie kostbar, und er würde sie wie einen Schatz hüten, ganz tief in sich drin an dem einzigen Ort an dem er noch er selbst sein konnte.
Die blutjunge Sklavin in seinen Armen hatte es doch tatsächlich vermocht, ihn zu überraschen. Ihn – den kaum noch etwas überraschen oder gar schockieren konnte.
Dabei hatte Alexey von dem Moment an, in dem er ihrer zum ersten Mal gewahr wurde, gewusst, dass sie etwas Besonderes sein musste.
Gewiss, sie war bildschön, obwohl sie noch ein paar Jahre Zeit brauchte, um wahrhaftig zu erblühen. Doch das war es nicht, was seinen Blick wie magisch angezogen hatte. Schöne Frauen gab es genug auf dieser Welt. Selbst Hedera gehörte ohne jeden Zweifel zu ihnen, egal wie abgrundtief hässlich und verdorben sie in ihrem Inneren auch war, weshalb er auf solcherlei Dinge auch keinen Wert legte. Nein, was ihn so faszinierte, waren ihre seelenvollen Augen in den Farben von schimmerndem Bernstein, auf dem sich Sonnenlicht brach.
Noch nie war ihm ein Mensch begegnet, so jung an Jahren, in dessen Blick man dennoch die Geschichte eines ganzen Lebens finden konnte.
Es hatte Alexey also nicht wirklich überrascht, dass sie sich nicht einfach kampflos in ihr Schicksal fügte, jedoch umso mehr die Art und Weise, wie sie es getan hatte. Einen Moment lang hatte sie ihn damit sogar an sich selbst erinnert. An damals vor so vielen Jahren, als er noch die Hoffnung hatte, den Fesseln der Sklaverei irgendwann entfliehen zu können.
Diese Hoffnung war schon längst verloren. Das Einzige, wofür er noch kämpfte, war der winzige Rest seiner selbst, den Hedera bisher noch nicht hatte brechen können. Doch selbst diesen Kampf verlor er mit jedem Tag ein Stückchen mehr.
Alexey war seines Lebens inzwischen so unglaublich müde, dass er nicht mehr wusste, wie lange es noch dauern würde, bis er sich Hedera völlig unterwarf. Doch sollte der Tag jemals kommen, dann würde er seine Seele endgültig an sie verlieren und dann hätte sie den Kampf, den sie schon über die Jahrhunderte hinweg ausfochten, gewonnen.
Wie wohltuend war es daher für ihn, zu sehen, dass es in diesem Haus noch jemand anderen gab, der sich nicht kampflos seinem Schicksal beugte, so wie alle anderen.
Der ungebrochene Kampfgeist dieser jungen Sklavin gab auch ihm wieder etwas von seiner alten Stärke zurück und das war weit mehr, als jemand sonst in all der Zeit seiner Gefangenschaft für ihn getan hatte.
War es da ein Wunder, dass er den merkwürdigen Drang verspürte, sie zu beschützen?
Denn genau das tat Alexey, als er, so schnell ihn seine Füße tragen konnten, zu ihr eilte, nachdem sie Vorenus so gewaltig vor aller Augen brüskiert hatte, dass seine Rache schrecklich sein würde.
Nach außen hin mochte es vielleicht den Anschein haben, als würde Alexey lediglich seine Pflicht als Wächter erfüllen und die Gefahr bannen, die von der kleinen Sklavin womöglich noch ausging, während er auf weitere Anweisungen wartete. Vor allem Hedera musste glauben, dass er keine Sekunde zögern würde, der Kleinen das Genick zu brechen, sollte sie das von ihm verlangen. Doch in seinem Inneren raste sein Herz wie verrückt vor Angst, dass sie genau das tun könnte.
Aber der Befehl kam nicht und Alexey konnte zumindest für den Moment etwas aufatmen. Dennoch zog er sich ein Stück vor dem Tumult zurück, der nun in vollem Gange war, damit Vorenus nicht doch noch in seiner Wut an die Sklavin herankam und etwas Unüberlegtes tat.
Seine volle Wachsamkeit auf das Chaos vor sich gerichtet, bemerkte Alexey zunächst gar nicht, wie sie sich in seinen Armen zu winden begann und etwas flüsterte.
Er hatte schon unzählige Sprachen, Dialekte und Akzente gehört, doch ihre leisen Worte blieben für ihn ein absolutes Rätsel. Nicht allerdings die Bedeutung, die er darin vermutete. Doch um wirklich sicherzugehen, gestand er ihr mehr Freiraum zu und wartete ab, ob sie nun auch ihm zu entkommen versuchte.
Nichts dergleichen geschah. Die junge Sklavin stand lediglich vollkommen reglos an ihn gelehnt da und beobachtete das wilde Treiben vor sich, während der Geruch ihrer Angst ihm immer deutlicher in die Nase stieg. Selbst durch seinen Helm hindurch konnte er ihre Gefühle wittern.
Es war nicht weiter verwunderlich. Vorenus wütete wie ein wilder Stier, während ihm immer noch Blut aus der gebrochenen Nase lief.
Lediglich die Tatsache, dass Hedera ihm im Weg stand und ihn mit ihrer bloßen Erscheinung davon abhielt, hinderte ihn daran, sich sofort auf seine Peinigerin zu stürzen. Stattdessen ließ er seinen Zorn an den anderen aus, die ihm zu Hilfe eilten. Einen der Sklaven schlug er sogar bewusstlos, obwohl dieser gerade dabei gewesen war, ihm ein feuchtes Tuch für seine langsam anschwellende Nase zu bringen.
Bei diesem Anblick zuckte die Sklavin in seinen Armen zusammen, und auch wenn es ihr nicht einmal bewusst war, drängte sie sich noch enger gegen seinen Bauch.
Ihr Körper zitterte wie das flatternde Herz eines kleinen Vogels.
Alexey hatte anfangs geglaubt, dass es hauptsächlich an der Kälte in ihren Gliedern lag, doch inzwischen hatte sie panische Angst und das nicht ohne Grund.
Wenn es ihm irgendwie möglich gewesen wäre, hätte er sie schon längst in Sicherheit gebracht. Doch er war ebenso an diesen grausamen Ort gebunden, wie sie es schon bald sein würde. Das stand nun ohne Zweifel fest, nachdem Hedera dem Sklavenhändler einen großen Beutel voll Geld in die Hand gedrückt und ihn fortgeschickt hatte, damit er nicht länger Zeuge dieses beschämenden Vorfalls wurde.
Die Götter mochten ihr beistehen.
Alexey hatte großes Mitleid mit dem kleinen Geschöpf, das man schon bald wie alle anderen brechen würde. Zugleich wuchs in ihm die Furcht heran, dass er als Werkzeug dafür dienen musste. So wie schon bei vielen anderen vor ihr.
Und dieses Mal wird es auch mein endgültiges Verderben sein, kleine Kriegerin.
Der Anfang vom Ende begann, als Hedera plötzlich zu ihm herumfuhr und mit ausgestrecktem Zeigefinger verurteilend auf die junge Sklavin zeigte.
„Bring sie ins Peristyl*! Dort wird sie lernen, was es bedeutet, zu gehorchen.“
Alexey verneigte sich voller Ergebenheit, während er sich innerlich vor Grauen wand.
***
Jetzt war es so weit, sie würde sterben. Für immer und endgültig, denn die Eiskönigin hatte gesprochen.
Val bekam keine Luft mehr.
Es war nicht etwa die schwere Hand um ihren Hals, die ihr den Atem raubte, sondern das entsetzliche Wissen darüber, dass sie ein weiteres Mal hingerichtet werden sollte. Nur dieses Mal hatte sie jemandem wirklich einen Anlass dazu gegeben, sie zu hassen, und wieder konnte sie absolut nichts dagegen tun. Dafür war sie viel zu fassungslos.
Der Riese setzte sich mit ihr zusammen in Bewegung, führte sie eilig an dem Chaos vorbei, das sie verursacht hatte, und ging mit ihr einen langen dunklen Flur entlang, der nur von wenigen Ölschalen beleuchtet wurde.
War er also dazu bestimmt, ihr Henker zu sein?
Oh Gott, nein!
„Bitte!“ Val berührte behutsam seinen Arm, mit dem er sie an seiner Seite festhielt, während der Griff seines Schwertes sich in ihr nacktes Fleisch grub. „Bitte, lass mich gehen!“
Warum sie glaubte, dass er auch nur den Gedanken daran erwägen könnte, wusste sie nicht. Doch sehr viele andere Möglichkeiten hatte sie nicht mehr.
Allerdings reagierte er nicht darauf, sondern ging einfach weiter, den Kopf stur geradeaus gerichtet.
Erst als Val sich seinem Griff zu entziehen versuchte, indem sie sich zuerst gegen ihn stemmte und dann ihr ganzes Gewicht an seinen Arm hängte, entlockte sie ihm damit eine Reaktion.
Er warf sie sich eiskalt über die Schulter.
„NEIN!“ Val begann zu schreien, während sie mit ihren Fäusten gegen seinen breiten Rücken hämmerte und als das keine Wirkung zeigte, ihre Nägel tief in sein Fleisch bohrte.
Sie wütete in ihrer Todesangst wie eine Bestie, und obwohl sein Rücken schon nach kurzer Zeit wie ein einziges Schlachtfeld aussah, schien es ihn nicht einmal zu berühren.
Also hatte sie sich geirrt, als sie geglaubt hatte, er würde sie vor den anderen beschützen. Eigentlich hätte sie sich das denken können. Aber wieso kam sie sich dann trotzdem so verraten vor?
Kühle Abendluft schlug plötzlich über ihrem nackten Hintern zusammen und ließ sie von dem Gemetzel, das ihre Fingernägel angerichtet hatten, aufsehen. Gerade durchquerten sie eine überdachte Terrasse, die zur offenen Seite hin von unzähligen Säulen gesäumt war, die sich im Dunkeln verloren. Danach sah sie sehr viel Grün und hörte ganz in ihrer Nähe sanftes Plätschern.
Er brachte sie in einen Garten?
Als der Riese sie wieder auf die Beine stellte, befand sie sich in der Mitte eines kleinen Platzes, der von Fackeln erhellt wurde. Um sie herum erstreckte sich tatsächlich eine kunstvoll angelegte Gartenanlage, die unter anderen Umständen zum Verweilen eingeladen hätte, denn der Sternenhimmel über ihren Köpfen war ein Anblick, den ein Stadtkind wie sie nur selten zu Gesicht bekommen hatte.
Allerdings konnte dieser sie nicht lange fesseln, denn ihr Begleiter hatte etwas Ähnliches mit ihr vor, als er eines ihrer Handgelenke packte und sie herumdrehte, sodass sie die beiden kunstvoll verschnörkelten, freistehenden Säulen aus massivem Stahl sehen konnte, die sich gut drei Meter hoch in den dunklen Nachthimmel emporstreckten, und an ihnen waren gut getarnt, eiserne Ketten mit jeweils einer antiken Handschelle daran befestigt.
Eine davon schnappte erbarmungslos zu, kurz darauf folgte die andere.
Vals Augen weiteten sich voller Grauen als ihr Gegenüber die Ketten anschließend strammzog und ihre Arme nach oben und zur Seite gerissen wurden, bis nur noch ihre Zehenspitzen den kalten Pflastersteinboden berührten.
Von neuem entsetzt von dieser weiteren unmenschlichen Art der Behandlung vergaß sie völlig ihre bloßgestellte Nacktheit und die darauf einwirkende Kälte der Nacht.
Stattdessen richtete sich ihr brennender Blick fest auf die metallene Fratze vor sich, doch sein kaum wahrnehmbares Zögern war alles an Reaktion, was sie von ihm bekam.
Der riesige Mistkerl stellte sich dicht vor sie, so dass sie gezwungen war, zu ihm aufzusehen, wenn sie ihm auch weiterhin direkt in die Augen hinter diesen schwarzen Höhlen blicken wollte. Selbst auf Zehenspitzen war er immer noch bei weitem größer als sie und dennoch versuchte sie verzweifelt, so zu tun, als würde ihr seine riesenhafte Erscheinung keine Angst machen, obwohl ihr Scheitel noch nicht einmal die Höhe seiner Schultern erreichen konnte. Diesen Triumph gönnte sie ihm einfach nicht.
Ein paar hektische Herzschläge lang standen sie einfach nur so da und starrten sich gegenseitig nieder, bis ein kleiner Ruck durch seinen Körper ging und er wieder in Bewegung kam.
Val zuckte vor den gewaltigen Händen zurück, die ihren Kopf optisch auf die Größe eines Kindes reduzierten und ihn bestimmt ohne große Mühen wie eine Orange zerquetschen könnten.
Für einen panischen Moment lang, dachte Val sogar, dass er sie auf diese Weise töten würde, doch dann legte er nur ganz leicht seine Hände an ihre Wangen und strich ihr das wirre Haar aus dem Gesicht. Anschließend kämmte er vorsichtig von ihrer Kopfhaut ausgehend die lange Mähne mit seinen groben Fingern durch, ohne auch nur einmal unangenehm daran zu zerren, bevor er ihr gesamtes Haar über ihre rechte Schulter nach vorne holte und dicht hinter ihrem eiskalten Ohr zu flechten begann. Dabei streiften die Fingerknöchel seiner Hand ein paar Mal warm ihre Wange und ließen sie wegen des Temperaturunterschieds erschaudern.
Vollkommen verwirrt über dieses Verhalten war Val außerstande sich zu bewegen, während der Kerl ihr mit seinen riesigen Pranken in aller Ruhe eine neue Frisur verpasste. Die ganze Zeit über blickte er ihr dabei schweigend ins Gesicht, ohne dass sie auch nur einmal einen Blick auf das seine erhaschen konnte, obwohl sie es wirklich versucht hatte. Aber außer dieser dämonischen Fratze aus Metall konnte sie nichts erkennen.
Als er mit dem Zopf fertig war, ließ er ihn über ihre nackte Schulter hängen und trat zurück, ohne den Blick von ihr zu nehmen.
Selbst ohne hinzusehen, konnte Val spüren, dass sich das Ende bereits wieder aufzulösen begann, weshalb das alles hier für sie absolut keinen Sinn ergab. Doch das größte Rätsel war wohl dieser verdammte Kerl selbst!
Val begann wieder fürchterlich zu frieren und realisierte erst da, wie warm er sich an ihrem Körper angefühlt hatte, selbst dann noch, als er lediglich dicht vor ihr gestanden hatte. Wie ein kleiner, oder besser gesagt sehr großer Ofen, den sie auf verquere Weise in dem Moment wahnsinnig zu vermissen begann, als ihre Zähne anfingen zu klappern.
„Bitte“, versuchte sie es erneut, da ihr die Art, wie er sie gerade eben behandelte hatte, nun doch wieder Hoffnung gab. Er hätte sie auch grob an den Haaren ziehen können, so wie sie seinen Rücken bearbeitet hatte, stattdessen war er mit ruhiger Vorsicht vorgegangen. Vielleicht hatte sie ihn anfangs doch richtig eingeschätzt. Vielleicht wollte er ihr gar nichts tun.
„Bitte, hilf mir!“ Val zerrte an den eisernen Ketten, die ihr das Blut aus den Händen langsam aber sicher abschnürten. „Lass mich bitte gehen!“
Je mehr sie ihn anflehte, umso steifer wurde seine ganze Haltung. Dabei zuckten seine Hände ein paar Mal ganz leicht in ihre Richtung, während sich sein mächtiger Brustkorb allmählich immer schneller zu heben begann.
Was auch immer in diesem Hünen vorging, ihr Flehen schien etwas bei ihm zu bewirken, auch wenn es nicht genug war, um sie zu befreien.
Bevor Val auch nur etwas hören konnte, verriet ihr eine kleine Kopfbewegung seinerseits, dass der Rest der Truppe nun im Anmarsch war. Also war ihre Schonfrist nun endgültig vorbei. Genauso wie ihre Chance auf Flucht.
Die Eiskönigin erschien noch vor allen anderen auf der Bildfläche, strich um Val herum wie eine hungrige Raubkatze und blieb direkt vor ihr stehen, den musternden Blick voller Geringschätzung.
Wie der Händler zuvor befühlte sie die Beschaffenheit von Vals Haar; begutachtete einige der Schürfwunden, die sie sich zugezogen hatte, als sie über den Rand des Kraters geklettert war, und ging dann zu einer gründlicheren Prüfung über, bei der Val ihr nicht vorhandenes Abendessen hochkommen wollte.
Das Weib packte sie an den Brüsten wie eine Vollblutlesbe, drückte und knetete sie prüfend, ohne sich anmerken zu lassen, ob sie nun zufrieden war oder nicht. Danach tastete sie Vals Unterleib ab, fast so fachmännisch, wie es ein Arzt getan hätte, was auch immer sie damit bezwecken wollte. Bis schließlich das kam, vor dem Val schon die ganze Zeit graute.
Unfähig noch länger einen der beiden anzusehen, schloss sie die Augen und versuchte mit aller Macht die Tränen der Scham zurückzuhalten, die ihr entkommen wollten, als die Hand der Eiskönigin ihre Schenkel teilte und noch weiter vordrang, bis Val vor Schmerz zusammenzuckte.
Ein erheitertes Lachen durchschnitt die Stille der Nacht und durchbrach endgültig den Damm, den sie so mühsam aufrechtzuhalten versuchte. Vergebens. Denn als Val die Augen wieder öffnete, flossen heiße Tränen über ihre Wangen, während sie sich fest auf die Zunge biss, um wenigstens keinen demütigenden Laut über ihre Lippen kommen zu lassen.
Die Eiskönigin drehte sich halb zu ihrem schweigsamen Wächter um und nahm endlich ihre Hand weg. Sie sagte etwas zu ihm, fast in einem verschwörerischen Tonfall. Seine einzige Reaktion darauf war, dass er sein Kopf kaum merklich anhob und sich seine Hände zu Fäusten ballten, bevor er sie wieder vollkommen locker ließ. Allerdings entging das alles seiner Chefin, da diese sich wieder ganz zu Val herumgedreht hatte, um ihr einmal verspottend die schmerzgeplagte Wange zu tätscheln.
Wieder sagte sie etwas, aber Val war ganz froh, dass sie nichts davon verstand. Selbst wenn es Englisch gewesen wäre, dröhnte ihr inzwischen der Kopf zu sehr, als dass sie es hätte hören können.
Die Eiskönigin trat zurück, ganz nah an ihren Wächter heran und lehnte sich mit dem Rücken vertrauensvoll gegen ihn, so dass ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte. Nun sah sie aus wie eine äußerst zufriedene Grinsekatze.
Ein kurzer Blick von ihr, der an Vals Kopf vorbeiging, war alles, was sie warnte, bevor etwas sie mit voller Wucht von hinten traf.
Im ersten Moment war Val zu geschockt, um zu realisieren, warum ihr Rücken plötzlich wie Feuer brannte. Doch dann traf sie ein weiter Schlag und kurz darauf ein Dritter und sie fing an zu begreifen.
Sie wurde ausgepeitscht ...
Das Ganze war so absurd, dass ihr Verstand es kaum fassen konnte.
Wären die Schmerzen nicht die schlimmsten, die sie bisher in ihrem ganzen Leben gehabt hatte, sie würde ernsthaft an ihrem Verstand zweifeln und viel mehr an eine Halluzination glauben. Aber der Schmerz war so real wie die Hitze ihres eigenen Blutes, das ihr den Rücken hinablief und den Boden unter ihren Zehen tränkte.
Warum ...?
„Warum verdammt tut ihr mir das an!?“, wollte sie verzweifelt zwischen ihren Schmerzensschreien hindurch wissen.
Die Eiskönigin lächelte.
„Carpe noctem.“
Genieße die Nacht. – Der Lieblingsspruch ihrer Mitbewohnerin an der Uni.
Val begann zu begreifen.
Die Wahnsinnigen sprachen Latein!
Doch dieses Wissen nützte ihr im Augenblick absolut gar nichts, während sie sich in ihren Fesseln verzweifelt wand, um jedem weiteren Schmerz zu entgehen, egal wie sinnlos es auch war.
Sie schrie und schrie, so laut wie sie nur konnte.
Verfluchte lauthals ihren unbekannten Peiniger mit all ihrem Hass; beschimpfte wortgewaltig dieses verfickte Miststück, das diese Show auch noch in vollen Zügen genoss. Und am Ende ihrer Kräfte richtete Val ihre hasserfüllten Flüche gegen den Riesen, der sie all dem hier ausgesetzt und dann nichts dagegen unternommen hatte.
***
Alexey zählte inzwischen mehr als ein Dutzend Peitschenhiebe und dennoch hatte Vorenus seine Rachegelüste immer noch nicht an der kleinen Kriegerin gestillt.
Inzwischen war die frische Abendluft geschwängert vom Duft ihres Blutes und dem Hall ihrer Schmerzensschreie und Flüche, die mit jedem weiteren Hieb immer leiser und schwächer wurden, bis sie schließlich vollkommen verstummte und leblos in den Eisen hing, die er ihr eigenhändig umgelegt hatte.
Zwei weitere Hiebe sausten wirkungslos auf ihren kleinen Körper nieder, ehe Vorenus die Peitsche zur Seite warf und wie ein wild gewordener Stier auf sie zustürmte. Selbst jetzt war sein Zorn noch immer lebendig und Zeuge dessen, wie schwer die kleine Sklavin sein Ego verletzt haben musste.
Wütend packte Vorenus den schwarzen Haarschopf und hob ihr bleiches Gesicht ins Mondlicht. Ihre zarten Lider waren geschlossen und von ihrem geschwollenen Kinn tropfte Blut.
Die kleine Kriegerin hatte sehr viel länger durchgehalten, als Alexey erwartet hatte, doch jetzt war sie in der friedlichen Umarmung der Ohnmacht, und wenn Fortuna ihr hold war, dann würde sie das auch noch für eine Weile bleiben.
Vorenus' Zorn wuchs hingegen noch weiter an, als er sah, dass sein kleines Spielzeug nicht länger mitmachte, woraufhin er bedrohlich die Faust hob, um die kleine Kriegerin auch ohne ihr bewusstes Zutun noch weiter zu foltern.
Alexey kostete es nur sehr wenig Kraft, um den vom Peitschen müden Arm dieses Hurensohns zurückzuhalten.
„Du wagst es!“
„Auf meinen Wunsch hin, Servius.“ Hedera legte ihrem Sohn beruhigend die Hand auf die Schulter und gab Alexey mit einem knappen Kopfnicken zu verstehen, dass er ihn loslassen konnte.
„Aber sie hat mir die Nase gebrochen, Mutter!“
„Ich weiß, und du hast sie dafür bestraft. Doch jetzt ist es genug. Ich brauche sie lebend und allem voran unberührt bis zur nächsten Mondfinsternis. Danach überlasse ich es ganz dir, wie du weiter mit ihr verfahren möchtest.“
Für einen Moment sah Vorenus so aus, als wolle er Hedera widersprechen, doch schließlich zog er den Schwanz ein und ließ die bewusstlose Sklavin los. „Wie du wünschst.“
Er hatte es noch nie gewagt, sich ihr offen entgegenzustellen und das würde er auch weiterhin nicht tun. Dafür war er dann doch nicht dumm genug.
„Gut, dann geh jetzt und lass nach dem Medikus schicken, damit er das Mädchen versorgt.“ Hedera küsste ihn sanft auf die Wange und umarmte ihn kurz, während sie ihm gefährlich leise ins Ohr flüsterte: „Und nenn' mich nie wieder Mutter, wenn dir dein Leben lieb ist.“
Sie ließ Vorenus gehen, dem es plötzlich deutlich an Farbe im Gesicht mangelte, einmal von dem aufblühenden Bluterguss um seine Nase herum abgesehen und der es plötzlich sehr eilig hatte, wieder in die Villa zurückzukommen.
Hedera mochte zwar die Mutter dieses Bastards sein, aber selbst Vorenus wusste, dass sie ihr Leben mehr liebte als alles andere auf der Welt. Ihr eigenes Kind machte da ganz gewiss keine Ausnahme.
Nachdem er fort war, richtete sich ihre Aufmerksamkeit allerdings zu seinem Leidwesen wieder auf Alexey.
Mit ihren kühlen Fingerspitzen fuhr sie die Berge und Täler seiner Brustpartie nach, während sie sich mit ihrem Körper lasziv gegen seinen Bauch drängte und ihr glühender Blick ihn bis ins Mark traf.
Ihre Magie, die stets durch seine Adern bis in den letzten Winkel seines Körpers floss, loderte plötzlich auf und nur Jahre der Selbstdisziplin konnten jede noch so kleine Reaktion darauf verhindern, die ihr verraten hätte, wie sehr es ihm widerstrebte, auch nur von ihr berührt zu werden.
Lediglich das wütende Hämmern seines Herzens entzog sich jedweder Kontrolle.
„Sie ist äußerst wild, nicht wahr?“ Selbst ihre Stimme war ein einziges Schnurren, während sie mit ihren Fingern in den Kratzspuren an seinem Rücken herumbohrte, welche die kleine Kriegerin auf ihm hinterlassen hatte.
„Ihr feuriges Blut ist eine erfreuliche Abwechslung zu dem der letzten beiden Mädchen, die dich an mich gebunden haben. Und wer weiß, vielleicht ist es sogar stark genug, dich mir endgültig zu unterwerfen.“
Hedera lächelte verträumt, während sie sich genüsslich die blutbesudelten Finger ableckte.
„So oder so wird sie mir ausgezeichnet dienen. Doch jetzt genug der Worte. Nach diesem unterhaltsamen Schauspiel steht mir der Sinn nach etwas ganz anderem.“
Nur um ihre Aussage noch einmal zu bekräftigen, streichelte sie Alexey anrüchig über seinen inzwischen steifen Schwanz. „Komm, die Erinnerung an deine Berührungen verblasst bereits. Ich will, dass du sie wieder sorgfältig auffrischst.“
Sie ging voraus und so fest, wie sie ihn in ihren Fängen hatte, war es Alexey unmöglich auch nur im Geringsten dagegen aufzubegehren, als sein Körper ihr lautlos folgte. Dennoch verweilte sein Blick so lange wie möglich auf dem fahlen Gesicht der kleinen Kriegerin, bis er sie endgültig verlassen musste.
Sie würde das nicht überleben. Wie könnte sie auch, so zerbrechlich, wie sie war, dabei war das noch nichts im Vergleich zu dem, was er schon bald gezwungen war, ihr anzutun.
Danach hatte sie wirklich allen Grund, ihn zu hassen.
* Ein rechteckiger Hof, der von allen Seiten von durchgehenden Säulenhallen umgeben ist.
** carpe noctem kann auch als: nutze die Nacht übersetzt werden. Jedoch haben meine Nachforschungen ergeben, dass der Ausspruch: carpe diem von Horaz eher im Sinne von genieße/pflücke den Tag, anstatt nutze den Tag, gemeint war.