Italien im Jahre 85 v. Chr. mehrere Kilometer außerhalb der Stadt Bononia
Ein mächtiger Hammerschlag trieb den spitzen Eisennagel tief in ihr geschundenes Fleisch, ließ ihre Handwurzelknochen zersplittern und traf schließlich auf das raue Holz des Querbalkens, auf den man sie mit Gewalt niederzwang.
Nie gekannter Schmerz fraß sich von ihrem Handgelenk ausgehend unbarmherzig ihren Arm hoch, vermischte sich mit den Höllenqualen in ihrem Rücken, dessen Haut in Fetzen an ihr herabhing, und bohrte sich hämmernd wie der Nagel in ihrem Gelenk tief in ihren Schädel.
Sie schrie – ihre Stimme durch die Pein bis zur Unkenntlichkeit verzerrt – und bäumte sich unter dieser Folter auf, doch die römischen Soldaten kannten kein Mitleid.
Man hatte sie verurteilt, sie ihrer Kleider beraubt und gegeißelt, bis sie unter den Schlägen, die ihr den Rücken zerfetzt hatten, beinahe bewusstlos geworden wäre.
Zu groß für ihre kümmerliche Gestalt hatte man ihr die Last des Querbalkens auf dem Rücken erspart und sie stattdessen nackt zwischen einer aufgebrachten Menschmenge hindurch den Richthügel hinaufgejagt, um dort das Urteil zu vollstrecken.
Tod am Kreuz war ihre Strafe dafür, dass sie Unheil über die Stadt und die umliegenden Dörfer gebracht hatte.
Lamia hatte man sie geschimpft – eine Dämonin – und ihr ketzerische Worte gegenüber den Göttern des Römischen Reiches vorgeworfen.
Der zweite Hammerschlag trieb den Nagel durch ihr Fleisch hindurch tief ins Gebälk und entrang ihr einen weiteren unmenschlichen Laut, der mehr dem eines Tieres als dem eines Menschen glich.
Die Soldaten gaben ihren nutzlos gewordenen Arm frei, nun da sie ihn nicht mehr vom Holz lösen konnte, und vollzogen die gleiche Prozedur kurz darauf auch an ihrer anderen Seite.
Für einen Moment versank sie tatsächlich in erlösendem Nichts, bis der Querbalken an dem sie hing, von den Soldaten hochgehoben und am Längsbalken, der hoch über der Erde aufragte, angebracht wurde. Beide zusammen bildeten eine T-Form.
Sämtliche Qualen kamen mit voller Wucht zurück, als das Gewicht ihres Körpers unbarmherzig an ihren Armen zog und sie panisch nach Luft schnappen ließ, ohne dass sich ihre Lungen füllten.
Ihr Atem blieb in ihrer verkrampften Brust gefangen, egal wie sehr sie sich anstrengte. Aus ihren Schreien wurde ein atemloses Keuchen, bis einer der Soldaten sie ein kleines Stück hochhob und sie einen weiteren lebensspendenden Atemzug tun konnte, bevor sein Kamerad ihre Füße an den Fersenbeinen übereinander auf einem Suppedaneum festnagelte. Der kleine Querbalken würde einen Teil ihres Gewicht tragen, aber dadurch ihr Leid nur noch verlängern.
Oh, ihr Götter, bitte gebt mir Kraft! Ich will noch nicht sterben!
Sie war bereits zu geschwächt, um noch genau wahrzunehmen, wie die Soldaten eine kleine Tafel über ihrem Kopf anbrachten, auf der ihre vermeintlichen Verbrechen standen.
Muskelkrämpfe schüttelten ihren geschundenen Körper, die so lange anhielten, bis sie beinahe erstickte, kurz bevor sie sich wieder auf dem Nagel in ihren Füßen abstützen und erneut atmen konnte.
Ihr gebrochenes Herz hämmerte wie wild in ihrer bebenden Brust, während sie sich jedes einzelnen verachtenden Blickes der vielen Menschen um sie herum nur allzu deutlich bewusst war.
Menschen, die ihr vor ein paar Tagen noch dankbar in die Arme gefallen waren und sie als Segen der Götter betrachtet hatten.
Nun war ihre Stimmung gänzlich umgeschlagen und es herrschte nur noch Hass, dort wo einst Dankbarkeit in ihren Herzen gewesen war.
Dabei war sie unschuldig!
Sie hatte in diesem Land ein neues Leben beginnen wollen, weit weg von dem alten Bock, den sie hätte heiraten sollen. Es war reiner Zufall, dass diese Seuche kurz nach ihrer Ankunft in der Stadt ausgebrochen war. Zumal mit ihr noch dutzende fahrende Händler und andere Reisende angekommen waren.
Und sie würde niemals wagen, den Zorn fremder Götter auf sich zu ziehen, in dem sie diese verhöhnte, wusste sie doch um die ungeheuerliche Macht ihrer eigenen.
Dennoch hatte man sie ans Kreuz genagelt. Nachdem die Seuche ihr scheinbar nichts anhaben konnte, während andere wie die Fliegen gestorben waren. Dabei hatte sie sich tagelang um die Kranken gekümmert und manche von ihnen sogar geheilt. Im Geheimen natürlich und nur bei jenen, bei denen es ohnehin noch Hoffnung gegeben hatte. Alles andere hätte sie und ihre Fähigkeiten verraten.
Irgendjemandem musste es trotzdem aufgefallen sein, sonst würde sie nun nicht hier hängen, als Dämonin beschimpft und um ihr Leben kämpfend.
Sie hatte den Menschen stets nur helfen und ihre Gabe für etwas Gutes einsetzen wollen. Sie hatte ein bescheidenes Leben geführt und nie große Ansprüche gehabt. Das Einzige, was ihr wirklich etwas bedeutet hatte, war das Leben selbst und nun wollte man erneut darüber bestimmen.
Bei diesem Gedanken übermannte rasende Wut sie, zusammen mit weiteren Muskelkrämpfen, die so lange anhielten, dass ihr schwarz vor Augen wurde und ihr jeder weitere Anblick der vielen Menschen, die ihr beim Sterben zuschauten, erspart blieb.
Mit aller Macht kämpfte sie darum, wieder die Kontrolle über ihren Körper zu erlangen, doch als das nicht gelang, tat sie in ihrer Verzweiflung etwas, das sie zuvor noch nie vor so vielen Zeugen gewagt hatte, zu tun. Sie versuchte, sich selbst zu heilen.
Für einen Moment schien es sogar, als würde es gelingen, da die Krämpfe nachließen und sie wieder ein bisschen leichter atmen konnte. Selbst der Schmerz in ihrem Rücken wurde plötzlich von einem sanften Prickeln begleitet, aber dafür begann ihr Herz, vor Anstrengung zu stolpern.
Es setzte ein paar Mal aus, nur um dann noch angesträngter weiterzukämpfen, so wie sie, während sie sich an ihr Leben klammerte, das sie einfach nicht hergeben wollte.
Ihre Wut wich einer tiefen Verzweiflung und entsetzlicher Angst, während sie noch mehr Magie aus dem Quell in ihrem Inneren nun zu ihrem Herzen umzuleiten versuchte, doch es reichte nicht. Andere Organe drohten durch den starken Blutverlust, dem Sauerstoffmangel und der Tatsache, dass ihr hagerer Körper zum Ertragen solch grausamer Schmerzen nicht gemacht war, zu versagen.
Also griff sie noch tiefer in den Quell ihrer Macht, so tief, wie sie es bisher noch nie gewagt hatte. Ihre Seele klammerte sich an den warmen Strom aus heilendem Licht, während ihr Verstand ihn durch ihren ganzen Körper zu leiten versuchte.
Vielleicht wäre es ihr sogar gelungen, den drohenden Schatten des Todes abzuschütteln, der immer näher und näher kam. Doch dazu hätte sie sich von dem Kreuz und dem Metall in ihrem Fleisch befreien müssen. Doch das konnte sie nicht.
Des Todes eisige Schwingen begannen sich wie kalte Nebelschwaden um ihren Körper zu legen, und die Wärme unbarmherzig aus ihr herauszusaugen.
Nein! Ich will nicht sterben! Ich bin unschuldig!
Sie begann inbrünstig zu beten, während ihr Körper reglos am Kreuz hing und nicht mehr fähig war, auch nur einen weiteren Atemzug zu tun. Dabei schöpfte sie den Quell in ihrem Inneren in einem einzigen magischen Strom vollkommen aus und ließ ihn über sich hinwegschwemmen, um ihren Leib am Sterben zu hindern.
Wie aus weiter Ferne drangen plötzlich panische Schreie an ihr Ohr und brachten sie dazu, noch ein letztes Mal erschöpft die Augen zu öffnen.
Sie konnte kaum etwas erkennen. Gleißendes Licht rahmte ihr Sichtfeld ein, das so stark flackerte, als würden weiße Flammen vor ihren Augen tanzen.
Doch es war kein Trugbild, wie sie einen Wimpernschlag später am eigenen Leib erfahren sollte. Es waren tatsächlich Flammen und sie war es, die brannte!
Nein! Oh, ihr Götter, NEIN!
Sie versuchte den Strom ihrer Magie zu bremsen, ihn wieder zurückzudrängen, doch sie wurde einfach davon hinfort gerissen und dort wo einst eine kleine sprudelnde Quelle aus Licht gewesen war, klaffte nun ein tiefes Loch, aus dem reine ungebremste Macht wie ein Geisir emporschoss und alles mit sich riss, was seinen Weg kreuzte.
Dem Gefäß für diese gewaltige Energie – ihrem Körper – gelang es kaum, diese zurückzuhalten.
Noch während sie lichterloh brannte und die Kontrolle über diese gewaltige Macht zu halten versuchte, schrie sie mit der letzten ihr verbleibenden Atemluft: „Lauft! Lauft weg!“
Doch es war bereits zu spät. Das Gefäß der Macht zerbarst.
Als der Schmerz zusammen mit ihrer Seele von ihrem Körper fortgerissen wurde, erkannte sie während ihres letzten Herzschlages das ungeheuerliche Ausmaß ihrer Taten.
Die magische Feuersbrunst schlug so plötzlich um sich, dass die vielen Menschen auf dem Richthügel keinen Schritt weit kamen, ehe das Inferno ihre Körper erfasste, sie verbrannte und wie Blätter aus Asche im Wind zerstreute, während der Hügel unter ihren Füßen vollständig von der uralten Magie, die freigesetzt worden war, in Form einer gewaltigen Kugel aus weißem Licht verschlungen wurde.
Alles, was zurückblieb, war ein Krater aus geschwärztem Glas, in dessen Mitte sich kleine Ascheflocken in einem wirbelnden Tanz zusammenfügten und sich zu einer immer dichter werdenden Masse aus Fleisch und Blut formten, die sich geschützt von einer dichten Aschedecke leise zu regen begann.