Ein warmer Windhauch schlich sich durch eines der weit geöffneten Fenster in Hederas Arbeitszimmer, machte die schwüle Hitze im Raum etwas erträglicher und erfüllte die Luft dabei mit satten Düften nach getrocknetem Gras und Kräutern, Blumen und Erde.
Zart streifte die Brise Valerias Körper, umspielte diesen dabei aufreizend, fing ihren Geruch ein und trug den verführerischen Duft nach Jasmin zu Alexey herüber, der ihn tief in seine Lungen sog.
Sogleich verkrampfte sich sein ausgehungerter Magen, verengte sich seine ausgedörrte Kehle, kurz bevor sich seine pochenden Fänge aus seinem Oberkiefer schoben und ihm das Wasser im Munde zusammenlief.
Sein wilder Durst ließ sich kaum noch bändigen, ganz gleich, wie sehr Alexey sich dem auch zu verweigern suchte.
Seine nächste Blutmahlzeit war zwar erst seit Kurzem fällig und doch beharrten seine Instinkte darauf, dass der rechte Zeitpunkt, sich an einer Kehle zu laben, schon längst überschritten war und er allmählich nicht nur seine Kraft zu verlieren begann, sondern auch die Kontrolle über sich selbst.
Die Anstrengungen und Opfer der vergangenen Tage, die ihm abverlangt worden waren, trugen nun in seinem immer fordernder werdenden Durst Rechnung.
Bisher war es Alexey gelungen, die trügerischen Anzeichen vor Hedera zu verbergen, doch inzwischen trat immer mehr Feuchtigkeit auf seine Haut und lief ihm in kleinen Rinnsalen den Körper hinab. Lange würde sein Zustand ihrer Aufmerksamkeit nicht mehr verborgen bleiben und sehr viel länger konnte er die negativen Auswirkungen seines Durstes auch nicht ertragen.
Selbst Valeria war er nicht entgangen. Obschon sie seit seiner Unpässlichkeit in jener verhängnisvollen Nacht kein Wort mehr mit ihm gewechselt hatte, so waren ihm ihre verhaltenen und doch prüfenden Blicke nicht entgangen.
Bei Weitem aufmerksamer als Hedera selbst, schien sie schon die ersten kleineren Anzeichen seiner Veränderung erfasst zu haben, jedoch nicht richtig deuten zu können.
Ganz gleich, welche Schlüsse sie daraus gezogen hatte, sie bestärkten die kleine Kriegerin nur noch darin, sich so weit wie möglich von ihm fernzuhalten, und damit lag sie vollkommen richtig.
Er wurde langsam gefährlich.
Alexey tat es ihr gleich, sofern es ihm möglich war. Was letztendlich nicht nur an seinem Zustand lag, sondern auch an dem Geschehenen.
Für wenige Stunden hatte er sich der trügerischen Hoffnung hingegeben, Valerias Hilfe, ihr Dank und das Verlangen, seinen Namen zu erfahren, hätten irgendetwas zwischen ihnen verändert. Vielleicht sogar im positiven Sinne, doch das genaue Gegenteil war eingetroffen.
Die kleine Kriegerin war verschlossener denn je, gab kaum noch ihre Gefühle preis, so sehr er auch ihre Witterung studierte, vermied jeden offenen Blick und blieb stets wachsam, wenn sie beide alleine waren.
Lediglich in Hederas Gesellschaft gelang es ihm manchmal, sie dabei zu beobachten, wie sie tief in Gedanken versunken, still und stumm, wie eine Statue, ihrer täglichen Pflicht nachging.
Auch jetzt schien sie vollkommen abwesend zu sein, dabei nicht bemerkend, wie sehr ihr köstlicher Duft seine Instinkte reizte und die Bestie in ihm vor wildem Verlangen toben ließ.
Selbst wenn es ihm gestattet wäre, würde er dennoch niemals freiwillig Hand an die kleine Kriegerin legen oder ungefragt von ihrem Blut nehmen.
Nichts lag ihm ferner, als noch weiter ihre Angst vor ihm zu schüren. Sie noch mehr hinter die Maske seiner scheinbaren Menschlichkeit blickenzulassen, hinter der sie unweigerlich die wilde Kreatur erkennen könnte, die er tatsächlich war. Aber selbst er erreichte irgendwann den Punkt, an dem seine Instinkte die Kontrolle über seinen logischen Verstand übernahmen, und dann konnte er für nichts mehr garantieren.
Letztendlich lag all das jedoch ohnehin nicht in seiner Macht.
Zu wissen, dass Hedera andere Pläne für Valeria hatte und diese vorerst nicht als seine nächste Blutmahlzeit enden würde, war bis zu einem gewissen Punkt beruhigend. Doch kaum der Rede wert, in Anbetracht dessen, dass es in jedem Fall ein weiteres Opfer geben musste.
Und das schon sehr bald.
Die Möglichkeiten waren äußerst beschränkt. Sofern Hedera nicht in den nächsten Stunden plante, neue Sklavinnen heranzuschaffen, fiel die Wahl tatsächlich nur auf zwei weitere junge Frauen.
Alexey schluckte sein wildes Begehren hart hinunter, als er daran dachte, wen es unweigerlich treffen würde.
Blind lauschte er dem vertrauten Pochen von Valerias Herzen, das er ihr schon einmal auf brutalste Weise aus der Brust gerissen hatte.
Sehr bald würde Hedera ihn zwingen, es noch einmal zu tun und damit endgültig alle Hoffnung zerstören, die kleine Kriegerin könnte je über seine abscheuliche Tat hinwegsehen.
Sie würde ihm niemals verzeihen.
***
Nach einem sich endlos lang hinziehenden und zum Glück ereignislosen Tag ließ sich die Eiskönigin endlich von Briseis aus ihrem Kleid helfen und sich fürs Bett fertigmachen.
Val konnte es kaum noch erwarten, endlich entlassen zu werden und auf ihren inzwischen äußerst verführerisch erscheinenden Heuhaufen zu kommen, um ein paar Stunden dringend benötigten Schlaf nachzuholen.
Wenn sie denn schlafen konnte.
Bei den Alpträumen, die sie inzwischen immer häufiger und vor allem heftiger heimsuchten, fiel es ihr schwer, Schlaf zu finden, egal wie müde und erschöpft sie auch war.
Woran genau es lag, dass Val kaum eine Nacht mehr durchschlafen konnte, wusste sie nicht. Aber die Vermutung lag nahe, dass es etwas mit Vanadis' Tod und dem Hünen zu tun hatte, da gerade diese beiden oft eine große Rolle in ihren Alpträumen spielten.
Wie es schien, begann der Schock über den Tod ihrer Freundin langsam nachzulassen und stattdessen tiefer in Vals Unterbewusstsein vorzudringen, so dass sie zwar tagsüber immer besser mit ihrer Trauer und den damit einhergehenden Gefühlen zurechtkam, jedoch in der Nacht umso schlimmer damit konfrontiert wurde.
Leider nicht nur mit der blutigen Szenerie an sich, oder wie das perverse Arschloch Vanadis vergewaltigte, sondern es kamen auch unzählige Bilder in Val hoch, die vor allem mit dem Hünen zu tun hatten und damit, dass er Sex hatte. Nicht nur unweigerlich mit der Eiskönigin selbst, sondern auch ... mit ihr.
Entgegen ihrem Wissen, dass er Val noch nie persönlich verletzt oder brutal misshandelt hatte, glichen diese Alpträume doch sehr stark genau jenen, die sie oft nach den nächtlichen Besuchen ihres Stiefvaters in ihrem Bett gehabt hatte, und waren daher alles andere als prickelnd.
Sie schürten eine Angst in ihr, die zumindest in diesem Fall völlig unberechtigt war und womit sie dem Hünen sogar Unrecht tat.
Er war ihr noch nie auf diese spezielle Art und Weise nahegetreten, und obwohl sie nicht den geringsten Grund hatte, ihm auch nur irgendwie zu vertrauen, war Val sich doch fast sicher, dass er ihr so etwas niemals antun würde.
Zwar mochte er ein Mörder sein, aber ein Vergewaltiger war er nicht.
Dennoch fiel es ihr schwer, Realität und Alptraum voneinander zu trennen, weshalb sie sich so weit wie möglich von ihm zurückzog. Zumal sie sich immer noch nicht wirklich im Klaren darüber war, was sie von dieser merkwürdigen Nacht halten sollten, in der sie beide mehr von sich preisgegeben hatten, als es beabsichtigt gewesen war.
Leider halfen die beinahe allnächtlichen sexuellen Ausschweifungen der Eiskönigin mit ihrem Wachhund nicht gerade, ihre Alpträume zu bekämpfen, da sie ihnen auch weiterhin ohne Möglichkeit zur Flucht beiwohnen musste.
Val begann dadurch langsam abzustumpfen, und das war nicht wirklich als Fortschritt zu werten, half ihr aber zumindest, sich währenddessen gedanklich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
Da es ihre oberste Priorität war, vor allem ihre nähere Umgebung stets im Blick zu haben und zu analysieren, um sich nach und nach einen Fluchtplan zurechtlegen oder mögliche Schwächen im Wachnetz der Eiskönigin finden zu können, blieben Val die subtilen Veränderungen im Verhalten des Hünen natürlich nicht verborgen.
Eine sehr deutliche Veränderung waren die allabendlichen Mahlzeiten, die er nun stets in ihrem Beisein zu sich nahm. Zwar saß er dabei immer so zu ihr, dass sie auch weiterhin sein Gesicht nicht erkennen konnte, wenn er seinen Helm zum Essen abnahm, aber allein die Tatsache, dass er nun überhaupt etwas mit ihr zusammen aß, war schon äußerst merkwürdig. Ließe sich aber noch mit seinen anstrengenden körperlichen Tätigkeiten erklären, durch die er abends bestimmt gewaltigen Hunger haben musste.
Dennoch schien etwas mit ihm nicht zu stimmen, und das wurde von Tag zu Tag deutlicher.
Anfangs war die Veränderung kaum sichtbar und Val hätte nicht wirklich den Finger darauflegen können, was an dem Hünen anders war, doch irgendwann, nachdem sie ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit heimlich beobachtet hatte, war es nicht mehr zu übersehen gewesen.
Da war das unbewusste Massieren seiner Schläfen während des Essens. Seine zittrige Hand, die dabei den kleinen Holzlöffel hielt oder das immer heftigere Pochen der sich deutlich abzeichnenden Ader an seinem Hals, wenn er den Kopf im richtigen Winkel neigte.
Zudem fing er langsam zu schwitzen an und das lag mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an den überraschend warmen Temperaturen, sondern an etwas gänzlich anderem.
Je genauer Val den Hünen beobachtete, umso mehr kam es ihr so vor, als wäre er auf einem wie auch immer gearteten Entzug. Was seine zum Teil fahrigen Bewegungen und die Art, wie er manchmal ohne wirklichen Grund zusammenzuckte, nur noch bestätigten.
Das wirklich Seltsamste an ihm war jedoch der Geruch, den sein Körper allmählich immer deutlicher zu verströmen begann.
Val hatte noch nichts Vergleichbares gerochen, spürte aber deutlich, wie ihr seit dem heutigen Nachmittag immer unwohler in der Nähe des Hünen wurde.
Es war kein unangenehmer Geruch, ganz im Gegenteil, glich er mehr einem exquisiten und edlen Duft, der ihre Sinne umschmeichelte, aber gerade deshalb alle Alarmglocken in ihr auslöste, da ihr Körper ohne ihr Zutun darauf zu reagieren begann. Auf eine Art und Weise, die ihr gar nicht Recht war.
Wie sehr sie der Duft inzwischen ablenkte, machte sich dadurch bemerkbar, dass Val erschrocken zusammenfuhr, als die Eiskönigin sie überraschend ansprach.
„Du kannst gehen.“
Zunächst glaubte Val sich verhört zu haben, doch sobald sie sich einmal gründlich im Raum umgesehen hatte, fiel ihr Briseis' Abwesenheit auf, die mit dieser Aussage schon einmal nicht gemeint sein konnte. Wann hatte die Ältere den Raum verlassen?
Zögerlich warf Val zur Sicherheit noch einmal einen Blick auf die Eiskönigin, da sie bisher noch nie alleine zurück in ihre Kammer hatte gehen dürfen. Nicht ohne den Hünen an ihrer Seite, der gerade dabei war, seine Waffen abzulegen und sich bis auf seinen Helm und den Lendenschurz auszuziehen.
Bedeutete das etwa, dass sie heute von einer Piepshow verschont blieb?
Val nahm das unwirsche Handwedeln, mit dem die Eiskönigin sie fortschickte, mit freudig klopfendem Herzen auf und lief eilig zur Tür, um dem Befehl nur allzu gerne nachzukommen. Immerhin war das heute wohl ihr Glücks–
Vor der Tür stieß sie unerwartet mit Kore zusammen.
Im letzten Moment konnte Val gerade noch die Hand der Jüngeren ergreifen und diese vor einem Sturz bewahren, woraufhin Kore ihr ein dankbares Lächeln schenkte und an ihr vorbei in den Raum schlüpfen wollte. Doch Val hielt sie eisern fest.
Geh nicht!
Ihr blieben die Worte im Hals stecken, während eine tiefsitzende Angst ihre Klauen in Vals Herz schlug und ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Das Gefühl ging sogar so weit, dass Val ihre Freundin ohne weitere Verzögerung von der Tür wegzuziehen und sie dadurch am Betreten des Raums zu hindern versuchte.
Auch in Kores Augen konnte sie eine vage Furcht erkennen. Doch diese ließ sich ihre Angst nicht weiter anmerken. Stattdessen tätschelte sie beruhigend Vals Hand.
„Ist gut, Valeria.“
Gar nichts ist gut, verdammt noch mal!, hätte Val ihre Freundin am liebsten angeschrien, in dem Wissen, dass sie mehr Dinge im Beisein der Eiskönigin und ihres Wachhunds gesehen hatte, als ihre Freundin auch nur erahnte.
Warum genau sie um Kores Leben fürchtete, war Val nicht ganz klar, aber warum auch immer die Eiskönigin ihre Freundin hatte rufen lassen, es bedeutete mit Sicherheit nichts Gutes. Sie konnte Kore also nicht einfach so gehen lassen.
Nein, sie würde ihre Freundin nicht so einfach dort hineingehen lassen!
„Valeria, bitte ...“, Kore zog nachsichtig an ihrer Hand, wirkte zugleich jedoch auch irgendwie gehetzt.
Val schüttelte heftig den Kopf: „Geh nicht!“
„Ich muss.“ Mit diesen Worten entriss sich ihre Freundin überraschend heftig Vals Griff, schenkte ihr noch ein entschuldigendes Lächeln und verschwand dann hinter der sich schließenden Tür, bevor Val sie aufhalten konnte.
Nur zu genau hatte sie die Angst in den Augen ihrer Freundin erkannt, die sie mit ihrem Verhalten sogar noch weiter geschürt hatte. Nicht ohne Grund, wie sie wusste. Dabei hatte sie in Wahrheit keine Ahnung, was Kore hinter dieser Tür nun tatsächlich erwartete.
Val hatte entsetzliche Angst, es schon bald herauszufinden, war zugleich aber vollkommen machtlos, etwas dagegen zu unternehmen, als das Geräusch eines sich vorschiebenden Riegels sie endgültig vom Geschehen im Schlafzimmer der Eiskönigin ausschloss.
***
Die Jagd hatte begonnen.
Nachdem Hedera die junge Sklavin gebeten hatte, den Riegel vor die Tür zu schieben, um nicht gestört zu werden und näherzutreten, war Kores Schicksal besiegelt.
Es gab kein Entkommen mehr.
Alexey konnte die Angst der jungen Frau nur allzu deutlich auf seiner Zunge schmecken, obwohl er sich in den Schatten am anderen Ende des Raumes aufhielt und somit ihren Blicken bis auf Weiteres verborgen blieb.
Der Geschmack reizte ihn. Ebenso wie der Gedanke an ihr köstliches Blut.
Sein inzwischen unbändiger Durst machte ihn wild und kalt zugleich. Ließ seine Instinkte für ihn die Entscheidungen fällen, und doch war da immer noch eine Stimme laut und klar in ihm, die darauf pochte, sich Hederas Willen zu verweigern und Kore zu verschonen.
Nicht aus Mitleid mit der jungen Sklavin, sondern um nicht noch mehr in Valerias Ungnade zu fallen.
Der Gedanke an sie allein vermochte es, ihn zu bändigen und ihn zur Zurückhaltung aufzufordern. Doch es war nur noch eine Frage der Zeit, bis seine ureigensten Instinkte über die Stimme der Vernunft triumphieren würden.
„Komm und setz dich! Möchtest du etwas Obst oder Wein? Der Mulsum ist wirklich äußerst vorzüglich und empfehlenswert.“ Hedera begann ihr Katz-und-Maus-Spiel, jedoch nur mit mäßigem Erfolg.
Kore war keinesfalls dumm oder so naiv, wie Kesara es gewesen war. Die junge Sklavin ließ sich nicht von der falschen Freundlichkeit ihrer Domina täuschen und kam daher nur zögerlich näher, wagte es beinahe nicht, auf eine der Liegen Platz zu nehmen, welche ihr von ihrer Herrin angeboten wurde.
Den Wein und das süße Obst lehnte sie dankend ab, woraufhin sie ohne es zu bemerken Hederas Unmut für einen Moment weckte, ehe diese ihre Strategie wechselte.
Anstatt ihr noch einmal etwas zu Trinken anzubieten, begann sie auf die junge Sklavin mit lieblicher Zunge einzureden. Zuerst versuchte sie, Kore auf ganz gewöhnlichem Wege zu bezirzen. Doch als das nicht den gewünschten Anklang fand, setzte sie ihre magischen Kräfte ein, die allmählich bei jedem ihrer Worte mitschwangen, bis die junge Sklavin sich, ohne es selbst zu bemerken, langsam entspannte, ihre Angst zusammen mit ihrem eigenen Willen vergaß und schließlich völlig teilnahmslos vor sich hinstarrte.
Es kam selten genug vor, dass Hedera zu diesem Mittel der Manipulation greifen musste, kostete es sie doch einen nicht unerheblichen Anteil an Kraft und Befriedigung zugleich, je stärker der Wille ihres Opfers war. Doch selbst ihr hätte von Anfang an klar sein müssen, dass Kore sehr wohl wusste, wer Vanadis' Tod angeordnet hatte und auf wessen Geheiß Valeria mehrmals ausgepeitscht worden war.
Die wohlwollende Domina konnte sie also auf keinen Fall mehr vortäuschen.
Alexey nahm die Wendung der Dinge mit grimmiger Genugtuung hin. Zumindest blieb dem Drecksstück ein Großteil der Jagdlust verwehrt und auch ihn konnte sie dadurch nicht länger als nötig quälen.
„Trink das, du dummes Ding!“ Hedera drückte der apathischen Sklavin einen vollen Becher mit Wein in die Hand.
Kore trank diesen anstandslos bis auf den letzten Tropfen in einem Zug leer, während sich Alexeys Stimmung bei diesem Anblick immer weiter verdüsterte.
Bei ihrer beharrlichen Weigerung, den Wein anzunehmen, hatte er gehofft, zumindest dieses Mal reines, unverdünntes Blut trinken zu können, das seine Sinne nicht benebeln würde. Doch Hedera hatte wie schon so oft andere Pläne mit ihm.
Sie wollte, dass er die Kontrolle verlor und genau das würde schon bald unweigerlich geschehen.
Mit einem Wink rief sie ihn zu sich.
Alexey gehorchte und nahm auf dem Weg zu ihr seinen Helm ab, da es heute Nacht ohnehin keine Spielchen mehr geben würde, um seine Blutmahlzeit länger als nötig zu quälen.
Kore reagierte nicht auf seine Nähe. Sie zeigte auch keinerlei Reaktion, als er sich vor sie hinkniete und ihr eine Hand in den viel zu zarten Nacken schob.
Ihr Blick ging starr durch ihn hindurch. Es blieb fraglich, ob sie überhaupt etwas von dem, was um sie herum geschah, mitbekam.
Trotz seines brüllenden Durstes zögerte Alexey und lauschte ihrem ruhigen Herzschlag, der von seltsamen Echos begleitet wurde.
„Nur zu.“ Hedera löste das lederne Band in seinem Nacken und hauchte ihm leise schnurrend ins Ohr: „Ich will sehen, wie du dich deinem Verlangen hingibst.“
Die Berührung ihrer Hände auf ihm machte ihn aggressiv und wütend zugleich, während Alexey sich dennoch nicht dazu verleiten ließ, irgendwie darauf zu reagieren. Was gut war, denn kaum, dass er Kore den leeren Weinbecher aus ihren schlaffen Fingern zog und sich weiter aufrichtete, um der jungen Sklavin näherzukommen, da machte Hedera es sich auch schon auf der danebenstehenden Liege bequem, um ihn besser beobachten zu können.
Ihr Befehl war nicht besonders kraftvoll oder zielgerichtet gewesen, weshalb Alexey sein Verlangen nach Kores Blut noch einen Moment bremsen konnte, während er sich zu ihr beugte und an der zarten Haut ihres Halses schnupperte.
Das seltsame Echo, welches ihren Herzschlag begleitete, ließ ihm immer noch keine Ruhe, aber schon kurz darauf bestätigte ihm sein feiner Geruchsinn, was er bereits vermutet hatte.
Kore trug ein Kind unter dem Herzen.
Alexeys eigener Herzschlag überschlug sich ob dieser ernüchternden Erkenntnis, und doch dämpfte das Wissen seinen Blutdurst kaum.
Zu deutlich spürte er das Blut in den Adern der jungen Frau zirkulieren, konnte beinahe den Geschmack davon auf seiner Zunge schmecken und das wilde Verlangen nach ihr wurde von Sekunde zu Sekunde stärker, je länger er in ihrer Nähe blieb.
Um Fassung ringend zog Alexey Valerias Freundin ein Stück weit zu sich, schlang auch seinen anderen Arm um den dürren Körper und verbarg sein Gesicht in der verlockenden Kuhle zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter.
Oh ihr Götter, gebt mir Kraft ...
Sich bewusst, dass er die Kontrolle über sich verlieren würde, sobald der erste Blutstropfen seinen krampfenden Magen erreicht hatte, zögerte Alexey den Moment seines Bisses noch länger hinaus, obwohl er es kaum noch ertragen konnte.
So kurz vor dem Stillen seines Verlangens schmerzte ihn sein Durst besonders heftig in jeder Faser seines Körpers, und doch ... die Schmerzen waren nichts im Vergleich zu jenen, die er empfunden hatte, als er Valeria auf so grausame Art und Weise verletzt und ihre Freundin getötet hatte.
Abermals befand sich eine ihrer Liebsten in seinen Fängen, und erneut würde Hedera ihm befehlen, Valerias Freundin zu töten. Nicht direkt mit ihren Worten, doch sie erwartete, dass er die Kontrolle über sich endgültig verlor und der Tod der Sklavin somit unausweichlich war.
Wie recht sie doch hatte. Er würde nicht stark genug sein, um rechtzeitig aufzuhören. Das war er noch nie gewesen.
Alexey schloss gequält die Augen und öffnete langsam seinen Mund.
Seine wild pochenden Fänge glitten über samtene Haut auf der Suche nach der richtigen Stelle. Als sie diese schließlich fanden, formten sich seine Lippen zu einem tödlichen Kuss.
Bitte, flehte Alexey noch ein letztes Mal voller Verzweiflung, lasst mich ihr nicht noch einmal das Herz brechen!
Er biss zu.