Val fühlte sich wie gerädert, als man ihr endlich erlaubte, sich zu erheben.
Jeder einzelne ihrer Muskeln war verspannt und schmerzte vom langen Stillhalten, doch war ihr körperliches Unbehagen bei weitem nichts gegen ihren verletzten Stolz, der mit dieser menschenunwürdigen Behandlung absolut nicht klarkam.
Ob sich so ihre versklavten Vorfahren gefühlt hatten?
Sich bewusst, dass es bei weitem noch schlimmer sein könnte, folgte Val eher stolpernd als gehend der älteren Frau mit den kalten Augen, die gekommen war, um sie von dem Damenkränzchen wegzubringen.
Kaum dass sie den Raum verlassen hatten, drehte diese sich überraschend zu ihr um und verpasste Val eine saftige Ohrfeige.
Wofür genau sie diese Behandlung verdient hatte, wusste sie nicht, aber dem Gezeter der Älteren nach zu urteilen, musste sie ihr mindestens ins Essen gespuckt haben, wenn nicht sogar noch Schlimmeres.
Letztendlich war Val ihr wohl einfach zu langsam gewesen, denn sie hatte sich noch nicht einmal richtig von dem Schlag erholt, da wurde sie auch schon grob am Arm gepackt und einfach mitgeschleift.
So schnell, wie das Weib voranstürmte, musste sie sich voll und ganz auf ihre stolpernden Schritte konzentrieren, um nicht hinzufallen, so dass sie nur wenig von ihrer Umgebung mitbekam und wie diese sich veränderte.
Val war ohnehin viel zu müde, um noch besonders aufnahmefähig zu sein, daran hatte auch die Ohrfeige nicht im Geringsten etwas geändert. Sie wollte sich einfach nur noch zusammenrollen und schlafen. Auf etwas zu Essen brauchte sie in dieser Nacht ohnehin nicht mehr zu hoffen.
Noch bevor sie sich fragen konnte, wohin sie gebracht wurde, schob die Ältere sie auch schon grob in eine kleine finstere Kammer, die nur von dem schwachen Licht, das zur Tür hereinfiel, beleuchtet wurde.
Im Dämmerlicht konnte Val etwas auf dem dunklen Steinboden ausmachen, das wie vier kleine Heuhaufen aussah, über die man alte, zerrissene Decken ausgebreitet hatte. Drei davon waren bereits von jungen Mädchen belegt, die trotz ihres Erscheinens tief und fest schliefen, während sie zum vierten Haufen gestoßen und schließlich darauf niedergedrückt wurde.
Bevor Val ihr Gleichgewicht wiederfinden und aufstehen konnte, war auch schon die Tür hinter der alten Hexe ins Schloss gefallen und das Geräusch eines sich drehenden Schlüssels war unmissverständlich.
Man hatte sie eingesperrt.
Der fensterlose Raum war so dunkel, dass Val selbst nach mehreren Minuten, in denen sich ihre Augen an die Finsternis hätten gewöhnen müssen, noch nicht einmal die Hand vor Augen erkennen konnte. Ihre restlichen Sinne bekamen dafür umso mehr mit.
Es war ziemlich muffig im Raum, aber vom Geruch her zum Glück noch ganz erträglich.
Die drei Mädchen, die man mit ihr hier eingesperrt hatte, atmeten leise vor sich hin. Keines von ihnen rührte sich oder reagierte auf das Rascheln, das jede von Vals Bewegungen auf dem trockenen Heu auslöste.
Die grobe Decke unter ihren Händen war rau und kratzig, aber zumindest schien sie sauber zu sein, denn einmal vom Geruch des Heus abgesehen, roch sie sogar ziemlich frisch. Was eigentlich schon bemerkenswert war, wenn man bedachte, wie Val und die anderen hier untergebracht worden waren.
Im Vergleich zu dem Heulager unter ihrem Hintern waren sogar die Pritschen in Rashads Behandlungsraum reiner Luxus gewesen. Dennoch streckte Val sich schließlich völlig erledigt auf dem Heu aus und wickelte sich so gut es ging in die kratzige Decke, um sich vor den stechenden Grashalmen zu schützen.
Trotz ihres grummelnden Magens und der restlichen widrigen Umstände schlief Val sogar überraschend schnell vor absoluter Erschöpfung ein.
***
Am nächsten Morgen wurde sie durch eine sanfte Berührung an der Schulter geweckt.
Val hatte in dieser Nacht nicht geträumt, sondern vielmehr wie eine Tote geschlafen, weshalb es ihr sehr schwer fiel, auch nur die Augen zu öffnen.
Sie konnte kaum mehr als ein paar Stunden geschlafen haben, so erschöpft, wie sie sich immer noch fühlte. Doch so sanft die Berührung an ihrer Schulter auch war, sie ließ sich nicht so einfach ignorieren.
Als Val schließlich wach genug war, um sich zu der Person herumzudrehen, die sie geweckt hatte, war sie dann doch ziemlich überrascht, eines der Mädchen von gestern Nacht vor sich zu sehen.
Es war nicht nur das warme Lächeln, das Val sofort so etwas wie Sympathie für die junge Frau empfinden ließ, sondern deren ganze fröhliche Ausstrahlung. Angefangen von den dunkelroten Locken, die ein sommersprossiges Gesicht einrahmten, bis hin zu den lebhaft grünen Augen schien alles an ihr eine gewisse Wärme zu verströmen.
Val mochte sie auf Anhieb, auch wenn sie wieder kaum ein Wort von ihrem Gegenüber verstand. Doch die angenehm plaudernde Stimme kam ihr merkwürdig bekannt vor, so als hätte sie diese schon einmal gehört. Sie konnte sich nur nicht mehr daran erinnern, wann genau das gewesen sein soll.
„Mein Name lautet Valeria“, unterbrach Val schließlich den unverständlichen Redeschwall auf Latein. Rashad hatte ihr geholfen, sich wieder an diese einfache Floskel zu erinnern, die sie schon sehr früh im Lateinunterricht gelernt hatte.
Für einen Moment sah die Rothaarige sie verdutzt an, ehe das schöne Lächeln wieder zum Vorschein kam und sogar noch breiter wurde.
„Mein Name lautet Ceara“, stellte sich die junge Frau nun ihrerseits vor und überschwemmte Val erneut mit einem Schwall aus Worten, dem sie nicht im Geringsten folgen konnte.
„Ich verstehe leider kein Wort, von dem was du mir sagst“, entschuldigte Val sich in ihrer eigenen Sprache, so dass Ceara erneut verstummte und sie fragend ansah.
Val hob daraufhin die Schultern und lächelte verlegen.
Einen Moment lang sahen sie sich einfach nur an, ehe die Rothaarige lächelnd ihre Hand nahm und sie sanft drückte. Danach erhob sie sich und half auch Val auf die Beine.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass Ceara und sie ganz alleine im Raum waren.
Das warme Licht kam nicht etwa von der Tür, wie sie zunächst vermutet hätte, da diese immer noch geschlossen war, sondern von einer Ölschale, die auf einer kleinen Holzkiste in der Mitte des Raums stand.
Daneben war auch eine tönerne Schüssel mit klarem Wasser und frische Tücher lagen ebenfalls bereit.
Ceara führte sie direkt dorthin, nahm eines der Tücher und legte es Val in die Hand, bevor sie sich selbst eines nahm, es ins Wasser tauchte und sich zu waschen begann.
Mehr als eine tägliche Katzenwäsche schien es an diesem Ort nicht zu geben, und obwohl Val inzwischen sogar die Duschen im Gefängnis vermisste, nahm sie die Begebenheiten, wie sie waren, und wusch sich ebenfalls zügig.
Ihre langen Haare waren über Nacht erneut zu einer einzigen Katastrophe mutiert. Einzelne Strähnen waren von der Kräutersalbe auf ihrem Rücken verklebt, und als würde das und die Knoten darin nicht schon genügen, hing auch noch Heu darin, das sie nur schwer herauszupfen konnte.
Sobald Ceara mit ihrer eigenen Morgentoilette fertig war, kümmerte sie sich um Vals Haare, die der jungen Frau unendlich dankbar dafür war.
Während die Rothaarige aus dem verklebten Haufen auf ihrem Kopf so etwas wie eine annehmbare Frisur zauberte, erinnerte Val sich daran, wo sie die junge Frau schon einmal gesehen hatte.
Sie war eine der armen Gestalten gewesen, die in einer Reihe mit anderen Mädchen in diesem prunkvollen Raum gestanden und der unliebsamen Szene mit ihr und dem Hausherrn zugesehen hatten.
Folglich musste sie schon genauso lange wie Val in dieser Hölle verbringen. Umso erstaunlicher war es daher, dass sie sich trotz der widrigen Umstände immer noch ihr Lächeln bewahrt hatte. Gerade weil sie auch noch so verdammt jung war.
Mit einem letzten prüfenden Blick trat Ceara einen Schritt von Val zurück und betrachtete ihr Werk.
Scheinbar zufrieden packte sie schließlich alles zusammen, löschte die Flamme in der Ölschale und verließ zusammen mit Val die Schlafkammer.
Während sie einen schmucklosen, aus grobem Stein gehauenen Flur entlanggingen, der von vielen weiteren Türen gesäumt war und eindeutig unter der Erde lag, versuchte Val sich mental auf den kommenden Tag vorzubereiten, obwohl ihr das nicht im Geringsten gelingen wollte. Schließlich hatte sie keine Ahnung, was auf sie zukommen würde.
In den letzten Tagen mit Rashad war sie einem einfachen Tagesablauf gefolgt, der hauptsächlich darin bestanden hatte, sich auszuruhen und wieder zu Kräften zu kommen. Da hatte sie noch gewusst, was sie erwarten würde, doch nun tappte sie in dieser Hinsicht völlig im Dunkeln.
Cearas Gesellschaft war zwar sehr angenehm, würde aber sicher nicht von langer Dauer sein. Dieser Hoffnung brauchte sie sich gar nicht erst hinzugeben. Damit sollte sie am Ende sogar Recht behalten.
Denn die Rothaarige brachte Val schließlich zu jener Frau, die sie gestern so grob behandelt hatte.
Ein einziger Blick auf die zeternde Gewitterziege in ihrem Element genügte, um zu wissen, wer hier nach der Eiskönigin das Kommando im Hintergrund hatte.
Val stand inmitten einer altertümlichen Küche, in der es schlimmer wuselte als in einem Ameisenhaufen, obwohl es draußen noch nicht einmal hell war.
Die köstlichen Düfte, die in der warmen Luft waberten, erinnerten sie schmerzlich an ihren leeren Magen, der daraufhin auch sogleich protestierend knurrte. Das Geräusch ging aber zum Glück völlig in dem vorherrschenden Lärm unter.
Am Lautesten war aber das Gezeter der alten Hexe, die permanent Befehle bellte und dabei auch noch einen dünnen Rohrstock in der Hand schwang, der auch auf dem einen oder anderen Rücken landete, wenn sie mit der Arbeit der betreffenden Person nicht zufrieden war.
Es war erstaunlich, dass sie bei all dem Gebaren sogar relativ rasch die beiden Neuankömmlinge bemerkte.
Val, die eigentlich schon die ganze Zeit über nur Flucht im Kopf hatte, wollte unter dem scharfen Blick dieser Furie erst recht auf dem Absatz kehrtmachen und das Weite suchen. Aber sie hielt es wie bei einer Begegnung mit einem wilden Bären. Stillhalten, ruhig bleiben und darauf hoffen, dass ihr Anblick keine Aggression auslöste.
Sie wäre tot, wenn die Frau vor ihr ein wilder Bär gewesen wäre.
Womit auch immer, ihr Anblick brachte die Ältere noch weiter auf. Wie eine rasende Lokomotive donnerte sie auf Val und Ceara zu, schlug die Rothaarige ohne Vorwarnung ins Gesicht und scheuchte sie dann mit rüden Worten davon, ehe sie sich an sie wandte.
Es war ziemlich beschissen, dass dieser Körper, in dem sie gerade steckte, so klein war, so dass man sie noch einfacher von oben herab zusammenstauchen konnte.
Auch Val bekam eine Ohrfeige und wurde angeschrien, wobei feine Speicheltropfen sie im Gesicht trafen und sie vor Ekel und Wut erschaudern ließen. Doch bevor ihr Stolz die Situation noch schlimmer machen konnte, wurde sie grob von der Hexe herumgedreht und vorwärtsgedrängt. Als sie nicht schnell genug war, bekam auch sie den Rohrstock auf dem Rücken zu spüren, was so heftig schmerzte, dass es ihr für einen Moment den Atem raubte und ihr Tränen in die Augen trieb.
Vals Kiefer mahlten aufeinander, während sie ihren ersten Reflex hinunterschluckte und stattdessen tat, was man von ihr verlangte. Immer wieder musste sie sich dabei vor Augen führen, dass ausgepeitscht zu werden noch bei weitem schlimmer gewesen war als diese Behandlung. Aber langfristig gesehen würde diese Taktik bestimmt nicht funktionieren.
Wie Vieh wurde sie aus dem Raum getrieben. Der Rohrstock gab dabei Richtung und Tempo an, das Gekeife der Älteren erledigte den Rest.
Zum Glück hatten sie es nicht weit, ansonsten wäre Val am Ende vielleicht doch noch der Geduldsfaden gerissen und sie hätte der verdammten Hexe den Rohrstock abgenommen, um ihn ihr so tief in den Arsch zu rammen, dass sie darauf herumkauen konnte.
Stattdessen landete sie schließlich in einem Raum, der wohl die antike Version eines Badezimmers darstellen sollte, auch wenn sie so etwas bisher noch nie zuvor gesehen hatte.
Es gab ein großes, mit Wasser gefülltes Becken. Etwa vier Mal vier Meter und eine steinerne Treppe die hineinführte.
In einer Ecke des Raumes stand eine steinerne Wanne. Vielleicht war sie auch aus Ton. So genau konnte Val das nicht sagen, ohne sie anzufassen.
Überraschenderweise waren die dunklen Marmorplatten unter ihren nackten Füßen warm und nicht kühl so wie im Rest des Hauses, was ein Zeichen für Modernität bedeuten könnte, aber sicher war sie sich da nicht, immerhin wirkte alles andere an diesem Ort ziemlich authentisch.
Weiter kam Val mit ihrer Betrachtung nicht, da ein weiterer Schlag sie zu einem ziemlich abgemagerten jungen Mädchen mit mattem braunen Haar trieb, das auf dem Boden neben dem Wasserbecken kniete und diesen gründlich schrubbte.
Die Sklaventreiberin sagte etwas, woraufhin das Mädchen mit dem leeren Blick kurz in ihrer Tätigkeit innehielt, um zu ihr aufzusehen und schließlich ergeben nickte.
Noch eine letzte nachdrückliche Drohung mit dem Rohrstock und die verdammte Hexe ließ sie endlich allein.
Für einen Moment herrschte peinliche Stille zwischen Val und dem Mädchen, das kaum älter als fünfzehn sein konnte, obwohl dessen braunen Augen eine ganz andere Sprache sprachen. Augen, die schon zu viel Leid gesehen hatten, um noch an etwas glauben zu können.
Val sah so etwas nicht zum ersten Mal, aber das machte es für sie auch nicht leichter, so etwas zu sehen und zu wissen, dass sie kaum in der Lage war, auch nur irgendwie zu helfen. Dennoch versuchte sie es mit einem warmen Lächeln und stellte sich wie schon am Morgen bei Ceara bei dem Mädchen vor.
„Kore“, antwortete dieses schließlich kurz und knapp, ohne das Lächeln zu erwidern, ehe es Val eine zweite Bürste in die Hand drückte und dann auf den Boden zeigte. Danach machte es sich selbst wieder ans Werk.
Kore war im Gegensatz zu Ceara sehr verschlossen und hatte auch keine besonders große Lust zu reden, weshalb sie beide einige Zeit lang fast gänzlich schweigend nebeneinander arbeiteten.
Nur wenn Val etwas falschmachte, eine Stelle am Boden übersehen hatte oder zu lange untätig war, während sie sich das schmerzende Kreuz rieb, gab Kore ihr unmissverständlich Anweisungen, ansonsten schwieg sie.
Es mussten Stunden vergangen sein, in denen Val auf dem feuchten Boden gerutscht und diesen so lange geschrubbt hatte, bis ihr beinahe die Arme abfielen. Ihre Finger waren von der ständigen Feuchtigkeit aufgequollen und wund und ihr Rücken brachte sie beinahe um, während ihr Magen inzwischen wie eine hungrige Bestie tobte.
Erst als der Raum zu Kores Zufriedenheit glänzte, durften sie ihre Sachen zusammenpacken und in die Küche gehen, wo es wie nicht anders zu erwarten, geschmacklosen Haferbrei zum Frühstück gab, den Val so schnell hinunterschlang, als wäre er das Köstlichste, das sie je gegessen hatte.
Sie hätte sich sogar noch einen Nachschlag geholt, wenn es ihr erlaubt gewesen wäre, stattdessen ging es ohne Pause weiter mit der Arbeit.
Kore war ihr anscheinend von der Sklaventreiberin zur Aufsicht und Einarbeitung in die täglichen Pflichten zugewiesen worden. Obwohl Val bei dem Ganzen eigentlich gar nicht mitmachen wollte und sich nur gerade so viel Mühe gab, wie es eben nötig war, ohne weitere Strafen zu riskieren, musste sie zugeben, dass das Mädchen ein Händchen dafür hatte, zwar ohne Worte, dafür aber mit Gesten zu zeigen, was man von Val erwartete und sie auch immer wieder anzutreiben, ohne dabei jedoch unfreundlich zu werden.
Am Ende dieses verflucht langen Tages hatte Val zwar viele Eindrücke gewinnen können, war aber, was ihre Flucht anging, kein Stück weiter gekommen. Sie hatte noch nicht einmal wirklich Zeit dazu gehabt, großartig darüber nachzudenken. Stattdessen wollte sie einfach nur noch ins Bett, besser gesagt auf ihren Heuhaufen, um eine ganze Woche durchzuschlafen.
***
Ceara warf einen weiteren ungeduldigen Blick auf die verschlossene Tür zu ihrer Kammer, während sie sich das restliche Wasser aus dem feuchten Haar streifte und es anschließend in ein weiches Tuch hüllte.
„Du sorgst dich um die beiden“, bemerkte Vanadis vollkommen richtig, während sie sich mit den Fingern durch das eigene flachsblonde Haar kämmte und es anschließend zu einem dicken Zopf verflocht.
„Das solltest du auch, nachdem Kesara von ihrem Auftrag nicht mehr zurückgekehrt ist.“
Vanadis hielt kurz in ihrer Tätigkeit inne. „Denkst du, sie ist tot?“
„Kesara? Ja, das denke ich.“
Die Blonde senkte betroffen ihren Blick und seufzte leise. „Dabei hatte sie sich gerade erst von ihrer Krankheit erholt.“
Das stimmte zweifellos. Dem einen Tod war sie entkommen, nur die Götter mochten wissen, welcher andere sie am Ende ereilt hatte.
Für eine Weile versiegelte Trauer um die junge Spanierin ihre beiden Münder, bevor Vanadis ein anderes Thema aufgriff. Vermutlich um Cearas sorgenvolles Warten etwas zu erleichtern.
„Konntest du mehr über die Neue in Erfahrung bringen? Ist sie tatsächlich eine Freigeborene?“
„Ihr Name ist Valeria. Zumindest so viel konnte sie mir mitteilen. Aber mehr vermochte ich nicht zu erfahren. Sie spricht kaum Latein und auch keine der anderen mir bekannten Sprachen.“
Nun war es an Ceara schwermütig zu seufzen.
„Sie wurde ganz offensichtlich ausgepeitscht. Darum kam sie wohl auch erst so spät zu uns.“
„Was kaum verwundern dürfte, der Art nach zu urteilen, mit der sie sich dem Dominus wiedersetzt hat. Sklaven wurden schon aus weit geringeren Gründen getötet.“
Ceara nickte zustimmend, ehe sie das feuchte Tuch von ihrem Kopf zog und sie sich auf ihr Lager begab, um die wilde Mähne mit ihren Fingern zu bändigen.
„Sie besitzt vielleicht mehr Temperament, als gut für sie ist.“
Vanadis stieß ein leises Schnauben aus, bevor sie sich auf ihrem eigenen Lager ausstreckte und an die Decke blickte. „Eine Eigenschaft, die sie wohl kaum lange am Leben halten wird.“
Damit mochte die Germanin wohl Recht behalten, doch Ceara bewunderte die junge Frau im Geheimen für das Feuer, das so deutlich sichtbar für alle in ihren Augen loderte.
„Dennoch denke ich –“
Sie verstummte, als die Tür zur Schlafkammer aufschwang und zwei Geister den Raum betraten.
Bei dem entsetzlichen Anblick, der sich ihr bot, kam sie sofort auf die Beine und Vanadis folgte ihrem Beispiel, um Kore zu stützen, die kaum einen Schritt vor den anderen tun konnte, während Ceara sich um Valeria kümmerte, die noch bei weitem schlimmer zugerichtet worden war.
Beide waren eindeutig bestraft worden. Den Verletzungen nach zu urteilen, war es auch nicht schwer zu erraten von wem. Gràinnes Werk war unverkennbar.
„Bei den Göttern, was ist passiert?“, verlangte Vanadis von Kore zu wissen, ohne dabei das Entsetzen in der Stimme verbergen zu können, während sie die Jüngere zu ihrem Lager brachte und ihr dabei half, sich vorsichtig zu setzen.
Während Kore mühsam die Geschehnisse wiederzugeben versuchte, besah sich Ceara Valerias Verletzungen und wusste gar nicht, worum sie sich zuerst kümmern sollte. Das Mädchen war von oben bis unten von roten Striemen übersät, das schöne Gesicht von Blutergüssen und Schwellungen entstellt und ihre Nase blutete immer noch leicht.
„Es war meine Schuld. Ich habe in der Küche einen Krug Wein, der vom Abendmahl übrig geblieben war, aus Versehen umgestoßen und das direkt vor Gràinne.“
Vanadis' Augen wurden groß und auch Ceara musste schwer schlucken. Kein Wunder, dass Kore so bestraft worden war.
„Und was ist mit Valeria?“
Als sie ihren Namen hörte, richteten sich die trüben Augen der jungen Frau auf sie.
Ceara versuchte ihr ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, auch wenn es ihr bei dem fürchterlichen Anblick wirklich schwerfiel.
Ganz vorsichtig ließ sie die andere auf das ihr zugewiesene Lager gleiten und schnappte sich ein frisches Tuch, tauchte es in das inzwischen kalt gewordene Wasser, mit dem sie sich gewaschen hatten, und versuchte zuerst einmal Valerias Nasenbluten zu stoppen.
„Sie stand genau daneben, als mir das Unglück passiert ist“, versuchte Kore weiterzuerzählen, bevor sie erneut vor Schmerzen zusammenzuckte, während Vanadis ihr sanft die Striemen am Rücken abtupfte.
„Also hat Gràinne sie ebenfalls dafür bestraft?“, versuchte sie Kore zum Weitererzählen zu bewegen.
„Nein. Sie ... Sie hat Gràinne einfach den Rohrstock aus der Hand gerissen und ihr damit einige Male eins übergezogen, bevor sie von Cicero und einem der anderen Wachen aufgehalten worden ist.“
In der fassungslosen Stille, die auf diese Offenbarung hin folgte, nahm Valeria ihr in aller Ruhe das Tuch aus den reglosen Fingern, drückte es selbst gegen ihre blutende Nase und legte sich mühsam mit dem Gesicht zur Wand hin. Dabei war ihr kein einziger Laut des Schmerzes über die Lippen gekommen, obwohl sie unverkennbar leiden musste.
Wer bist du nur?, fragte Ceara sich nicht zum ersten Mal, seit Rutilus die junge Frau einfach so auf der Straße aufgelesen hatte. Aber genau wie damals würde sie wohl auch jetzt keine Antwort darauf bekommen. Vielleicht würde sie das nie.
So mutig Valeria auch war, würde genau das sie früher oder später mit absoluter Gewissheit das Leben kosten.