Im Lichte zahlreicher Kerzen und Ölschalen sahen Valerias Verletzungen dem Anschein nach nicht mehr so schlimm aus, wie sie es zuvor im Halbdunkel der Nacht noch getan hatten.
Der Spalt in ihrer Ober- und Unterlippe war nicht so schlimm, dass er genäht werden musste. Auch der Wangenknochen auf ihrer rechten Seite hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit nur einen kleinen Haarriss und war nicht gänzlich gebrochen, was bei Rashads erster Untersuchung noch so gewirkt hatte.
Selbst ihr zerfledderter Rücken hatte inzwischen aufgehört zu bluten und die Wunden sahen weit nicht mehr so tief aus, wie zu dem Zeitpunkt, als er ihr einen provisorischen Verband angelegt hatte.
War das Licht im Freien tatsächlich so schlecht gewesen, dass er sich so verschätzt hatte, was Valerias Zustand anging?
Irgendetwas kam Rashad an der Sache merkwürdig vor, doch er hatte nicht die Zeit, um darüber zu sinnieren. Die Verletzungen waren trotz allem immer noch ernst und mussten umgehend behandelt werden.
Shukran, ein Sklave von Hedera und bisweilen auch Rashads Assistent, reichte ihm einen Becher mit Mohnblumensaft, noch bevor der Medikus ihn darum bitten konnte.
Gemeinsam versuchten sie Valeria so weit aufzurichten, dass sie etwas davon trinken konnte, doch so apathisch sie bisher auch gewesen war, weigerte sie sich doch beharrlich, etwas von dem schmerzstillenden Mittel zu sich zu nehmen.
Rashad versuchte beschwichtigend auf sie einzureden, doch entweder verstand sie ihn nicht, oder sie hatte einfach beschlossen, ihn zu ignorieren.
Am Ende blieb ihm keine andere Wahl, als die Behandlung ohne das Mittel fortzusetzen.
Während Shukran die junge Frau mit dem Bauch voran auf dem Tisch festhielt, begann Rashad damit, die riesige offene Wunde auf ihrem Rücken mit Kräutersuden zu reinigen.
Es dauerte nicht lange, bis er Valeria damit eine Reaktion entlockte.
Zuerst begann sie sich auf dem Tisch zu winden, während sie sich dabei die größte Mühe gab, keinen Laut von sich zu geben, doch irgendwann wurde der Schmerz selbst für sie zu stark und sie konnte ihre Schreie nicht länger unterdrücken.
Rashad brach die Behandlung sofort ab und griff nach dem Becher mit dem Mohnblumensaft.
„Bitte trink das, Valeria.“
„Nein!“ Sie drehte ihr Gesicht von ihm weg. Dabei war nur allzu offensichtlich, welche Schmerzen sie schon bei der kleinsten Bewegung haben musste, so stark, wie sie zitterte.
Rashad ging um den Tisch herum, auf die andere Seite und begab sich vor ihr in die Hocke, damit er der jungen Frau geradewegs ins Gesicht schauen konnte.
„Warum quälst du dich so?“, wollte er vorsichtig von ihr erfahren, nun, da sie endlich wieder auf ihre Umgebung reagierte.
Valeria sah ihn nur stumm an. Was jedoch schon eine Verbesserung darstellte. Bisher hatte sie immer nur durch ihn hindurchgesehen.
Lange erwiderte sie schweigend seinen Blick, bis sich etwas in ihr zu regen begann.
Zunächst noch subtil zogen sich schließlich ihre Augenbrauen fest zusammen, während Tränen in ihren Augen wallten und ihr schließlich über die schmutzigen Wangen liefen, bevor sie ihr Gesicht vor ihm in ihren zittrigen Händen verbergen konnte.
Rashad gab Shukran ein stilles Zeichen, damit der Mann sie losließ und sich etwas zurückzog, während er sie vorsichtig an den Schultern hochzog, damit sie sich aufsetzen konnte.
Immer noch versteckte sie ihr Gesicht vor seinem Blick, während ihr ganzer Körper von immer heftigeren Beben geschüttelt wurde und schließlich auch ein Schluchzen die Stille zwischen ihnen durchbrach.
Zunächst wehrte sie sich noch dagegen, dass er sie an sich zog, doch irgendwann gab sie den Widerstand auf und sie vergrub ihr Gesicht in seiner Tunika, während sie von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt wurde.
Noch nie, in der kurzen Zeit, die er sie jetzt schon kannte, hatte er sie so aufgelöst gesehen.
Das hier ging weit über den körperlichen Schmerz, den sie empfinden musste, hinaus.
Und wieder einmal fragte Rashad sich, was man ihr noch alles angetan hatte, einmal vom Offensichtlichen abgesehen.
***
Val wurde immer wieder zwischen Schock und Schmerz hin und her gerissen.
In einem Moment fühlte sie gar nichts, im nächsten war es so schlimm, dass sie es kaum ertragen konnte, auch nur ihre Augen zu schließen, da sie sofort wieder das Bild von Vanadis vor sich sah und wie diese von dem Monster mit der dämonischen Fratze geköpft wurde.
Immer wieder spielte sich diese Szene vor ihrem inneren Auge ab und wurde mit jedem Mal noch schmerzvoller und quälender für sie.
Doch das absolut Schlimmste daran war das Wissen, dass Vanadis' Tod ihre Schuld war.
Val hätte die Eiskönigin nicht provozieren sollen. Sie hätte sich dieser Frau niemals wiedersetzen und schon gar nicht den Perversen so niederschlagen dürfen.
Das Beste wäre wohl gewesen, wenn sie einfach nur still zugesehen hätte, wie dieser Vanadis als sein persönliches Sexspielzeug missbrauchte.
Selbst ihre Freundin hatte sie mit diesem leichten Kopfschütteln davon abhalten wollen, dass Val etwas Unüberlegtes tat. Ganz so, als hätte sie gewusst, dass es weitaus Schlimmeres gab, als für einen Mann, den man eigentlich nicht wollte, die Beine breitzumachen.
Der Tod war sogar sehr viel schlimmer als das.
Val konnte sich das einfach nicht verzeihen.
Eigentlich hätte sie sterben müssen und nicht Vanadis, die überhaupt nichts falschgemacht hatte.
Ihr hätte man als Strafe den Kopf abschlagen sollen, aber ganz bestimmt nicht ihrer unschuldigen Freundin!
Daher konnte kein Schmerz der Welt dieses Unrecht sühnen, weshalb sich Val auch weiterhin beharrlich weigerte, etwas von dem Trank zu trinken, den Rashad ihr immer wieder aufzudrängen versuchte, nachdem sie einer kurzfristigen Schwäche nachgegeben und sich bei ihm ausgeheult hatte.
Sie hätte noch sehr viel Schlimmeres als das verdient. Aber das schien der Arzt einfach nicht zu verstehen.
Irgendwann gab er es jedoch auf, ließ Val sich wieder auf den Bauch legen und machte mit seiner Behandlung weiter, während ein dunkelhaariger Mann Mitte Zwanzig, den sie bisher noch nie gesehen hatte, sie auf dem Tisch festhielt.
Die Wunden an ihrem Rücken zu reinigen, brannte wie die Hölle und ließ sie immer wieder vor Schmerz aufschreien, doch in ihrem Inneren verhöhnte eine dunkle Stimme sie dabei und ließ sie wissen, dass es nie genug sein würde.
Als Rashad schließlich zu nähen begann, wurde Val am Ende doch noch bewusstlos.
***
Val fühlte sich seltsam benebelt, als sie wieder zu sich kam.
Sie saß aufrecht, konnte sich aber nicht daran erinnern, wie sie in diese Position gekommen war. Zudem wäre sie auch sofort wieder umgekippt, wenn man sie nicht an den Armen festgehalten hätte.
Soweit sie das beurteilen konnte, saß sie in einem hölzernen Bottich, der mit trübem Wasser gefüllt war, das ihr bis zum Bauchnabel ging.
Jemand wusch sie vorsichtig mit einem weichen Tuch.
Val konnte nicht sehen, wer es war. Ihr Kopf war viel zu schwer, um ihn anzuheben, aber es waren ganz eindeutig weibliche Hände. Für einen Moment fielen ihr wieder die Augenlider zu und sie dämmerte erneut weg.
Wasser wurde vorsichtig über ihren Kopf gegossen, so dass es ihr Haar umspülte, aber nicht ihr Gesicht oder ihren Rücken.
Als Val dieses Mal die Augen öffnete und die Welt um sich herum wie durch einen Nebel sah, konnte sie Ceara erkennen, die ihr das Blut aus dem Haar wusch, während Kore sie aufrecht hielt und dabei vorsichtig mit einem Tuch ihr Gesicht abtupfte.
Beide hatten sie ganz offensichtlich geweint, doch im Moment waren sie voll und ganz auf ihre Aufgabe konzentriert.
Obwohl Val momentan so betäubt war, dass sie nicht einmal ihre Zehen spüren konnte, fühlte sie doch den tiefen Schmerz der Trauer in sich, der immer stärker wurde, je länger sie in die gezeichneten Gesichter ihrer Freundinnen blickte.
Wieder verschwamm die Welt vor ihren Augen, doch dieses Mal nicht wegen des betäubenden Mittels, das Rashad ihr wohl im Schlaf eingeflößt hatte, sondern von den Tränen, die ihr erneut über die Wangen liefen.
Erst da schienen ihre Freundinnen wirklich zu realisieren, dass Val wieder bei halbwegs klarem Verstand war.
Daraufhin unterbrachen sie sofort ihre Tätigkeiten und schlangen vorsichtig ihre Arme um sie, was die Verzweiflung in Val nur noch verschlimmerte und ihre Tränen noch zahlreicher fließen ließ.
Niemals wieder – so schwor sie sich in diesem Moment selbst –würde sie zulassen, dass irgendetwas, das sie tat oder nicht tat, diesen beiden jungen Frauen Schaden zufügte.
Bei Vanadis hatte sie kläglich versagt, doch bei den beiden anderen, würde sie es nicht noch einmal so weit kommen lassen.
Vals Leben war nicht weiter wichtig. Nur noch das dieser beiden Mädchen zählte.
Weshalb sie sich auch nicht länger so zwischen ihren Gefühlen treiben lassen konnte, egal wie sehr Vanadis' Tod sie traumatisiert hatte und wie geschockt und fassungslos sie immer noch deswegen war, sie musste sich wieder zusammenreißen, um weitermachen zu können.
Vor allem hatte sie den Trost der beiden absolut nicht verdient, weshalb sie sich schließlich von ihnen löste und sich die Tränen aus den Augen wischte, obwohl ihr dabei fast die Hand abfiel, so schwer fühlte sich diese an.
Aber gegen die Betäubung anzukämpfen war allemal besser, als ihr zu erliegen.
Ceara sprach leise zu ihr, während sie sich wieder daran machte, ihr die Haare zu waschen, doch Val war zu erschöpft, um die Worte in ihrem Kopf zu übersetzen, stattdessen konzentrierte sie sich voll und ganz darauf, nicht erneut in Ohnmacht zu fallen.
Einige Minuten später war sie sauber genug, um aus dem Bottich zu steigen, was sie nur mit den vereinten Kräften ihrer Freundinnen schaffte, da sich ihre Beine wie Wackelpudding anfühlten und auch ebenso instabil waren.
Erst jetzt konnte Val auch erkennen, wo sie sich befand. Und zwar genau an dem Ort, an dem sie die ersten Wochen in diesem Horrorhaus verbracht hatte.
Nachdem sie vorsichtig abgetrocknet und in ein großes Tuch gewickelt worden war, verschwand Kore hinter dem dicken Vorhang, der ihr inzwischen nur allzu vertraut war, um den Arzt zu holen.
Val wollte dieses Mal gar nicht so genau wissen, wie ihr Rücken zugerichtet worden war. Er sollte ihr einfach nur einen Verband anlegen, damit ihre Freundinnen nicht länger diesen grässlichen Anblick ertragen mussten.
Rashad wirkte erleichtert und betrübt zugleich, als er mit einem Lederbeutel in der Hand hinter dem Vorhang erschien und sie wieder aus eigener Kraft aufrecht auf einer der Pritschen sitzen sah.
Er dankte den beiden Mädchen für ihre Hilfe, schickte diese dann jedoch fort.
Val verabschiedete sich so knapp wie möglich von ihnen. Es war besser, wenn sie gingen. In ihrer Nähe war es einfach nicht mehr sicher für sie.
Während Rashad ihren verletzten Rücken versorgte, suchte auch er das Gespräch.
Val glaubte, dass er sich nach ihren Schmerzen erkundigte, war sich jedoch nicht ganz sicher. Auf jeden Fall beschloss sie, auch weiterhin zu schweigen und so zu tun, als würde sie ihn nicht verstehen.
Er war ein guter Mann. Vermutlich einer der wenigen in diesem Haus. Aber auch er konnte ihr am Ende nicht helfen, und das, was er bereits für sie alles getan hatte, war schon mehr, als sie verdient hatte.
Sein Seufzen war lang und schwer, als er irgendwann einsah, dass sie nicht mit ihm reden würde. Schon gar nicht über das, was in dieser schrecklichen Nacht dort draußen unter dem Sternenhimmel geschehen war.
Also legte er ihr einen festen Verband an, half ihr anschließend dabei, sich einen weiteren Fetzen überzuziehen, der kaum als Kleid durchging, und flocht ihr abschließend das frisch gewaschene Haar zu einem dicken Zopf, den er ihr wieder einmal über die Schulter nach vorlegte, um ihren geschundenen Rücken zu schonen.
Sie musste sich schwer auf ihn stützen, als klar wurde, dass sie nicht länger hier bleiben würde, um sich noch etwas von ihren Verletzungen zu erholen.
Vielleicht war das auch besser so.
***
„Dieses kleine, hinterhältige Miststück hätte mich beinahe umgebracht! Ich will, dass sie stirbt!“
Vorenus untermauerte sein heißblütig vorgetragenes Anliegen auch noch damit, dass er seinen halbvollen Weinbecher gegen die nächstbeste Wand schleuderte, kaum einen Meter von Briseis' Kopf entfernt, die daraufhin in die Nähe ihrer Herrin flüchtete.
Hedera, die an ihrem Schreibtisch saß und bis zu Vorenus' Erscheinen noch tief in ihren geschäftlichen Verpflichtungen versunken gewesen war, verzog nicht die geringste Miene, während sie dem Treiben ihres Sohnes zusah.
„Sie ist für ihre Tat hinreichend bestraft worden. Das versichere ich dir.“
Unbeeindruckt vom Verhalten ihres Sohnes, hinterließ sie schwungvoll auf einer Wachstafel ihr Zeichen, ehe sie diese an Titus weiter gab und sich dem nächsten Geschäftsschreiben zuwandte.
Von ihrem ungerührten Verhalten provoziert, schlug Vorenus seine Fäuste vor ihr auf das Holz des Schreibtischs und schnaubte aufgebracht wie ein wütender Stier: “Das genügt mir nicht!“
Alexeys geschärfte Klinge an seinem Hals holte ihn langsam aber sicher wieder von seinem hohen Ross herunter und auch die vergessen geglaubten Manieren kehrten allmählich in den kleinen Hurensohn zurück.
Es wäre so leicht.
Eine kleine Bewegung seiner Hand und Vorenus' Kehle würde sich für ein letztes tödliches Lächeln vor ihnen öffnen.
Alexey hatte ohnehin nichts mehr zu verlieren. Was hielt ihn also noch davon ab?
Ein kaum wahrnehmbarer Fingerzeig von Hedera genügte und er trat wie der gehorsame Hund, der er war, an seinen Platz an ihrer Seite zurück, während er sein Schwert wegsteckte.
Dass sie noch nicht einmal bemerkte, wie gebrochen er war, offenbarte nur noch deutlicher die erschütternde Wahrheit darüber, wie tief sie ihre Fänge bereits in ihn versenkt hatte, ohne dass es ihm selbst wirklich bewusst gewesen war.
Alexey hatte sich einem Wunschtraum hingegeben, als er geglaubt hatte, sich ihr tatsächlich noch in irgendeiner Weise widersetzen zu können.
„Bist du jetzt fertig oder soll ich dir von ihm auch noch den Hintern versohlen lassen, nachdem du dich hier aufführst wie ein verzogenes Kind?“
Das war nicht einfach nur eine leere Drohung. Langsam aber sicher wurde Hedera wütend. Etwas, das Vorenus ganz bestimmt nicht beabsichtigt hatte.
„Nein. Schon gut. Darauf kann ich verzichten.“ Der kleine Hurensohn ließ sich schmollend und wenig elegant auf den freien Stuhl vor Hederas Schreibtisch plumpsen, ehe er Alexey einen angewiderten Blick zuwarf.
„Es erschien mir nur nicht fair, dass die Sklavin, die mir nach dem Leben trachtet, in meiner Abwesenheit, bestraft worden ist“, versuchte er schließlich sein aufbrausendes Verhalten zu erklären.
„Zu gegebener Zeit wird sich sicher noch die eine oder andere Gelegenheit bieten, sie nach deinem eigenen Ermessen zu bestrafen, doch solange ich sie noch für meine Zwecke brauche, wirst du sie nicht anrühren.“
Hedera beugte sich bedrohlich zu ihrem Sohn vor und sah ihm fest in die Augen. „Ist das jetzt endlich in deinen Schädel vorgedrungen, Servius, oder muss ich dabei auch noch nachhelfen?“
Wo vorhin noch sein Kopf vor Rage puterrot geglüht hatte, wurde Vorenus' Gesicht bei dieser ernstgemeinten Drohung plötzlich fahl wie Käse.
Ein Anblick, der Alexey in einem anderen Leben vielleicht sogar amüsiert hätte, doch just in diesem Moment fing seine Nase Valerias und Rashads Witterung auf.
Sofort war die Anspannung wieder da und das Gefühl, als würde ihm jemand den Magen umdrehen, während sein plötzlich rasendes Herz gegen einen mit Stacheln gespickten Käfig ankämpfte.
Ein paar Atemzüge später betraten die beiden den Raum, nachdem Hedera ihnen die Erlaubnis dazu erteilt hatte.
Vorenus, der das Gespräch mit seiner Mutter in genau jenem Moment wieder vergessen zu haben schien, kaum dass er Valerias Anblick gewahr wurde, sprang von seinem Stuhl auf, um erneut wie ein rasender Bulle auf sie zuzustürmen.
Was auch immer er zu tun gedacht hatte, Alexey hielt ihn auf, noch bevor der Hurensohn Hand an die kleine Kriegerin legen konnte.
Das Gefühl, wie sich seine kräftigen Finger um Vorenus' schmales Genick legten und sich unmissverständlich enger darum schlossen, wäre noch um einiges besser gewesen, wenn er es tatsächlich hätte brechen dürfen.
Hedera würde ihm diesen Befehl jedoch niemals erteilen, aber zumindest gab sie ihm auch kein Zeichen dafür, dass er sich wieder zurückziehen sollte. Also blieb er, wo er war. Ebenso wie seine Hand um Vorenus’ Nacken.
Alexey wagte es kaum, seinen Blick auf Valeria zu richten. Viel zu groß war die Angst davor, was er dort vorfinden könnte. Doch wie ein Zwang, dem man sich einfach nicht widersetzen konnte, fanden seine Augen irgendwann doch den Weg zu ihr.
Ihr trüber Blick war auf den Boden gerichtet. Schwach und zittrig hing sie am Arm des Medikus', ohne den sie bestimmt schon längst zu Boden gesunken wäre.
Ihr Gesicht war bleich wie der Tod, von den immer noch leicht geschwollenen Stellen abgesehen, wo man sie geschlagen hatte.
Alexeys Blut hatte geholfen, die schlimmsten Verletzungen zu heilen, dennoch konnte er sehr deutlich das Ausmaß der Folter an ihrem Rücken riechen.
„Schaff ihn hier raus, bevor ich es mir tatsächlich noch anders überlege“, fauchte Hedera nun doch leicht aufgebracht, nachdem ihr Sohn sich ihren Worten so dreist widersetzt hatte.
Zwar machte es kein gutes Bild, den Hausherrn vor einem Medikus und den anwesenden Sklaven so zu brüskieren, doch das schien ihr im Augenblick vollkommen gleich zu sein. Zudem befolgte Alexey diesen Befehl sogar mit Vergnügen.
Ohne auf Vorenus' Proteste zu achten, setzte er diesen vor die Tür, ehe Alexey sie vor dessen Nase wieder schloss und sich zurück an Hederas Seite begab. „Sie kann in diesem Zustand unmöglich einer Arbeit nachgehen“, platzte es da auch schon aus dem Medikus heraus, noch bevor er überhaupt die Erlaubnis hatte, zu sprechen.
Hedera, die für heute wohl schon genug Aufsässigkeit ertragen hatte, reagierte darauf mit einem müden Seufzen, während sie die Augen schloss und sich mit ihren Fingerspitzen die Schläfen massierte.
Bevor Rashad weitersprechen konnte, schnitt sie ihm mit einer unmissverständlichen Geste das Wort ab und blickte sichtlich genervt zu ihm auf. „Genug, Quacksalber. Erspar mir deine langwierigen Vorträge. Ich werde sie in nächster Zeit keiner Arbeit nachgehen lassen. Du hast mein Wort darauf.“
Mit einem ungeduldigen Wink rief sie ihre Sklavin herbei, die nun wieder leichter aufatmen konnte, jetzt, da Vorenus des Raumes verwiesen worden war und nicht mehr mit Gegenständen um sich werfen konnte.
„Briseis wird sie in meine Räume bringen, wo sie sich ausruhen kann, bis ich hier fertig bin. Sollte sie noch einmal deinen Beistand benötigen, werde ich dich umgehend rufen lassen. Auch darauf gebe ich dir mein Wort. Und jetzt verschwinde. Ich habe heute noch Wichtigeres zu erledigen, als mir noch länger von unnützen Diskussionen meine wertvolle Zeit stehlen zu lassen.“
Nicht gänzlich von Hederas Worten überzeugt, wartete Rashad trotz allem darauf, dass Briseis sich tatsächlich der kleinen Kriegerin annahm, sie so gut sie konnte stützte und mit ihr zusammen schließlich den Raum verließ. Erst dann räumte auch er das Feld, um die Domina nicht weiter zu stören, was seinem finsteren Blick nach zu urteilen, seine geringste Sorge war.
Alexey konnte es ihm nicht verdenken.
„Ach, bei den verfluchten Göttern!“ Hedera warf die Wachstafel, welche sie gerade erst in die Hände genommen hatte, auf den Tisch und blickte finster zu ihm auf.
„Folge den beiden und achte darauf, dass Servius sich meinen Worten nicht noch einmal widersetzt.“
Überrascht über diesen eher ungewöhnlichen Befehl, neigte Alexey sein Haupt, ehe er loszog, um ihm Folge zu leisten.
Auf dem Weg zu Hederas Räumen traf er zwar nicht auf Vorenus, was nur dessen Glück sein konnte, doch dafür stieß er auf nicht einmal der Hälfte der Strecke auf Briseis, die verzweifelt versuchte, der zu Boden gesunkenen Valeria Frischluft zuzufächeln.
Als sie seine Schritte näherkommen hörte, seufzte sie erleichtert auf: „Oh, den Göttern sei Dank. Ich dachte schon, alle anderen wären –“ Sie verstummte, als sie hochblickte und erkannte, wer da auf sie zukam.
Alexey scherte sich nicht weiter um Briseis' erschrockene Reaktion auf sein Erscheinen. Einzig und allein Valeria galt seine volle Aufmerksamkeit, die trotz der Bemühungen der Sklavin noch immer nicht das Bewusstsein zurückerlangt hatte.
Um ihren verletzten Rücken zu schonen, hob er sie ohne zu zögern wie ein kleines Kind so sanft wie möglich auf seinen Arm, bevor seine andere Hand sich auf ihren Hinterkopf legte, um sie zusätzlich abzustützen.
„Sie ist ohne jede Vorwarnung einfach zusammengebrochen“, berichtete ihm Briseis nun doch, kaum, dass sie ihn eingeholt hatte. Offenbar hatte seine ungewöhnliche Reaktion sie ermutigt.
Alexey ignorierte sie.
Alles, was in diesem Augenblick für ihn zählte, war die Wärme der kleinen Kriegerin auf seiner Haut. Ihr Atem, der in regelmäßigen Abständen sanft seinen Hals entlang kitzelte. Das Pochen ihres Herzens in ihrer Brust, ganz nah an seinem eigenen.
Das Gefühl, sie auf diese Weise ganz nah bei sich halten zu können, ohne dass sie sich dagegen wehrte, ihm ihre Fingernägel in den Rücken trieb und um sich schrie, war so viel mehr, als er noch zu hoffen gewagt hatte.
Gewiss, wenn sie wach wäre, würde sie das niemals zulassen. Doch im Augenblick war sie das nicht. Stattdessen war sie so hilflos und schwach wie ein Neugeborenes in seinen Armen und er würde töten, um sie zu beschützen. Sogar für sie sterben.
„Du kannst sie jetzt ablegen.“
Briseis verlor jegliche Farbe im Gesicht und wich erschrocken vor ihm zurück, als sie das tiefe Grollen vernahm, das Alexeys Brust entsprang, kaum dass sie versucht hatte, Valeria zu berühren.
Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie Hederas Räume längst erreicht hatten und die Sklavin für die kleine Kriegerin eine der mit Seide bezogenen Liegen vorbereitet hatte, auf die er sie ablegen konnte.
Doch er wollte sie nicht gehen lassen, wusste er doch, dass er dann dieses Gefühl für immer loslassen musste. Dieses trügerische Hirngespenst von etwas, das niemals war und auch niemals sein würde.
Gerade deshalb bettete Alexey die kleine Kriegerin am Ende wie einen kostbaren Schatz auf Seide und riss sich los von der Wärme und dem Duft ihrer Haut.
Denn weder durfte er hoffen noch träumen.
Nicht, nachdem nun auch noch ihr Herzblut an seinen Händen klebte.