Sie schmeckte Blut.
Langsam sammelte es sich in ihrem Mund, umspielte dabei ihre geschwollene Zunge, auf die sie ein paar Mal ungewollt gebissen hatte, und überwand schließlich die Barriere ihrer Lippen.
Als kleines Rinnsal traf es auf den trägen Strom, der ihre Schläfe hinablief.
Zusammen als Einheit liebkosten sie ihr geschwollenes Kinn wie eine kleine kitzelnde Berührung, bis sie am Ende gemeinsam zu Boden tropften und sich dort mit dem Blut, das ihr über den nackten Rücken, Po und die Beine lief, in einer Lache wieder vereinten.
Val konnte das Knallen der Peitsche nicht mehr hören oder den Schmerz fühlen, wenn das harte Leder in ihr Fleisch schnitt.
Alles, was sie noch wahrnahm, war das Zittern, das durch sie hindurchging, jedes Mal wenn sie getroffen wurde.
Selbst ihre Hände waren schon längst taub von den metallenen Fesseln, an denen sie über dem Boden hing, und die ihr die Blutzirkulation abschnürten. Dennoch war es nicht weiter von Bedeutung.
Das wahre Grauen spielte sich in Vals Kopf ab.
Der Alptraum wollte einfach nicht enden.
Immer wieder wurde ihr von ihrem Verstand die grausame Szene in diesem verdammten Badezimmer gezeigt, als der Perverse sich in aller Ruhe an Vanadis verging, bevor Val ihn aufhalten konnte.
Ganz besonders rückten dabei Vanadis und ihr passives Verhalten in den Fokus.
Wie sie einfach nur still dalag und es zuließ, dass sie auf diese Art und Weise benutzt wurde, ohne darauf zu reagieren. Val wollte ihre Freundin dabei am liebsten anschreien und sie fragen, warum sie sich denn nicht wehrte. Warum sie sich einfach wie eine Sexpuppe benutzen ließ. War das denn so viel angenehmer, als bestraft zu werden?
Sie konnte es einfach nicht verstehen. Gerade, weil sie am eigenen Leib erfahren hatte, was es bedeutete, auf diese Art und Weise missbraucht zu werden.
Die Scham und die Abscheu, die sie dabei empfunden hatte. Nicht nur ihrem Stiefvater gegenüber, sondern letztendlich auch gegen sich selbst.
Wie jede seiner grausamen Taten sie nicht nur immer wieder aufs Neue beschmutzt, sondern sie sich dabei auch immer mehr von sich selbst entfremdet hatte. Bis irgendwann der Zeitpunkt gekommen war, dass sie es einfach nicht mehr ertrug, in diesem Körper zu stecken, der einfach nicht der ihre sein konnte. Den sie nicht haben wollte, nach allem, was ihr Stiefvater damit angestellt hatte.
Letztendlich war ihr leiblicher Vater es gewesen, der sie davor bewahrt hatte, sich selbst etwas anzutun.
Seine Augen, die ihr stets bei einem Blick in den Spiegel entgegenschauten, hatten zumindest jenen Teil in ihr offenbart, der sie nicht anwiderte und den sie stets bewahren wollte.
Solange sie die Liebe zu ihrem Vater in sich spüren konnte, so lange war Val auch bereit, dafür zu kämpfen.
Also hatte sie gekämpft. Wieder und wieder.
Aber auch wenn sie die meiste Zeit gegen ihren Stiefvater verloren hatte, so hatte sie sich dabei doch auch Stück für Stück ihr Recht auf Selbstbestimmung und Selbstliebe zurückerkämpft.
Ihr Körper war nicht länger ein Schandmal für sie gewesen, sondern ein bemitleidenswertes Opfer, das zum aufsässigen Rebell wurde, und mit dem Mord an ihm schließlich auch zum Märtyrer.
Einzig und allein ihr Unterbewusstsein wollte ihr dabei immer noch in die Quere kommen, um ihren Verstand zu beschützen, was jedoch meist das Gegenteil bewirkte.
Da war das Grauen, das sie lähmte, so dass sie zwar weniger fühlen, aber sich dafür auch nicht richtig wehren konnte. Oder die Hilflosigkeit, die ihr weismachen wollte, dass sie klein und schwach war und nichts gegen ihren übermächtigen Gegner unternehmen konnte. Warum also überhaupt kämpfen?
Inzwischen machte Letzteres sie jedoch in den meisten Fällen nur noch wütend.
Auch jetzt war es heiße Wut, die da in ihren Adern brannte und sie bei Bewusstsein hielt, obwohl sie kaum noch die Kraft hatte, ihre Augen offen zu halten.
Inzwischen konnte Val ihre Freundin sogar verstehen, denn der Schmerz, der vor einigen Minuten noch ihren ganzen Körper gepeinigt hatte, war um ein Vielfaches schlimmer als der körperliche Schmerz, den eine Frau empfinden konnte, wenn ein Mann sie zwar gewaltlos, aber dafür völlig unvorbereitet penetrierte.
Dennoch würde sie nicht mit Vanadis tauschen wollen. So stark ihr Wille auch war, er war bei weitem zerbrechlicher als Vals Körper es je sein könnte. Man musste nur genau die richtigen Schwachpunkte treffen und davon hatte sie einige.
Irgendjemand berührte sie am Kinn und hob ihren Kopf ein Stück weit an, der mittlerweile völlig haltlos auf ihrer Brust gelegen hatte.
Mühsam zwang Val sich dazu, die Augen zu öffnen und weiter zu kämpfen. Selbst wenn es nur mit ihren Blicken geschah.
Die Eiskönigin stand vor ihr.
Eine mächtig angepisste Eiskönigin, wenn man es genau nahm. Aber das waren nur Details.
Da es in ihren Ohren so laut dröhnte, als würde gerade ein Flieger neben ihr landen, konnte Val nicht verstehen, was die Queen zu ihr sagte, aber deren boshaftes Lächeln am Ende gefiel ihr ganz und gar nicht.
Val erwiderte das Lächeln in gleichem Maße, obwohl es tierisch wehtat, ehe sie der verdammten Bitch eine Ladung Blut ins Gesicht spuckte.
Der darauffolgende Gesichtsausdruck war einfach göttlich.
Ganz schwach und mehr einem Röcheln gleichend, begann Val leise zu lachen. Zu gerne hätte sie eine Kamera zur Hand gehabt, um ein Bild davon zu schießen. Doch die Eiskönigin hatte andere Pläne.
Mit einer Kraft, die sie einer Frau ihrer Statur nie im Leben zugetraut hätte, verpasste ihr die Queen einen so heftigen Schlag ins Gesicht, dass Val beinahe der Kopf wegflog. Zumindest fühlte es sich so an, kurz bevor bei ihr wieder die Lichter ausgingen.
***
Alexey zitterte am ganzen Leib.
Jeder einzelne seiner Muskeln war bis zum Zerreißen gespannt und seine Kiefer mahlten so fest aufeinander, dass er sich beinahe die Zähne brach.
Zur Regungslosigkeit verdammt, musste er still den grauenhaften Anblick ertragen, während man die kleine Kriegerin vor seinen Augen brutal folterte.
Abermals wurde sie wegen des gewalttätigen Angriffs auf Vorenus ausgepeitscht. Doch dieses Mal machte es den Eindruck, als wäre es Hedera gleich, ob Valeria dabei umkam oder nicht.
Sie wollte Rache dafür, dass ihr Sohn beinahe von einer einfachen Sklavin getötet worden wäre.
Der kleinen Kriegerin wäre diese Meisterleistung auch tatsächlich gelungen, hätten ihn die Wachen auch nur eine Minute später zu Alexey gebracht, der erneut für diesen Hurensohn hatte bluten müssen.
Letztendlich musste er sich jedoch eingestehen, dass er – obwohl er Vorenus nur allzu oft den Tod wünschte – erleichtert darüber war, dass dieser noch lebte.
Wäre es anders gekommen, hätte es Valerias sofortigen Tod bedeutet.
Ein Tod, der von seiner eigenen Hand gekommen wäre. So viel war sicher.
Alexey stieß sich lieber selbst die Klinge in die Brust, als die kleine Kriegerin auch nur damit zu streifen, und dennoch blieb es nur ein Gedanke, der in der Realität keinen Bestand hatte.
Allerdings wäre ein schneller Tod durch seine Hand noch bei weitem Barmherziger gewesen, als sie so leiden zu lassen.
Anfangs hatte sie noch unter den gnadenlosen Peitschenhieben geschrien und sich gewunden, doch mit der Zeit hatte der Blutverlust sie immer weiter geschwächt, bis sie sich kaum noch regte.
Wie tot hing sie nun in den Ketten. Lediglich ihr wilder Herzschlag, der leise an sein Ohr drang, ließ ihn noch hoffen.
„Ist es nun endlich genug?“, verlangte Hedera nach dem letzten Peitschenschlag schließlich von der kleinen Kriegerin zu wissen, während sie ihr den Kopf anhob, damit diese sie ansehen musste.
Zu Alexeys großer Überraschung öffnete Valeria tatsächlich die Augen. Sie war also trotz allem immer noch bei Bewusstsein.
„Wirst du dich mir nun endlich beugen?“
Es war kaum vorstellbar, dass es anders sein könnte, nach all der Qual die Valeria seit ihrer Ankunft in diesem Haus hatte ertragen müssen. So viel Schmerz konnte doch kein gewöhnlicher Mensch ertragen, ohne daran zu zerbrechen. Auch Hedera schien dieser Ansicht zu sein, denn ihr Lächeln wurde boshaft, als würde sie den zerstörten Anblick der kleinen Kriegerin in vollen Zügen genießen.
Jedoch nur für einen kurzen Augenblick.
Alexey gefror der Atem in der Brust, als er Valerias Lächeln sah und wie sie Hedera kurz darauf einen Schwall Blut ins Gesicht spuckte, bevor sie auch noch leise zu lachen anfing.
Bei den verfluchten Göttern – das war ihr Todesurteil!
Ohne es zu bemerken, trat Alexey einen Schritt nach vorne, die Schwerter bereits halb aus ihren Scheiden gezogen, als Hedera ausholte und die kleine Kriegerin so fest mit ihrer Magie schlug, dass selbst die Ketten klirrten, an denen sie festgemacht worden war, bevor der leblose Körper wieder still hing und noch mehr Blut zwischen den aufgeplatzten Lippen von Valeria zu Boden tropfte.
Heißer denn je brannten die Wut und der Hass auf diese Bestie in Frauengestalt in seinen Adern und wollten dem Ganzen endlich ein Ende setzen, bevor das wilde Pochen eines tapferen Herzens abermals an sein Ohr drang und ihn zumindest so weit besänftigte, dass er die Schwerter wieder zurückstecken konnte.
Es wäre ihm ohnehin nicht gelungen. In Hederas Blick spiegelte sich wilde Mordlust wider, als sie sich schließlich zu ihm herumdrehte.
War nun also der Zeitpunkt gekommen, an dem Alexey sich sein eigenes Herz aus der Brust reißen und die kleine Kriegerin töten musste?
***
Val fuhr keuchend zusammen, als ein Schwall eiskaltes Wasser ihren malträtierten Körper traf und all die Schmerzen, von neuem auflodern ließ.
Ein leises Wimmern entrang sich ihrer ausgedörrten Kehle, bis sie ihre lädierten Lippen fest aufeinanderpresste, um nicht noch mehr von ihrer Schwäche preiszugeben. Erst dann öffnete sie langsam die Augen und hob, trotz ihres heftig schmerzenden Genicks, ihren Kopf so weit an, dass sie sich erneut ihrer Umgebung und allen voran der Eiskönigin stellen konnte.
Was sie allerdings zuerst sah, war Vanadis' entsetztes Gesicht, die sich bei Vals blutendem Anblick sogar die Hand vor den Mund halten musste, um ihr Schluchzen zu dämpfen, während ein stetiger Strom aus Tränen über ihre bleichen Wangen lief.
Doch das war es nicht, was Val beunruhigte. Sondern viel mehr die Frage, warum man ihre Freundin hierher gebracht hatte.
Sich bewusst, dass die Queen jede ihrer Reaktionen beobachtete, wandte sie sich nun an sie.
Sollte Vanadis nun Augenzeugin ihres Todes werden?
Vor einigen Wochen hätte dieser Gedanke Val noch Angst gemacht. Doch selbst der Tod hatte für sie all seinen Schrecken verloren, nachdem sie gesehen und erlebt hatte, was das Leben in dieser Hölle für sie bereithielt.
Er schien inzwischen mehr einer Erlösung als einer Strafe gleichzukommen.
Val hatte ohnehin keine Kraft mehr zu kämpfen. Ihr Körper war am Ende und ihr Geist würde dem bald folgen.
Ihre Schwäche wurde nur noch deutlicher, als sie ihren Kopf nicht länger halten konnte und er wieder zurück auf ihre Brust fiel.
Für einen kurzen Moment musste Val sogar erneut weggetreten sein, denn das Nächste, das sie wahrnehmen konnte, war eine Hand in ihrem Nacken, die sich schmerzhaftfest um ihr Haar geschlungen hatte und ihren Kopf hochhielt.
Die Eiskönigin stand mit frisch gewaschenem Gesicht vor ihr, lediglich einzelne getrocknete rote Flecken auf ihrer Kleidung zeugten noch von Vals Angriff auf sie.
Inzwischen war ihr das Lachen vergangen, dafür blitzte es umso gefährlicher in ihren kalten Augen.
Als sie schließlich zur Seite trat, hatte sich das Bild vor Vals Augen verändert.
Vanadis war immer noch tränenüberströmt und so bleich wie der Tod, jedoch stand ihr nun die nackte Angst ins Gesicht geschrieben.
Einen Moment später erfuhr sie auch warum.
Zwei Wachen zwangen ihre Freundin nur ein paar Schritte vor Val auf die Knie. Traten dann jedoch zurück, um jemandem anderen den Vortritt zu lassen.
Langsam betrat der Hüne mit der Metallfresse ihr Blickfeld.
Vals Puls schnellte bei seinem Anblick schlagartig in die Höhe und ihre Augen weiteten sich.
Er stellte sich dicht hinter Vanadis, die inzwischen so heftig zitterte, dass sie sich kaum noch aufrecht halten konnte.
Bedächtig legte er ihr das blonde Haar über die bebenden Schultern nach vorne.
Dann zog er langsam seine beiden Schwerter.
Nein!
Eiskaltes Entsetzen ließ Val für einen Moment vollkommen erstarren.
Die Klingen kreuzten sich in Vanadis Nacken.
„Nein! Nicht sie! Bitte!“ Val versuchte verzweifelt sich zu befreien.
Als das nicht gelang, schrie sie laut in der Sprache, die man auch verstand: „Mich! Tötet mich!“
Niemand reagierte.
Wie eine Wilde kämpfte sie mit letzter Kraft gegen die Ketten und die Hand in ihrem Haar an, die sie zurückhielten, während sie dabei immer wieder panisch um ihren Tod bettelte.
Eine Hand auf ihrem Mund dämpfte ihr verzweifeltes Flehen schließlich, während die Queen sie so festhielt, dass Val sich nicht von dem Anblick abwenden konnte.
„Sieh hin!“, befahl diese ihr kalt, bevor sie dem Hünen mit der Metallfresse ein Zeichen gab.
„Töte die Sklavin!“
NEIN!
Val brach sich fast das Genick, als sie sich so heftig gegen die Eiskönigin warf, dass sie diese sogar ins Wanken brachte. Doch es war bereits zu spät.
Ihre verzweifelten Blicke trafen sich ein letztes Mal, ehe Vanadis die Augen schloss und der Hüne ihr mit einem einzigen Streich den Kopf von den Schultern trennte.
***
Rashads Schritte hallten laut in den Fluren wider, während der Beutel mit den frischen Verbänden und Arzneien in regelmäßigen Abständen gegen seinen Oberschenkel schlug.
Er lief so schnell, wie ihn seine alten Beine nur tragen konnten. Doch nicht etwa, um Hederas Befehl umgehend nachzukommen, sondern weil es um die kleine Valeria ging. Zumindest so viel war ihm von einem Sklaven zugetragen worden, kaum dass er sich um Vorenus gekümmert hatte. Dem im Grunde genommen nichts fehlte, außer seiner Kleidung und sein Bewusstsein.
Er hatte ein paar leichte Kratzer und Schwellungen im Gesicht. Allesamt nichts, das den Aufstand rechtfertigte, den Hedera deswegen gemacht hatte, um ihn zur Eile anzutreiben. Beinahe hätte man meinen können, es ginge um Leben und Tod, doch dem war bei weitem nicht so gewesen.
Ganz anders so jetzt, wie Rashad befürchtete, der sich langsam aber sicher die Ereignisse dieses Abends zusammenzureimen begann.
Als er in den Flur einbog, der ihn schließlich in den bepflanzten Innenhof führen würde, prallte der Medikus beinahe mit Hederas Bluthund zusammen, der ihm trotz der Last, die er vor sich hertrug, geschickt auswich und einfach weiter ging, als sei nichts gewesen.
Obwohl Zeit kostbar war, konnte Rashad nicht umhin, stehen zu bleiben und dem Hünen nachzusehen, dessen grausige Last zwar in dicke Tücher gehüllt war, doch nichts von dem vielen Blut verbergen konnte, das den Stoff durchtränkt hatte.
Der Bluthund schaffte eine Leiche fort.
Valerias Leiche?
Allein bei dem Gedanken wollte Rashad das Herz in der Brust gefrieren, doch er rief sich zur Ordnung. Man würde ihn schließlich nicht wegen ihr rufen lassen, wenn die junge Frau tot wäre.
Dennoch war heute Nacht jemand unter diesem Dach gestorben.
Als er endlich den Platz inmitten des üppig blühenden Gartens betrat, offenbarte sich ihm beleuchtet vom fahlen Licht des Mondes und dem Schein ein paar weniger Fackeln ein grausiges Schlachtfeld. Ein paar Sklaven waren bereits dabei, die dunklen Steinplatten vom vielen Blut, das hier geflossen war, zu befreien, doch Rashads Aufmerksamkeit richtete sich umgehend auf das kleine, blutende Bündel, das man auf einer Steinbank ganz in der Nähe abgelegt hatte.
Hedera stand neben Valerias geschändetem Körper, bewacht von Claudius und dem sadistischen Schwein Cicero, an dessen Gürtel eine blutgetränkte Peitsche hing.
Seinem zufriedenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er es gewesen, der dem armen Mädchen so zugesetzt hatte, doch auch Hedera wirkte mehr als zufrieden mit sich.
Als sie ihn jedoch erblickte, wich ihre Zufriedenheit sofort der üblichen Kälte. „Du kommst spät.“
„Ich kam so schnell, wie ich nur konnte.“ Rashad ließ sich nicht von ihr beirren, stattdessen schob er sich an Claudius vorbei, zu Valeria durch, deren Anblick nun bei näherer Betrachtung mehr als nur leises Entsetzen in ihm auslöste.
Bei allen Göttern, was hatte man ihr nur angetan?
„Dann verlassen dich also langsam deine Kräfte, alter Mann?“
Rashad schluckte seine Widerworte und Gefühle hinunter, da es im Augenblick Wichtigeres gab, um das er sich kümmern musste. Auch wenn er dieses niederträchtige Weib nur noch mehr zu hassen lernte, mit jedem weiteren Tag, den er für sie arbeitete.
Ohne zu wissen, wo er überhaupt anfangen sollte, überprüfte er zunächst Valerias Atmung und ihren Herzschlag.
So kalt, wie ihr Körper war, schien es beinahe, als wäre sie bereits tot, doch noch war ein Hauch Leben in ihr, wenn auch nicht in ihren Augen, die starr in den Nachthimmel blickten und nichts und niemanden zu sehen schienen.
Sie hatte viel Blut verloren. Ursache dafür war ihr fast vollständig zerfetzter Rücken, bei dem an manchen Stellen sogar das Weiß ihrer Knochen durchschien.
Warum sie überhaupt noch lebte, war Rashad ein Rätsel. Aber auch die Tatsache, dass sie immer noch bei Bewusstsein war, obwohl sie nicht auf das, was er tat oder zu ihr sagte, reagierte.
An Hedera gewandt, meinte er schließlich: „Sie muss umgehend in meine Kammer gebracht werden, damit ich mich um ihren Rücken kümmern kann und selbst dann kann ich nicht dafür garantieren, dass sie diese Nacht überlebt.“
„Sie wird überleben.“ Hederas Erwiderung war voller Selbstsicherheit. Ganz so, als hätten die Götter selbst ihr Valerias Schicksal offenbart. Eines, das nichts Gutes für das junge Mädchen bereithielt. So viel stand fest.
„Nachdem du sie wieder zusammengeflickt hast, wirst du sie zu mir bringen. Ganz gleich, ob sie auf eigenen Beinen stehen kann oder getragen werden muss. Ich werde nicht erlauben, dass du sie noch einmal so verhätschelst, nun, da sie endlich begreift, wo ihr Platz ist.“
„Aber Herrin! Sie –“
„Schweig!“ Hederas Tonfall ließ keine weiteren Widerworte zu. „Du wirst tun, was ich dir sage, oder ich lasse dich von meinem Grund und Boden jagen und stelle an deiner statt einen anderen Medikus ein, der meinem Befehlen mehr Gehör schenkt, als du es je getan hast. Und jetzt tu, was ich dir sage!“
Rashad schwieg und ließ Hedera ohne weitere Worte ziehen. Schon lange war er ihrer Schreckensherrschaft überdrüssig, lediglich das Wohlergehen ihrer Sklaven hielt ihn noch an diesem Ort.
Momentan jedoch galt seine alleinige Sorge der kleinen Valeria, die trotz ihres jungen Alters, ihn mit ihrer inneren Stärke von Anfang an für sich eingenommen hatte.
Nachdem Claudius und Cicero ihrer Herrin ins Innere der Villa gefolgt waren, ließ Rashad nach einem kräftigen Sklaven schicken, der Valeria für ihn in seine Kammer tragen musste. Während er auf diesen wartete, verband er ihren Rücken so gut er konnte, um die Blutung notdürftig zu stoppen, wobei er unablässig auf sie einredete. Doch ihr Geist blieb für ihn in unerreichbarer Ferne.
***
Die sengende Hitze des brennenden Scheiterhaufens vermochte es nicht, die Kälte aus seinem Inneren zu vertreiben.
Geschweige denn die Bilder und Geräusche, die sich tief in sein unsterbliches Gedächtnis eingebrannt hatten.
Alexey ging in die Knie, als er sich keinen Moment länger unter der tonnenschweren Last seiner Schuldgefühle aufrecht halten konnte.
Zu wissen, dass ihm keine andere Wahl geblieben war, als den Befehlen von Hedera Folge zu leisten, schenkte ihm nicht die geringste Erleichterung.
Im Gegenteil drückte es ihn nur noch tiefer zu Boden, bis seine Stirn kalten Stein berührte.
Er hatte dagegen angekämpft. Hatte sich zum ersten Mal seit langem mit all seiner Kraft gegen die unsichtbaren Fesseln gewehrt, die sein Leben seit jeher bestimmten, und doch war es ihm nicht gelungen, dagegen aufzubegehren.
Einzig und allein seine Bewegungen hatte er verlangsamen, aber nicht vollkommen aufhalten können.
Er war zu schwach gewesen. Viel zu schwach.
Seine Hände hatten nicht einmal gezittert, als er der jungen Sklavin den Kopf abgeschlagen hatte.
Nicht so, wie sie es jetzt taten, bevor er sie zu Fäusten ballte.
Alexey wusste nicht, weshalb die blonde Frau Valeria so viel bedeutet hatte, dass sie selbst den Tod für sie auf sich genommen hätte. Doch er wusste, was er ihr in dem Moment genommen hatte, als seine Klingen sich durch Haut, Fleisch und Knochen geschnitten hatten.
Genauso gut hätte er ihr das Herz mit bloßen Händen herausreißen können. So wie ihr letzter verzweifelter Aufschrei es mit seinem getan hatte.
Der Schmerz tief in seiner Brust war nicht nur kaum zu ertragen, sondern nahm mit jedem seiner schweren Atemzüge, die erfüllt von dem Gestank verbrennenden Fleisches waren, auch noch weiter zu, bis Alexey es nicht länger aushielt.
Seine mühsam aufrechterhaltene Fassade der Ruhe brach endgültig in sich zusammen, als er mit einem wilden Aufschrei seinen Schmerz hinausschrie und dabei seine mächtigen Fäuste immer wieder brutal zu Boden hämmern ließ, bis sie bluteten.
So, wie er für Valeria geblutet hatte, um ihr Leben auf Hederas Befehl hin noch weiter zu verlängern, auf dass sie ihr noch mehr Schmerz zufügen konnte.
Alexeys verzweifelter Schrei nahm bei diesem Gedanken noch an Intensität zu, und doch konnte er nicht den markerschütternden Schrei Valerias in seinem Kopf übertönen.
Genauso wie seine Schreie sich an den Wänden der Höhle brachen, hallten die ihren gefangen im Inneren seines Schädels immer wieder nach, bis sie ihn beinahe wahnsinnig machten und ihn noch mehr um sich schlagen ließen.
Erst als ihn endgültig seine Kräfte verließen und seine Stimme nur noch ein heiseres Krächzen war, ließ Alexey sich kraftlos und gebrochen auf seine Fersen zurücksinken.
Was Hedera in zwei vollen Jahrhunderten nicht vermocht hatte, war einer fremden jungen Frau mit außergewöhnlichen Augen innerhalb weniger Wochen gelungen.
Sein Herz war gebrochen und mit ihm der Wille weiter zu kämpfen.