Ich erwachte wieder aus meiner Trance. Immer noch stand ich vor dem Schnellimbiss, während Naru, Tomoe und Keitaro noch beim bestellen waren. Offenbar hatten sie mich gefragt, ob ich auch etwas haben will, doch ich musste wohl noch lange überlegen. Dabei hatte Tomoe mir doch vorgeschlagen, mir alles zu holen, was ich wollte. Alles essbare versteht sich, aber wegen meines Drangs sie beschützen zu wollen, hatte sie ihr Angebot wieder zurückgezogen. Noch hatten sie nicht bemerkt was in mir vorging. Alles schwankte nur noch vor meinen Augen und jeder Schlag meines Herzens schmerzte. Das Fauchen in meinem Schädel hatte sich in ein brennen entwickelt. Als ich meine Hand auf meine rechte Schläfe legte, fühlte ich plötzlich etwas warmes und........oh nein.....
„B-Blut......?“, sagte ich tonlos und suchte Tomoes Blick.
Doch sie war gerade mit ihrer Bestellung beschäftigt. Jedoch kam gerade Naru heraus und brachte mir eine Portion geschärftes Takoyaki.
„So, ich hoffe das schmeckt dir.“, sagte sie und setzte sich hin, “Tomoe hat gesagt das du ganz wild auf scharfe Sachen bist, also haben wir dir gleich eine dreifache Portion davon bestellt und.......hey, alles in Ordnung? Du bist so blass und.......oh mein Gott ist das etwa.......“
Ich legte ihr beide Hände auf die Schultern und merkte wie meine Beine nachgaben.
„Hol Tomoe......“, würgte ich, “Hilfe......“
Und alles was ich noch mitbekam war, das ich plötzlich zu Boden ging.
„Rayo?! Rayo! Tomoe, schnell, Rayo ist umgefallen! Beeil dich!“
Sofort stürmte Tomoe zur Türe raus, drehte mich auf den Rücken und legte mir ihre Hände auf die Wangen.
„Verdammt......er ist ja eiskalt! Rayo! Rayo hörst du mich?!“, rief sie, “Keitaro, ruf sofort den Notarzt!“
Ich konnte meine Augen gerade noch so aufhalten. Weinte sie etwa? Was war denn nur auf einmal los mit mir?
Einen Tag später, wachte ich im Krankenhaus wieder auf, in völliger Unkenntnis darüber, wieso ich eigentlich hier gelandet war. Ich konnte mich wohl nicht mehr so richtig daran erinnern, was vorgefallen war. Gedämpfte stimmen drangen zu mir durch. Ich konnte nicht so genau erkennen, wer da hinter der Scheibe stand. Nur das es ein Mann und eine Frau waren die sich unterhielten. Die Frau trug einen Kittel, die Haare zu einem strammen Haarknoten gebunden und sie notierte sich etwas auf einem Klemmbrett. Wer der Mann war konnte ich nicht erkennen, denn er stand mit dem Rücken zu mir. Also setzte ich mich auf und lies die Beine baumeln. Meine Füße waren mir eingeschlafen und ich bemerkte ein dickes Pflaster an meiner rechten Schläfe, dass mit Watte oder etwas ähnlichen ausgemustert war. An meinem Arm war ein Zugang gelegt worden und der Tropf hing direkt neben mir an einer Stange.
„Schon wieder ein Krankenhaus.“, murmelte ich undeutlich, “So langsam geht mir das auf die Nerven!“
Gerade kamen Tomoe und Kanako auf den Gang und blieben vor der Scheibe stehen. Die ganze Nacht konnten die Mädels vom Ryokan kein Auge zu machen und Tomoe, schien davon am meisten betroffen zu sein. In ihrer Hand hielt sie eine Wasserflasche, die sie bis auf den letzten Schluck geleert hatte. Sie zuckte kurz und zerdrückte die Flasche, als das zittrige Abbild eines alten Freundes, sich aus dem Bett quälte.
„Was meint ihr, wie lange wird er noch hier bleiben müssen?“, fragte Naru.
„Ich weiß es nicht.“, hauchte Tomoe angespannt, “Ich kann selber nicht sagen, warum mir das auf einmal so nahe geht! Ich meine......überlegt doch mal! Gestern noch waren wir noch unterwegs, um uns die Gegend etwas anzusehen und jetzt......ich......ich kann einfach nicht....“
Sie lies sich schwer atmend, mit den Rücken gegen die Scheibe fallen und raufte sich die Haare. Gleich drauf kamen Keitaro und die anderen vom Ryokan und versammelten sich dort.
„Ah gut, er ist wieder aufgewacht.“, sagte Keitaro.
Ich erblickte die Pillen die auf den seltsamen Klapptisch lagen und daneben der Zettel der mir sagte, welche ich einnehmen sollte. Ich schluckte die erste und schüttelte mich sogleich vor Ekel.
„Habt ihr schon seine Mutter benachrichtigt?“, fragte Naru und versuchte Tomoe zu beruhigen.
Die beiden ließen noch einmal die letzten Tage Revue passieren, um herauszufinden, was der Auslöser für all das war.
„Seht nur, er kommt zu uns!“, rief Kitsune.
Alle wandten sich um und Tomoe legte beine Hände auf die Scheibe. Ich schlich langsam mit dem Zugang am Arm auf sie zu, legte meine Stirn gegen die Scheibe und blickte sie alle der Reihe nach an, bis ich bei Tomoe stoppte und meine Hand auf ihre ablegte. Sie betrachtete meine lange, schwarze Mähne und das dicke Pflaster an meiner rechten Schläfe. Sie wollte weinen, schluckte ihre Traurigkeit aber hinunter und seufzte schwer.
„Rayo.........“, sagte sie Kopf schüttelnd, “Du großer, dummer Holzkopf. Was mach ich nur mit dir?“
Sie sah niedergeschlagen und erschöpft aus. Ich wollte ihr mit meinem Blick sagen, das alles wieder gut wird, doch ich war genauso hilflos und wollte sie nur noch in meine Arme schließen. Denn ich wollte und musste sie doch beschützen.
Jemand räusperte sich und alle außer Tomoe, schreckten auf, als sie den grimmig dreinschauenden Mann mit Gehstock, Sako, Sportschuhen und dem Jo-Jo in der Hand erblickten. Er war unrasiert, schien auf etwas herum zu kauen. Nur Tomoe und hatte ihn bisher etwas näher kennengelernt, wenn auch unfreiwillig. Er sollte mich behandeln, aber nur weil Mutter sich gut mit ihm verstand und dabei kannten sich die beiden kaum. Auf den ersten Blick, wirkte er auf mich unsympathisch, schroff und unfreundlich. Doch bald, sollte ich feststellen, wie viele Gemeinsamkeiten er und ich hatten. Er war kein unbeschriebenes Blatt, sondern nach den Worten der Krankenschwestern und der Assistenzärzte die hier arbeiteten, eine Legende.
„Sind sie etwa, der behandelnde Arzt, für unseren Freund?“, fragte Naru mit zitternder Stimme.
Der Mann nickte kurz und steckte sein Jo-Jo wieder weg.
„Was fehlt uns denn?“, fragte er knapp.
Es dauerte eine ganze Weile bis jemand zu mir ins Zimmer durfte, da noch einige kleine Tests durchgeführt werden mussten. So wie ich das verstanden hatte, sollte ich eigentlich wieder topfit sein und könnte im laufe des Tages schon wieder verschwinden, wenn nichts dazwischen kommen sollte.
Zu erst dachte ich, das Mutter die erste wäre, die in mein Zimmer stürmen würde, um ihre Sorge in so unendlich vielen Varianten zu zeigen, wie ich es von ihr kennengelernt hatte. Aber nein. Es war Tomoe, die als erstes herein kam. Sie sah erleichtert und erschüttert zu gleich aus. Eine seltsame Kombination, die ich bei ihr noch nie gesehen habe. Außer vielleicht in jeder Nacht, in der sie drauf und dran war mich mit ihrem Katana ins Jenseits zu befördern. Aber, das ist eine andere Geschichte.
„Hätte nie gedacht, das es mal andersherum ausgehen würde, Feuerlöckchen.“, sagte ich angestrengt.
„Was?“, sagte sie verwirrt und setzte sich zu mir ans Bett.
„Na ja, als ich dich damals aus dem Feuer geholt habe, schwebtest du in Lebensgefahr. Jetzt bin ich derjenige der.......mal wieder hier legt. Zum kotzen das ganze.“
„Na wenigstens hast du deine schlechte Laune wieder.“, sagte sie und grinste etwas schief, “Geht es dir auch wirklich gut? Du......hast uns gestern schockiert.“
„Hat der Arzt euch nichts genaues gesagt, was mir fehlt?“, erwiderte ich.
„Mir und deiner Mutter sagte er, dass es schlimmer aussieht als es ist. Offenbar hast du seit deiner Geburt, einen Herzfehler. Der scheint aber nicht so gravierend schlimm zu sein. Im Gegenteil. Er soll sogar ganz hilfreich sein. Aber, irgendetwas hat dich unter schweren Stress gesetzt. Das hat sich wiederum auf dein Gehirn ausgewirkt. Was jedoch die offene Wunde an deiner Schläfe zu bedeuten hat, konnte sich der Arzt auch nicht erklären.“
Ich legte eine Hand aufs Herz und spürte wie es pochte.
„Ein Herzfehler......“, wiederholte ich, “Und das seit meiner Geburt. Vielleicht hätte ich doch nicht dauernd aus.....“
Doch weiter kam ich nicht, denn sie fiel mir um den Hals und fuhr mir durch die Haare.
„Versteh das jetzt bitte nicht falsch.“, sagte sie angestrengt, “Aber......ich.....hatte Angst. Ich weiß wir sind nicht immer einer Meinung. Du kannst manchmal eine ziemliche Klette sein mit deinem Gerede von „Beschützen“ und „Dankbarkeit“, aber......damit muss ich wohl leben. Ich bin nur froh, das du noch unter den Lebenden weilst. Du hättest mal Naru und die anderen erleben sollen, als sie hörten was passiert ist.“
„Da wir gerade davon sprechen.“, antwortete ich und legte meinen Arm um sie, “Wo stecken die anderen?“
„Die sitzen unten und warten auf mich. Deine Mutter war aber wieder mal die Krönung. Aber, das erzählt sie dir später selbst.“
Am nächsten Morgen konnte ich wieder verschwinden, allerdings nicht ohne von der Frau, die ich bei meinem Erwachen gesehen habe, noch einmal begutachtet zu werden. Und irgendwie kam mir ihr Gesicht so.......bekannt vor, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, ihre Präsenz schon einmal gespürt zu haben. Als Tomoe und Kanako mich dann abholten, wollte ich so schnell wie möglich wieder zum Ryokan. Warum das war ganz einfach: Ich konnte einen kurzen Blick auf das Namensschild der Frau werfen und sofort dämmerte mir, das irgendetwas an ihr faul war. Später erklärte ich Tomoe noch, wer diese geheimnisvolle Frau überhaupt war und warum ich hoffte, ihr nie wieder über den Weg laufen zu müssen.
Beim Ryokan angekommen, wurde ich mit besorgen Gesichtern und der dreifachen Portion vom geschärften Takoyaki empfangen.
„Wir hatten uns schon Sorgen um dich gemacht.“, sagte Kitsune und fuhr mir durch die Haare.
„Heute wirst du nicht mehr für meine Experimente missbraucht!“, grinste mich Su an und irgendwie mochte mir das nicht gefallen.
Sicher wird sie mir morgen nur noch an den Haken kleben und mir keine ruhige Minute mehr lassen.
„Außerdem haben wir noch eine Nachricht von deiner Mutter.“, sagte Muzumi.
„Und darf ich fragen welche?“, nörgelte ich und aß genüsslich mein Takoyaki.
„Das Gespräch beim Dekan ist wohl gut verlaufen.“, sagte Keitaro,“Offenbar sind deine Eltern mal auf der Todai gewesen. Das hat dir einen kleinen Vorteil verschafft.“
„Das bedeutet, das wir jetzt mit dir, zwei Wochen ununterbrochen üben müssen, damit du vorbereitet bist.“, sagte Motoko.
„Wofür denn vorbereitet?“, fragte ich und blickte fragend in die Runde.
„Weil in zwei Wochen die Aufnahmeprüfung stattfindet du Hirnie!“, sagte Tomoe kleinlaut hinter mir, “Also streng dich gefälligst an und versau das bloß nicht.“
Als ob der kleine Anfall von gestern nicht schon schlimm genug gewesen wäre.
„Muss denn nur ich diese Prüfung ablegen?“, fragte ich weiter.
„Mach dir keine Sorgen. Wir alle müssen die Prüfung ablegen. Wir haben uns letztes Jahr schon angemeldet.“, sagte Naru, “Wir alle pauken die zwei Wochen durch und dann werden wir sehen ob es was genützt hat.“
„Tolle Einstellung.“, brummte ich.
„Jetzt sei mal nicht gleich so pessimistisch.“, meldete sich Shinobu zu Wort, “Wir schaffen das schon. Außerdem wollen wir alle mit Keitaro in die gleichen Kurse gehen.“
Ich hob eine Augenbraue an und blickte fragend in die Runde.
„Wieso denn das? Meint ihr nicht , dass er nicht schon genug Stress am Hals hat? Wenn ihr dann auch noch den ganzen Tag um ihn herum tanzt, kann er doch gar nicht mehr verschnaufen. Also in meinen Augen ist das doof.“
„Ach was, du kennst uns eben noch nicht lange genug!“, rief Su,“Keitaro ist daran doch schon gewöhnt.“
Während die anderen danach miteinander schwatzten, beugte ich mich zu Tomoe.
„Das ist ja noch schlimmer als bei Kota!“, zischte ich.
„Wieso?“, fragte sie.
„Ja, siehst du es nicht?! Keitaro hat sich einen Harem gegründet, ohne es zu merken. Und dabei ist er ein Mensch!“
„Jetzt sei doch nicht so lauf!“, fluchte sie, “Wenn die das mitkriegen, sind wir aufgeflogen! Und wenn das passiert, fliegen wir nicht nur in hohen Bogen hier raus, sondern unser Urlaub ist dann auch hinfällig!“
Während ich dabei zusah wie sie alle mit Keitaro herumalberten, dachte ich angestrengt über die ganze Sache nach.
„Aber......meinst du denn, das wir das mit der Prüfung hinkriegen? Ich meine, ich habe doch bis jetzt nie irgendetwas lernen müssen! Wie schafft ihr Menschen das?!“
„Keine Bange, wir schaffen das schon. Und.......da wäre noch was, was ich dir sagen muss.“
Sie schluckte und zog mich auf den Flur.
„Was ist denn noch?“, fragte ich.
„Du musst jetzt ganz besonders aufpassen.“, sagte sie im strengen Ton zu mir, “Der Anfall von gestern war unvorhersehbar, da können wir nichts dran ändern. Aber was ist, wenn du wirklich mal die Fassung verlierst und dich in irgendetwas hineinstürzt?“
„Wie meinst du das?“
„Denk doch mal nach, du Holzkopf.“, sagte sie und klopfte mir gegen die Stirn, “Du erinnerst dich doch sicher noch daran, das damals in Shinjuku passiert ist, kurz bevor wir hergekommen sind. Oder?“
Ich runzelte die Stirn.
„Meinst du......unser Experiment mit dem Kuss oder.......“
Jetzt gab sie mir eine Kopfnuss.
„Nein du Idiot!“, zischte sie und wurde rot, “Ich meine unsere letzte ernsthafte Auseinandersetzung! Unser Kampf! Du bist ohne nachzudenken in den Kampf gegangen und hast mir deine Hörner präsentiert! Und genau das, darf auf keinen Fall hier passieren! Wenn du wütend wirst, darfst du es nicht übertreiben. So leid es mir tut, aber du musst dich leider den Menschen anpassen. Nur so kommen wir hier unbeschadet durch und schaffen es vielleicht, neue Freunde zu finden. Auch wenn ich denke, das wir das vielleicht schon geschafft haben.“
Ich blickte auf die Türe und seufzte schwer.
„Anpassen sagst du.“, wiederholte ich .
„Genau. Und.........wenn du mich.....wirklich unbedingt vor irgendwelchen Idioten beschützen willst, dann versuche dein Temperament etwas zu drosseln. Ich weiß, das dass schwer für dich wird, aber so ist das nun mal. Also, nicht vergessen.“
„Verstanden. Und was ist mit eingebildeten und hochnäsigen Schnepfen?“
„Bitte was?“, fragte sie und neigte den Kopf.
„Als ihr in der Todai weg wart, hat mich so eine verrückte angesprochen. Ich hab leider ihren Namen nicht mitbekommen.“
„Keine Sorge, um die kümmern wir uns, wenn wir die Prüfung geschafft haben!“