Nach dem Mittagessen trennten sich unsere Wege. Während Naru und die anderen sich zur Betriebswirtschaftslehre aufmachten, suchten Tomoe, ich und Isshina den Geschichtskurs auf.
Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, dass Tomoe an meiner Seite war, denn sonst hätte ich mich ständig in dieser Uni verirrt, wäre wahrscheinlich in dutzende andere Kurse geraten und hätte mit Sicherheit noch unseren eigentlichen Kurs verpasst. Im Endeffekt hätte ich aber auch Keitaro oder die anderen fragen können, wo der Geschichtskurs genau war. Der Kurs, fand in einem riesigen Hörsaal statt. Der Dozent der die Vorlesungen abhielt, war noch nicht da. Dafür aber fast an die hundert Studenten, oder sogar noch mehr, aber die Zeit zu zählen hatte ich nicht. Unsere Plätze fanden wir in der obersten Reihe. Und offenbar kamen wir gerade noch rechtzeitig, denn der Dozent erschien nur wenige Minuten nach uns. Und nach einer schnellen Begrüßung verlief alles ganz normal. Nur mit meiner Konzentration, ging es leicht bergab. Das schien auch der Dozent bemerkt zu haben.
„Wenn dir der Kurs nicht zusagt, würde ich vorschlagen, dass du dir einen anderen suchst.“, sagte er.
„Verzeihung!“, erwiderte ich angespannt,“Wird nicht wieder vorkommen!“
„Schon gut. Pass, einfach etwas auf und dann kommen wir gut miteinander aus.“
Ich konnte ein schmales Lächeln bei ihm erkennen. Also tat ich mein bestes um aufmerksam zu bleiben und nach einer gefühlten Ewigkeit, gab es sogar ein paar Minuten Pause. Isshina verschwand aufs stille Örtchen, was Tomoe auch gleich ausnutzte.
„Darf ich dich etwas fragen?“
„Wenn du mich jetzt wieder anschnauzt, warum meine Aufmerksamkeit nachlässt, kannst du es gleich bleiben lassen.“, brummte ich.
„Nein nein. Ich wollte dich fragen, was du so über deine Rasse weist.“
„Wie ist das denn gemeint?“
„Zum Beispiel, gab es schon Diclonius bevor Kaede geboren wurde? Gut, abgesehen von deinen Eltern versteht sich. Ich meine, Kaede müsste doch auch von einem reinrassigen Diclonius abstammen, nicht wahr?“
Ich runzelte die Stirn.
„Nun ja, so ganz genau kann ich dir das nicht beantworten. Was ich aber weis ist, das ich und Kaede im gleichen Moment geboren wurden. Katsubou und die anderen aus der roten Zone, wurden scheinbar wenige Jahre danach geboren und tauchten auch viel später auf. Erstaunlicher finde ich es, dass sie dem Generaldirektor so lange verborgen bleiben konnten. Senkou und Rin'ne hatten mir damals, als ich noch in der roten Zone war, eine Theorie offenbart. Allem Anschein nach, gab es so etwas wie eine riesige Geburtenrate von Diclonius. Lange vor Kaede und mir. Jedoch hatten wir keine handfesten Beweise. Und bisher konnte Senkou noch nicht wirklich alle Akten einsehen um genaueres zu erfahren.“
Kurz bevor die Pause endete, kam Isshina zurück.
Der Rest des Kurses verlief ähnlich wie zu Beginn. Bis unser Dozent eine wichtige Ankündigung machte.
„Und alle mal bitte die Ohren weit aufsperren.“, sagte der Dozent,“Wir haben dieses Jahr nicht wirklich viel Zeit. Aber ich möchte ein paar bestimmte Themen, noch vor den Semesterferien beendet haben. Und zwar das feudale Japan, die Ausbildungen der Samurai und der Kunoichi und über Darama Orochida.“
Die bloße Erwähnung dieses Namens, erregte die Neugier aller Studenten und besonders, die von Isshina. Sie wirkte aufgeregt und gab sich keine Mühe dies zu verbergen. Sie schrieb den Namen auf ein leeres Blatt, umkreiste und unterstrich diesen noch mehrfach, so als ob sie nur darauf gewartet hätte, dass dieses Thema angesprochen wird. Ich war mir nicht ganz sicher wieso, aber auch meine Neugier war geweckt. Auch Tomoe schien Isshinas Reaktion darauf zu verwundern und ich war mir sicher, dass wir beide dasselbe dachten. Wir wollten herausfinden, was es mit Isshinas Aufregung auf sich hatte.
Am Samstag, nach der ersten richtigen Woche, konnte ich endlich mal wieder etwas ausschlafen. Die erste Woche hatte sich dem Ende zugeneigt und ich war froh darüber.
„Habt einer von euch vor, sich noch für ein Team einzutragen?“, fragte Naru in die Runde.
„Was steht denn so zur Auswahl?“, entgegnete Tomoe.
„Es gibt Volleyball, ein Schwimmteam und noch so einiges.“, warf Keitaro ein.
„Wie siehts denn mit Kampfsport aus?“, meldete ich mich.
Alle bis auf Tomoe starrten mich verdutzt an.
„Du und Kampfsport?“, fragte Motoko,“Das war ein Witz oder? Ich meine du kannst ja nicht mal mit mir und meinem Katana mithalten!“
„Das ist ja auch wohl was anderes.“, nörgelte ich,“Mit sowas wie Schwertern, kann ich nicht umgehen. Ich bin selbst für die Küche zu ungeschickt! Nachher verliere ich mehr als nur eine Fingerkuppe!“
„Dafür hast du uns beim Frisbee aber ganz schön alt aussehen lassen.“, kicherte Kitsune.
„Wenns dafür ein Team gibt, trag ich mich sofort ein!“
Tomoe tätschelte mich und schüttelte den Kopf.
„Komm mal wieder runter. Vielleicht solltest du dich erst mal darauf konzentrieren, dich mit keinem Dozenten anzulegen.“
Das Telefon klingelte und Tomoe und ich ahnten schon, wer auf der anderen Leitung war.
„Ja hallo?“, fragte Naru,“Wie bitte, wer? Hi-ka-ri?“
Da Tomoe schon so ein Gefühl hatte, dass dieses Telefonat etwas länger dauern würde, erbarmte sie sich und nahm Naru freundlich den Hörer ab.
„Wie läuft es so bei euch, Trauerkloß?“, sagte sie und erntete von Hikari sofort eine schnippische Bemerkung,“Jetzt stell dich doch nicht so an, das war ein Witz! Was? Ich werde langsam wie Rayo? Nimm das zurück!“
Su tippte mir auf die Schulter und nickte zu Tomoe.
„Mit wem redet sie denn da?“
„Mit einer alten Freundin meiner Mutter. Grob gesagt, meine „Quasi-Tante“.“, antwortete ich und aß meine Cornflakes weiter,“Sie hat mich erst wieder zu meiner Mutter gebracht. Und jetzt wohnt sie bei ihr.“
„Wie ist sie denn so?“, fragte Muzumi.
„Sehr dünnhäutig, verplappert sich wenn sie sich aufregt. Und leider hat sie enorm viel Pech mit Männern. Ständig gerät sie an irgendwelche Idioten die nur das eine wollen.“
Kitsune machte auf sich aufmerksam.
„Wenn sie wirklich so unglaublich viel Pech dabei hat, sollten wir uns mal mit ihr unterhalten und ihr unter die Arme greifen.“
„So wie schon bei Rayo?“, fragte Motoko.
„Geht das schon wieder los!“, entgegnete Kitsune,“Wir haben uns nur geküsst! Langsam ist es nicht mehr witzig!“
„Jetzt reg dich doch nicht gleich auf.“, winkte ich ab,“Aber wenn ihr Hikari helfen könntet, wäre das super!“
„Na also, wenigstens einer, der unsere Hilfe zu schätzen weis.“, sie drückte mir einen kurzen Kuss auf die Wange und aß weiter.
Tomoe ging mit dem Telefon kurz raus und verschwand.
„Wie bitte?! Du willst allen ernstes mit Hikari und den Zwillingen hier aufkreuzen?! Shiori, das wird eine Katastrophe!“
„Jetzt krieg dich mal wieder ein, Feuerlöckchen. Das wird ein ganz entspannter Sonntagnachmittag. Du musst nicht immer das schlimmste erwarten. Ich hab da eine Überraschung geplant.“
„Oh nein.“, stöhnte Tomoe auf,“Mir gefällt es überhaupt nicht wenn du so was sagst!“
„Keine Panik. Seiryu ist ganz brav – nur vor Naomi solltet ihr euch ein wenig in Acht nehmen.“
„Wieso?“
„Meine kleine Prinzessin ist was Rayo angeht, etwas besitzergreifend. Erinnerst du dich noch an dem Tag als ihr beide abgereist seid?“
„Au weia.“, seufzte Tomoe,“Ich will mir nicht ausmalen wie sie drauf sein wird, wenn sie ihren ersten Freund hat!“
„Das habe ich gerade nicht gehört.“, rief Senichi.
Während zu Hause eine Debatte darüber entstand, ob und wann Naomi überhaupt einen Freund mit nach Hause bringen sollte, blickte Tomoe zurück in die Küche. Und im selben Moment, indem sie durch die Tür starrte, wollte sie wieder wegsehen. Naru und ich hatten uns eine erbitterte Schlacht darüber geliefert, wer von uns beiden die letzte Teigtasche bekommen würde.
„Jetzt beruhigt euch doch mal wieder!“, versuchte Shinobu die Situation zu entschärfen,“Ich kann gerne noch mehr Teigtaschen machen, wenn ihr wollt!“
„Da will man vernünftig telefonieren und dann sowas!“, stöhnte Tomoe,“Rayo, du hast doch sicher schon genug Teigtaschen gehabt!“
„Das ist meine!“, knurrte ich.
„Red dir das ruhig weiter ein, du alter Griesgram.“, sagte Naru ruhig,“Lass los.“
„Ich habe sie zu erst gesehen, lass du sie los! Mein Hunger ist größer als deiner!“
Tomoe blickte fragend in die Runde.
„Will denn keiner von euch die beiden mal aufhalten, bevor sie noch aufeinander losgehen?!“, rief sie.
„Ich habs schon versucht!“, warf Keitaro ein,“Rayo war drauf und dran mich zu beißen!“
Meine Mitbewohnerin verdrehte die Augen und wandte sich wieder dem Telefonat zu.
"Kannst du mir nicht verraten was die Überraschung sein soll? Dann kann ich Rayo darauf vorbereiten."
"Wenn du willst.", sagte Shiori Achsel zuckend,"Ich werde Senichi mitbringen."
"Was?! Senichi?!"
Ich lies mich kurz ablenken und sah in Tomoes Richtung.
"Wer soll denn das sein, Tomoe?!", rief ich.
Dabei bemerkte ich jedoch nicht, das sich mein Griff bei der Teigtasche löste und Naru mir das Ding mit einem Ruck aus der Hand riss.
„Ha! Gewonnen! Meine Teigtasche!“, rief Naru triumphierend, verspeiste das Ding vor meinen Augen und streckte mir die Zunge raus.
Entsetzt starrte ich auf meine leere Gabel und meine Unterlippe begann zu zittern.
„Was......ist gerade passiert?“, stotterte ich.
„Naru hat mit unfairen Mitteln gekämpft!“, rief Su, “Rote Karte!“
Ich richtete meinen Blick nun auf meinen leeren Teller.
„M-Meine Teig-tasche.“, wimmerte ich.
„Ich mach dir gleich noch ein paar.“, besänftigte mich Shinobu doch das half mir nicht wirklich.
„Jetzt lass den Kopf nicht hängen, du Holzkopf.“, sagte Kitsune und tätschelte mich,“Man muss auch mal verlieren können.“
„Du bist Schuld Tomoe!“, schnaufte ich, “Wegen dir, hab ich die Teigtasche verloren!“
"Ach, jetzt stell dich doch nicht so an du Gierschlund! Es war eine einzige Teigtasche! Tu nicht so als ob du gar nichts zu essen bekommst!"
Sonntag, 10. April, ungefähr 13 Uhr....
Die erste richtige Woche war anstrengend genug für mich gewesen. Erst musste ich einigen Menschen in der Uni, gewisse Dinge klar machen und ihnen ihre Dummheit vor Augen führen bei bestimmten Themen. Und jetzt tauchte auch noch dieser Dreckskerl beim Ryokan auf. Eigentlich hatte ich den Mädels versprochen mich zu beherrschen wenn er hier aufschlagen würde, doch es gibt nun mal Momente, wo es gar nicht anders geht, als seinen Frust einfach mal rauszulassen.
Und da stand ich also, draußen am Eingang. Die Fäuste geballt, mein Blut kochte, doch meine Mutter wusste schon, dass es gar nicht anders hätte ablaufen können.
„Bist du dir wirklich sicher, dass das so eine gute Idee war?“, flüsterte Hikari Mutter zu.
„Ach bitte, was soll denn schon passieren?“, winkte Mutter ab,“Er wird ihn sicher nur kurz anbrüllen. Er muss sicher nur etwas Dampf ablassen.“
„Jetzt komm endlich her Rayo!“, rief Kitsune,“Oder müssen wir dich holen kommen?!“
„Nicht nötig!“, rief ich.
Ich schnaufte kurz und rannte los.
Naru und die anderen zuckten erst zusammen, als ich keine Anstalten machte langsamer zu laufen und stattdessen immer schneller wurde. Die Zähne gefletscht und einen mörderischen Blick aufgesetzt.
Tomoe stand oben am Fenster und seufzte schwer.
„Ich hatte Shiori ja gewarnt, aber sie wollte ja nicht hören. Hoffentlich belässt Rayo es dann dabei und geht nicht noch weiter.“
Und als sie alle noch aus dem Weg sprangen, musste Mutter nur müde Lächeln.
„Ich könnte nicht stolzer auf ihn sein.“
„Du hast wirklich einen ganz kranken Humor, Shiori!“, rief Hikari und hielt sich die Augen zu.
Man hörte schließlich nur noch ein dumpfes Keuchen und einen erstickten Laut, bis dieser Kerl dann schwer atmend, sich den Bauch haltend, am Boden lag.
„Aber Rayo warum.......!“, rief Naru entsetzt.
Während die anderen genauso fassungslos mit offenen Mündern auf diese Szene starrten, spuckte ich nur aus und ging wieder rein. Mutter hockte sich hin und flüsterte ihrer Begleitung etwas zu.
„Das geschieht dir recht, Senichi!“, höhnte sie und lachte ihn auch noch aus.
Ich stapfte vorbei an Tomoe und ging nach oben in mein Zimmer. Sie schüttelte nur den Kopf und ging zu Mutter und Senichi. Meine beiden Geschwister, versuchten derweilen irgendwie, den am Boden liegenden wieder auf zu helfen.
„Siehst du was du angerichtet hast?“, fragte Tomoe und wandte sich an Hikari,“Hast du sie nicht aufhalten können?“
„Ich habs wirklich ganz doll versucht.“, sagte Mutters alte Freundin,“Aber Shiori ist beängstigend und ihre Überzeugungskraft steht dem im nichts nach!“
„Ich verstehe gar nicht was ihr alle habt.“, sagte Mutter Achselzuckend, “Es ist doch alles ganz normal verlaufen. Anders hab ichs nicht erwartet.“