Als Mutter wieder zurück nach Shinjuku kam, wurde sie sogleich von Naomi und Seiryu mit offenen Armen empfangen.
„Ich will hoffen das sich euer Vater gut um euch gekümmert hat.“, sagte sie und presste die beiden an sich.
Naomi kicherte bloß und führte Mutter ins Wohnzimmer.
„Papi ist K.O.“, sagte sie.
„Wirklich?“, erwiderte Mutter überrascht, „Sehr gut gemacht, Prinzesschen!“
Vater,....nein, ich sollte ihn erst mal Senichi nennen, lag schnarchend auf dem Sofa. Naomi und Seiryu hatten ihn zugedeckt und Hikari musste die Küche schrubben. Mutters alte Freundin, die wohl jetzt wieder ihre Mitbewohnerin war, hatte sich emotional wieder hochgerappelt. Nur an ihren Männergespür, musste sie noch etwas feilen.
„Da bist du ja wieder!“, rief sie, “Ich hatte mich schon gefragt, ob du überhaupt noch mal wieder kommst.“
„Gab es Probleme?“, fragte Mutter und ging in die Küche, “Haben die beiden sich benommen?“
„Ach die beiden haben sich hauptsächlich mit Senichi beschäftigt. Aber kannst du mir mal verraten, warum er überhaupt wieder hier aufgetaucht ist? Als er vor ein paar Monaten hier angetanzt ist, dachte ich du zerreißt ihn in der Luft!“
Mutter blickte hinüber zum Sofa, wo Naomi und Seiryu gerade dabei waren, Senichis Gesicht mit einem Filzstift zu bekritzeln. Irgendwas lies sie nicht mehr los, seit sie aus dem Krankenhaus zurückgekehrt war.
„Ich weiß es nicht.“, sagte sie abwesend, “Aber sag mal, musst du nicht irgendwann wieder zu deinen alten Job?“
„Unsinn. Ich bin doch genauso austauschbar wie ne Batterie als Maid. Wahrscheinlich vermisst man mich nicht mal. Aber genug davon. Wie geht es Rayo? Ist er schon wieder aufgewacht?“
„Nein.“, sagte Mutter niedergeschlagen, “Mein armer kleiner Prinz liegt noch im Koma und wir können jetzt nichts weiter machen, als abzuwarten.“
In der Nacht, während Hikari noch im Wohnzimmer auf dem Sofa lag und beim Fernseher jedes Programm durchschaltete, lag Mutter noch wach dachte über ihre Begegnung mit Isshina nach. Senichi, den sie einfach auf den Boden gelegt hatte, wurde wach, da er aufs Klo musste. Als er wieder zurück kam, blickte er seufzend zu Mutter.
„Was bedrückt dich?“, fragte er.
„Ist das nicht offensichtlich? Mein kleiner Prinz leidet und ich kann deswegen nicht schlafen. Bin mal gespannt wie du dich anstellst, wenn ihr beide euch mal begegnet.“
„Komm schon, ich kenne dich schon sehr lange.“, sagte er, “Es mag sein das wir beide uns Sorgen um Rayo machen, aber dir, bereitet noch etwas anderes Kopfzerbrechen. Willst du es mit mir teilen?“
„Wenn das was hilft.“, sagte sie Schultern zuckend, “Im Krankenhaus, habe ich mal Tomoes Rivalin kennengelernt. Eine ehrgeizige und arrogante kleine Göre. Zu erst dachte ich, dass sie wie diese Dummköpfe von damals sind, die uns und Hikari immer gemieden haben. Du weißt schon, Menschen eben.“
„Tja, davon gibt es nun mal 7 Milliarden, daran können wir so schnell nichts ändern. Aber worauf willst du hinaus?“, hackte er nach.
„Na ja, als ich sie mir etwas genauer angesehen hatte, habe ich etwas gespürt. Sie hat großes Interesse an Rayo gezeigt, aber trotzdem stimmt irgendwas mit diesem Mädchen einfach nicht. Sie ist zwar ein Mensch, weiß auch nicht was Rayo in Wirklichkeit ist, aber trotzdem war da noch etwas anderes. Sie strahlte so eine......eisige Aura aus. Und Tomoe hat mir schon erzählt, dass die Familie des Korukawa-Klans, noch strenger mit den japanischen Traditionen vertraut ist als andere. Ich frage mich, ob Rayo dieses gewisse Etwas auch schon bei ihr gespürt hat.“
„Wirkte sie auf dich eher distanziert oder annähernd?“, fragte Senichi weiter.
„Wie meinst du das?“, entgegnete Mutter.
„Ganz einfach: Was genau hast du gespürt? Hat sie sich von dir entfernen wollen, oder wollte sie sich dir nähern? Menschen sind neugierig. Wenn du deine Anwesenheit vor ihr preis gegeben hättest und sei es auch nur ein winziger Lufthauch gewesen, denke ich dass sie dich ausgefragt hätte.“
„Willst du damit sagen, dass ein Mensch dazu in der Lage ist, unsere Anwesenheit wahrzunehmen? Wie hätte das funktionieren sollen? Du weißt doch, Menschen benutzen niemals ihr gesamtes Gehirn, sondern immer nur einen Teil davon.“
„Kann sein. Aber bei jedem Menschen und auch bei uns, sind gewisse Teile des Gehirns ausgeprägter, als bei anderen. Und wenn Rayo seine Anwesenheit vor ihr ausgebreitet hätte, nur einen Hauch, könnte doch dass ihr Interesse geweckt haben. Ich will damit sagen, dass sie es ahnen könnte, was er ist. Was wir sind. Und möglicher weise auch, was du bist.“
„Wenn das wirklich so ist, müsste ich mal Kaede und Tomoe auf Isshina ansetzen. Sollte sie wirklich etwas ahnen, dann müssen Rayo und Tomoe jetzt sehr vorsichtig sein. Denn ich glaube, dass Isshina nicht einfach ein gewöhnlicher Mensch ist.“
Während der vergangenen zwei Tage, die ich im Koma lag, wurde ich von furchtbaren Albträumen geplagt. Ich sah wieder den Kampf zwischen mir und Kaede, wie ich Kota beinahe ausgelöscht hätte. Nana, wie sie von mir.....unter Uso Soras Einfluss, massakriert wurde. Tomoe, wie sie mich anschrie als wir oben in jener Nacht auf dem Dach in Shinjuku gekämpft haben. Und schließlich, fand ich mich auf dem Korridor im Krankenhaus wieder. Ich konnte mich kaum aufrecht halten. Meine Hände rutschten immer wieder von der Wand ab, an der ich entlang taumelte und meine Füße verloren auch das ein oder andere mal den Halt.
Alles war verlassen und dunkel. Mir war kalt, Einsamkeit und Trauer trieben mich in den Wahnsinn. Denn dies, war meine Welt. Dies, war meine Hölle. Ich wusste nicht, warum ich überhaupt noch hier war. Also beschloss ich mich, das Krankenhaus zu verlassen. Da ich keinen Aufzug fand, musste ich die Treppe nehmen und das stellte sich als unmöglich heraus. Nicht mal drei Stufen konnte ich problemlos begehen, ohne mit dem Fuß abzuknicken und zu stürzen. Doch ich quälte mich immer weiter. Als ich dann endlich unten ankam, wusste ich jedoch nicht, was ich nun tun sollte. Lieber erschöpft zusammenbrechen und für immer liegen bleiben? Oder doch hinaus gehen und auf ewig, ziellos umher wandern, bis Hunger, Durst und Einsamkeit mich zermürben würden. Leider, kam alles ganz anders. Nach dem ich mich von der Türe zum Treppenhaus entfernt hatte, sprang diese plötzlich wieder auf und ein lauter Knall, lies mich herum wirbeln. Feuer, breitete sich hinter mir aus. Es fraß sich über die Wände hinweg, verschlang alles hinter mir und raste bedrohlich hinter mir her. Ich versuchte so gut es ging zu entkommen, suchte verzweifelt nach dem Ausgang. Immer wenn ich mich zum Feuer umdrehte, veränderte sich alles vor mir. Mein Ziel wurde mir immer verwehrt und wachsenden entsetzen dämmerte mir, dass es kein Entkommen geben würde. Die Cafeteria in der ich irgendwann landete, war jedoch nicht leer. Überall saßen gesichtslose Gestalten und beachteten mich nicht. Ich glitt einfach durch sie hindurch. Nicht mal die Flammen, schienen sie zu interessieren. Einmal stolperte ich und wurde am Fuß verbrannt. Ich schrie laut auf und versuchte mich irgendwie zu retten.
„Nein.....nein, nein , nein, nein nein! Ich will....nicht so enden! Lasst mich nicht so sterben!“, flehte ich und taumelte davon.
Von allen Seiten hörte ich ein boshaftes Flüstern, was sich mir aufdrängte und mich hetzte. „Lügner! Lügner!“ „Du bist nicht Rayo! Du bist ein Monster! Du bist erbärmlich, hörst du?! Du bist ein Nichts!“
Ich hielt mir unter Tränen die Ohren zu und versuchte es zu ignorieren, doch es wurde schlimmer. „Stelle dich endlich deinem Schicksal und töte sie! Zerstöre die Bindung! Sie hat dich nicht verdient! Sie will dir doch nur Leid zufügen!“ Als ich um eine Ecke bog, krachte ich gegen eine Wand und fiel zu Boden.
„Nein! Hört auf! Diese......Schmerzen! Lasst mich in Ruhe!“, schrie ich verzweifelt und rammte meinen Kopf gegen die Wand.
Ich drehte mich wieder um und blickte in eine Scheibe. Mein Spiegelbild starrte mich mit schwarzen Augen an. Es verwandelte sich in ein Wesen mit schwarzem Fell, spitzen Ohren und einer Hundeschnauze. Konnte es möglich sein? War ich das? War das also der schwarze Schakal?
Er sprang aus der Scheibe heraus, Vorderbeine weit ausgestreckt, das Maul aufgerissen und mit blutigen Zähnen, stürzte er sich auf mich. Alles flackerte und ich sah immer wieder mich, dann wieder den Schakal. Er biss mir in den Arm und riss mich zu Boden. Ich schüttelte ihn ab, befreite mich aus seinem Biss. Die Wunde brannte und dampfte. Ich rannte weiter, wich den nächsten Schakalen aus, die links und rechts von mir aus den Wänden sprangen. Und als ich in den Eingangsbereich kam, war es schon zu spät. Ich fand nur eine erdrückende schwärze vor, das Feuer hatte mich eingekesselt. Wissentlich, dass ich keine andere Wahl hatte, ging ich in die Dunkelheit hinein. Meine Schritte hallten wieder und wieder hörte ich Stimmen. „Schakal. Ich sehe dich!“ Plötzlich, tauchten vor mir drei rote Flämmchen auf. Sie wurden größer und heraus schälten sich drei Augen, die rasch aufsprangen und mich anstarrten. Alle Pupillen waren zu einem Schlitz verengt. Sie kamen näher, wurden aufdringlich und zwangen mich zu Boden. Ich kauerte mich zusammen und versuchte nicht sie anzusehen. „Ich......sehe.......DICH!“ Ich hörte nur noch die letzten Zeilen des Songs, der gerade auf meinem MP3-Player lief.
„I will find you
If you're near or far
Wherever you are.....“
Es war keine Überraschung das ich schweißgebadet und schreiend aufwachte. Alles wirbelte nur noch um mich herum, ich schlug und strampelte um mein Leben und bemerkte gar nicht, wie ich Tomoe beinahe ausknockte. Rasch, sprang sie aufs Bett und drückte mich nach unten. Arme und Beine hielt sie fest und versuchte mir in die Augen zu sehen.
„Rayo! Ganz ruhig! Es ist alles in Ordnung!“, rief sie.
„Nein....geh weg......verschwinde!“, schrie ich sie an.
Ich steckte also immer noch in diesen Albtraum fest und konnte diese drei furchtbaren Augen vor mir sehen. Sie brannten sich in meine Seele, kamen näher und ich hörte auch wieder dieses fauchen in meinem Schädel. Doch ein stechender Schmerz im Oberschenkel, lies mich wieder zurückfallen. Die Augen schlossen sich wieder und das fauchen verblasste. Die beiden Räume, die sich gerade dauernd schlagartig hin und her bewegten, waren wieder im Einklang. Alles war verschwommen und nur Tomoes feuerrotes Haar konnte ich so gerade noch erkennen.
„Wo.....wo b-bin..... ich?“, fragte ich abgehackt und sah mich hektisch um.
Mein Herz raste und ich konnte jeden Schlag spüren.
Tomoe seufzte erleichtert und stieg wieder von mir runter.
„Du bist im Krankenhaus.“, erklärte sie mir und strich mir die Haare aus dem Gesicht, “Wie fühlst du dich?“
Sie zog die Decke bis zu meinem Kinn hoch und legte ihre Hand auf meine.
„Wa-Warum......bin ich hier?“, schluckte ich und starrte an die Decke.
„Weißt du das nicht mehr?“, fragte Tomoe, “Als wir wieder aus Kamakura zurück kamen, bist du im Ryokan zusammengebrochen. Dein Herz hat aufgehört zu schlagen. Als der Notarzt eintraf, sah es zunächst so aus, als ob er nichts mehr tun könnte. Aber.....er hat nicht aufgehört. Du hast zwei Tage im Koma gelegen. Die anderen werden völlig ausrasten wenn sie hören, das du wieder wach bist.“
„Wa....rum.....“, fragte ich wieder und ballte die Faust so gut es ging.
„Was denn? Brauchst du was? Hast du Hunger?“, fragte sie besorgt.
Doch ich schüttelte nur den Kopf und spürte wie mich die Traurigkeit wieder packte.
„Warum......konntet ihr mich nicht einfach........liegen lassen.....?“
Entsetzt starrte sie mich an und lies meine Hand los.
„Wie bitte?!“, hauchte sie geschockt.