Tomoe kam in der Nacht wieder zum Ryokan und wurde sogleich von Yu und Shinobu empfangen.
„Tomoe!“, rief Yu begeistert und wollte ihr um den Hals fallen, lies es jedoch rasch bleiben, “Was hast du?“
„'tschuldige das du warten musstest.“, sagte Tomoe müde, “Ich muss ins Bett.“
„Wie geht es denn Rayo?“, fragte Shinobu besorgt.
„Es.......es geht ihm.....“, begann Tomoe und kniff die Augen zusammen, “Es geht ihm wieder schlechter. Aber es wird alles wieder gut. Der Arzt hat gesagt, dass er eine Operation bei ihm durchführen wird. Was harmloses.“
„Können wir dir irgendwie helfen?“, fragte sie weiter und stützte sie ,als sie kurz vor der Treppe einknickte, “Du bist so furchtbar erschöpft. Bestimmt hat Rayo dir das auch immer wieder gesagt. Aber du hörst ja nicht.“
„Tse.“, sagte Tomoe und grinste schief, “Du kennst ihn doch. Sowas sagt er immer wieder. Dabei ist er es, der die Hilfe braucht.“
Am Treppenabsatz stand Kaede und löste Shinobu ab.
„Geh wieder ins Bett.“, sagte sie knapp.
„Ist gut. Bringst du sie in ihr Zimmer?“
„Was sollte ich sonst tun?“, fragte Kaede, “Jetzt geh. Sonst bekommst du wieder keinen Schlaf.“
Als sie vor Tomoes Zimmer standen, ging Kaede noch mit ihr rein.
„Scheiße.“, flüsterte Tomoe, “Einfach alles scheiße.“
Kaede rollte mit den Augen und führte sie zu ihrem Bett.
„Du bist genauso ein dummes Kleinkind wie er.“
„Sie werden ihn morgen.....“, wollte Tomoe noch sagen, doch Kaede unterbrach sie.
„Ich will es nicht hören.“, sagte sie im ernsten Ton, “Sag mir einfach nur ob er die Sache durchziehen will.“
„Will er.“, antwortete Tomoe.
„Gut. Und jetzt schlaf. Solltest du den Drang haben mit mir zu sprechen, dann tu es einfach. Ich sage seiner Mutter später bescheid.“
Und damit ging sie hinaus und verschwand in der Dunkelheit. Der blutrote Mond stand diese Nacht in einer breiten Sichel am Himmel und das Licht schien direkt in Tomoes Zimmer. Rasch schlug sie die Augen auf und sah sich um. Das Licht des Mondes war überall, die Tür stand einen Spalt breit offen.
„Seltsam.“, murmelte sie, "Hatte Kaede die Türe nicht zu gemacht?“
Leise fluchend, kroch sie aus dem Bett und schlich hin. Plötzlich wurde die Türe mit lautem Krach aufgerissen und blieb offen stehen, Tomoe zuckte hefitg zurück und schnappte sich ihr Katana. Dann hörte sie leise Schritte, die den Flur entlang kamen, genau in ihre Richtung. Hastig, legte sie ihre Hand an den Griff ihres Katanas und machte sich bereit, zu zuschlagen. Als dann der erste Fuß zu sehen war, stürmte sie los und zog ihre Klinge. Doch sie stoppte, als sie sah, wer dort wanderte. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, sie gab einen erstickten Laut von sich und steckte ihr Katana wieder weg.
„Rayo?!“, hauchte sie geschockt.
Ihr Mitbewohner wirkte blass, die Augen leer und emotionslos, Blut das die Mundwinkel herablief und zu Boden tropfte. Auch die Füße hinterließen blutige Abdrücke. Die Haare lang, fast bis zu seinen Füßen. Sie wollte ihn berühren, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, doch sie wurde gewaltsam zurück geschubst und die Türe knallte wieder zu. Sie sprang wieder auf, öffnete mit großer Anstrengung die Türe, die sich nun schwer und träge anfühlte, so als ob sie nur in Zeitlupe nachgab. Als Tomoe sie endlich aufgerissen hatte, war ihr Mitbewohner verschwunden. Nur die roten Fußabdrücke schienen eine Spur aufzuweisen. Mit rasenden Herzen, legte sie ihr Katana weg und ging der Spur nach.
„Rayo!“, rief sie, “Wo bist du?! Antworte mir!“
Sie rannte den Flur entlang, bog um die nächste Ecke und fand sich bei der Treppe zum Dach wieder. Dort oben war er, Kopf und Arme gen Boden gesenkt und weiter nach oben taumelnd und torkelnd.
„Wo willst du denn hin?!“, schrie sie verzweifelt.
Sie rannte ihm nach, übersprang mehrere Stufen, rutschte vor dem nächsten Absatz aus und schlug sich ein Knie auf. Sie biss die Zähne zusammen und quälte sich die nächsten Stufen hoch. Oben angekommen, sah sie ihn wieder, wie er nun auf dem Geländer stand. Der Wind peitschte ihr um die Ohren. Er starrte hoch zum Mond und weinte.
Kaede, die die ganze Zeit geschlafen hatte, spürte das etwas nicht stimmte und riss ihre Augen auf. Sie stieß ein schreckhaftes Aufatmen aus und rannte zu Tomoes Zimmer. Sie biss sich auf die Lippe und begab sich zu Shinobu, rüttelte sie wach und jagte ihr einen furchtbaren Schrecken ein.
„Aber Kaede, was machst du denn hier noch so spät?“, sagte sie mit zitternder Stimme.
„Ganz egal.“, zischte Kade, “Es gibt ein Problem.“
„Was denn für eins?“
„Tomoe ist weg.“
Wieder rannten sie zurück zu Tomoes Zimmer und fanden dort nur ihr Katana vor.
„Wo könnte sie denn bloß hin sein? Sie.....wird doch nicht etwa wieder unterwegs zum Krankenhaus sein um Rayo.....“
„Unsinn. Aber wo......“
Auf einmal hörten sie Tomoe rufen und erschrocken wirbelten sie herum.
„Hört sich ganz danach an als wäre sie....“, sagte Shinobu.
„Rayo!“, schrie Tomoe wieder.
„Verdammt, sie ist auf dem Dach! Komm!“
Sie stürmten los, immer Tomoes Schreien nach. Tomoe selbst versuchte mit der gemarterten Seele zu reden, doch es war zwecklos. Sie nahm seine Hand und wollte ihn wieder zurück ziehen, aber vergebens. Also stieg sie selber aufs Geländer um ihn irgendwie von dort weg zu drängen. Kaede und Shinobu hatten die Treppe zum Dach erreicht, rannten nach oben und fanden ein Bild des Grauens vor. Tomoe stand dort auf dem Geländer und wusste scheinbar nicht wo sie sich befand.
„Tomoe!“, rief Shinobu.
„Dieses dumme Kleinkind wir doch nicht...“
Tomoe tat einen Schritt weiter nach vorne und mit wachsenden Entsetzen dämmerte es Kaede, dass Tomoe wohl gleich hinabstürzen würde. Beide rannten auf sie zu, Kaede machte einen Hechtsprung nach vorne und Riss Tomoe zu Boden. Sie weinte und schlug um sich.
„Nein.....er will.....lasst mich!“, schrie sie, “Rayo!“
Und dann, lies er sich in die Tiefe stürzen. Tomoe kreischte und riss sich von den Beiden los um zurück zum Geländer zu kommen.
„Nein!“, schrie sie weiter, “Nein.......das ist nicht wahr! Rayo!“
„Tomoe, stopp!“, rief Kaede und wuchtete sie wieder zu Boden, “Genug jetzt!“
„Was hat sie denn bloß?!“, fragte Shinobu entsetzt.
„Keine Ahnung. Weck die anderen auf! Na los, wird’s bald!“
Wenige Minuten später, standen Naru, Kanako und Muzumi um Tomoe, die weinend in ihrem Bett lag und es einfach nicht glauben wollte.
„Warum....warum hat er das getan?“, wimmerte sie.
„Sh, ruhig.“, flüsterte Kanako,“Es ist nichts passiert. Du hattest einen Albtraum.“
Sie nahm ihre Hand und strich ihr durchs Haar.
„Aber......ich habe ihn gesehen.“, hauchte sie, “Ich habe ihn dort oben stehen sehen. Ich verstehe das einfach nicht! Was ist nur los mit mir!“
Naru atmete schwer aus und runzelte die Stirn.
„Danke, Kaede.“, sagte sie.
„Wofür?“, fragte Kaede.
„Ohne dich und Shinobu wäre sie,......du weißt....“
„Du brauchst mir nicht zu danken.“, erwiderte die Königin, “Bleibt jetzt lieber bei ihr. Dann wird euch der Holzkopf im Krankenhaus später selbst danken.“
„Stimmt.“, entgegnete Naru, “Hoffentlich ist er bald wieder genauso schlecht gelaunt wie sonst.“
Am nächsten Morgen, saßen Tomoe, Motoko und Kitsune im Wartebereich vom Krankenhaus. Meine Mitbewohnerin hatte zwar nach ihrem, wie Kaede sagte „gefährlichen Träumen“, noch lange genug schlafen können, aber dennoch saß sie nicht hellwach auf ihrem Stuhl. Stattdessen döste sie. Als Motoko sie jedoch wachrüttelte, schreckte sie hoch und fiel zu Boden.
„Was.....was...nein, nicht!“, fiepte sie und ruderte wild mit den Armen herum.
„Dabei dachten wir, dass du lange genug geschlafen hast.“, sagte Kitsune und half ihr auf, “Mach dich nicht verrückt. Es wird schon alles gut werden.“
„Wären Shinobu und Kaede nicht gewesen......“, hauchte Tomoe,“Es tut mir so furchtbar Leid das ich euch alle geweckt habe.“
„Mach dir keine Vorwürfe.“, sagte Motoko.
„Sie hat Recht. Außerdem können wir verstehen warum du gerade so viel durchmachst. Wir alle mögen Rayo, aber du hast noch mal eine ganz andere Verbindung zu ihm.“, warf Kitsune lächelnd ein.
Kurz darauf kam Yanagi zu ihnen und sie wirkte ein wenig angespannt.
„Gut das ich dich hier treffe, Tomoe.“, sagte sie, “Du müsstest mal kurz mitkommen.“
„Wieso?“, fragte Tomoe hysterisch, “Was ist passiert?!“
„Keine Sorge, es geht ihm genauso schlecht wie sonst auch. Aber, er wollte dich noch einmal sehen bevor wir den Scan durchführen.“
Tomoe drehte sich noch mal zu Kitsune und Motoko um und schluckte.
„Jetzt geh schon.“, sagte Motoko.
„Wenn er dich sehen will, solltest du ihn nicht warten lass.“, erwiderte Kitsune.
„Ist gut. Bis später.“
Und gerade als sie durch die Tür schritten, rief Kitsune ihr noch etwas hinterher.
„Viel Glück, Feuerlöckchen!“, rief sie.
Tomoe zuckte zusammen und ballte die Faust.
„Großartig. Vielen dank auch Rayo! Du.....Holzkopf!“
Oben angekommen, begegneten sie Isshina die gerade den Gang entlang ging. Sie wirkte bedrückt und diesmal schien sie nicht zu mir zu wollen. Tomoe beäugte sie misstrauisch und schnaubte.
„Sei mir gegrüßt, Darakaija.“, sagte Isshina und verneigte sich.
„Darf man fragen, was du hier treibst?“, fragte Tomoe.
„Keine Sorge. Ich bin zwar ebenfalls sehr besorgt um Akumaru, aber ich bin nicht seinetwegen hier.“, erklärte Tomoes Rivalin.
„Nicht? Weswegen denn sonst?“
„Sagen wir so, du bist nicht die einzige, die jemanden umsorgt.“
„Und wer ist es bei dir? Einer deiner Diener?“
„Gut geschätzt, aber nein. Ein Familienmitglied.“, erwiderte Isshina.
Sie verneigte sich erneut und verschwand.
Tomoe seufzte nur und ging dann sofort durch meine Türe. Ich öffnete ein Auge und atmete erschöpft aus. Ich konnte zwar schlafen, jedoch nicht so wirklich gut. Die Brandnarben haben mir immer mal wieder ein paar kleine Stiche durch den Körper gejagt, aber Tomoe sah nicht wirklich besser aus als ich.
„Hab ich dich geweckt?“, fragte sie und verzog das Gesicht.
„Unsinn.“, murmelte ich, “Es gibt etwas, was ich dir geben muss, bevor mein Schädel gleich gescannt wird.“
Ich gab ihr meinen MP3 Player und nahm ihre Hand.
„Soll ich ihn für dich aufbewahren?“, fragte sie.
„Auch. Aber vor allem, musst du dir für mich einen Song anhören und mir dann später sagen wie er so ist.“
„Wofür?“
„Ich wollte ihn mir erst nach der Operation anhören, wenn mein Kopf wieder klar ist. Es müsste der nächste Song sein der dran kommt. Aber du musst das Ding erst noch mal aufladen.“
Sie nickte und steckte den MP3 Player in ihre Tasche.
„Sonst noch was?“
„Ich.......möchte das du mir bei der Operation beistehst.“, krächzte ich.
„Oh ähm.....natürlich.“, stammelte sie, “Soll ich deine Mutter noch anrufen?“
„Nein.“, sagte ich kopfschüttelnd, “Sie würde wieder nur ein Theater machen. Sei, bitte einfach nur da.“
„Ich werde da sein. Vertrau mir.“, nickte sie.
Ich verzog das Gesicht und lies ihre Hand los.
„Es tut mir leid, dass ich dir schon wieder so eine schwere Last zu tragen gebe. Verzeih mir.....“
„Schon gut Rayo, ich......“
„Entschuldigt ihr beiden, ich unterbreche euch nur ungern, aber wenn wir ihn jetzt nicht scannen, müssen wir nachher länger warten.“, ging Yanagi dazwischen.
Mit diesen Worten, halfen mir die beiden in meinen Rollstuhl und Yanagi schob mich zum Aufzug, der uns direkt nach unten in ein Labor brachte. Ich wurde auf eine merkwürdige Ablage gelegt. Kurz darauf, verschwand Yanagi hinter einer Glasscheibe und bediente einen Computer, um so den Apparat in Gang zu setzen. Ich fuhr durch eine Röhre, die nebenbei bemerkt einen ungeheuren Krach machte.
Ein paar Tage später, waren wir nur noch vier Tage, vom Ende des Monats entfernt. Der Scan war erfolgreich und als Keitaro, Naru und Shinobu mich besuchten, bekam ich von Yanagi die Bestätigung, dass die Operation durchgeführt werden kann, sobald ich denn Bereit war. Da ich den dreien nicht die Zeit stehlen wollte, bat ich sie darum Tomoe her zu schicken. Als sie dann angespannt und nervös mir gegenübertrat, meinte ich einen gewissen Anflug von Zweifel bei ihr zu sehen. Yanagi schob mich dann schließlich mit Tomoe nach unten in den großen Saal, wo schon einige Chirurgen warteten. House, Tomoe und Yanagi standen oben hinter einer Scheibe und beobachteten mich. Womit wir wieder beim letzten Schritt in den Abgrund wären.
Ich wartete immer noch auf eine Antwort von House.
„Hallo! Sind sie noch da?!“, rief ich.
„Hast du es so eilig?“, fragte er, “Keine Henkersmahlzeit? Kein kurzer Blick in den Playboy?“
Tomoe starrte ihn entrüstet, ja fast schon entsetzt an.
„Nun fangen sie schon an.“, stöhnte ich, “Bitte!“
„Also schön. Dann legen wir mal los.“
Er nickte und einer der Chirurgen kam auf meine Augenhöhe. Er trug ein Tuch mit einem seltsamen Muster auf den Kopf und er hatte eine dunkle Hautfarbe. Etwas, was ich bei den Menschen bisher noch nie gesehen hatte.
„Also kleiner Freund, alles klar soweit bei dir?“, fragte er und legte seine Hand auf meine Schulter.
„Und sie wollen das durchziehen?“, fragte ich vorsichtig.
„Du kannst unbesorgt sein. Bei mir bist du guten Händen.“, versicherte er mir, “Wenn irgendwas sein sollte, sag einfach Bescheid, dann machen wir ne Pause. Das wird dann aber nicht schmerzlos ablaufen. Aber wir schaffen das. Ich gucke jedem meiner Kollegen auf die Finger.“
„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“, entgegnete ich.
„Ganz ruhig. Hey, wenn wir das überstanden haben, können wir ne Runde Basketball spielen. Was hältst du davon?“
„Was ist Basketball?“, fragte ich verdutzt.
Er lachte nur und zeigte mit den Daumen nach oben.
„Ein echter Scherzkeks! Also, kanns losgehen, Kumpel?“
„Ich bin bereit, wenn sie es sind.“
Und alles was ich noch sah, war Tomoe, die sich die Kopfhörer von meinem MP3 Player in die Ohren steckte und sich wegdrehte, als neben mir ein lautes, dröhnendes Geräusch ertönte und sich auf mich zubewegte. Mein ganzer Körper wurde taub und ich konnte so gerade noch die Augen aufhalten.
„Dann wollen wir mal in deinen Kopf sehen.“, sagte House.