Ein paar Stunden nach der Operation, wurde ich in einem merkwürdigen Raum wach. Yanagi erklärte mir, dass dies ein „Aufwachraum“ war, wo Patienten hingebracht wurden um nach einer Operation geweckt zu werden. Natürlich musste ich mich ein paar mal übergeben. Mein Kopf schmerzte bestialisch. Deswegen bat ich Tomoe darum mir meinen MP3 Player wieder zu geben. Danach wurde ich wieder auf mein Zimmer gebracht. Auch wenn ich ein paar Stunden geschlafen hatte, war ich immer noch müde und konnte demnach meine Augen kaum offen halten.
„Wie fühlst du dich?“, fragte Tomoe.
„Ich bin mir......nicht sicher.“, sagte ich schwer atmend, “Meine Erinnerungen......wurden zwar aufgefrischt.....jedoch sind sie verschwommen.“
„Und dieses Fauchen? Hörst du es noch?“
„Keine Ahnung. Momentan höre ich in meinem Kopf nichts.“ , ich betrachtete meinen Mp3 Player und gab ihm Tomoe, “Pass so lange darauf auf.“
Verdutzt nahm sie ihn an sich.
„Aber, willst du keine Musik hören?“, fragte sie verwirrt.
„Schon......aber mein Kopf macht mich wahnsinnig. Ich brauche Ruhe, wenn ich schlafe. Also, hör du dir ein wenig davon an. Aber lösche bitte nichts!“
Sie stöhnte leicht genervt auf und verzog das Gesicht.
„Warum sollte ich was von dir löschen?! Kannst du mir das mal verraten, du Holzkopf?!“
Ein schmales Grinsen zeichnete sich auf meinen Lippen ab, aber es verblasste wieder rasch, als mein Kopf mir einen stechenden Schmerz schickte.
„Du....solltest wieder zum Ryokan gehen. Und Tomoe..“
„Hm? Brauchst du was?“
„Tu mir einen Gefallen und........versuche diesmal nicht vom Dach zu springen.....“
Ihre Augen weiteten sich und sie biss sich auf die Lippe.
„Rayo...... ich muss dir noch dringend etwas sagen, bevor ich gehe. Sonst macht mich das noch wahnsinnig!“, sagte sie und sah nach ob die Türe verschlossen war.
Ich nickte und langsam wurden mir die Augenlider schwer.
„Fang ruhig an, ich höre dir zu.“, nuschelte ich.
Sie atmete tief durch, warf einen letzten Blick auf das Display meines Mp3 Players, wo der Song „Love you to Death“ zu ende ging und sah mich aus ernsten Augen an.
„Da gibt es etwas, dass wollte ich dir schon seit langem sagen und ich will das du es dir gut einprägst.“
Und dann, begann sie zu erzählen. Das dumme war nur, dass ich nicht alles hören konnte. Ich meinte, sie hätte noch mal alles ausgegraben, was uns seit Shinjuku passiert war. Die Verfolgungsjagd auf dem Dach und der Feuerleiter, das Versteckspiel mit mir, das Feuer in der Psychiatrie. Irgendwo mittendrin, schlief ich ein. Alles wurde schwarz. Und nach ein paar Minuten, kam Tomoe mit gesenkten Kopf aus dem Zimmer, schloss die Türe leiser hinter sich und fiel dann weinend mit den Rücken dagegen. Und sie gab sich keine Mühe ihre Stimme zu senken. Dieses Gespräch, was hauptsächlich Tomoe geführt hatte, war also das letzte Bisschen was gefehlt hatte, um schließlich daran zu zerbrechen. Zumindest für meine Mitbewohnerin. Um ihre eigene Stimme zu übertönen, drehte sie die Musik auf dem MP3 Player auf volle Lautstärke.
„But all my threads couldn't stop the bleeding
There's nothing left, but I'm not leaving
When all I know is you
I've been looking for a way
To bring you back to life
And if I could find a way, I would bring you back tonight
I'd make you look, I'd make you lie
I'd take the coldness from your eyes
But you told me, if you love me
Let it die!“
Genau zwei Tage vergingen nach der Operation. Durchgeschlafen hatte ich dieses mal zwar nicht, aber es durfte mich auch niemand besuchen. Yanagi sagte das ich Ruhe bräuchte und darauf achtete sie auch ziemlich penibel. Um diese Zeit zu überbrücken, sollte ich einige Denksportaufgaben lösen um meinen Verstand wieder anzukurbeln. Als das Ende des Monats sich ankündigte, es war der 26. Februar wohlgemerkt, schlief ich besonders lang. Jedoch suchte mich wieder ein Albtraum heim. Einer der schlimmsten, den ich seit der letzten Woche hatte. Ich sah wieder Kamakura, wie Kaede und ich miteinander kämpften. Kota, der dem Tode nahe war. Ich konnte Saki sehen. Er litt furchtbare Schmerzen und spuckte Blut. Uso Sora, wie sie mich anschrie und........wie ich Nana..... „Nein, nein Schluss damit! Aufhören! Ich will das nicht tun! NANA!“ Ich begann zu schreien und wollte eingreifen, damit dieser Wahnsinn ein Ende findet. Also stürzte ich mich auf die wilde Bestie, um sie von Nana weg zu zerren, doch ich versagte und wurde in einem Sturm geworfen, der mich zerriss.
Schweißgebadet wachte ich wieder auf und wurde sofort von einem Brechreiz übermannt. Also schnappte ich mir den Eimer der neben meinem Bett stand und beugte mich darüber.
„Was hab ich nur getan.......“, würgte ich und lies mich auf mein Kissen zurückfallen, “Ich........bin ein Monster.“
Kurze Zeit später kam Tomoe und verzog das Gesicht, als sie mich erbleicht und zitternd da liegen sah.
„Schon wieder schlecht geträumt?“, fragte sie.
„Was heißt schon wieder?“, fragte ich mit getrübten Blick, “Sie halten immer noch an. Und dabei dachte ich, dass das mit der Operation auch vorbei wäre.“
„Glaub mir, das wird sich mit der Zeit legen.“, versicherte sie mir, “Was war es denn diesmal?“
„Kamakura.....ich sah....wie Kaede und ich gekämpft haben.....und Nana. Oh nein, ich....habe Nana so viele furchtbare Dinge angetan! Und Saki erst! Ich.....bin ein Monster!“
„Nein, nein! Das bist du nicht!“, beruhigte sie mich und drückte mich aufs Bett zurück, “Du bist kein Monster! Das bist du keinesfalls!“
Ich spürte wie mich die Verzweiflung wieder übermannte, doch ein winzig kleiner Teil, konnte dem irgendwie standhalten, wenn auch mit großer Mühe.
„Bist du alleine hier?“, fragte ich und schluckte.
„Nein.“, antwortete sie, lies mich los und drehte sich zur Tür, “Du kannst rein kommen!“
Als sie durch die Türe kam, spürte ich wie mich eine eisige Kälte packte.
„Kaede....du?“, fragte ich.
Die Königin setzte sich hin und beäugte mich.
„Du lebst also noch. Gut.“, sagte sie knapp.
„Kaede, bitte halte dich zurück. Du siehst doch wie schlecht es ihm wieder geht.“, sagte Tomoe mit ernster Mine.
„Lass sie ruhig.“, warf ich ein, “Kaede.....bitte...du musst mir eines verraten.“
„Stell deine Frage.“, entgegnete sie.
„Wie geht es......Kota, Mayu und den anderen? Ich will es wissen!“
Tomoe starrte sie verwirrt mit offenen Mund an.
„Du hast es ihm noch nicht gesagt? Aber.......wieso...“
„Ich hielt es nun mal für richtig, ihm noch nichts davon zu sagen, da er ja gerade erst erfahren hatte, was mit Saki passiert ist.“, erklärte Kaede.
Ich starrte an die Decke und raufte mir die Haare.
„Bitte.......nun sag es mir endlich.“, flehte ich
Sie ging ans Fenster und seufzte schwer.
„Es geht ihnen gut. Sagen wir so.“
Ich gab einen erstickten Laut von mir und begann zu zittern.
„Rayo?“, fragte Tomoe besorgt und nahm meine Hand.
„Und Nana.......? Was ist mit Nana?“
Ein schmales Lächeln zeichnete sich bei Kaede ab.
„Nun, es mag sein, dass sie noch angeschlagen ist seit eurer letzten Begegnung. Aber auch ihr geht es mittlerweile etwas besser.“
Ich begrub das Gesicht in den Händen und begann zu Schluchzen. Meine Schultern bebten und meine Verzweiflung, löste sich nach und nach auf.
„Rayo......“, sagte Tomoe und legte ihren Arm um mich, “Was mache ich nur mit dir, du....Holzkopf?“
Ich kam wieder hoch und schrie meinen Schmerz hinaus.
„Es......es geht ihnen gut!“, schluchzte ich, “Kota, Yuka, Mayu, Wanta......Nana! Sie sind alle noch am Leben! Ich....bin....überglücklich!“
Das, war das letzte bisschen was gefehlt hatte, um den Wall zu durchbrechen. Und zwar bei mir.
Am späten Nachmittag, kam noch mal mein Arzt um nach mir zu sehen.
„Wie es aussieht geht es mit dir wieder aufwärts.“, sagte er.
Ich jedoch kauerte mich zusammen und seufzte.
„Mag sein.“, murmelte ich.
„Die Depression müssen wir noch überstehen.“, sagte Tomoe, “Wie lange wird er noch hier bleiben müssen?“
„Ich denke mal, da er ebenso wie ich so schnell wie möglich aus diesem Kasten raus will, könnten wir sagen, dass er in zwei Tagen verschwinden kann.“
„Und wie sieht es mit dem Fauchen aus?“, harkte Tomoe nach, “Glauben sie, es wird sich noch mal bemerkbar machen?“
Er dachte nach und runzelte die Stirn.
„Da wir herausgefunden haben was ihn so traumatisiert hat, sollte es nur noch eine schmerzhafte Erinnerung sein. Ich verschreibe ihm Tabletten, damit die letzten Blutgefäße sich wieder schließen. Und das hier, wollte ich ihm auch noch geben.“
Er hielt mir sein komisches „Handy“ hin, was ich verwirrt annahm.
„Was soll ich damit?“, fragte ich.
„Das kannst du selbst entscheiden.“, antwortete er, “Versuch mal es durchzuspielen. Dann kommst du auf andere Gedanken.“
Er humpelte wieder hinaus, doch ich hielt ihn noch mal zurück.
„Stopp.“, sagte ich, “Sie, haben mir noch nicht gesagt, was mit ihrem Bein ist.“
Er kramte wieder seine Pillen aus der Hosentasche und schluckte ein paar davon.
„Von mir aus. Normaler Weise ignoriere ich diese Frage immer, aber da wir uns wahrscheinlich nicht wiedersehen, tue ich dir mal den Gefallen.
Es hatte sich ein Blutgerinnsel in meinem Bein gebildet. Das wurde zwar behandelt aber nicht gut genug. Dadurch entstand ein Infarkt im Bein, was dazu geführt hat, dass der gesamte Oberschenkelmuskel partiell abgestorben ist. Für einen Zeitpunkt sah es so aus, als müsste man mir das Bein abnehmen. Doch ich war dagegen. Seit dem habe ich starke chronische Schmerzen, weswegen ich diese Schmerzmittel wie Gummibärchen schlucke.“
Ich schluckte und betrachtete mein eigenes Bein.
„Warum, wurde es ihnen nicht abgenommen? Warum diese Schmerzen erleiden?“, fragte ich weiter.
„Weil es meine Entscheidung war.“, erklärte er, “Im Endeffekt wäre ich mit einer Amputation noch eingeschränkter als jetzt. Vielleicht wollte ich genau das verhindern.“
„Das.........tut mir leid.“, sagte ich.
„Schon gut.“, sagte er schließlich und ging, “Und besorg deinen kleinen Freund ein Playboyheftchen, dann kann er sich schon mal auf die Pubertät vorbereiten.“
Und damit, verschwand er. Ich blickte fragend zu Tomoe die vor lauter Scham ihren Kopf gegen die Wand schlug.
„Was sollte denn das bedeuten?“, fragte ich, “Weißt du wovon er geredet hat?“
„Nein!“, knurrte Tomoe und drehte sich wieder zu mir um, “Es gibt da noch etwas, das ich dir von Su geben sollte. Hier.“
Sie gab mir ein Heft.
„Wol-Wolve......was? Wolverine.....Ori-gin.“, versuchte ich die Worte zu lesen und kratzte mich am Kopf,“Was ist das?“
„Ich bin mir nicht sicher.“, sagte sie und zuckte die Schultern, “In den USA sind diese Comichefte total angesagt. Hauptsächlich geht es da um Mutanten, aber mehr weiß ich nicht. Sie meinte, dass dir sowas gefallen könnte, da du ja ein großer Godzilla-Fan bist.“
„Mutanten sagst du?“, entgegnete ich, “Komisch. Mal sehen ob ich damit was anfangen kann.“