Die Nacht zum Montag brach an und zur Entspannung, nahmen alle Mädels noch mal ein heißes Bad. Sie saßen alle im Kreis in der heißen Quelle und wären wahrscheinlich ein gefundenes Fressen für Shirai und Haitani gewesen. Ihr Glück das diese beiden Hornochsen nicht da waren. Tomoe saß zwar auch dabei, nur dass sie wiederum mit den Rücken zu den anderen gedreht war, während sie sich viel mehr noch auf ein paar ihrer Aufgaben konzentrierte.
„Sag mal, willst du die ganze Nacht durchlernen?“, fragte Kitsune.
„Was, wenn es so wäre?“, sagte Tomoe abwesend und radierte ein paar Zahlen weg.
„Normalerweise ist das aber nicht so gut.“, warf Shinobu ein, “Wir sind doch hier um uns zu entspannen.“
„Gut, macht das ruhig.“, winkte Tomoe ab, “Ihr habt eure Methoden euch auf morgen vorzubereiten, ich habe meine.“
„Jetzt leg doch endlich mal die Aufgaben weg. Wir alle haben schwer geschuftet, also mach Schluss.“, sagte Naru, “Rayo liegt auch schon im Bett und schnarcht so laut, als würde er einen ganzen Regenwald abholzen.“
Tomoe rollte mit den Augen und nahm sich ein paar Mikadostäbchen.
„Ihr glaubt doch wohl nicht im Ernst, das der sture Bock wirklich schon tief und fest schläft. Oder?“, erwiderte Tomoe,“Glaubt mir, der ist noch hellwach und sieht sich noch mal alles in Ruhe an.“
Alle sahen sich an und gedanklich hatte ich Tomoe gerade schachmatt gesetzt, denn ich lag bereits im Bett und schlief tief und fest.
„Findest du nicht, das du Rayo etwas zu hart ran nimmst?“, meldete sich Kanako zu Wort.
„Könntest du das etwas, anders ausdrücken?“, fragte Motoko.
Tomoe drehte sich zu ihnen um und richtete sich auf.
„Ich nehme ihn zu hart ran?“, sagte sie mit ernster Mine, “Leute, wir alle hatten unser ganzes Leben lang für so etwas zu lernen. Rayo wiederum nicht, weil er im Koma gelegen hat! Wenn er die Prüfung nicht hinkriegt, hab ich seine Mutter wieder am Hals. Und glaubt mir, wenn das passiert, bin ich so gut wie tot!“
„Deswegen musst du Rayo doch nicht so schuften lassen.“, hackte Naru weiter nach, “Es wird schon alles gut werden. Gut, es war zwar etwas anstrengend mit ihm zu lernen, aber er wird das schon hinkriegen.“
„Na hoffentlich hast du Recht.“, sagte Tomoe schließlich und legte ihre Aufgaben weg.
Zu dumm, dass ich nicht lange schlafen konnte. Ich brauchte frische Luft und wanderte leicht benebelt durch die Korridore, auf der verzweifelten Suche, die Treppe zum Dach zu finden. Als ich endlich oben ankam, überlegte ich mir den ganzen Stress, den ich im Verlauf der letzten zwei Wochen in mich hineingefressen hatte, einfach herauszuschreien, doch mein Kurzzeitgedächtnis, stoppte mich noch mal. Also setzte ich mich auf das Geländer und starrte in den Himmel. Mir fiel auf, wie selten ich in den letzten Monaten die Sterne gesehen habe. Von überall hörte ich den Krach von Autos, Menschen die noch unterwegs waren und das störte mich immens. Also setzte ich mir meinen MP3 Player auf und versuchte meine Gedanken zu Ordnen.
„There's no hate, there's no love
Only dark skies that hang above
I call your name as I walk alone
Send a signal to guide me home
Light the night up, you're my dark star
And now you're falling away....“
„Rayo?“, sagte jemand neben mir und tippte mir auf die Schulter.
Ich zuckte kurz zusammen und drehte mich um. Shinobu, stand hinter mir und mit erleichterten ausatmen, setzte ich die Kopfhörer wieder ab.
„Entschuldige. Hab ich dich geweckt?“, fragte ich müde.
„Nicht so richtig.“, erwiderte sie, “Konntest du nicht schlafen?“
„Ich bin mir nicht sicher.“, sagte ich und starrte wieder nach oben.
„Du bist sicher nervös wegen der Prüfung morgen.“
„Ein wenig schon.“, gestand ich ihr, “Du solltest wieder schlafen gehen. Sonst bist du morgen nicht fit.“
„Und was ist mit dir? Du brauchst doch auch deinen Schlaf.“
„Mag sein, aber es gibt noch einige Dinge, über die ich nachdenken muss.“
Sie setzte sich neben mir und starrte in den nächtlichen Himmel.
„Und was für Dinge?“, fragte sie.
„Nimm es mir bitte nicht übel, aber das geht nur mich und Tomoe etwas an. Und selbst wenn ich es dir erzählen würde,......könntest du mir nicht helfen. Das kann keiner.“
Ich stand auf und ging auf die andere Seite des Dachs, während der Song immer noch lief.
„You're the cause, the antidote
The sinking ship that I could not let go
Who led my way and disappeared
How could you just walk away and leave me here?
Light the night up, you're my dark star
And now you're falling away“
„Warte bitte Rayo.“, bat Shinobu und kam mir hinterher, “Geht es.....darum was vor kurzem passiert ist?“
„Was habe ich gerade gesagt?“, hackte ich nach, “Es geht dich nichts an. Bitte geh wieder ins Bett und schlaf weiter.“
Ich merkte, wie leicht ich wieder zu reizen war. Vielleicht lag es daran das sie stets weiterbohrte und langsam aber sicher aufdringlich wurde.
„Du weißt aber, das du das nicht so einfach in dich hineinfressen kannst, oder?“
Ich lies den Kopf hängen und seufzte schwer.
„Shinobu, was muss ich machen, damit du mich für diese eine Nacht in ruhe nachdenken lässt?“, fragte ich verzweifelt.
Nun stand ich auf und begann auf dem Geländer zu balancieren, mühelos versteht sich.
„Weil ich.......zumindest versuchen will dir zu helfen.“, sagte sie und stieg ebenfalls aufs Geländer.
Tat sie das jetzt mit Absicht oder waren die Menschen wirklich so naiv?
Ich blickte misstrauisch über die Schulter und achtete genau auf ihren Gang.
„Pass auf wohin du trittst.“, sagte ich mit ernster Mine.
„I could lie awake just to watch you breathe.....“
„Dann unterhalten wir uns über etwas anderes. Mir macht das nichts aus......“
Ich wollte schon darauf antworten, als ihr nächster Schritt ins Leere ging und sie den Halt verlor und runter fiel. Ähnlich wie damals bei Nanas Sturz, spielte sich alles plötzlich in Zeitlupe ab. Jedoch reagierte ich und konnte Shinobu im letzten Moment packen und nach oben ziehen. Ohne es überhaupt richtig zu merken, landete sie in meinen Armen und starrte mich mit großen Augen an.
„In the dead of night, you en-dark on me.“
„Alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt und setzte sie wieder ab.
„Ja....schon gut. Nichts passiert.“, schluckte sie.
„Unsinn.“, konterte ich trocken, “Du wärst beinahe vom Dach gefallen und das nur weil du nicht auf mich hören wolltest.“
„Es tut mir ja leid. Aber....danke das du.......“
„Keine Ursache.“, ich seufzte und knickte wenige Augenblicke danach ein, “Wenn du es genau wissen willst: Ihr habt sicher schon bemerkt, das ich eigentlich keine Lust auf die ganze Sache habe.“
„Gut,.....das haben wir schon bemerkt. Du hast es uns ja nicht sonderlich schwer gemacht, das heraus zu finden. Aber du hast dich wenigstens etwas bemüht. Sicher wegen deiner Mutter.“
„Nicht so richtig.“, sagte ich schief grinsend, “Meine Mutter hat diesen Urlaub nur eingefädelt, um ihre wahren Ziele zu verschleiern. Und die muss ich noch ergründen!“
Ihre Mine verdüsterte sich ein wenig.
„Ach ja, deine Mutter.“, murmelte sie, “Sie scheint wirklich sehr......nett zu sein.“
„Die falsche Freundlichkeit kannst du dir sparen. Wir haben alle Angst vor ihr, also lass es.“, ich schüttelte den Kopf, “Ich möchte Tomoe nicht enttäuschen.“
„Oh......, das war uns nicht klar. Wir dachten eher, das ihr euch....nun ja, immer nur anschnauzt.“
„Ach.....wir sind Mitbewohner. Das ist normal bei uns. Du hättest sie mal ein paar Wochen, nach dem ich sie aus dem Feuer geholt habe, erleben sollen. Das ständig war sie gereizt und ich konnte es ihr nie recht machen. Aber, dieses mal, will ich sie nicht enttäuschen. Sie hat sich in letzter Zeit viel Zeit genommen um.....mir zu helfen.“
„Du weißt aber, das „WIR“ dir auch geholfen haben oder?“, warf sie ein.
„Als ob ich das vergessen würde. Und....jetzt lass uns wieder rein gehen. So langsam werd ich wirklich müde.“
„Na also. Hoffentlich beeinflusst uns das nicht morgen bei der Prüfung.“
„Danke, das du mich noch mal daran erinnerst.“, antwortete ich und gähnte, “Wäre mir fast entfallen, mir noch mal Sorgen zu machen.“
Wir verschwanden wieder in unseren Zimmern, nichts ahnend das wir die ganze Zeit, belauscht wurden. Erst später sollte das für mich Ärger bedeuten. Genau genommen, am nächsten Morgen, vor der Tokio-Uni.
„Da wird sich Tomoe aber wundern wenn sie das zu hören kriegt.“, kicherte Su, “Noch mehr wird es aber seine Mutter freuen. Das wird ein Spaß!“
Der nächste Morgen kam rasend schnell und offenbar hatte das Gespräch mit Shinobu etwas geholfen, denn ich konnte besser schlafen als so manch anderer. Keitaro zum Beispiel war auf dem Weg zur Uni ein paar mal gegen einige Laternen gelaufen. Muzumi wiederum wollte sich noch einmal die wichtigsten Themen vor der Prüfung durchlesen, hielt dabei aber ihre Notizen verkehrt herum. Da Tomoe noch unbedingt mit mir reden wollte, bevor es losgeht, hatte sie mich früher als die anderen aus dem Bett gerissen und war mit mir schon um einiges früher da als die anderen.
„Ich hoffe dir ist bewusst, was gleich alles ansteht.“, sagte sie und richtete meine Haare.
„Ist ja gut........lass das! Ich bin kein Kind mehr!“, knurrte ich.
„Achte nur auf deine Aufgaben, lies dir noch mal alles durch bevor du irgendetwas schreibst und.........“
„Schon gut, schon gut.“, nörgelte ich und legte mich in den Schatten eines Baumes, nahe der Mauer, “Nicht meine Telekinese einsetzen, niemanden bedrohen und auf gar keinen Fall, jemanden verstümmeln.“
„Mag sein, aber das wichtigste ist immer noch: Bleib, konzentriert! Wenn du das vergeigst, haben wir deine Mutter wieder am Hals und glaub mir, dann werde ich freiwillig mit dir zurück nach Shinjuku fahren und dich noch übler verdreschen, als du es in Erinnerung hast!“
Ich winkte ab und setzte meine Kopfhörer auf.
„Even a well lit place, can hide salvation
A map to a one man maze that never sees the sun.....“
Kurz darauf, stießen die anderen zu uns und ließen mich fürs erste noch in Ruhe. Was ich in all dem Geschwätze nicht bemerkte, war Su, die Tomoe davon erzählte, was ich Shinobu letzte Nacht gesagt hatte und das schien meine Mitbewohnerin stutzig werden. Mir war aber noch schleierhaft, warum ausgerechnet alle mit Keitaro in die selben Kurse gehen wollten, nur damit sie bei ihm sein konnten. Also mir wäre das zu viel Trubel. Ich fragte mich, wie Sayaka diesen Unsinn überstanden hatte. Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, kam Tomoe zu mir und rüttelte mich aus meiner Trance.
„Komm schon Rayo! Es geht in 10 Minuten los!“
Und damit, war ich wieder mal an einem Scheideweg angekommen. „Ich will nur hoffen, das es schnell vorbei ist.“
„It has begun!“
Wir alle versammelten uns im Gebäude vor dem Klassenraum und gingen dann gemeinsam hinein. Bis auf mich versteht sich. Ich musste noch ein paar mal durchatmen und versuchte mich auf die Intelligenzbestie in mir zu konzentrieren. Wäre da nicht ein gewisser Jemand gewesen, der mich zugleich daran hinderte zu Tomoe und den anderen zu gehen. Alles was ich von ihrem Auftreten hörte, war das Klackern ihrer Absätze und das dumpfe Aufschlagen von Holz.
„Es überrascht mich, dich hier wieder zu sehen.“, sagte das Mädchen was neben mir aufgetaucht ist. Sie trug eine dunkle Bluse, dazu einen langen Rock der ihr zwar weit über die Knie hinweg ging, aber noch genügend Beinfreiheit lies. Ihre Haare hatten einen seltsam dunklen Ton, waren glatt gekämmt und ich sah auch so eine Art, Übungskatana was sie bei sich trug, auf dessen Heft sie ihre Hände gelegt hatte. Sie blickte auf mich mit erhobenen Haupt herab und ihre Mine war kühl und von ernster Natur.
„Entschuldigung, aber kennen wir uns?“, fragte ich verwirrt.
„War mir klar das dich mein Aussehen vom letzten mal so geblendet hat, das du mich doch glatt vergessen hast. Aber genug davon. Wie ich sehe willst du die Aufnahmeprüfung ablegen. Richtig?“
Ich nickte nur. Shinobu steckte ihren Kopf aus der Tür.
„Rayo, noch fünf Minuten. Bitte beeil dich.“, bat sie.
„Ja, ich bin gleich da.“, nickte ich.
Ein kurzer Augenkontakt mit der Fremden, machte Shinobu offensichtlich Angst, also verzog sie sich schon wieder.
„Wie du siehst, bin ich mit meiner Mitbewohnerin hier und ja, ich will die Aufnahmeprüfung ablegen.“, bestätigte ich.
„Allerdings, das sieht man.“, sie reichte mir die Hand und verzog dabei keine Mine.
„Was soll das denn werden?“, fragte ich.
„Es ist unsportlich seinem Gegner nicht viel Glück zu wünschen. Ich bin gespannt, ob wir uns hiernach noch öfters begegnen. Vorausgesetzt du schaffst die Prüfung. Ich nehme an, du hast dich dem entsprechend vorbereitet?“
„Allerdings. Und wieso überhaupt Gegner? Wir kennen uns doch gar nicht.“, ich bemerkte nicht wie sich ihre Mine kaum merklich verdunkelte.
Sie zog ihre Hand zurück und verneigte sich nur vor mir.
„Viel Glück. Du wirst es brauchen.“, sagte sie.
Ich erwiderte ihre Verbeugung.
„Wars das jetzt? Ich sollte lieber rein gehen.“, sagte ich.
„Natürlich. Aber dürfte ich vorher noch deinen Namen erfahren? Ich will dich nicht als Namenlosen abstempeln, wenn diese Sache beendet ist.“
„Mein Name ist Rayo und......“
„Rayo!“, fluchte Naru und packte mich bei der Schulter, “Jetzt komm endlich!“
Sie zog mich rein und wir ließen die Unbekannte auf dem Flur stehen. Etwas resigniert wirkte sie nach der kleinen Unterhaltung schon. Sie seufzte nur und zupfte sich ihre Kleider zurecht.
„Weder Anstand noch Manieren. Vielleicht sollte ich mich der Sache annehmen“, sie runzelte die Stirn und ging hinein, “Ich glaube das wird ein hartes Stück Arbeit.“
Ich setzte mich zwischen Naru und Tomoe. Letzteres musste sich gerade bücken um ihre Tasche zu begutachten, weil sie dachte das ihre Wasserflasche ausgelaufen sei. Die Fremde setzte sich nach links außen, eine Reihe vor uns. Sie bereitete alles vor und drehte sich dann mit prüfenden Blick zu mir um, gerade als Tomoe wieder hochkam. Ich konnte die Reaktion der Unbekannten nicht genau deuten, aber es schien mir, als ob ihr Kopf kleine Rauchschwaden absonderte und im nächsten Moment als sich unsere Blicke trafen, drehte sie mir den Rücken zu und zeigte mir die kalte Schulter. „Was sie wohl hat? Naja egal, ich kenne sie ja nicht. Wahrscheinlich werde ich es nie herausfinden.“
In all der Aufregung, hatte ich vergessen meinen MP3-Player auszumachen. Zum Glück bemerkte das niemand, da ich die Lautstärke auf ein Minimum gesenkt hatte. Doch ich konnte so gerade noch die letzte Zeile hören, die gerade gesungen wurde.
„This is the point of no return!“