Am späten Nachmittag, zog sich Isshina wieder in ihr Anwesen zurück. Kaum war sie über die Türschwelle getreten, wurde sie sogleich von einem ihrer Diener empfangen, der sich vor ihr verneigte. Sie übergab ihm ihr Katana und erhielt dafür ein Klemmbrett mit Notizen.
„Sehr gut.“, murmelte sie, “Sind schon neue eingesetzt worden?“
„Alles schon geschehen, Isshina-Sama.“, sagte der Diener und nahm das Klemmbrett wieder an sich.
„Ausgezeichnet. Ist der Schrein vorbereitet? Ich muss später noch einmal weg.“
„Der Schrein wurde nach ihren letzten Besuch wieder hergerichtet. Alles ist da wo es hingehört.“
„Perfekt. Und nun entschuldigt mich. Ich muss ein wenig beten.“
Sie stieg die Treppe nach oben, zog sich rasch um und begab sich dann zum erwähnten Schrein. Mit der üblichen kühlen Gelassenheit, blieb sie vor der großen, hölzernen Schiebetür stehen. Drei Augen waren dort zu sehen. Eins dort, wo beide Türen sich trafen. Und schräg, links und rechts daneben, lagen die anderen beiden. Alle waren sie so aufgemalt, dass alle drei sich auf den richteten, der den Schrein betreten wollte. Auf beiden Türen konnte man hier und da, so gerade noch einige Buchstaben erkennen. Ich hoffte nur, dass Rayo diesen Ort niemals aufsuchen musste. Egal was auch kommen mochte. Und obwohl Isshina selbst diesen Schrein oft aufsuchte um zu beten, musste sie jedes mal zittern. Irgendetwas dunkles strahlte dieser Raum aus. Es brauchte für sie also immer eine große Überwindung über diese Schwelle zu überschreiten und dort drin eine gewisse Zeit zu verbringen. Also faltete sie die Hände zusammen und ging leise murmelnd hinein. Als sie sich dazu überwunden hatte die Türen zu passieren, schloss Sie sie wieder vorsichtig und ging in die Mitte des Raums. Alles war dunkel, bis auf ein paar kleine Kerzen die unter einer prachtvollen Samurairüstung, die an der Wand hing, brannten und die stählernen Schuppen zum schimmern brachten. An allen Wänden, standen kleine Gefäße aus denen Spinnenlilien herauswuchsen und sich in ihrem stechenden rot zeigten. An der Wand am anderen Ende, waren ebenfalls diese drei Augen aufgemalt. Alle weit aufgerissen und wieder starrten sie den Besucher des Schreins direkt an.
Isshina zündete ein paar Räucherstäbchen an, kniete sich hin und verneigte sich, sodass ihre Stirn den Boden berührte.
„Wieder trete ich vor dir und brauche deinen Rat.“, sagte sie, “Akumaru.....nein, Rayo.....liegt im Krankenhaus. Er macht gerade eine schwere Zeit durch und ich kann nicht mal ansatzweise begreifen, was er fühlt und wie seine Gefühlslage ist. Schenke mir Einsicht und vergib mir meine Sünden. Beim Blut des Korukawa-Klans, ersuche ich dich um Vergebung. Für das Mal des Achtköpfigen, werde ich Buße tun. Gib mir Kraft. Ich werde die Ungerechtigkeit zerschlagen und ehrenvoll handeln.“
Als sie wieder hochkam, sah sie sich um. Alle Lilien standen in voller Blüte, bis auf eine. Verwirrt, erhob sie sich wieder, nahm sich eine Kerze und ging zu der einen Lilie die schon verwelkt auf den Boden lag und ihren roten Glanz verloren hatte.
„Seltsam.“, sagte Isshina,“Dabei habe ich sie doch heute Morgen alle überprüft. Es gab keine verwelkten unter ihnen! Alle waren gerade frisch erblüht, keine hatte auch nur ein Anzeichen von Schwäche. Was geschieht hier?“
Danach sah sie auch bei allen anderen Lilien nach, ob sie ebenfalls einige Ausreißer hatten. Jede einzelne begutachtete sie noch mal sorgfältig. Und als sie keine andere verwelkte fand, drehte sie sich wieder zur Rüstung um und starrte in die drei Augen.
„Du weißt, wie sehr es mich schmerzt, wenn auch nur eine Lilie welk wird. Aber ich werde dein kleines Rätsel schon lösen.“, sagte sie mit ernster Mine.
Am Abend saß ich wieder vor Rayos Zimmer. Shiori saß unten im Wartebereich und versuchte Naru und Shinobu zu erklären, wie das mit Rayos ähm.......Halbbruder überhaupt Zustande gekommen ist. Im Gegensatz zu mir und Rayo, war sie besser darin zu improvisieren und sich wirre und verrückte Geschichten auszudenken. Ich spielte die unwissende und versuchte gar nicht erst ihre Erklärung zu verstehen.
Als Rayo vor ein paar Wochen schon einmal hier gelegen hatte, ging mir die Sache so merkwürdig nahe. Aber warum? Es stimmte, dass wir beide uns ständig zankten und immer anderer Meinung waren aber, das bedeutete nicht das wir uns nicht ausstehen konnten. Ja, er sprang immer von einer Katastrophe in die nächste und mein Vertrauen hatte er auch missbraucht, aber Shiori hatte schon mit dem recht, was sie mir letztes Jahr in Shinjuku gesagt hatte. Als er dort ausgebüchst war, nach unserem Streit, hatten wir beide, mit einen schweren Konflikt zu kämpfen. Er hatte mir ins Gesicht gesagt, dass er die Menschen hasste und danach, hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt. Wie denn auch? Er war abgehauen! Vielleicht weil er sich dafür hasste, mir das ins Gesicht gesagt zu haben, weil ich einer von den Menschen war, die er offenbar so sehr hasste. Als ich und Hikari ihn dann endlich fanden, wirkte er wieder ruhiger auf mich, aber nicht weniger dickköpfig.
Aber er hasste mich nicht. Und erst nach dem Brand, wurde mir endlich klar, dass er es eigentlich nur gut meinte. Und das für einen Diclonius. Unser letzter Kampf auf dem Dach, wo ich ihn bei unserer ersten Begegnung gejagt hatte, fand dann zwar ein schnelles, aber unschönes Ende. Meine Rache fand ein schmerzvolles Ende, denn Rayo war nicht derjenige, der meine Eltern auf dem Gewissen hatte. Er wollte mir Vernunft einreden, doch ich habe nicht zugehört. Dabei habe ich ihm bis heute nicht die ganze Wahrheit erzählt, warum ich wieder rückfällig geworden bin. Nicht nur weil ich eines von diesen, wie er es immer nannte, „grotesken Abziehbilder“ seiner Rasse niedergemetzelt hatte. Denn da steckte noch mehr dahinter.
Doch meine Gedanken verschwammen wieder, als meine Rivalin wieder vor mir auftauchte. Diesmal wieder in ihren weißen Kimono, den sie bei der Feier an der Todai getragen hatte und auch ihre Getas trug sie. Ihr Katana hatte sie dieses mal scheinbar nicht dabei.
„Was willst du denn schon wieder hier?“, fragte ich und ersparte mir die Mühe, sie direkt anzusehen.
„Genau das selbe wie du. Ich möchte sehen, ob sich was an seinem Zustand geändert hat.“
"Tse....wers glaubt wird selig.", murmelte ich und erhob mich.
Kurz darauf, kamen auch schon Naru und Shinobu den Gang entlang. Shiori, war direkt hinter ihnen.
„Oh wirklich?“, stöhnte Naru auf, “Sag mal was treibt die denn hier? Hat sie noch nicht genug auf Rayo herumgehackt?“
„Ist schon gut Naru, lass gut sein.“, sagte ich Kopf schüttelnd und empfing sofort Shinobus Umarmung,“Isshina hat nur hin und wieder extreme Stimmungsschwankungen. Aber ich kann beide Seiten nicht ertragen. Also was solls.“
„Darf man denn immer noch nicht zu ihm rein?“, fragte Shinobu und ging zur Scheibe.
„Nein. Erst wenn er aufgewacht ist. Ich musste mich schon beherrschen, selbst einfach rein zu gehen.“, erklärte ich.
„Und wie geht es dir soweit?“, fragte Naru besorgt und besah sich mein Gesicht näher, “Wir vermissen dich schon im Ryokan.“
„Tut mir ja leid, aber ich habe geschworen so lange hier zu bleiben, bis er aufgewacht ist.“, sagte ich mit tiefer Überzeugung.
„Das verstehe ich ja. Und glaub mir, wir würden das gleiche tun. Aber wir wissen auch, dass wir im Endeffekt noch nichts tun können, außer ab zu warten. Wenn du wieder ins Ryokan kommst, vergeht die Zeit schon schneller. Außerdem könnten Keitaro, Kanako, Kitsune und ich mal deinen Rat bei ein paar Sachen gebrauchen.“
Dann, drängte sich Shiori zu uns und umarmte mich.
„Verzeih mir, dass ich erst jetzt komme.“, sagte sie und blickte niedergeschlagen auf ihren noch schlafenden Sohn, "Ich bin so ein Dummkopf. Ich hätte ihm schon bei meinem ersten Besuch davon erzählen sollen. Vielleicht wäre es dann anders gekommen.“
„Du wusstest es also schon vor der Aufnahmeprüfung?“, fragte ich, “Und trotzdem hast du den Mund gehalten. Wieso?“
„Denk doch mal nach. Hätte ich ihm gleich vor der Prüfung gesagt, was mit Saki passiert ist, wäre er wahrscheinlich genauso zusammengebrochen. Es mag sich egoistisch von mir anhören, aber ich wollte auf einen günstigen Moment warten. Außerdem wäre er wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, überhaupt die Todai aufzusuchen in seinem Zustand. Aber wir sehen ja was passiert ist.“
„Sie brauchen sich keine Schuld dafür zu geben.“, ergriff Isshina das Wort.
Shiori blinzelte kurz um zu sehen, wer mit ihr gesprochen hatte. Sie blickte Isshina nur von der Seite an und musterte sie.
„Ah ja, die talentierte Göre von Korukawa.“, höhnte sie, “Du warst also diejenige, die meinen kleinen Prinzen eine Entschuldigung entlocken wollte, nur weil er etwas barsch zu dir war?“
„Mir ist bewusst, dass sie jetzt nicht so gut auf mich zu sprechen sind. Aber ich versichere ihnen, mein Zorn auf ihn ist verflogen.“
„Gleichzeitig hat mir Tomoe aber auch erzählt, das du ein ungewöhnlich großes Interesse an ihm gezeigt hast.“
Ihre dunkle Mine verwandelte sich rasch in ein breites Grinsen.
„Sie macht uns immer noch Angst.“, flüsterte Shinobu mir nervös zu.
„Wem sagst du das!“, zischte ich.
„Also was ist jetzt? Kommst du wieder ins Ryokan?“, hackte Naru nach.
Ich winkte jedoch noch kurz ab.
„Nein, ich möchte sehen wie die Sache zwischen den beiden ausgeht.“
„Auf keinen Fall, junge Dame.“, fuhr Shiori mir dazwischen, “Du wirst sofort wieder zum Ryokan gehen und dich mal wieder richtig ausruhen.“
„Oh bitte, muss das jetzt sein........“
„Und ob.“, sagte sie mit gebieterischer Stimme, “Ich bin dir sehr dankbar das du über meinen kleinen Prinzen gewacht hast, aber dennoch solltest du nicht deine eigene Gesundheit vernachlässigen. Sonst liegst du früher oder später auch noch hier. Außerdem vertraue ich seinem Arzt voll und ganz. Und jetzt geh.“
Bevor sie mir, wie schon in Shinjuku, diesen Druck durch ihre Telekinese aufzwingen konnte, zogen Naru und Shinobu mich hinter sich her und wir verschwanden. Jetzt, waren Isshina und Shiori alleine.
„Sie müssen sehr stolz darauf sein, dass er die Prüfung bestanden hat.“
„Glaub mir, das bin ich. Und dir muss ich auch noch mal danken.“
„Verraten sie mir auch wofür?“, sagte Isshina mit einem schmalen, kühlen Lächeln.
„Jetzt tu nicht so unschuldig.“, antwortete Shiori und ihr grinsen verdüsterte sich, “Die kleine Party im Ryokan hat ihm etwas zugesetzt und du hast ihn einfach so mit in deinen kleinen Palast genommen.“
„Das war doch selbstverständlich. Und ich muss zugeben, dass Rayo, schwer zu knacken ist.“
Shiori stieß ein verdruckstes Kichern aus, was sich aber schnell in ein immer lauter werdendes Lachen verwandelte.
„Wie ich es mir gedacht hatte. Er hat dich um den kleinen Finger gewickelt. Aber wie kann man es dir verübeln? Er ist wie sein Vater damals. Wenn man erst mal seine Aufmerksamkeit hat, frisst er einem glatt aus der Hand. Ich gebe dir einen Tipp.“
„Ich bin ganz Ohr.“, sagte Isshina neugierig.
„Füttere ihn einfach mit seinem Lieblingsessen und mach es noch extra scharf. Er ist verrückt danach! Es mag simpel sein, aber dafür ist es unglaublich effektiv.“
„Sein Lieblingsessen hat er mir schon verraten. Und Darakaijas Spitznamen. Feuerlöckchen hat er sie genannt.“
„Oh, Feuerlöckchen, das ist gut!“, sie schaute auf die Uhr und schlug sich die Hand gegen die Stirn, “Grundgütiger wie die Zeit vergeht! Ich muss los und drei hungrige Mäuler stopfen!“
Und so rauschte Shiori wieder davon und lies Isshina schließlich zurück.
Die warf noch einen letzten Blick auf Rayo und seufzte dann schließlich.
„Es ist wirklich erstaunlich, wie ähnlich die beiden sich sind. Ich bin gespannt, wie sich die Dinge noch so entwickeln werden. Hoffentlich, wachst du schon bald wieder auf. Ich werde warten,...........Rayo Akumaru."