Kaede und Tomoe zogen sich später nach oben in Tomoes Zimmer zurück um, etwas zu „plaudern“. Mich wollte Kaede aber nicht dabei haben, aber laut Tomoes Worten nicht um mich weiterhin zu verachten und auszuschließen. „Es gibt nun mal Themen, die nur Frauen etwas angehen.“ hatte Tomoe mir gesagt. Keitaro zog mich derweilen vom Mittagessen weg, der Grund dafür war recht einfach.
„Na los Su. Du hast es versprochen.“, sagte er und nickte in meine Richtung.
Su kam dabei mit gesenkten Kopf und zerknirschter Mine zu mir und verneigte sich vor mir.
„Ich möchte mich bei dir entschuldigen.“, sagte sie, “Für alles. Ich habe es etwas übertrieben und ich hoffe du kannst mir das noch mal verzeihen.“
Und anstatt sie jetzt wie meine Geschwister zurecht zu weisen und anzuschreien, hob ich meine Hand und legte sie ihr auf den Kopf, fuhr ihr durch die Haare und seufzte. Sie hob den Kopf und starrte mich geknickt an.
„Ich weiß wie es ist, jüngere Geschwister zu haben, die einen auf die Nerven gehen, wenn auch nur seit kurzem. Mag sein das du mich maßlos genervt hast mit deinen Streichen, aber ich bin nicht nachtragend. Es sei denn du hättest weiter gemacht. Dann hätte ich ein paar gute Argumente, dich zu ignorieren.“
Beide starrten mich etwas abwesend an.
„Hast du ihr jetzt verziehen oder sie gewarnt?“, fragte Keitaro.
„Sowohl als auch.“, erwiderte ich.
„Das reicht mir schon!“, grinste Su und fiel mir um den Hals.
Meine Mine verzog sich.
„Na das ist ja klasse.“, brummte ich.
„Jetzt lächle doch mal.“, sagte Keitaro und klopfte mir dabei auf die Schulter.
Ich seufzte schwer und stapfte dann mit Su auf den Rücken wieder ins Esszimmer.
„Lächeln.....oder Lachen......, diese Gabe habe ich schon vor langer Zeit verloren.“, murmelte ich.
„Wir schaffen es schon, dass du wieder lachen kannst, du alter Griesgram!“, lachte Su, “Los vorwärts! In die Küche mein treues Ross!“
„Weißt du, so langsam stört mich das nicht mehr.“, erwiderte ich.
Kopf schüttelnd kam Keitaro hinter uns her.
„Wenigstens haben wir das Problem lösen können. Das ist doch schon mal was.“
Zur gleichen Zeit saßen meine Mitbewohnerin und meine Artgenossin in Tomoes Zimmer. Zu meiner späteren Verwunderung, trank Kaede mit Vorliebe einen süßen Tee. Kaede sah sich eingehend in Tomoes Zimmer um und trank währenddessen an ihrem Tee.
„Es ist eigenartig, in einer noch größere Pension zu sein, als in Kamakura.“, sagte sie.
„Wie ist es denn bei euch in der Pension? Haben da alle anderen auch ne Macke?“, erwiderte Tomoe.
„Glaub mir, zu Hause ist es ganz anders als hier. Und ohne......“, sie holte tief Luft und strengte sich an, “Ohne......Rayo, ist die Situation in Kamakura schon etwas seltsam. Alle sind so furchtbar deprimiert.“
Und statt ein leicht angedeutetes Lächeln zu erwarten, senkten sich ihre Mundwinkel und sie wirkte...... was hatte Tomoe mir später gesagt? Zerknirscht? Am Boden zerstört? „Ich bin mir nicht mehr sicher. Später fällt es mir sicher wieder ein!“
„Weißt du, Rayo hat mir einiges über sein Leben bei euch erzählt. Wie war er so?“, fragte Tomoe.
Kaede seufzte und musste sich stark zusammenreißen und darüber nachdenken, was sie jetzt als nächstes sagen sollte.
„Anfangs........war er mir, ein Dorn im Auge. Ständig hat er Ärger gemacht und wollte Kota und den anderen schaden.“, sie schüttelte den Kopf und schnaubte kurz, “Dummes Kleinkind.“
„Irgendwie verwundert mich das bei ihm nicht.“, sagte Tomoe und starrte gedankenverloren aus dem Fenster.
„Er hat sogar mit mir gekämpft. Und er dachte wirklich dass er eine Chance gegen mich hätte. Aber natürlich hab ich ihn gewinnen lassen. Nur damit er nicht sofort anfängt zu flennen, wie das Riesenbaby das er ist.“
„Ach komm schon, ihr beide hattet doch sicher noch bessere Zeiten miteinander. Ich kann mir nicht vorstellen das er wirklich so aggressiv und angriffslustig war. Nicht Rayo.“, sie lachte kurz, “Dazu ist der Holzkopf doch kaum in der Lage. Ich meine, er kann sich ja nicht mal gegen mich wehren!“
Kaede rollte mit den Augen.
„Als er wieder mal Mist gebaut hatte, musste er sich was einfallen lassen, das wieder gerade zu biegen. Wir waren nicht leicht umzustimmen.“
„Und wer ist „Wir“?“, hackte Tomoe nach.
„Neben Kota und Yuka, wohnen noch zwei jüngere Mädchen bei uns. Mayu und Nana. Es ist mir bis heute unbegreiflich, wieso die beiden mit ihm so gut zurecht kamen.“
Tomoe setzte ihre Tasse ab und ging ans Fenster. Dann blickte sie nach unten und sah Motoko und Keitaro zu, wie sie mit Holzkatanas trainierten.
„Ich weiß was du meinst.“, sagte sie, “Die Mädchen hier, gehen auch ganz komisch mit ihm um. So als ob er, ihr kleiner Bruder oder sowas wäre. Nur Kitsune hat es etwas auf die Spitze getrieben, als sie mit ihm geknutscht hat! Gott, du hättest sie erleben müssen, als er am Morgen nach der Feier nicht mehr aufzufinden war!“
„Diese Menschen hier, sind ähnlich wie Kota, Yuka und Mayu. Auch wenn diese hier nicht wissen was wir sind und was wir alles durchgemacht haben.“, sagte Kaede.
„Und das darf auch nicht passieren. Wenn sie herausfinden was es mit euch beiden auf sich hat, sind wir geliefert.“, erklärte Tomoe und setzte sich wieder, “Aber, leben bei euch in Kamakura noch mehr Diclonius?“
„Nur Nana.“, erwiderte Kaede und seufzte schwer, “Ihren Gesichtsausdruck hättest du sehen müssen, als sie erfahren hat, dass ich es war, die diesen Dummkopf ins Jenseits befördert hat! Lange Zeit durfte ich mir dann ihr Gejammere anhören. Sie ist sogar noch in der selben Nacht zum Strand gerannt, um ihn noch einmal zu sehen. Es hätte nicht mehr viel gereicht und sie hätte sich neben ihn gelegt.“
„Verband die beiden denn etwas?“, fragte Tomoe weiter.
„Ich bin mir nicht sicher.“, antwortete Kaede,“In dem halben Jahr, nach dem er sich Katsubou gestellt hatte und dann verschwand, hatte sie mich ein paar mal gefragt, was es bedeutet, jemanden zu lieben. Bis heute habe ich ihr keine Antwort darauf geben können.“
Leicht resigniert, runzelte Tomoe die Stirn und trommelte nervös mit den Fingern auf dem Tisch herum.
„Soll das etwa bedeuten, dass diese Nana, genauso wie Rayo, keine Ahnung davon hat, wie man jemanden seine Zuneigung zeigt?“, fragte sie.
Kaede zuckte die Schultern und wurde neugierig.
„Ich weiß es nicht. Aber, jetzt verrate du mir doch mal, wie der Dummkopf sich in deiner Gegenwart so verhalten hat.“
Und dann begann Tomoe ihr die gesamte Geschichte zu erzählen, wie sie mich nach Jahren der gnadenlosen und erfolglosen Jagd, endlich gefunden und beinahe getötet hätte. Aus Rache versteht sich. Zu erst beschrieb sie haarklein genau, wie sie mir in Shinjuku aufgelauert hatte, nur um mit den Katana auf mich los zu gehen. Die Geschichte, wie ausgerechnet ich, angeblich ihre Eltern getötet haben soll, fasste sie nur kurz zusammen. Das Aufeinandertreffen mit ihr und meiner Mutter, jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Mutter hatte bei ihr wohl einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Als ob sie das bei Keitaro und den anderen nicht geschafft hätte.“ Doch dann kam sie zu den weniger erfreulichen Ereignissen. Das Feuer in der Psychiatrie lies sie schaudern und sie unterdrückte einen Brechreiz. Und zum ersten mal, vergoss sie bittere Tränen, als sie davon sprach. Angestrengt versuchte sie nicht zu weinen und merkte an, dass sie sich schämt, mir für die Bluttransfusion, nicht gedankt zu haben. Anscheinend kämpfte sie schon seit damals mit dem schlechten Gewissen und ein innerer Konflikt, hinderte sie daran, es einfach raus zu lassen. Doch sie konnte sich so gerade noch mal fangen. Als sie zu unseren letzten Kampf kam, wurde sie wieder etwas ruhiger und scheint sich selbst zu hassen, dass sie sich von ihrer Rache schon wieder hat hinreisen lassen, nur um mich erneut aus dem Weg räumen zu wollen. Die Ereignisse hier im Ryokan brach sie kurzer Hand ohne Probleme runter und konnte sich ein aufgezwungenes Grinsen nicht verkneifen, als sie zu dem Teil kam, wo ich es mit meiner „Vorführung“ übertrieben hatte.
„Dass dieser Trottel es wirklich geschafft hat auf dieser Uni angenommen zu werden ist.......einfach unfassbar. Ehrlich, ich muss das zu erst mit eigenen Augen sehen, damit ich es glaube.“
„Seine Mutter war auch angenehm überrascht. Im Moment bin ich aber noch stocksauer auf ihn. Du hättest ihn erleben sollen, als er sich entschuldigt hat. Ich meine, als er mich mal zurecht gewiesen hat, ist er schon äußerst emotional geworden, aber das war wirklich erstaunlich.“
„Als Katsubou mich an den Rand des Todes getrieben hatte, hat Kota mir im Nachhinein erzählt, dass......Rayo, ebenfalls einen solchen Gefühlsausbruch hatte. Die ganze Gegend soll gebebt haben, Scheiben sind zersprungen und ein paar Autos wurden einfach aus dem Nichts heraus zerschmettert.“
„Du willst mir damit also sagen, dass Rayos Kraft daher kommt, dass er sich von seinen Gefühlen leiten lässt?“
„Ich denke schon. Wut und Trauer scheinen alles angestachelt zu haben. Wenn man eure Situation bedenkt, könnte das wenig rosig ausgehen, sollte Rayo einen solchen Ausbruch hier erleiden. Nicht so wie sein, nichtsnutziger Klon!“
Leicht verwirrt starrte Tomoe sie an und wiederholte ihre letzten Worte mehrmals gedanklich.
„Ein Klon? Du willst mir also erzählen, dass er.......einen Klon hat? So einen richtigen Klon? Eine exakte Kopie von ihm selbst? Wie ist denn sowas möglich?!“
In diesen Moment, ging die Türe auf.
„Das ist unwichtig, denn der........ist nach einer Operation am Herzen, gestorben.“
„Wer ist nach einer Operation gestorben?“, fragte ich.
Tomoes Tasse, zerbrach in ihrer Hand und sofort begann sie zu bluten. Erschrocken, drehte sie sich zu mir um und starrte mich mit großen Augen an.
„Rayo!“, hauchte sie und hielte die Luft an, “Was machst du denn hier?!“
Ich zuckte die Schultern und nickte Kaede nur zu, die das nur stumm erwiderte.
„Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass ich mir mit Kitsune, Naru und Keitaro die Gegend ansehen wollte. Aber, jetzt rückt raus mit der Sprache! Wer ist bei einer Operation gestorben?“
Tomoe stand auf und ging dann schnellen Schrittes an mir vorbei, um sich die Hand zu verarzten.
„Erinnerst du dich noch an deinen Klon, der bei uns so plötzlich aufgetaucht ist?“, fragte Kaede.
„Natürlich erinnere ich mich an ihn. Ich hab ihn darum gebeten auf Nana und Mayu aufzupassen, während ich mir Katsubou vorknöpfe.“, antwortete ich.
„Sein Name war Saki. Und er ist während unseres Kampfs, nach einer Operation am Herzen gestorben. So weit ich weiß hatte er den gleichen Tumor am Herzen wie du, aber bei ihm hatte der wohl nur negative Auswirkungen. Die Naht ist nach der Operation wieder aufgerissen und er ist verblutet.“
Ich schnaufte kurz und zuckte danach die Schultern. Tomoe war währenddessen schon wieder auf dem Rückweg.
„Tja, da kann man nichts machen. Ich hoffe Nana und Mayu geht es gut.“
Als meine Mitbewohnerin wieder rein kam, zuckte sie kurz zusammen, als sie mich am Tisch sitzen sah.
„Du bist noch hier.“, sagte sie, “Wolltest du, nicht mit Kitsune und den anderen beiden los ziehen?“
„Kann ich mich nicht zu erst etwas mit Kaede unterhalten?“, fragte ich, “Ich will wissen ob es den anderen in Kamakura gut geht.“
Tomoe schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare.
„Ja aber.......du hast gerade erfahren, dass jemand gestorben ist! Gut, es war ein Klon von dir, aber......empfindest du denn gar nichts dabei?“
Ich neigte den Kopf und dachte nach.
„Ja schon, aber wie du schon sagtest, es war ein Klon von mir. Im Grunde genommen, ist also eine Kopie von mir gestorben. Ich bin aber noch hier. Also können wir uns erst mal beruhigen.“
Ihrer Verwirrung wurde von Entsetzen verdrängt. Und ebenso geschockt, stapfte sie nach unten zu den anderen. Kaede schenkte mir nur einen leicht verwunderten Blick und hob eine Augenbraue an.