Diese Ruhe, hielt jedoch nicht so unglaublich lange an, wie ich es mir erhofft hatte. Denn der nächste Besuch stand an und ich fürchtete, dass es nicht der Letzte war. Ich hatte nun ungefähr ein Drittel des Comicbuches gelesen und war auch in Gedanken darin vertieft, als es erneut klopfte und ich hochschreckte. „Derjenige der nun denken würde, dass ich geschlafen hatte, möge sich bitte zurückhalten und sich seinen Teil denken!“ Also legte ich das Buch wieder zur Seite, wuchtete mich irgendwie in meinen Rollstuhl und öffnete gähnend die Türe.
„Kaede.....“, hauchte ich und sank in mich zusammen.
Seit sie im Ryokan war, verspürte ich jedes mal wenn sie in der Nähe war oder wie jetzt, direkt vor mir stand, eine gewisse Furcht ihr Gegenüber.
„Wie ich sehe bist du wach.“, sagte sie, “Gut.“
„Hätte nicht erwartet das du noch mal herkommst. Ich hatte eigentlich gedacht, dass du mich nun eher meiden würdest, nach deinen letzten Besuch.“
Sie verdrehte die Augen und nickte auf den Flur.
„Und alle denken immer, ich hätte gegenüber jeden Vorurteile.“, seufzte sie, “Wir müssen etwas besprechen. Am besten alleine und vor allem nicht hier.“
In ihrer Stimme lag ein gewisser Unmut und wie ich Kaede schon kannte, konnte das nicht wirklich etwas gutes Bedeuten.
Sie ging mit mir aufs Dach, wo sie sich erst mal gründlich umsah, ob auch wirklich niemand dort war. Und dann, erzählte sie mir, was sie gesehen hatte.
„Wie bitte? Du hast jemanden gespürt, der mir sehr ähnlich ist?“, fragte ich verwirrt, “Bist du dir sicher?“
„Ich irre mich nie, wenn es um so was geht. Zu erst habe ich gedacht, das du wieder zurück gekommen wärst, aber......da muss ich zugeben, das ich falsch gelegen hatte. Und deshalb, habe ich eine Entscheidung getroffen.“
„Und welche?“, fragte ich missmutig und blickte trübselig über die Dächer der Gegend.
„Ich werde morgen früh, wieder zu Kota und den anderen zurückgehen.“
Ein wenig enttäuschte mich das schon, da ich dachte das sich Kaede zumindest bemühen würde, mich weiterhin zu unterstützen, aber man kann es nun mal nicht jedem Recht machen.
„Ich weiß nicht, ob mich das nun freuen oder beunruhigen soll.“, gestand ich ihr.
„Nun behalte deine Nerven bei dir. Ich werde ihnen nichts davon sagen, das du am Leben bist. Das wäre nicht nur etwas zu früh, sondern auch völlig unpassend.“, erklärte sie, “Darüber hinaus, habe ich Kota sowieso erzählt, das ich Tomoe einen Besuch abstatten wollte, um ihr unter die Arme zu greifen.“
„Was nicht mal gelogen wäre.“, sagte ich.
„So ist es. Diese eine Nacht, werde ich noch bleiben. Und gleich morgen, bist du mich erst mal für eine Weile los.“
„Wieso für eine Weile? Hast du etwa vor wieder zu kommen?“
Sie zuckte die Schultern und stand auf.
„Frag deine Mutter. Sie hat wohl irgendwas für später geplant.“
„Natürlich. Was auch sonst.“, sagte ich schief grinsend, “Hätte ich auch selbst drauf kommen können.“
Wir gingen wieder zur Treppe und vor meinem Zimmer, verabschiedete sie sich erst mal von mir.
„Kannst du mir, bitte noch einen Gefallen tun?“, fragte ich.
„Welchen?“
„Berichte Nana davon, was du gespürt hast. Warne sie. Und auch wenn ich mich dafür wahrscheinlich irgendwann hassen werde........möchte ich, das du mit ihr trainierst. Ich weiß, ich sollte sie eigentlich beschützen, aber....als sie damals zumindest versucht hat sich gegen Katsubou und mich aufzulehnen,......habe ich gespürt, das sie langsam aus dieser Phase des „Weglaufens“ herauswächst. So banal das auch klingen mag. Würdest du das also für mich tun?“
„Solange du dein Wort hältst und wieder zurück kommst, wenn du hier alles erledigt hast, werde ich deiner Bitte nachgehen. Egal wie lange du auch brauchen magst.“
„Ich werde mein Wort halten.“, sagte ich mit ernster Mine und kletterte wieder mühsam in mein Bett, “Wir sehen uns später.“
Am späten Nachmittag, kam ich also wieder zurück zum Ryokan. Sollte man zumindest von ausgehen, oder? Es dauerte eine Ewigkeit meine Mutter von mir los zu reißen, als ich endlich im Rollstuhl aus dem Krankenhaus geschoben wurde. Sie umarmte mich und drückte mir unaufhörlich Küsse auf und versprach, mir alles mögliche zu kochen was ich nur wollte und dann auch noch extra scharf.
„Was die anderen wohl zu deinen Brandnarben sagen werden.“, sagte Tomoe, als sie mich vor sich her schob.
„Wahrscheinlich werden sie denken, das wir nun Partnerlook tragen.“, maulte ich.
Meine Mitbewohnerin stöhnte genervt auf und gab mir einen Faustschlag auf den Kopf.
„Du bist ja wieder so ungeheuer witzig. Das mir dass ja nicht einrostet, sonst schicke ich dich per Post wieder zurück ins Krankenhaus!“
„Geht euer Gezanke schon wieder los?“, fragte Mutter, “Muss ich da wieder eingreifen, Feuerlöckchen?“
„Nein. Wir zanken uns nicht und hör auf mich so zu nennen, Shiori! Es ist schon schlimm genug das dein Erstgeborener mich so nennt!“
„Du weißt schon das ich noch hier bin oder, Feuerlöckchen?“, warf ich ein.
Wieder kam ein Schlag von Tomoe und ich schwieg.
Als wir dann endlich am Pfad zum Ryokan ankamen, erstarrten wir. Alle Mädchen und Keitaro, warteten schon am Eingang. Wieder, wurde ich von einer seltsamen Kälte und der Gleichgültigkeit gepackt. Eigentlich sollte ich mich freuen, dass ich wieder hier war, doch es stand noch eine Hürde an, die es zu überwinden galt.
„Und du bist dir sicher, das du das durchziehen willst?“, fragte Tomoe besorgt, “Du hast schon so viel durchgemacht in den letzten zwei Wochen, willst du es jetzt auf die Spitze treiben?“
„Versuche nicht mich aufzuhalten.“, erwiderte ich mit ernster Mine.
Mutter wusste schon was zu tun war.
„Hört mal alle her!“, rief sie den anderen zu, “Rayo wird jetzt aus eigener Kraft zum Eingang kommen. Ich bitte euch, greift unter keinen Umständen ein und helft ihm auch nicht! Auch wenn es schwer fällt.“
„Aber wozu das ganze?!“, rief Naru.
„Das werdet ihr später erfahren.“, antwortete Mutter, “Sobald er am Eingang angekommen ist und von sich selbst aus sagt, das er Hilfe braucht, könnt ihr ihm helfen.“
Alles wurde still. Ich atmete ein paar mal tief durch, spreizte meine und ballte meine Fäuste immer wieder und begann mich auf den Lehnen abzustützen. Ein unangenehmes ziehen, breitete sich von meinem Steißbein aus und wanderte immer weiter nach oben in meinen Rücken. Ich biss die Zähne zusammen und tat meinen ersten Schritt, bei dem ich fast ohnmächtig wurde. Also knickte ich ein wenig ein, zog den anderen Fuß schwermütig nach und machte den nächsten Schritt.
„Vielleicht hätten wir etwas näher ran fahren sollen.“, flüsterte Tomoe Mutter zu.
„Wenn er Hilfe braucht, wird er sich bemerkbar machen.“, erwiderte sie mit ernster Mine.
„Na hoffentlich!“
Von einem Fenster, direkt über den Eingang, blickte Kaede mit verschränkten Armen und erhobenen Haupt auf mich herab. Ich spürte ihren Blick auf mir und meine Schultern, fühlten sich dadurch genauso schwer an wie meine Füße.
„Wenn er auch nur etwas Selbstachtung und Würde hat, wird er diese Schmerzen ertragen.“, murmelte sie und begrüßte sogleich Kanakos Katze, die auf ihre Schulter kletterte.
Und nach etwa dreiviertel des Weges, knickte ich doch tatsächlich ein und ging zu Boden. Shinobu und Su taten einen Schritt, wurden jedoch von Motoko aufgehalten. Tomoe hingegen, hatte endlich den Rollstuhl losgelassen und ballte die Fäuste. Vor lauter Frust spuckte ich aus und zog scharf die Luft ein, als ich mich mit den Händen abstützte.
„Und selbst wenn ich Humpeln und Kriechen muss......“, knirschte ich, “Ich gebe nicht auf!“
Also erhob ich mich wieder, nur um dann kläglich zu scheitern und wieder zu Boden gerissen zu werden. Nun lag ich mit halben Gesicht im Dreck, hustete und schnaufte. Meine Mitbewohnerin verlor die Geduld und stapfte los, was Mutter zunächst noch durchgehen lies, um zu sehen wie weit Tomoe gehen würde. Doch auf halben weg, hielt sie Tomoe an beiden Händen zurück und behielt einen festen Stand.
„Was soll denn das?! Lass mich los Shiori! Man muss dem Dummkopf doch helfen! Nur so lernt er endlich, dass........“
„Du hast doch gehört was ich gesagt habe, oder?“, fragte Mutter und nagelte Tomoe mit einem eiskalten Blick fest, “Rayo ist gut in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Er wird diesen Weg alleine gehen.“
Erschüttert, starrte Tomoe sie an.
„Und das sagst du........als seine Mutter? Diejenige die ihn von vorne bis hinten bedient und vergöttert? Was soll das auf einmal? Sag es mir!“
„Von mir aus. Aber erst musst du mir versprechen, das du ihm nicht hilfst, solange er es nicht von selbst sagt.“
Tomoe warf noch einen finsteren Blick über die Schulter und schluckte.
„Gut von mir aus.“, brummte sie, “Ich hoffe du hast eine gute Erklärung dafür.
„Es ist doch ganz einfach.“, antwortete Mutter und lies sie los, “Seit ihr euch kennengelernt oder zumindest nach Jahrzehnten wieder getroffen habt, hast du sicher gemerkt, was für ein verdammter Sturkopf er sein kann. Er wird nur selten oder nie von sich aus sagen, dass er Hilfe braucht, dazu ist er zu stolz. Ob das bei allen Männern der Diclonius so ist, weiß ich nicht. Wenn du ihm jetzt also dabei helfen würdest aufzustehen, würde er seinen gesamten Respekt vor dir verlieren. Er hat darauf bestanden, dass er diesen Weg alleine gehen will. Nur dieses kleine Stück. Glaub mir, wenn er das jetzt nicht aus eigener Kraft bewältigt, würde er mit Sicherheit wieder ins Krankenhaus gehen, um sich dort zwei Wochen ins Bett zu legen und dann wären wir erneut hier. Das kuriose dabei ist, dass Rayo wahrscheinlich nicht genau weiß was Stolz oder Würde eigentlich bedeuten. Sicher hat er dir auch einmal gesagt, dass er nur beschützen will und auch das tut er aus eigener Kraft.“
Gerade hatte ich die letzten fünf Meter vor mir erreicht und ich konnte nicht weiter gehen. Mein Körper war am Ende seiner Kräfte angelangt, doch so wollte ich es nicht enden lassen. Ein paar der Mädchen wollten mir schon eine Hand reichen um mir zumindest für dieses Bisschen eine Stütze zu geben, doch ich schüttelte den Kopf und wies sie an, aus dem Weg zu gehen. Ich verlor den Halt, kippte nach vorne und landete wie ein nasser Sack vor dieser einen verdammten Stufe, die mich noch von der Haustür trennte. Also zog ich mich mühsam mit meinen Armen nach vorne und alle hielten den Atem an, als ich mit einem Finger, die Türe nur kurz antippte. Danach rollte ich mich auf den Rücken, atmete einmal tief ein, hob mit Mühe meinen Arm, streckte diesen mit geballter Faust in die Höhe und schrie.
„Ich......habe es euch gezeigt!“, brüllte ich, “Dieses krankes Spiel ist damit vorbei! Egal wie viele Knochen mir auch brechen mögen.......egal wie viele Wunden ich einstecken muss,......das ich mich einfach so geschlagen gebe könnt ihr vergessen! Ich.......laufe....nicht weg!“
Alle blickten zu Mutter und Tomoe die beide etwas verwirrt drein blickten.
„War das schon das Stichwort?“, fragte Tomoe.
„Nein noch nicht.“, erwiderte Mutter.
Ich stützte mich auf den Ellbogen ab schlug mit der Faust auf.
„TOMOE!“, schrie ich weiter, “Ich.......danke dir! Und jetzt......bring mir den Rollstuhl! Oder soll ich den ganzen Tag hier herumliegen?!“
Ein paar Äderchen auf ihrer Stirn begannen zu pulsieren.
„Das wurde aber auch allmählich Zeit!“, brüllte nun sie, “Du Idioooooooot!“
Mit zitternden Knien, fiel sie in Mutters Arme und kam dann mit ein wenig Unterstützung von ihr, zum Eingang.