Wie andere mit Trauer umgehen, konnte ich nie so wirklich verstehen. Die einen, vergießen tagelang bittere Tränen und können nur sehr schwer aus diesem Sumpf wieder herausgezogen werden. Andere hingegen schlucken es einfach herunter, fressen es in sich hinein und leben ihr ganzes Leben, mit einer Lüge. Und das lässt sie von innen heraus verfaulen. Kaede, gehörte zu keinem davon. Sie wusste, wie grausam das Leben einen alles auf einem Schlag wegnehmen kann. Ich zum Beispiel, hätte ihr vor ein paar Monaten, den wichtigsten Menschen in ihren Leben genommen und dafür, hatte sie mich auch bestraft. Sie hat mich wahrhaftig getötet und aus irgendeinen Grund, kam ich wieder zurück. Aber sicher, lag das nicht einfach an dem Tumor, der an meinem Herzen saß und meine Wunden schneller verheilen lies. Irgendetwas anderes musste mit meinen andauernden Schmerz des Lebens zusammenhängen.
Aber, es gab noch eine dritte Kategorie von Menschen. Nämlich diejenigen, die noch nicht eingeweiht waren und mit der sich anbahnenden Trauer, die sich wie ein Krebsgeschwür in die Gedärme vergräbt, nicht rechneten. Und genau solch ein Individuum, trat nun wieder auf den Plan.
Isshina oder auch Ella, wie immer man sie nun nennen mochte, denn mir war es seit jeher herzlich egal gewesen, stapfte entschlossen und diesmal weniger auffälliger gekleidet auf das Ryokan zu. Ihre Haare trug sie offen und ein paar Bänder hatte sie sich reingeflochten. Sie trug auch keinen Kimono, sondern ein simples T-Shirt und eine knielange Hose. Dieses mal trug sie auch nicht ihre üblichen Schuhe mit hohen Absätzen, sondern sogenannte „Geta-Sandalen“. Eine absurde Art von Schuhen wie ich später herausfand. Sie sollten dazu dienen, die Füße vom Unrat der Straße fernzuhalten. Auch bei diesen Schuhen, fragte ich Tomoe später, wie Frauen auf hohen Absätzen laufen konnten ohne durchzudrehen. Aber ich schweife ab, entschuldigt bitte.
Ella, sah wie bei unserer letzten Begegnung verärgert aus. Was man gut erkennen konnte, denn sie trug ihr Katana bei sich. Was genau sie dort wollte, sollte sich mir erst sehr, sehr spät erschließen. Aber wartet ab, ihr werdet es jeden Moment erfahren.
Sie betätigte also die Klingel und kurz darauf, öffneten alle die Türe.
„Willkommen im Hinata Ryokan!“, riefen sie und versuchten dabei fröhlich auszusehen.
Doch sie wussten, dass sie es nicht so einfach verschleiern konnten. Nicht nur weil gerade Tomoes Erzfeindin vor der Türe stand. Paradoxer Weise, war Tomoe selbst nicht bei den anderen.
„Seid mir gegrüßt, ihr Ahnungslosen!“, raunte Ella fast und rammte ihr Katana mitsamt Scheide in den Boden und stützte sich darauf ab.
„Ach.....du bist das.“, sagte Naru und tat sich keine Mühe dabei ihre Missachtung vor Ella zu verbergen.
„Hast du keine Hobbys oder sowas?“, fragte Kitsune.
„Euch auch einen guten Tag.“, erwiderte Ella die Begrüßung, “Ich bin hier um Akumaru etwas zu sagen. Ist er anwesend?“
Wenn Tomoe dabei gewesen wäre, dann wären wahrscheinlich Fäuste geflogen und Flüche gefallen. Aber nicht so harmlose wie auf der Feier bei der Todai.
„Warum willst du das wissen?“, fragte Motoko.
„Ich bin froh das du fragst.“, sagte Ella, “Er hat es gewagt, mich bei der Anmeldung bei der Todai zu beleidigen und meinen Kleidungsstil schlecht zu reden. Und dafür, werde ich mich jetzt rächen.“
Zu erst, sagte niemand etwas darauf.
„Keitaro!“, rief Naru, “Kannst du mal kurz herkommen!“
Kurz darauf kam er auch. Mit umgebundener, beschmutzter Schürze und beschlagener Brille, schob er sich nach vorne zu Naru durch.
„Wie siehst du denn aus?“, fragte Kanako.
„Oh, Kaede hat mich gebeten ihr in der Küche zu helfen.“
„Sie ist immer noch da drin?“, fragte Shinobu,“Oh je.“
„Ach nur keine Bange. Man sieht es ihr zwar nicht an, aber sie kann gut kochen.“
Auch seine Mine verzog sich als er Ella erblickte.
„Würdest du ihr bitte erklären, warum Rayo am Tag der Anmeldung so schlecht gelaunt war?“, sagte Naru.
„Er hatte furchtbare Kopfschmerzen und sicher hatte er seine Gründe, seine schlechte Laune verbal rauszulassen.“, erwiderte er.
Ella seufzte.
„Das mag ja schön und gut sein. Aber ich möchte, das er sich dafür entschuldigt! Schlechte Laune hin oder her. Also wo ist er?“
Kanako knackte mit ihren Knöcheln und wollte sich schon zu ihr nach vorne durchzwängen, doch Haruka stoppte sie. Mit Haruka hatte ich bisher noch nicht so viel zu tun gehabt. Ich wusste nur dass sie und Mutter sich von irgendwoher kannten und genaueres wusste ich bis dato auch nicht. Aber diese Bekanntschaft hatten sie nicht wirklich groß ausgeweitet. Trotzdem hatte Haruka ohne zu zögern zugestimmt, mich und Tomoe im Ryokan wohnen zu lassen. Vielleicht steckte da doch etwas mehr dahinter, als nur eine flüchtige Bekanntschaft.
„Ihr könnt wieder gehen, ich übernehme das hier. Kaede sagt, das dass Essen gleich fertig ist.“
„Ist gut.“, sagte Keitaro und ging mit Naru an der Hand von dannen.
Die anderen, trotteten hinterher.
„Und nun zu dir, Prinzesschen.“, sagte Haruka, warf ihre Zigarette zu Boden und trat sie aus, “Es mag sein, dass sich Rayo, gegenüber dir so respektlos verhalten hat, aber das interessiert mich nicht. Vielleicht hat er dir einfach mal vorgehalten, wie du andere immer wieder behandelst. Hat dich deine eigene Medizin schlucken lassen. Und soll ich dir was sagen? Das hat er auch verdammt gut gemacht. Wenn du wirklich wissen willst, wo er steckt, dann höre jetzt gut zu. Denn ich werde dir das nur einmal sagen. Also erwarte nicht, dass ich es dir noch einmal wiederhole.“
Ella rollte mit den Augen und wandte sich zum gehen um.
„Wenn er nicht hier ist dann........“
„Er liegt im Krankenhaus.“, sagte Haruka.
Sofort stoppte Ella und drehte sich verwirrt um.
„Wieso das denn? Was ist der Grund dafür?“
„Oh, du willst das ich dir erzähle, was der Bursche im Moment für unglaubliche Schmerzen erleiden muss? Nein, das musst du schon selber herausfinden. Geh hin und mach dir selbst ein Bild davon.“
„Gut von mir aus.“
„Aber ich warne dich.“, sagte Haruka noch,“Tomoe ist auch dort. Und die, wird sich nicht so einfach zurückhalten wie die Mädels gerade. Und jetzt will ich das du gehst. Komm erst wieder, wenn du gelernt hast, andere nicht wie deine Laufburschen zu behandeln.“
Damit verschwand auch Haruka hinter der Türe und Ella, stand alleine da.
„Akumaru ist....im Krankenhaus? Und Darakaija ist auch noch da? Na das kann ja was werden.“
Beim Krankenhaus angekommen, musste sich Ella zu erst einmal durch gut ein Dutzend Leute fragen und endete schließlich im Wartebereich, wo sie auch sofort Tomoe erblickte. Dort unterhielt sie sich gerade mit der Frau, die an meinen Fall mitarbeitete. Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter, lies sie eine Weile dort ruhen und schritt wieder zum Aufzug.
Tomoe, war erledigt. Zwar hatte sie Schlaf gefunden, konnte diesen aber nicht komplett durchziehen. Seit ich eingeliefert wurde, hatte sie vor meinem Zimmer kampiert, sah hin und wieder durch die Scheibe und hätte beinahe damit angefangen, Kameras aufzustellen, damit sie mich nicht aus den Augen lassen musste. Jetzt aber saß sie völlig geschafft, übermüdet und vielleicht sogar halb verhungert im Wartebereich um auf Neuigkeiten zu warten. Selbst als Ella sich vor ihr hinstellte und Augenkontakt suchte, reagierte sie nicht. Stattdessen zerdrückte sie immer wieder ihre Wasserflasche im Einklang ihres Herzschlags.
„Na endlich. Und ich dachte schon ich müsste noch mehr Formulare ausfüllen.“, nörgelte Ella.
„Ach.......du bist es nur.“, sagte Tomoe dumpf, “Warum bist du hier? Hast du keinen Spaß mehr daran, deine Laufburschen vor dir her zu scheuchen?“
„Unsinn. Der Spaß hört niemals auf. Ich bin hier um mich zu erkundigen wo der gemeine Flegel liegt.“
Tomoe seufzte.
„Hör zu, ich bin zu fertig um jetzt auszuflippen. Also könntest du ihn bitte direkt beim Namen nennen?"
„Gehört das jetzt auch noch dazu? Na schön von mir aus. In welchen Stockwerk und in welchen Zimmer liegt Rayo, hm?“
Zu erst wollte sie ihr gar nichts sagen. Doch dann merkte sie wieder, dass sie viel zu müde dafür war.
Oben angekommen, blieben sie vor meinem Fenster stehen. Tja, da lag ich nun also. Schon wieder mal in einem Krankenhaus. Auf mein Gesicht hatte man eine Atemmaske gepresst, an meinen Arm hatte man einen Zugang gelegt. Meine Finger zuckten kaum merklich. Meine Haare, die man mir vor ein paar Wochen noch etwas gestutzt hatte, waren seit jenem Tag wieder länger geworden und ich schwitzte. Tomoe hatte darum gebeten, mir Kopfhörer in die Ohren zu stecken und meinen Mp3-Player dauerhaft laufen zu lassen. Noch hatte niemand mich besuchen dürfen. Ich war also gefangen, in meiner Traumwelt, die durch das Koma entstanden war, in das ich nach meinen Zusammenbruch gefallen war.
„Und das ist passiert,.....weil sein Halbbruder gestorben ist?“, fragte Ella nach.
„Das hab ich dir doch erklärt, du Zicke.“, gähnte Tomoe,“Man darf noch nicht zu ihm rein. Erst wenn er aufgewacht ist.“
„Sollte er aufwachen, lass es mich wissen. Er muss sich noch bei mir für seine Frechheit in der Todai entschuldigen.“
„Wie bitte?“, gähnte Tomoe und ihre Flasche fiel zu Boden.
„Er hat mich beleidigt, mich sarkastisch angefahren und meinen Kleidungsstil in den Dreck gezogen. Er hätte sich geschmeichelt fühlen können, das ich ihn überhaupt zur Kenntnis genommen habe.“
Tomoe seufzte und massierte sich die Schläfen. Sie musste sich jetzt gut zusammen reißen um nicht die Fassung zu verlieren. Was nicht sonderlich leicht war.
"Kannst du nicht einfach wieder verschwinden? Findest du das nicht ein bisschen unfair? Du siehst doch, das er dir gerade diesen Gefallen nicht tun kann. Also geh bitte wieder, ich kann dich hier gerade wirklich nicht gebrauchen."
Ella wollte ihr gerade wieder eine Strafpredigt halten, doch eine Nachricht auf ihrem Handy sagte ihr, dass sie nun gehen musste.
"Da hast du gerade noch mal Glück gehabt. Ich habe keine Zeit mich weiter mit euch beiden rum zu ärgern. Aber ich verstehe jetzt, woher er sein schlechtes Benehmen hat. Hätte mir auch gleich auffallen können."
"Geh einfach.", sagte Tomoe genervt.
Und damit, stolzierte Ella auch schon wieder davon. Tomoe wollte schon mit ihrem Arm ausholen und die leere Flasche nach ihr werfen, doch die Ärztin die an meinen Fall arbeitete, hielt sie noch mal auf.
"Wer wird denn da gleich aus der Haut fahren?", sagte sie lächelnd
"Ach kommen sie schon. Sie haben doch gehört wie sie über ihn gesprochen hat. Ich versuche auch nicht ihren Kopf zu treffen, versprochen!"
"Nur die Ruhe.", erwiderte sie und warf einen Blick auf mich, "Sicher hätte er ihr noch deutlicher gemacht, das sie verschwinden soll. Ich finde, du hast dich gut im Zaum gehalten. Hut ab dafür."
Tomoe setzte ein gezwungenes Lächeln auf und lies sich dann auf den Boden sinken.
„Unfassbar. Rayo hatte recht. Isshinas Kleidungsstil ist wirklich das letzte.“, murmelte sie.