Talib
Ewiger Wandler.
Eingesperrt in der Zwischenwelt,
versteckt im falschen Körper,
gefangen zwischen den Zeiten.
Herrscher über schwarze Magie,
der du all die Siegel brachst,
um der Sehnsucht zu erliegen.
Verbotene Wünsche, verdorbene Träume,
die sich in deiner Brust entfalteten,
lehrtest du fliegen in himmlische Welten.
Nichts als Unmut, Schmerz und Leiden,
brachten dir die magischen Lügen.
Ließen dich nur schwärmen vom Glück.
Stechendes Höllenfeuer, entfacht auf Erden,
soll zu deinem Schicksal werden, soll dich brennen lassen,
denn für Betrüger gibt es kein Zurück.
***
„Was hast du vor?“ Ich verleihe meiner Stimme einen scharfen Unterton und es erzielt die gewünschte Wirkung. Sie zuckt zusammen, wirbelt dann erschrocken zu mir herum und starrt mich ungläubig an. „Nichts“, erwidert sie in einem unschuldigen Tonfall, lässt langsam die Finger von der Türklinke gleiten.
Ich nicke, meine Lippen verzerren sich zu einem schelmischen Grinsen. „Soso, nichts also…“
Sie beißt sich auf die Unterlippe, scheint sich ihres Fehlers bewusst zu sein.
Du hättest dir wenigstens eine Lüge ausdenken können.
„Ich muss zurück, sie warten auf mich“, erwidert sie dann kleinlaut, als müsse sie sich selbst von ihren eigenen Worten überzeugen.
„Verstehe“, gebe ich lächelnd zurück, „aber ich denke nicht, dass, wer auch immer sie sind, wollen, dass du dich weiter unnötig in Gefahr begibst, du bist noch immer sehr schwach.“ Ich mache vorsichtig einen Schritt auf sie zu, aber bereue es sofort wieder.
Mein Gegenüber drückt sich mit dem Rücken fest gegen die Tür als würde sie versuchen sich darin zu verstecken. Sofort bleibe ich stehen und hebe die Hände: „Wieso fürchtest du dich so sehr vor mir?“
„Das tue ich nicht!“, faucht sie, ihre Augen funkeln mich zornig und gleichzeitig bedrohlich an. „Komm mir einfach nicht zu nahe!“
„Gut.“ Ich gehe ein paar Schritte zurück, um die Distanz zwischen uns zu vergrößern. „Dennoch solltest du dich noch eine Weile hier ausruhen.“
Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. „Es geht mir bestens, danke!“
Ich muss prusten, kann es mir einfach nicht verkneifen. Mein unfreiwilliger Gast schaut mich erbost und gleichzeitig verwirrt an, doch ihre Muskeln bleiben weiter angespannt, sie lässt kein Bisschen ihrer Deckung fallen, obwohl ihr zitternder Körper verrät, dass sie noch immer geschwächt ist.
Ich beäuge sie von oben bis unten, merke wie meine Wangen leicht glühen vor Scham. Vor mir steht eine wahrhaftig wunderschöne Frau: Ausdrucksstarke, graue Augen, sinnliche Lippen, auch wenn sie sich nie zu einem Lächeln verformen, aber das werde ich ändern. Langes, weißes Haar, das ihr hübsches Gesicht umrahmt und sich über ihre Schultern legt, dabei verdeckt es einen Teil ihrer nackten Brüste. Sie selbst ist schlank, doch ihr Po hat genau die richtige Rundung für meinen Geschmack.
Viel zu lange lasse ich mich hinreißen, starre sie einfach nur an und genieße diesen Anblick.
Bis sie selbst es auch zu bemerken scheint. Aus ihren silber-grauen Augen funkelt sie mich wütend an, versucht dabei ihre Blöße mit den Händen zu verdecken. Wie mechanisch wende ich mich von ihr ab und suche nach der Wolldecke, um sie ihr mit zusammengekniffenen Augen zu reichen.
„Du bist wunderschön, da gibt es wirklich nichts, wofür du dich schämen müsstest.“ Ich versuche die Situation irgendwie zu retten, vergeblich.
„Sollte ich mich jetzt darüber freuen, das von einem Mann zu hören, der mich unverblümt die ganze Zeit anstarrt, obwohl ich nackt vor ihm stehe? Du hättest mir ruhig früher etwas sagen können!“
Ungläubig reiße ich die Augen auf und starre sie erneut an, dieses Mal mit voller Absicht, um sie weiter anzustacheln.
„Willst du mir wirklich weismachen, dass dir die ganze Zeit nicht aufgefallen ist, dass du nackt bist?“ Ich versuche den spöttischen Unterton aus meiner Stimme zu verbannen, doch es gelingt mir nicht wirklich.
„Ich war eben nicht ganz bei mir“, verteidigt sie sich, dabei verfärben sich ihre Wangen in ein noch dunkleres Rot. Es folgende weitere Worte, die sie so leise vor sich hinmurmelt, dass ich nicht sicher bin, ob ich sie richtig verstanden habe.
Ich war noch nie zuvor so richtig nackt?
Ich hoffe wirklich, dass ich mich verhört habe.
„Ich dachte, es geht dir wieder bestens“, necke ich sie und sie fällt sofort darauf rein.
„Geht es auch!“, fährt sie mich zornig an, ihre Stimme schlägt dabei eine Oktave höher. „Das rechtfertigt aber nicht, dass du mich die ganze Zeit schamlos beobachtet hast!“
Danach sehe ich nur noch, wie sie auf mich zu kommt, mir einen Stoß verpasst und während ich versuche das Gleichgewicht zu halten, stürmt sie zurück zur Tür, bereit wegzurennen.
Süß, sie glaubt wirklich ein leichter Schubser bringt mich zu Boden?
Reflexartig halte ihre Arme fest in meinem Griff und starre sie amüsiert an. Ihr Gesicht ist so nah vor meinem, dass ich ihren Atem spüren kann. Er kitzelt auf meiner Haut.
„Lass mich los“, zischt sie wütend.
„Damit du was tun kannst? Von hier weglaufen, dem einzigen sicheren Ort weit und breit? Und was willst du dann tun? Wieder in einem Schneesturm verloren gehen und hoffen, dass dich ein Anderer gerade noch rechtzeitig findet? Lieber nicht“, entgegne ich vorwurfsvoll. Für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich so etwas wie Reue in ihren Augen Aufblitzen. Und Unsicherheit.
„Außerdem will ich nicht riskieren, dass du mich noch einmal anrempelst, das war gerade echt gefährlich weißt du“, necke ich sie, um die Anspannung von ihr zu lösen.
Wie erwartet versucht sie sich nun aus meiner Umklammerung zu befreien, zwecklos.
„Wie wäre es, wenn du dich jetzt einfach wieder beruhigst? Dann lasse ich dich auch los.“
„Ich bin ruhig!“, keift sie zurück, versucht nach mir zu treten. Bei dem Versuch ihr auszuweichen verliere ich dieses Mal wirklich mein Gleichgewicht und reiße uns zu Boden. Keuchend rollt sie sich von mir herunter, versucht aufzustehen, doch ich halte sie fest.
„Nicht so schnell.“ Ich beuge mich über sie und fixiere ihre Handgelenke, klemme ihre Beine zwischen meinen ein. „Habe ich dich nicht gebeten, das zu unterlassen?“
„Geh von mir runter“, erwidert sie angestrengt, „du bist schwer.“
Und genauso erschöpft wie ihre Stimme klingt, so wirken auch ihre Augen. Sie mag zwar bellen, aber zum Beißen ist meine kleine Wolfsdame noch zu schwach.
„Geht es dir gut?“, frage ich etwas besorgt nach. „Hast du Schmerzen?“ Eine lange Haarsträhne klebt in ihrem Gesicht, mühevoll versucht sie diese weg zu pusten.
„Alles bestens“, erwidert sie kalt, „was willst du von mir? Was soll das ganze hier?“
„Ich will dich nur beschützen.“ Ich lasse ihre Hand los, um die Strähne sanft aus ihrem Gesicht zu streichen. Ihre helle, beinahe weiße Haut wird von einem rosigen Schimmer belegt. Ihre Augen schauen mich durchdringend an, lassen mein Herz für einen Moment etwas schneller schlagen.
Sie nutzt die Situation aus und schubst mich mit einem kräftigen Hieb von sich herunter, dann springt sie auf und rennt auf die Tür zu. Allerdings löst sich der Knoten der Wolldecke bei unserem Gerangel, den sie zuvor sorgfältig festgezogen hat. Die Decke fällt zu Boden und die junge Frau verfängt sich darin, rutscht aus und landet unsanft auf ihrem süßen Hintern.
So schnell ich kann gelange ich zu ihr und beuge mich erneut über sie. Halte sie dieses Mal eisern fest. „Hör auf wegzulaufen.“
„Hör auf mich festzuhalten“, gibt sie bissig zurück, doch sie versucht sich gar nicht erst zu befreien, funkelt mich einfach nur wütend an.
Wieder einmal verliere ich mich in den Tiefen ihrer Augen, drohe darin zu versinken. Ich versuche mich abzulenken, wende meinen Blick von ihrem Gesicht ab und bemerke, dass sie erneut unbedeckt vor mir liegt. Ich spüre, wie mein Mund trocken wird, kann einfach nicht von ihr ablassen.
Ich habe noch nie so eine wunderschöne Frau gesehen.
„Was glaubst du eigentlich, was du da tust?“ Wie wild probiert sie mich abzuschütteln als sie meine Blicke bemerkt, zappelt unter mir wie ein Fisch am trockenen Ufer, der um sein Überleben kämpft und nur darauf wartet, dass eine rettende Hand ihn zurück ins Wasser wirft. Bei dem verzweifelten Versuch mich loszuwerden, bewegen sich ihre Brüste auf und ab, dieser Anblick bringt meinen Herzschlag völlig aus dem Rhythmus.
Ich presse die Augen fest zusammen.
„Gut, gut…ich lass dich jetzt gehen, aber nur wenn du mir versprichst keine Dummheiten anzustellen.“
„Versprochen“, erwidert sie für meinen Geschmack viel zu schnell, stößt mich erneut unsanft zur Seite. Blitzschnell greift sie nach der Decke und wickelt sie sich um den zarten Körper. Trotz des bedeckenden Stoffes schlingt sie ihre Arme um die Brust und schenkt mir einen zornigen und zugleich peinlich berührten Blick.
„Lustmolch!“, schreit sie, „Perverser, wollüstiger Eber!“
Was? Das ist ja wohl nicht meine Schuld!
„Es tut mir ehrlich leid, es war wirklich keine Absicht.“
„Und das soll ich dir jetzt glauben?“
„Natürlich!“, entgegne ich mit einem ernsten Blick, verziehe die Lippen zu einem schiefen Grinsen. „Wobei ich nichts von all dem bereue.“
Das hätte ich wohl besser für mich behalten, sofort stürzt sie sich auf mich. „Wusste ich es doch, du triebgesteuerter Mistkerl!“
Ich versuche ihre Fäuste abzuwehren, die immer weiter nach mir schlagen. Obwohl sie all ihre Kraft in ihre Hiebe zu stecken scheint, können sie mich nicht verletzen. Sie ist immer noch viel zu schwach.
„Weißt du eigentlich, dass du immer noch wunderschön aussiehst, selbst wenn du wütend bist?“
Das meine ich vollkommen ernst.
Doch meine Aussage lässt sie nur noch zorniger werden. Sie schlägt um sich, beschimpft mich noch heftiger als zuvor. Solange, bis sie ermüdet zusammensackt. Sie lässt von mir ab und rollt zur Seite, ihr Atem dringt stoßartig hervor. „Das werde ich dir nicht verzeihen“, wispert sie mit zittriger Stimme.
„Schon gut“, erwidere ich lächelnd, nachdem ich mich versichert habe, dass es ihr gut geht und sie lediglich erschöpft ist. Vorsichtig hebe ich sie vom Boden auf, sie wehrt sich nicht dagegen. Ganz im Gegenteil, sie lehnt ihren Kopf gegen meine Brust, drückt sich eng an mich. Ich genieße das Gefühl ihrer Nähe, ihrer Wärme, den Moment der Ruhe, in dem sie sich mir nicht widersetzt, während ich sie zum Bett trage.
„Werde schnell wieder gesund, ich brauche dich noch, kleine Wölfin.“
***
„Na Dornröschen.“ Ich setze mich an die Bettkante und schaue erleichtert auf sie herab. „Hast du endlich ausgeschlafen?“
Sie legt ihre Hand auf die Stirn und schaut mich aus müden Augen heraus an. Kein einziges boshaftes Wort rinnt über ihre Lippen, sie scheint wirklich ausgebrannt zu sein.
„Fühlst du dich schon besser?“ Ich schiebe ihre Finger zärtlich beiseite, um selbst nach der Körpertemperatur zu fühlen. Sie lässt es still über sich ergehen, was das Ganze fast schon unheimlich macht.
„Fieber scheinst du keines zu haben, was für ein Glück“, sage ich und rapple mich auf, um meine Schränke zu durchwühlen. „Ah da ist sie ja“, sage ich mehr zu mir selbst, als zu meinem Gast und breite eine weitere Decke über ihr aus. „Es wird sicher nicht schaden, wenn wir dich schön warm halten“, sage ich halbherzig, bin in Gedanken vertieft.
Wie lange wird es wohl dauern, bis sie wieder vollkommen bei Kräften ist?
Geistig abwesend wende ich mich der Küche zu, um heißes Wasser aufzusetzen.
Als ich zurück ins Schlafzimmer trete, hat sie die Augenlider geschlossen, atmet ruhig und flach.
„Das gibt es doch nicht, schläft sie schon wieder?“, flüstere ich leise, um sie nicht aufzuwecken. Selbstgespräche scheinen mein neues Hobby zu sein.
„Ich schlafe nicht“, gibt sie angestrengt zurück, ihre Stimme klingt rau und kratzig.
Sofort reiche ihr eine Tasse mit heißem Kräutertee. „Meinst du, du kannst dich aufsetzen?“
Sie wendet das Gesicht von mir ab, straft mich Schweigen.
Ob sie mich wohl immer noch für einen Spanner hält?
„Ich werde dir nicht verzeihen“, hallen ihre Worte in meinen Ohren wider.
Wie ernst meinte sie das wohl?
„Na gut, du lässt mir leider keine andere Wahl.“ Ich setze mich dicht neben sie und ziehe sie in meine Arme, lehne ihren Oberkörper gegen meinen.
„Was soll das?“ Sie durchbricht die Stille, doch ihre Stimme klingt nur brüchig an mein Ohr, schwach. Blinzelnd schaut sie zu mir auf.
„Halt still, sonst verschüttest du ihn noch!“ Augenrollend drücke ich ihr die Tasse in die Hand, sie nippt vorsichtig daran. „Heiß!“
Ich kann mir ein Lachen einfach nicht verkneifen. „Soll ich pusten, damit du dir nicht wieder die Zunge verbrennst?“, ziehe ich sie auf.
„Lass das, ich bin kein kleines Kind“, murmelt sie aufgebracht und versucht mich wegzudrängen. Ich stelle den Kräutertee auf dem kleinen Beistelltisch ab und rutsche etwas zur Seite.
Du musst schnell wieder gesund werden, krank und schwächelnd nutzt du mir nichts.
„Hab ich dir nicht gesagt, dass ich dich nur zu beschützen versuche?“, flüstere ich. Ich versuche einfühlsam und liebevoll mit ihr umzugehen, um sie nicht weiter gegen mich aufzubringen, allerdings scheint es genau das Gegenteil zu bewirken. Sie versetzt mir einen Seitenhieb direkt in die Rippen. Ein unangenehmes Stechen breitet sich in meinem Körper aus. Ich pruste, keuche auf.
Das tat verdammt weh und kam wirklich unerwartet.
„Komm mir einfach nicht immer so nah“, droht sie mir mit funkelnden Augen und rutscht noch ein weiteres Stück von mir ab. „Wann lernst du das endlich?!“
„Schon gut“, angestrengt rolle ich mich vom Bett, lasse ihr noch mehr Freiraum. Ich betrachte sie aus den Augenwinkeln. Ihr langes Haar fällt ihr ins Gesicht und bedeckt es fast vollkommen, die Decke ist so eng um ihren Körper geschlungen, dass allein die schneeweißen Schultern hervorschauen. Erschöpft sinkt sie zurück zwischen die weichen Kissen, lässt mich aber keinen Augenblick aus den Augen.
„Sag mal, wie lautet eigentlich dein Name?“, will ich von ihr wissen. Ihre Miene bleibt ausdruckslos, ihre Stimme ist weiterhin nur ein kaum vernehmbares Flüstern. „Was geht dich das an?“
Ich zucke nur gleichgültig mit den Schultern. „Du musst es mir ja nicht sagen“, werfe ich ein und wende mich von ihr ab.
„Nayara“, haucht sie, ihr Tonfall klingt fast schon entschuldigend. Oder bilde ich mir das nur ein?
„Aber meine Freunde nennen mich Nives.“
Ich drehe mich wieder zu ihr um, blicke sie verwirrt an. „Das hat doch gar keine Ähnlichkeit.“
„Wenn du meinst“, erwidert sie prompt.
„Mhm“, gebe ich zurück, sie scheint nicht wirklich darüber reden zu wollen. Noch nicht. „Nives passt zu dir.“
„Findest du?“ Sie verleiht ihren Worten einen seltsamen Unterton, beinahe als wäre sie eingeschnappt.
Ich nicke nur zaghaft. „Schneeweiß, das bedeutet er doch, oder?“
Sie richtet ihren Blick starr auf die Bettdecke, scheint wieder einmal nichts erwidern zu wollen.
„Aber ich werde selbstverständlich bei Nayara bleiben, immerhin sind wir ja keine Freunde.“ Sie schaut auf, nur für eine Sekunde finden ihre Augen meine und sie wirft mir einen durchdringenden Blick zu. „Genau“, flüstert sie dann, wendet sich erneut von mir ab.
„Talib“, erwidere ich freundlich lächelnd, „freut mich wirklich sehr.“ Plötzlich richtet Nayara sich im Bett auf, weitet erstaunt die Augen, verengt sie sofort danach bedrohlich zu Schlitzen. „Suchender“, flüstert sie kaum hörbar.
„Ich bin wohl nicht der Einzige, der sich mit Namensdeutung auskennt.“ Das Lächeln vertieft sich in meinen Zügen, ich zwinkere ihr neckend zu.
„Hast du denn schon gefunden, was du suchst?“ Ihre Stimme klingt gleichgültig als wolle sie nur höflich sein, doch ihr Gesichtsausdruck verrät mir, dass sie sehr wohl interessiert ist.
„Ja“, gebe ich zu, „es sitzt direkt vor mir.“
In ihre Züge mischt sich Neugierde, doch die zusammengepressten Lippen beweisen mir, dass sie versucht, diese aus ihrem Gesicht zu verbannen. „Wie meinst du das?“ Als sie merkt, dass sich ihre Stimme vor Aufregung fast überschlägt, räuspert sie sich verlegen. Ich kann mir ein Lachen einfach nicht verkneifen. Langsam beuge ich mich zu ihr vor, das noch eben so scheue Mädchen hält meinem Blick eisern stand, zuckt nicht einmal zusammen. Ihr feuchter, überraschenderweise ruhiger und gleichmäßiger Atem klebt an meiner Haut.
„Ich habe dich gesucht.“
Nayara schnaubt belustigt, scheint aber nicht darauf eingehen zu wollen. Sie wirkt dennoch ziemlich verunsichert. Das schneller schlagende Pochen ihres Herzens dringt an mein Ohr, erfreut über meinen gelungenen Einschüchterungsversuch drängt sich ein breites Grinsen auf meine Lippen. „Und jetzt bist du hier… bei mir.“
Sie zuckt, beißt sich auf die Unterlippe, kaut nervös darauf herum. Ihr Blick verliert an Standhaftigkeit, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Sieg, denke ich, lasse von ihr ab und setze eine unschuldige Miene auf.
Jeder ihrer Muskeln scheint angespannt zu sein, ihr Atem dringt lauter, stoßartig hervor. „Das ist doch ein Scherz. Oder?“ Ihr Kiefer knirscht angestrengt, doch ihre Stimme klingt einigermaßen gefasst.
Ich lasse sie nicht aus den Augen. Die Stimmung scheint zu knistern, in der Luft hängen Funken, die nur darauf warten zu explodieren.
Ich breche in ein amüsiertes Lachen aus. Das war sie, die Explosion. Unter dem schrillen Tonfall schreckt Nayara erneut zusammen, starrt mich verwirrt an.
„Natürlich“, gebe ich zurück, nachdem ich mich wieder zusammengerissen habe, „es ist doch nur ein Name.“
Nachdem das letzte Wort über meine Lippen rinnt, merke ich, dass sie mir nicht glaubt. Nicht ein einziges Wort.
Und ich kann es ihr wirklich nicht verübeln.
„Genau“, kichert sie aufgesetzt, „Namen sollte man keine große Bedeutung beimessen.“
Sie lernt schnell.
Jetzt ist sie eine würdige Gegnerin in meinem Spiel, das sich „Leben unter Menschen“ nennt. Mal sehen, ob sie auch alle anderen Spielregeln beherrscht.