Talib
Allein die Tatsache, dass nun mehr Soldaten als Wachen rund um die Villa verteilt stehen, beweist, dass Aiden auf Nummer Sicher gehen will. Auch wenn er dumm genug ist, im selben Versteck auf unseren Angriff zu warten. Denn da bin ich bin mir sicher, dass er mit unserem Erscheinen rechnet und dennoch unterschätzt er uns gewaltig.
Während ich mich im Schatten der umliegenden Tannen versteckt halte, lasse ich meinen Blick über das weite Feld spähen. Es ist dunkel und selbst meine Augen haben Probleme etwas zu erkennen.
Perfekt für einen Angriff.
Nayara kommt beinahe geräuschlos auf mich zu, dicht gefolgt von Leana und Dante. Der beißende Geruch von getrocknetem Kampfer und Rosmarin haftet an ihrer Kleidung und er wird von Mal zu Mal stärker, als der eisige Wind ihn in seinen Böen mit sich zu uns herüber trägt.
Es wird nicht lange dauern, bis der Geruch so stark hervorsticht, dass er Aidens und Candras Sinne verwirrt. Sie werden zwar wissen, dass wir da sind, aber nicht von wo wir zuschlagen.
Es war eine gute Idee von Leana, ein wenig von den intensiv riechenden Kräutern aus dem Krankenhaus zu entwenden, mit dem sie ohnmächtig gewordene Mütter – und auch Väter –aufwecken, sollte der Kreislauf während einer Geburt versagen.
„Irgend etwas ungewöhnliches?“, flüstert Dante, lässt seinen Blick ebenfalls wandern.
„Nichts, mit dem wir nicht gerechnet hatten“, gebe ich zurück und nicke zu den Männern in Tarnkleidung, die in jeweils dreier oder vierer Gruppen ums Haus verteilt stehen.
„Sobald Tarun für etwas Ablenkung sorgt, werden wir zuschlagen. Die paar Soldaten reichen nicht aus, um uns aufzuhalten“, sagt er mit dem Vertrauen eines Rudelanführers.
Ich schlucke meine Befürchtungen runter, da sie uns nicht weiterhelfen und nicke nur.
Er hat Recht, unser Plan ist gut durchdacht und wir haben die Zeit bestens genutzt, um uns vorzubereiten.
„Wir sehen uns drinnen“, wispere ich den anderen zu, als ein helles Licht vor der Villa aufleuchtet und in den Reihen der Soldaten Tumult auslöst.
Ich greife Nayara am Arm und führe sie, so nah am Boden wie wir uns ducken können, hinter mir her. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Dante und Leana dieselbe Position einnehmen und dasselbe Ziel antreten, nur aus einer anderen Richtung.
Je näher wir kommen, desto lauter werden die Rufe, die hauptsächlich vom Vordereingang des Gebäudes zu kommen scheinen.
Ich bedeute Nayara es mir gleichzutun und gehe hinter einem hoch gewachsenen Strauch in Deckung.
Es ist Kenneths bassartige Stimme, die ich unter tausenden sofort wider erkennen würde.
„Er hat sich an mein Mädchen rangemacht! Dieser verdammte Penner soll rauskommen und die Verantwortung übernehmen!“
„Sir“, entgegnet eine mir unbekannte Stimme. „Bitte verlassen sie umgehend das Gelände!“
Ich ordne sie einem der Soldaten zu.
„Oder wir müssen sie dazu zwingen“, stößt er drohend hervor.
„Du elender...“, zischt Kenneth, bringt seinen Satz allerdings nicht zu Ende. Kampfgeräusche erklingen, tauchen die Nacht in ein chaotisches Stimmengewirr.
Das ist unsere Chance, den ersten Zug zu machen. Als die Wachen, die sich uns am nahesten befinden, von dem Trubel lange genug ablenken lassen, dass ich hinter dem Gebüsch hervor stürmen kann, gibt auch Nayara ihre Deckung auf und setzt das metallene Röhrchen an ihren Lippen an.
Der erste, der Männer, sackt nach nur wenigen Sekunden zu Boden. Und noch bevor ich sie erreiche, höre ich das Zischen eines weiteren Projektils. Gerade als der dritte, der letzte verbliebene der Einheit, der sich wohl aus seiner Schockstarre gelöst hat, sein Gewehr zum Schuss ansetzt, bringe ich ihn mit einem gezielten Wurf zu Boden. Die Klinge meines Dolches presse ich fest an seinen Hals. Sein Atem stößt hektisch hervor, die Augen hat er weit aufgerissen. Er wirkt wie ein kleiner, verängstigter Junge auf mich.
„Was...was wollt ihr?“, krächzt er mit belegter Stimme.
„Nichts, was du uns geben kannst“, erwidere ich und verpasse ihm mit dem Holzgriff meiner Waffe einen wuchtigen Schlag auf den Hinterkopf. Nur um sicher zu gehen, dass er nicht vor allen anderen wieder zur Besinnung findet, schießt Nayara eine weitere, ihrer magischen Spitzen in seine Brust.
Schlaf gut.
Nayara schließt zu mir auf, wir pressen uns dicht an die Hauswand und lauschen weiteren, möglichen Gefahren. Aber bisher scheint uns niemand entdeckt zu haben.
Kenny erledigt seinen Job um Weiten besser als gedacht.
Auf leisen Sohlen schleichen wir uns weiter voran, lugen um die nächste Ecke, hinter der gerade vier weitere Männer auf uns zu kommen.
Scheiße, ich hatte gehofft, dass sie nicht patrouillieren würden.
Da uns keine Zeit mehr bleibt, ehe sie uns erreichen, nutze ich den Überraschungseffekt und schaffe es mit einer fließenden Bewegung zwei von ihnen die Beine wegzutreten. Ehe sie sich wieder aufrappeln können, schlage ich ihnen hart ins Gesicht. Dem ersten knippst es glücklicherweise direkt die Lichter aus, doch der andere versetzt mir einen harten Schlag gegen das Schienbein. Ich falle, nutze den Sturz aber gleichzeitig, um einen dritten mit mir zu Boden zu reißen. Noch ehe ich mir Gedanken um Nayara machen kann, fällt der vierte Soldat um. Ich rechne mit einem weiteren Betäubungsschuss, doch stattdessen erspähe ich aus dem Augenwinkel, wie Nayara dem Mann, der sich über mich gedrängt hat, einen wuchtigen Schlag in den Nacken verpasst.
Dankbar kann ich mich nun um den Braunhaarigen vor mir kümmern, den ich nur mit Mühe auf Abstand halten konnte. Erneut boxt er gegen mein Schienbein und der stechende Schmerz macht mich so wütend, dass ich ohne weiter darüber nachzudenken, die Spitze meines Dolches in seine Magengegend ramme.
Durch Tarun habe ich genug über den menschlichen Körper gelernt, um zu wissen, wo die lebenswichtigsten Organe liegen.
Ich steche nur knapp an ihnen vorbei, sodass der Schmerz groß genug ist, um ihn für diese Schlacht außer Gefecht zu setzen, aber keine tödlichen Konsequenzen mit sich zieht.
Er stöhnt auf, blitzschnell presse ich meine Handfläche auf seinen Mund, um keine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. „Das hat verdammt weh getan“, raune ich ihm leise zu. Ziehe dann die Klinge meines Dolches wieder aus seinem Fleisch und rapple mich auf.
Blut klebt daran, das ich achtlos an der Uniform eines der betäubten Männer abstreife.
Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken, dass ich ihn ernsthaft verwundet habe. Aber er hätte dasselbe auch mit mir getan!
Als ich einen Blick über meine Schulter werfe, sehe ich, dass Nayara auch mit sich ringt. Doch dann deutet sie mit ihrem Kinn hinter mich. „Wir müssen weiter“, bedeutet sie mir leise und nimmt meine Hand.
Ich weiß. Wir müssen zu Felan.
Glücklicherweise kommt uns kein Soldat mehr entgegen, die anderen scheinen entweder weiterhin ihre Posten zu beziehen oder wurden bereits von unseren Leuten ausgeschaltet.
Über uns erstreckt sich der Balkon, über den wir letztes Mal fliehen konnten.
In meiner Wolfsgestalt könnte ich sicherlich einen Weg darüber hineinfinden, doch mit Nayara an meiner Seite, geht das leider nicht.
Sie scheint meinen Blick zu bemerken und flüstert mir ins Ohr.
„Geh, ich komme auch allein zurecht.“
Ich schüttele heftig den Kopf. „Nein, ich werde dich ganz sicher nicht alleine lassen. Felan ist mein Freund und ich will ihn retten, aber ohne dich...“
Ich vermag nicht in Worte zu fassen, wie schrecklich allein der Gedanke ist, ich könnte Nayara verlieren. Ich drücke ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. „Wir schaffen das nur gemeinsam.“
Ihre Augen schimmern immer noch, Widerstand scheint in ihnen zu glänzen, doch sie nickt nur und drängt mich weiter voran.
Die rauen Steine der Mauer drücken sich an unsere Rücken, die Kälte frisst sich selbst durch unsere dicken Mäntel. Gerade als ich um die nächste Ecke spähen will, entdecke ich einen Soldaten in unmittelbarer Nähe und zucke zurück.
In einer stummen Geste bedeute ich Nayara zu warten. Erneut wage ich einen kurzen Blick , nur um festzustellen, dass der groß gewachsene Mann in Richtung Vordereingang rennt, vor dem sich Kenneth und Tarun noch immer einen wilden Kampf mit dem Militär liefern, der bisher zum Glück noch keine Schüsse gefordert hat.
Wie auch immer sie das angestellt haben.
„Das ist unsere Chance“, flüstere ich leise zu der weißblonden Schönheit in meinem Rücken und deute mit dem Kopf in Richtung Eingang.
Um so schnell wie möglich ins Innere des Hauses zu gelangen, geben wir sogar unseren Schutz auf, doch niemand scheint uns zu bemerken.
Ehe wir durch den großen Türbogen treten, mache ich meinen kleinen Bruder im Augenwinkel aus, um den sich ein knisterndes, beinahe unsichtbares Feld gebildet hat, das ihm drei Solitärs vom Leib hält.
Mein Beschützerinstinkt meldet sich, brodelt tief in mir und kämpft gegen meinen Verstand an. Ich will zu ihm eilen, doch Nayara hält mich zurück.
„Er schafft das“, beteuert sie mir flüsternd. „Du musst ihm vertrauen und dich an unseren Plan halten.“
Sie hat Recht. Tarun ist nicht mehr der kleine, menschliche Junge, der sich nicht wehren kann. Er ist ein halber Mann. Ein Wolf. Stark und intelligent. Wenn er es nicht schafft, sich mit seinen magischen Fähigkeiten zu schützen, dann kann ich ganz sicher auch nichts ausrichten. Ich, der seine Gabe nicht einmal zu nutzen weiß.
Und dann verschwinden wir hinter der Tür.
Rein zu kommen war leichter als gedacht, doch die richtige Herausforderung steht uns erst noch bevor.