Talib
Ein lautes Klopfen und Rütteln an der Tür lässt mich aus meinem Schlaf hochschrecken. Ich streife die graue Decke, die sich über Nacht um meine Beine gewickelt hat, gähnend ab und trotte zur Tür.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster verrät mir, dass es noch früher Morgen sein muss. Die Sonne erhebt sich selbst erst aus ihrem Schlaf, langsam und träge.
Das Klopfen wird intensiver.
„Ich komme ja schon“, rufe ich mürrisch.
Ich hoffe, wer auch immer das ist, hat gute Gründe, mich so früh zu wecken.
Ohne mich weiter um Kleidung zu scheren öffne ich.
„Was gibt’s?“
Zu meinem Erstaunen steht Nayara vor mir, ihr weißes, langes Haar wirbelt um ihr hübsches Gesicht. Sie schenkt mir einen finsteren Blick aus zu Schlitzen verengten Augen. Ein seltsamer Schmerz durchzuckt meine Brust.
„Wir müssen reden“, erklärt sie mir und drängt sich an mir vorbei ins Innere der Hütte.
Ja, das müssen wir tatsächlich.
„Nayara, ich...“ Stotternd folge ich ihr. Die Worte in meinem Kopf verschwimmen zu einem Einheitsbrei und mein Mund wird ganz trocken. Ich schlucke.
Scheiße. Sich entschuldigen ist wirklich schwer.
„Spar's dir“, sagt sie trocken, verschränkt die Arme vor der Brust, sieht mich endlich an. „Wie wäre es, wenn du dir erst einmal was anziehst?“
Ihr Blick verrät mir, dass das keine Frage war.
Ich schaue auf meine Boxershorts herunter, beiße fest die Zähne zusammen, um mir einen spöttischen Kommentar zu verkneifen. Ich kann sie wirklich nicht noch mehr verärgern.
Wortlos laufe ich an ihr vorbei und zerre eine Jeanshose und ein schwarzes Shirt vom Wäscheständer. Die Kleider sind noch leicht feucht, aber es ist immerhin besser als erneut mit Nayara in Streit zu geraten.
Wobei sie sowieso darauf aus zu sein scheint.
„Magst du was trinken?“, rufe ich zum Esstisch hinüber, an den sie sich gesetzt hat. Sie schüttelt entschlossen ihren Kopf und presst die Lippen aufeinander.
Erneut schlucke ich den Kloß runter, der sich in meiner Kehle gebildet hat. Gerade sehne ich mich nach einem kräftigen Schluck Whisky, aber ihrer Laune nach zu urteilen, wage ich es nicht, sie noch länger warten zu lassen.
Ich lasse mich auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder und mustere sie. Ihre Augenbrauen ziehen sich eng zusammen, sie wirkt ernst.
Wer kann es ihr verübeln, nach allem was ich ihr angetan habe?
„Hör mal“, versuche ich es erneut, doch sie lässt keinen meiner Entschuldigungsversuche zu.
„Nein“, sagt sie bestimmt. „Dafür bin ich nicht hier.“
Ich nicke schwach. „Weshalb dann?“
„Du schuldest mir Antworten. Und dieses Mal bestehe ich auf die ganze Wahrheit.“ Sie schürzt ihre Lippen, betont jedes Wort.
Das geht nicht.
Sie scheint an meinem Blick zu bemerken, dass ich ihr widersprechen will.
„Talib, wenn es dir wirklich ernsthaft leid tut, dann wirst du das für mich tun.“ Ihre Stimme lässt keine Widerworte zu. Sie wirkt plötzlich wie eine völlig Fremde. Nichts ist mehr übrig von dem süßen, tollpatschigen Mädchen, das sich so leicht einschüchtern ließ.
Ein Bisschen vermisse ich sie.
Meine Hände ballen sich zu Fäusten, spannen sich so sehr an, dass die Fingerknöchel weiß hervorstehen.
Vielleicht hat sie recht. Irgendwann muss sie es ja schließlich erfahren, aber ich habe Angst, vor ihrer Reaktion.
„Gut“, sage ich nach einem Moment des Nachdenkens. Und ich höre sie erleichtert ausatmen.
„Zuerst musst du mich kurz entschuldigen.“ Ich stehe ruckartig auf und stürme in die Küche, ich bin mir sicher, dass sie denkt, ich will davonlaufen. Doch das hier würde ich nicht ohne einen wirklich großen Schluck Whisky überstehen.
Gluckernd gieße ich auch für sie etwas in ein frisches Glas und trage es zum Tisch herüber. Jeden Schritt setze ich langsam nach dem anderen, versuche Zeit zu schinden.
Ist es wirklich eine gute Idee? Wenn ich sie davon überzeugen will, dass ich nur gute Absichten habe, dann wird sie es wissen müssen. Alles.
Ansonsten kommen wir nie voran.
Aber zeitgleich wird sie auch jedes noch so düstere Geheimnis erfahren und mich vermutlich auf alle Zeit hassen.
Ich schiebe ihr das Getränk herüber. Sie nimmt es und riecht daran, rümpft dann die Nase.
Ich kann mir ein leichtes Grinsen selbst bei einem so ernsten Thema nicht verkneifen.
Irgendwo steckt noch immer die süße, kleine Wölfin in ihr. Und eben diese wird mich vielleicht verstehen. Zumindest hoffe ich es.
„Trink, den wirst du brauchen“, proste ich ihr zu und leere mein Glas mit einem Mal. Spüre die Flüssigkeit meine Kehle hinunterlaufen und das wohlige Brennen, das sie mit sich bringt.
Sie tut es mir nach und lässt ein lautes Keuchen aus ihrem Mund dringen. Sie blinzelt mehrmals mit den Lidern, um aufsteigende Tränen zu unterdrücken. Mit den Händen fächelt sich Nayara Luft zu, schneidet eine angewiderte Grimasse. Und es ist das absolut Niedlichste, das ich je gesehen habe.
„Schieß los“, fordert sie mich schließlich auf, als sie sich wieder gefangen hat. Doch ich brauche noch einen Moment um von ihrer Unerfahrenheit zurück zum Ernst der Lage zu finden.
Das Lächeln auf meinem Gesicht stirbt. „Was weißt du bereits?“ I
Ich trommle nervös mit den Fingern auf dem Tisch.
Nayara wirft erst einen Blick auf meine Hände und dann in mein Gesicht und sofort halte ich inne.
„Tarun wurde als Mensch geboren?" Sie mustert mich streng, wagt nicht zu blinzeln.
Ich atme flach, versuche mich allein darauf zu konzentrieren. Weiter atmen.
„Er hat es dir gesagt?“ Doch es ist keine wirkliche Frage, weshalb sie sich auch nicht die Mühe macht zu nicken oder etwas zu sagen.
„Damals bei seiner Geburt schlug der Blitz ein und traf ihn und meine Mutter. Die Ältesten sagten, es wäre ein Fluch der Himmelsgötter, aber sie wussten nicht, womit sie das verdient hatten“, beginne ich, versuche mich weiter auf meine Atmung zu konzentrieren. Alles andere ist gerade nicht wichtig. „Meine Mutter starb und in den Augen meines Vaters und des gesamten Rudels tat das auch Tarun. Als ich ihn zum ersten Mal sah und er vollkommen anders war als ich, erschrak ich.“
Einatmen.
Ausatmen.
„Meine Eltern hatten mir immer gesagt, wie gefährlich die Menschen sind. Ich sollte mich von ihnen fern halten. Doch wie konnte ich meinen einzigen, winzig kleinen Bruder allein lassen?“
Ich beiße auf die Innenseite meiner Wange, viel zu fest, und spüre, wie warmes Blut aus der Wunde dringt und meine Zunge benetzt. Ich brauche den Schmerz, um meinen Verstand ruhig zu halten.
Nayaras Blick wird weicher, in ihren Augen leuchtet etwas Mitfühlendes auf. „Also hast du ihn allein aufgezogen?“
„Nein“, antworte ich knapp. Schlucke. „Meine Freunde haben mir geholfen.“
„Dante und die Anderen?“, hakt Nayara nach, sie kaut nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Ich nicke.
„Wie kam es dazu, dass ihr zu Menschen wurdet?“
Ihre Frage überrascht mich nicht und dennoch trifft sie mitten in meine Seele.
Ich zucke zusammen.
In meinem Kopf rauscht und zieht es unangenehm und für einen Moment glaube ich, dass ich innerlich explodiere.
Ich spüre eine sanfte Berührung, welche meine Aufmerksamkeit fordert. Nayara hat ihre Hände auf meine gelegt und ihre dünnen Finger umschlingen sie tröstend. Das Gefühl ihrer Berührung kitzelt elektrisierend in meinen Fingerspitzen.
Bitte lass nicht los.
„Ich muss es wissen.“ Ihre großen Augen flehen mich an. Ich drücke ihre Finger, streiche zitternd darüber. Sie zuckt leicht, doch sie zieht sich nicht zurück, wofür ich ihr dankbar bin.
„Tarun hat sich immer häufiger in die Menschenwelt geschlichen, um von ihnen zu lernen. So habe auch ich viel von ihnen gelernt. Irgendwann ist mein kleiner Bruder dann mit einem Stapel Bücher unter dem Arm zurückgekehrt. Er hat sich im alten Tempel im Wald verkrochen und von früh bis spät gelesen. Anfangs hatte er Probleme die einzelnen Buchstaben zusammenzufügen, aber gemeinsam haben wir sogar lesen gelernt.“
Nayara wagt es nicht sich zu bewegen und ich lasse meine Augen kurz auf ihrem versteinerten Gesicht ruhen, ehe ich fortfahre. „Es waren Bücher über Schwarze Magie. Tarun hat so viele Rituale und Zaubersprüche ausprobiert, um zu einem echten Wolf zu werden. Er konnte dem ganzen Druck nicht mehr standhalten. Er wollte akzeptiert werden, er wollte einer von uns sein und er wollte, dass unser Vater ihn auch lieben konnte. So wie einst mich.“
Ich verschlucke mich an meinen eigenen Worten. Huste und merke wie die Wut und die Schuldgefühle in mir aufsteigen.
Wieso habe ich all das nicht verhindern können? Ich hätte ihn besser beschützen müssen.
„Doch diese Rituale haben ihn einige Opfer gekostet. Wie oft wäre er fast daran gestorben.“ Keuchend bringe ich die letzen Worte über meine Lippen, ehe der Zorn so stark wird, dass er mich zu zerreißen droht. Ich mache mir nicht die Mühe ihn zu verbergen, doch Nayara scheint auch keine Angst davor zu haben. Vor mir.
Mein Herz hämmert so laut, dass es in meinem Kopf rauscht. Ein röhrendes Keuchen stiehlt sich aus meiner Kehle, doch ich bin bereits zu benommen, um es zu unterdrücken. Um überhaupt irgendwas zu unterdrücken.
„Das ist alles meine Schuld“, murmle ich geistesabwesend. Immer und immer wieder holt mich die Vergangenheit ein.
Nayaras Finger schlingen sich so eng um meine, dass sich ihre Nägel in meine Haut bohren. Der Schmerz tut gut und holt mich zurück ins Hier und Jetzt. Stück für Stück.
„Brauchst du eine Pause?“ Die Stimme meines Gegenübers klingt auf einmal so einfühlsam und ganz anders als nur kurz zuvor, dass es mir einen kalten Schauer über den Rücken jagt.
Nein. Ich schüttele den Kopf, lasse den Unterkiefer knirschen.
„Ich wollte ihn beschützen und habe mich selbst an einem Ritual versucht. Dabei habe ich etwas übersehen und mein Fehler hat unser aller Leben... verändert“, bringe ich krächzend hervor.
Nayara nickt wissend. Schluckt schwer. Sie versucht sich an einem zaghaften, aufmunternden Lächeln, doch es erreicht ihre Augen nicht. Und auch nicht mich.
„Verstehst du denn nicht? Ich habe ihnen all das hier eingebrockt. Ich. Und niemand sonst!“
Ich schiebe all die Gedanken und Bilder beiseite, die vor meinem inneren Auge aufblenden, versuche den Schmerz und den Groll aus meiner Brust zu vertreiben, bevor es zu spät ist.
Ein knarzendes Geräusch verrät mir, dass Nayara den Stuhl zurück schiebt. Doch es wirkt irgendwie so fern, als wäre sie gar nicht bei mir. Zögerliche Schritte folgen und dringen wie durch einen Nebelschleier schwach an mein Ohr.
Doch dann spüre ich ganz deutlich bebende Hände, die mein stoppeliges Kinn fest umfassen und mich dazu zwingen aufzusehen.
Nayaras silbrig graue Augen bohren sich tief in meine.
„Es ist nicht deine Schuld.“ Jedes Wort perlt so seidig über ihre Lippen als wäre es wahr.
„Niemand außer dir selbst gibt dir die Schuld, du hast doch nur versucht deinen Bruder zu beschützen“, sagt sie mit fester Stimme und hält meinen Blick gefangen.
Ihr Gesicht ist meinem nun so nahe, dass ich ihren feuchten Atem auf meiner Nasenspitze fühle. Es kitzelt angenehm. Ich sauge ihren süßlichen Duft tief in mich auf. Der Nebel in meinem Inneren löst sich auf.
Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, ziehe ich Nayara auf meinen Schoß und drücke meinen Mund auf ihren. Sie scheint so überrumpelt zu sein, dass sie einfach nur still da sitzt. Ich nutze es schamlos aus und fahre langsam mit der Zunge über ihre Lippen, sauge leicht daran. Immer wieder neue Küsse hauche ich darauf, ehe ich mit einer Hand in ihr langes, dichtes Haar greife und mit der anderen ihr Kinn umfasse, um sie dazu zu bringen, ihre Lippen zu öffnen. Ich lasse meine Zunge genüsslich in ihren Mund fahren und erkunde ihn ausgiebig.
Sie lässt ihre Hände auf meine Schultern wandern, krallt sich in den Stoff meines Oberteils und schmiegt sich an mich, sodass ihre Brüste gegen meinen Oberkörper drücken. Tausend winzige Blitze jagen durch meinen Körper, kribbeln unter meiner Haut. Ein leises Stöhnen dringt aus ihrer Kehle, das ich verschlucke und es spornt mich noch weiter an. Ich streiche mit meiner Zunge spielerisch über ihre, umfahre sie und fordere sie dazu auf, es mir gleich zu tun. Ich fühle wie brodelnde Hitze auf meinen Wangen glüht und weiter wandert, in südlichere Regionen meines Körpers.
Ein sehnsüchtiges Knurren entfährt mir. Ich fahre zärtlich mit meinen Händen ihren Hals entlang, fahre mit dem Daumen dessen Beuge nach und wende mich dann ihrem Rücken zu, bis hinunter zu ihrem Po. Packe ihn und drücke sie noch fester an mich.
Verdammt. Ich will sie.
„Nayara“, stöhne ich auf, gerade lange genug von ihren Lippen gelöst, um meiner Lust Ausdruck zu verleihen. Versinke erneut in der Süße ihres Mundes, liebkose ihre weichen, bebenden Lippen. Sie keucht, drängt sich noch enger, fordernder an mich, sodass mir sämtliches Blut zwischen die Beine schießt.
Aber zu meinem Unglück hämmert es in genau diesem Moment gegen die Tür und die Frau auf meinem Schoß zuckt erschrocken zusammen. Panisch stößt sie sich von mir und wischt sich mit dem Handrücken über die Lippen.
Fuck. Das ist doch jetzt nicht wahr!
Die Hitze in mir brodelt noch immer so stark, dass ich nach ihren Händen greife. Ich will sie erneut zu mir runter ziehen, doch sie entwindet sich meinem Griff.
„Nicht“, faucht sie mich an. Ihr Blick verfinstert sich und sie ist plötzlich wieder so kalt und fremd. Als hätte sie mich nicht auch geküsst, ihre Arme um mich geschlungen und ihren zarten Körper enger an meinen geschmiegt. Als wäre ich der Einzige gewesen, der diese Lust empfunden hat.
Verdammte Kacke. Was soll das?
Wortlos drücke ich mich an ihr vorbei, um die Tür zu öffnen. Lasse Nayara aber keine Sekunde aus den Augen.
„Ich hoffe, ich störe nicht.“ Felan wirft einen Blick hinter mich. Nayaras entsetzte Miene scheint auch ihm aufgefallen zu sein. Und ihre Lippen, die von unseren leidenschaftlichen Küssen leicht geschwollen sind, kann er nicht übersehen.
„Überhaupt nicht“, raune ich sarkastisch. Am liebsten würde ich ihn erwürgen.
Missmutig laufe ich zurück zum Esstisch und lasse mich seufzend auf den Stuhl fallen, dabei berühre ich unauffällig Nayaras Fingerspitzen, um sie aus ihrem Trance ähnlichen Zustand zu erwecken.
Sie zuckt kaum merklich zusammen, läuft dann zurück zu ihrem eigenen Platz und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich würde zu gerne wissen, was in ihrem hübschen Köpfchen vorgeht.
Ich habe ganz deutlich gespürt, dass sie sich auch nach mir verzehrt. Das kann sie nicht leugnen. Aber wieso macht sie nun einen Rückzieher?
So gerne ich das auch mit ihr klären würde, das werde ich ganz sicher nicht tun, wenn Felan dabei sitzt.
„Was kann ich für dich tun?“, wende ich mich fragend an meinen Freund, der sich auf dem Stuhl rechts neben mir niedergelassen hat.
„Ich hatte schreckliche Sehnsucht nach dir“, verkündet er und lässt seine kratzige Stimme noch rauchiger wirken. Er zwinkert mir zu und wirkt dabei so albern, dass es gar nicht zu seinem eigentlichen Auftreten passen mag.
„Ich wollte nur mal sehen, wie es dir so geht“, gesteht er dann etwas ernster. Er schaut zwischen Nayara und mir hin und her und in seinen dunklen Augen funkelt es spitzbübisch. „Außerdem hab ich gehört, dass sich eine gewisse Person hierhin begeben hat“, sein Blick schweift zu der weiß-blonden Frau, verweilt dort aber nur eine Sekunde, ehe er ihn wieder auf mich richtet, „Da wollte ich mich nur versichern, dass du nicht gleich über sie herfällst.“
Wenn du wüsstest, mein Freund.
Felan verzieht die Lippen zu einem Lächeln, das seine beinahe makellos weißen Zähne entblößt.
„Aber anscheinend bin ich bereits zu spät.“
Er weiß es wohl schon.
Augenblicklich wandert mein Blick zu Nayara, die sich nervös über die Lippen leckt. Röte legt sich über ihre Wangen.
Plötzlich ist sie wohl doch wieder das scheue Reh und keine Zähne fletschende Wölfin mehr.
Kann es sein, dass ich sie mit meinem stürmischen Kuss verschreckt habe?
Ich ignoriere die Aussage meines Freundes, was ihn sichtlich kränkt. „Woher weißt du, dass sie hier ist?“
Der breitschultrige Mann zu meiner Rechten schält sich aus dem schweren Wintermantel und hängt ihn über die Stuhllehne. Er macht sich nicht einmal die Mühe mich anzusehen als er schulterzuckend antwortet. „Dein Bruderherz ist mir in der Stadt in die Arme gelaufen, ist wohl mal wieder von einem Bett zum Anderen gesprungen.“
Ich verdrehe die Augen. „Dieser Narr.“
Genau das ist auch der Grund, warum wir schon nach kurzer Zeit nicht mehr zusammen wohnen konnten. Sein Durst nach Frauen ist unstillbar. Und seine Eroberungen sind meistens alles andere als liebreizend oder zurückhaltend. Nein, den ganzen Trubel habe ich zum Glück hinter mir gelassen.
Felan tadelt mich mit seinem Blick. „Weil du es ja so viel besser weißt.“
Ich schiele zu Nayara, aus ihrem Gesicht ist jegliche Farbe gewichen und ihre Miene ist ausdruckslos und verschlossen. Sie trommelt sachte mit ihren Fingern auf ihre Knie, entzieht sich so unserer Konversation. Allein mein animalisches Gehör lässt das Trommeln als ein leises Pochen in meinen Verstand eindringen und spielt es nur schwach im Hintergrund ab.
Hoffentlich kriegt sie nun nicht alles in den falschen Hals.Wobei ich mir da eher wenig Hoffnung mache.
„Felan, hast du ihr auch von der Prophezeiung erzählt?“, versuche ich das Thema zu wechseln, scheinbar mit Erfolg.
Sie schaut zu mir auf, doch ihre Augen sind immer noch leer, abwesend. Ich kann fast die Rädchen in ihrem Kopf rattern sehen, aber leider nicht ihre wirklichen Gedanken.
„Was glaubst du denn?“, gibt er zurück und reibt sich über die Augenbrauen.
Doch es ist keine Frage.
„Wie viel?“, will ich nun wissen. Felan zuckt mit den Schultern. „Warum fragst du nicht sie?“
Doch Nayara scheint nicht den Anschein zu machen, überhaupt irgendetwas beitragen zu wollen. Sie presst die Lippen aufeinander und richtet den Blick starr auf ihr leeres Whiskyglas.
Der schwarzhaarige Mann neben mir streicht sich eine dicke Strähne aus der Stirn und lässt sich dann erschöpft gegen die Lehne des Stuhls sacken.
„Alles“, gibt er zu.
„Alles?“, wiederhole ich erstaunt.
„Jedes schmutzige, kleine Detail“, bestätigt er mir, in seinen Augen spiegelt sich Hohn.
„Das habe ich mir fast gedacht“, murmle ich, um etwas gefasster zu wirken. Doch eigentlich kann ich eine gewisse Panik in mir aufsteigen spüren.
Mein Herz setzt einen Sprung aus.
Scheiße.
„Also weißt du, dass wir nur durch unsere Liebe einen Ausweg aus diesem Schlamassel finden können?“
Nayara schnaubt spöttisch. „Als ob“, gibt sie dann mit fester Stimme zurück.
Ein Stich fährt durch meinen Körper und ich spanne die Muskeln an.
Der eben noch so heiße und innige Moment ist wieder derselben klaren Kälte, die zuvor zwischen uns bestand, gewichen.
„Wir sollten es zumindest versuchen“, schlage ich vor und setze eine einfühlsame Miene auf. Sie nickt, doch ihre Augen sind immer noch gefühllos.
„Vielleicht“, meint sie gedankenverloren. Und es ist mehr, als ich zum jetzigen Zeitpunkt von ihr erwartet hätte.
Etwas erleichtert stoße ich die Luft zwischen den Zähnen aus.
Sehr schön, es ist ein Anfang.
„Glaubt ihr denn, dass das wirklich funktionieren kann?“ In ihrem Unterton schwingen Zweifel mit.
Ich widerstehe dem Drang mich über den Tisch zu lehnen und ihre Finger tröstlich zu drücken, deshalb lege ich all den Zuspruch in meinen Blick. „Ich bin fest davon überzeugt.“
„Und wenn ich es nicht schaffe mich in dich zu verlieben?“
„Bin ich so unausstehlich?“
Unbeabsichtigt spreche ich meine Gedanken aus.
Nur zu gerne würde ich wissen, was sie wirklich denkt.
Sie schüttelt nur schwach den Kopf. Sehr schwach, aber sie tut es.
„Wenn ich eine Frau wäre, hätte ich mich bereits auf dich gestürzt“, säuselt Felan sarkastisch, nur um sich etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen. Doch ich lasse es nicht dazu kommen und ignoriere ihn erneut. Nayara tut es mir gleich.
„Ich war nur noch nie verliebt. Ich weiß nicht ob ich das kann“, gesteht sie. Nayara knetet ihre zarten Hände und senkt beschämt den Blick zu Boden.
Meint sie das ernst?
„Es gibt immer ein erstes Mal.“ Mein Aufmunterungsversuch schlägt fehl. Und ich kann sie nur allzu gut verstehen. Es ist absurd, wenn man vom Schicksal vorgeschrieben bekommt, in wen man sich zu verlieben hat.
„Wir sollten uns erst einmal besser kennenlernen“, versuche ich es erneut.
Sie nickt. „Es bleibt uns ja nichts anderes übrig.“
Autsch.
Ich verdränge diesen Schlag gegen mein Ego wie ein richtiger Mann.
„Wie wäre es dann, wenn wir morgen auf ein Date gehen?“ Ich lasse mich von meiner spontanen Idee hinreißen und ernte dafür sofort ein spöttisches Lachen aus Felans Kehle.
„Ein Date?“, wiederholt er fragend. Ich nicke, hefte meinen Blick auf Nayara, die nervös auf ihrer Unterlippe kaut.
„Wenn du nicht willst...“, setze ich an, doch glücklicherweise unterbricht sie mich.
„Nein, es ist eine gute Idee“, sagt sie mit einem aufgesetzten Lächeln. Es macht mich traurig. Ihr Blick verrät mir, dass sie mich am liebsten zum Teufel jagen würde. All das hier ist doch einfach nur richtig großer Mist! Ich kann nicht abstreiten, dass ich sie unheimlich anziehend finde, aber einfach nur da zu sitzen und zu warten was passiert und ob etwas passiert macht mich wahnsinnig.
Ich schenke ihr ein ehrliches Grinsen. „Ich freue mich schon.“
Felan schnaubt und erhebt sich kopfschüttelnd von seinem Platz.
„Wo bin ich hier nur gelandet?“, fragt er, ohne eine Antwort abzuwarten. „Das ist ja fast wie in einer Seifenoper, nur noch schlimmer.“
Er schlüpft in den schwarzen Mantel und knöpft ihn zu.
„Melde dich, wenn es irgendwas Neues gibt.“ Er hat die Finger bereits um den Türgriff gelegt. „Oder wenn du ein paar Datingratschläge brauchst.“
Blöder Arsch.
Er zwinkert mir noch einmal neckend zu, ehe er sich an Nayara wendet. „Kommst du?“
Wir blicken ihn beide interessiert an.
„Wohin?“, höre ich sie fragen. Langsam erhebt sie sich vom Stuhl und ich muss den Drang unterdrücken nach ihrem Arm zu greifen.
„Ich soll dich zu Tarun begleiten“, erklärt uns Felan und tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
Sie nickt nur leicht, doch ich merke wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlt.
„Ich werde sie bringen“, biete ich mich dann an, doch ihre Miene verfinstert sich noch mehr. Ihr Körper versteift sich.
Oh. Oh.
„Schon gut“, meint Nayara und tritt näher zu Felan heran.
Sie hat sich allen ernstes auf seine Seite geschlagen? Das sieht absolut nicht gut für mich aus!
„Kann ich zumindest nochmal kurz mit dir reden?“
Verwirrt sieht sie mich an. „Okay.“
„Unter vier Augen.“ Ich werfe meinem Freund einen flehenden Blick zu. Er scheint ihn zu verstehen. „Ich warte draußen, war schön dich zu sehen, Kleiner.“
Kleiner?
Ich sehe der Tür dabei zu, wie sie ins Schloss fällt. Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe, suche nach den richtigen Worten.
„Ich freue mich wirklich sehr auf morgen.“ Ich trete näher an die wunderschöne Frau heran, bin ihr nun so nah, dass sie automatischen ihren Kopf hebt und mir in die Augen sieht.
„Ist das alles?“ Ihre Augen sind kalt.
Wieder dieses Zucken durch meine Brust.
„Nein.“ Ich schüttele den Kopf. „Es tut mir wirklich leid.“
Ich verleihe jedem einzelnen Wort Nachdruck und meine es auch so. „Meine animalischen Triebe haben mich gefangen genommen und es war als könnte ich meinen eigenen Körper nicht mehr kontrollieren.“
Ich sauge den Sauerstoff gierig ein. Atme ihn genauso stoßend wieder aus. „Ich wollte dich niemals verletzen.“
Ihre Finger wandern auf ihre Lippen. „Der K...Kuss?“
Scheiße, ich habe sie nackt gesehen. Mehrmals. Und jetzt ist sie so durcheinander wegen eines Kusses? Gut, es war ein phänomenaler Kuss, aber dennoch...ich bin geliefert.
Das plötzliche Stottern und Erröten ist so süß, dass ich sie am liebsten in meine Arme schließen und ihre Lippen erneut in Besitz nehmen will, aber ich habe sie bereits überfordert.
Sei geduldig, ermahne ich mich selbst in Gedanken. Versuch es wenigstens.
„Ich meinte eher als ich dich angegriffen habe“, druckse ich herum, massiere mir die Nasenwurzel.
Ich traue mich kaum sie anzublicken, doch es ist das erste Mal seit uns Felan unterbrochen hat, dass ich Emotionen in ihrem Blick aufblitzen sehen kann.
Ihre Mundwinkel zucken nach oben und sie schaut mir tief in die Augen. Ich presse die Lippen fest aufeinander, konzentriere mich auf meinen Herzschlag, um nicht in dem silbrigen See zu ertrinken.
„Ich weiß“, sagt sie dann leise. So leise, dass ich zuerst glaube, es war nur eine Illusion. Doch ihr bezauberndes Lächeln bezeugt mir, dass sie es wirklich gesagt hat. Es ist dieses Lächeln, das viel zu selten über ihre Lippen huscht, zumindest seit wir uns kennen. Eines dieser ehrlichen, magischen Lächeln.
Ich will wirklich den letzten Schritt zwischen uns überwinden. Sie an mich reißen und küssen. Ihre weichen, süßen Lippen schmecken und noch viel mehr als das. Aber ich bleibe einfach nur stehen.
Tu. es. nicht.
„Der Kuss“, beginne ich drucksend und merke wie die Röte erneut ihren Hals hinauf kriecht und ihre Wangen glühen lässt. „Ich würde ihn wirklich gerne wiederholen, wenn du bereit dazu bist“, gestehe ich.
Ich halte meinen Atem an, um ihre Antwort nicht zu verpassen. Doch sie sagt nichts. Sie steht einfach nur steif da und sieht mich ungläubig an
Ein lautes Klopfen an der Tür lässt sie herumfahren. „Ich sollte jetzt gehen.“
Das ist alles, was ich von ihr bekomme. Mehr nicht.
Das ist doch nicht sein ernst! Wie oft will er mir das hier noch vermasseln?
Ich schaffe es ein falsches Lächeln aufzulegen. „Dann bis morgen.“
Nayara öffnet die Tür und Felan steht ungeduldig dahinter. „Können wir?“
Du hast ja keine Ahnung wie gerne ich dich gerade umbringen möchte.
Sein klobiger Mantel ist von einem Hauch Schnee bedeckt. Frischer, eisiger Wind weht herein und kühlt mein Gemüt. Felan scheint nicht zu bemerken, dass er uns mal wieder unterbrochen hat und wenn doch, dann spielt er den Unwissenden.
Nayara tritt an ihm vorbei ins Freie, doch bevor ich sie gehen lasse, drücke ich ihr meinen alten Wintermantel in die Hand, er ist zwar etwas eingerissen an manchen Stellen, aber er erfüllt noch seinen Zweck.
Ich kann sie unmöglich noch einmal ohne Jacke durch den verschneiten Wald laufen lassen.
Schon bald verschlingt der Nebel und das glitzernde Weiß die beiden Gestalten vollkommen und nach ein paar Metern kann ich sie nicht mehr ausmachen.
Morgen also.
Ich schlurfe zurück in mein Bett, mache mir aber nicht die Mühe meine Klamotten wieder auszuziehen. Die Matratze ächzt leicht unter meinem Gewicht.
Seufzend schiebe ich die Hände unter meinen Kopf und starre an die Decke.
Ein Date. Wo soll ich sie denn hinbringen? Und vor allem, wie kann ich sie nur beeindrucken? Ich muss mir etwas wirklich besonderes einfallen lassen.
Ich hänge meinen Gedanken weiter nach und so erbärmlich es auch ist, ich kann einfach keinen Entschluss treffen.
Ich habe schon mit vielen Frauen geschlafen, weil ich dachte, eine von ihnen könnte mein Schicksal umschreiben. Letztendlich war es dann doch nur manchmal mehr und manchmal weniger guter Sex. Nichts weltbewegendes, aber es hat sich gut angefühlt.
Doch ein Date? Das ist neu für mich. Dabei hängt so viel davon ab.
Stöhnend erhebe ich mich wieder vom Bett und laufe in die Küche, an deren Wand das Telefon hängt.
Ich hebe ab und presse den Hörer an mein Ohr, überlege mir während des Wählens genau meine Worte. Es rauscht erst und tutet dann knisternd.
Die helle, angenehme Stimme einer Frau ertönt in der Hörmuschel. „Hallo?“
„Leana, du musst mich retten.“