Talib
Die Bäume um uns herum beugen sich unruhig im Wind, ihre Nadeln sind überzogen von glitzerndem Weiß. Je näher wir meiner ehemaligen Heimat kommen, desto schlechter wird mir.
Als hätte ich ein schlechtes Steak verputzt.
Traun, der die ganze Zeit vor mir durch die dichten Schneemassen gerannt ist, wird langsamer. Unsicher wirft er einen Blick zu mir zurück, seine schwarzen Augen mit der golden umrandeten Iris spiegeln auch meine eigene Beklommenheit nieder.
Sollten wir nicht glücklich sein, nach all der Zeit wieder nach Hause zurückzukehren?
„Worauf wartest du?“, frage ich meinen Bruder, versuche meine Zweifel im Keim zu ersticken. Auch Nayara ermutigt uns, als könnte sie in unsere Herzen sehen. Jede noch so kleine Gefühlsregung scheint ihr nicht verborgen zu bleiben.
„Ich bin mir sicher, dass er sich freuen wird, euch wiederzusehen.“
Sie braucht seinen Namen nicht sagen, es ist klar wen sie meint.
„Da bin ich mir nicht so sicher“, erwidert Tarun, seinen hellgrauen Schweif hat er eingezogen.
Noch ehe ich die richtigen Worte finde, um meinen kleinen Bruder zu trösten, ruft die weiße Wölfin: „Wer als letztes ankommt muss xx.“
Dann stürmt sie los, geht fast unter in dem pulvrigen, ewigen Weiß.
Na warte, dir zeig ich's!
Tarun und ich rennen fast gleichzeitig los, keiner von uns will verlieren.
Ich haste so schnell durch den Schnee, dass mein Herz in einem wilden Rhythmus schlägt. Tarun ist direkt hinter mir, es fehlt nicht mehr viel, dann hat er mich eingeholt.
„Na, ich glaube du bist nicht mehr so in Form wie früher“, bemerkt er spöttisch, als er an mir vorbeizieht.
Na das lass ich sicher nicht auf mir sitzen.
Wir liefern uns ein Kopf an Kopf Rennen, während Nayara immer noch führt, doch uns trennen nur noch wenige Meter. Das Adrenalin in meinem Blut berauscht mich, treibt mich an schneller zu werden. Ich überhole erst Tarun und dann folgt Nayara, die allerdings abrupt stehen bleibt. So abrupt, dass ich nicht mehr bremsen oder ausweichen kann, ich laufe geradewegs in sie hinein, bringe uns beide zu Fall. Wir kullern ein paar Meter weiter durch den Schnee, ehe wir zum Liegen kommen. Nayara ist unter mir, ihre Vorderpfote liegt quer über meinem Maul.
Entschuldigend schaue ich zu ihr herunter, ihre silbrigen Augen funkeln zu mir auf.
„Schon mal was von bremsen gehört?“
„Ich kann mich einfach nicht beherrschen, wenn ich dich ansehe“, erwidere ich und rapple mich auf, damit auch sie wieder aufstehen kann. Nayara knurrt mich böse an, doch in ihren großen Augen, erkenne ich, dass auch sie ihren Spaß daran hat.
„Danke“, flüstere ich ihr zu, ehe Traun uns erreicht.
Danke, dass du uns motivierst und unterstützt, wenn wir es alleine nicht schaffen. Danke, dass du an meiner Seite bist und meine Sorgen und Ängste teilst.
Nayara sieht mir tief in die Augen und sie scheint meine Gedanken zu erkennen, in einer sanftten Bewegung reibt sie ihre Nase gegen meine Schnauze und leckt darüber.
Alles gut bei euch?“, fragt Tarun, der neben uns zum Stehen kommt und dafür sorgt, dass Nayara wieder etwas Abstand hält.
„Bestens“, erwidere ich.
„Dein Bruder hat noch nicht gelernt, wie man stehen bleibt“, erwidert Nayara gleichzeitg und ich werfe ihr einen empörten Blick zu.
Tarun lacht auf.
„Wieso hast du überhaupt angehalten?“, will er wissen und wir schauen uns beide suchend um.
Nayaras Anwesenheit lässt mich wirklich alles andere vergessen.
Wir befinden uns ganz in der Nähe unserer Rudels, ich kann sie riechen. Die Bäume um uns herum verdichten sich, bilden einen Kreis, in dessen Mitte ein riesiger, umgefallener Baumstamm liegt, der weitaus größer ist, als eine einfache Tanne. Die Größe der Öffnung ähnelt eher einem Heuballen. . Ich atme tief ein, laufe dann mit vor Stolz geschwellter Brust voraus.
Zumindest kann ich mir so einreden, dass ich keine Angst davor habe, was uns erwartet.
Tarun und Nayara folgen mir mit etwas Abstand, durch den hohlen Baumstamm, hinter dessen anderen Ende sich ein Erdloch ausbreitet, das in verschiedene Flure abzweigt. Viele davon sind Sackgassen oder voller Fallen, um Eindringlinge abzuwehren, doch selbst nach so langer Zeit finde ich den Weg blind.
Ich mache mich klein, krieche durch einen der dünneren Gänge, höre die Pfoten der anderen auf dem Erdgrund, wie sie es mir nachtun.
Nur noch einmal durch den Tunnel vorne links und dann sind wird da.
Ich drücke mich durch, schüttele das schwarze Fell aus, als ich die große Höhle erreiche. Sie ist weit und geräumig. Von ihr gehen noch weitere Gänge ab, die zu den einzelnen Schlafmöglichkeiten der Wölfe und ihrer Familien führen. Tarun und Nayara schlüpfen ebenfalls aus dem Loch und schütteln sich, schauen sich dann um.
Tarun deutet mit der Schnauze zu dem emporragenden Felsen, der sich an der gegenüberliegenden Wand befindet.
Allein der Rudelanführer ist bemächtigt ihn zu betreten. Es wäre eine Beleidigung und eine Kampfansage, würde es ein anderer wagen.
„Da vorne ist er“, wispert Tarun und ich meine ein Zittern aus seiner Stimme zu hören. Auch mir ist der xx Wolf nicht entgangen, der seelenruhig auf dem Felsen schläft, als hätte er nicht bereits unsere Ankunft gerochen.
Nayara schubst mich mit ihrer Nase von hinten an. „Ich warte hier, wenn ihr mich braucht, aber ihr solltet erst einmal alleine reden.“
Ich nicke, lächle ihr dankbar zu. Auch Tarun bedankt sich und wir gehen geradewegs auf unseren Vater zu.
Spätestens als wir direkt vor dem Felsen stehen und auch die anderen Rudel Mitglieder in ein wildes Stimmengewirr ausbrechen, tut er weiterhin so, als würde er schlafen.
Wir haben noch kein Wort mit ihm gewechselt und doch kotzt er mich bereits tierisch an.
„Wir sind Zuhause Vater“, rufe ich zu ihm hinauf, meine Stimme trieft vor Spott.
Tarun knurrt mich an. „Provoziere ihn doch nicht gleich.“
„Wir sind endlich wieder zurück“, meint er dann, an den xx Wolf gerichtet. Und dann öffnet er die Augen und erhebt sich gähnend. Sein abschätziger Blick sieht zwischen Tarun und mir hin und her, ehe er auf mir hängen bleibt.
„Willkommen zurück, mein Sohn.“
Ich stoße ein tiefes Grollen aus, das Tarun zusammenzucken lässt.
Oder aber es waren die Worte des Wolfes, den ich vor langer Zeit einmal so verehrte.
„Lass uns gehen“, flüstert Tarun, jegliche Freude ist aus seinen Augen gewichen.
Nein!
Ohne ihn zu beachten, beuge ich meine Hinterläufe, setze zum Sprung an. Zwei, drei weitere schnelle Sprünge an der Mauer entlang, ehe ich direkt vor meinem Erzeuger lande.
Genau auf seinem Felsen.
Ich fletsche die Zähne, knurre ihn bedrohlich an.
„Du wirst mir jetzt Mal zuhören, du alter Knochen. Tarun ist genauso dein Sohn, wie ich es bin, ob es dir passt oder nicht!“
Der xx Wolf erwidert das Knurren, verengt die xx Augen zu Schlitzen. Die Wölfe unter uns brechen in ein aufgeregtes und gleichzeitig finsteres Geheul aus, entsetzt darüber, wie ich den heiligen Felsen einfach so betreten konnte.
Und noch ehe sich mein Gegenüber zu einer Antwort begnügt, spüre ich Nayaras Anwesenheit, sowie auch Tarun, die sich hinter mir aufbauen.
„Vielleicht solltet ihr einfach wieder dahin gehen, wo ihr hergekommen seid.“
Das ist doch nicht sein ernst!
„Es hat keinen Sinn, lass uns gehen Talib“, fleht Tarun.
Doch in meinem Körper brodelt es bereits, in meinen Adern scheint Lava zu fließen und ich kann mich einfach nicht länger beherrschen.
„Wir werden nirgendwo hingehen, ehe du uns als das akzeptierst, was wir sind. Deine Söhne!“, brülle ich und verwandle mich in einen Menschen.
Sofort wird die Unruhe im Rudel noch lauter, chaotischer. Mein Vater knurrt so bedrohlich, dass es mir Angst einjagen sollte, doch die Wut in mir ist so groß, dass ich es vollkommen ignoriere.
„Du magst uns für Monster halten, aber das eigentliche Monster bist du. Welcher Vater lässt seine Söhne einfach im Stich, wenn sie ihn am meisten brauchen?“
„Einer, der sein Rudel vor ein paar....Menschen beschützen muss.“ Er spuckt das Wort aus als wäre es gifitg. Menschen.
Und ehe ich weiß wie mir geschieht, pocht ein stechender Schmerz hinter meinen Augen, als ich sie öffne, sehe ich Nayara, die sich ebenfalls verwandelt hat. Ihre eiskalten Hände legen sich auf meine Wangen und sie sieht mich aus ihren tobenden, Schneegewitteraugen an.
Ein ohrenbetäubender Lärm entsteht, als ein Blitz in den Boden fährt. Obwohl wir unter der Erde sind, fallen eisige Flocken von der Decke und weitere Blitze rauschen hinab.
Die Wölfe heulen, rennen durcheinander. Sie lassen mich nur noch wütender werden.
„Nicht“, flüstert Nayara an mein Ohr, allein ihre Nähe vermag es, mich etwas ruhiger werden zu lassen. Aber nicht genug, um Blitz und Donner innehalten zu lassen.
„Wir sind Wölfe“, schreie ich nun den xx Wolf vor mir an, der verunsichert seinen Blick über all den Trubel schweifen lässt. „Und zum Teil auch Menschen. Das ist kein Fluch, wie du es behauptest, sondern ein Segen!“
Doch es scheint ihn nicht zu interessieren.
„Verschwindet!“, stößt er aus, macht einen Satz auf uns zu. Ein Blitz schlägt genau vor uns ein, hindert ihn daran, sich auf Nayara und mich zu stürzen.
Der Zorn in meinem Inneren ist nun so stark, dass ich mich vollkommen vergesse. Das Schneegewitter tobt unkontrolliert, vernebelt all meine Sinne. Alles was ich noch wahrnehme ist Nayara, die so beruhigend an mich geschmiegt ist. Und Tarun, der nach vorne springt und unseren Vater wegstößt, als ein weiterer Blitz nach ihm greift. Nur ganz knapp, schafft es Tarun selbst auszuweichen.
„Beruhige dich“, höre ich Nayaras sanfte Stimme, „er ist es nicht wert.“
Ich schließe die Augen, versuche ruhiger zu atmen. Zu vergessen, was für ein Arschloch mein Vater geworden ist. Nayara murmelt mir besänftigende Worte zu, streicht mit ihrer Hand über meine Wangen.
Und als ich die Lider wieder aufschlage, ist der Sturm verschwunden.
„Gehen wir“, sage ich zu den anderen, ohne auch nur einen einzigen, weiteren Blick an den Wolf zu verschwenden, der sich nichts aus uns macht.
Ich drehe mich um, nehme meine Wolfsform wieder an und folge Tarun, der bereits den Heimweg antritt, als ich ein Knurren höre. Ein so bedrohliches Knurren, das mein Herz ins Stocken geraten lässt.
Nayara.
Sie steht in ihrer Wolfsform zwischen mir und meinem Vater, der einen Satz auf mich zu macht. Doch Nayara ist schneller, sie springt hoch, fängt ihn mit den Vorderpfoten ab, vertieft ihre Zähne in sein Fell. Er jault auf, wehrt sich aber ohne zu zögern.
Ich sehe nur noch wie Nayara unter ihm liegt und winselt. Sein Maul an ihrer Kehle. Ich stürme los, will mich auf ihn stürzen, doch etwas hindert mich daran. Um mich herum hat sich eine nahezu unsichtbare Barriere gebildet, die mich nicht vorwärts gehen lässt. Auch der xx Wolf, scheint davon blockiert zu werden. Erleichtert stelle ich fest, dass Nayara von Taruns schützender Barrikade umhüllt ist, die die scharfen Reißzähne des xx's nicht durchdringen können.
Und so plötzlich, wie die Barrikade entstanden ist, so verschwindet sie auch wieder, sendet eine kleine Welle aus, die den alten Wolf und auch mich, etwas zurückstößt.
Ich wusste nicht, dass Tarun auch Barrieren um andere schließen kann, sonst konnte er das immer nur um sich selbst und all jene, die direkt neben ihm stehen.
Ich eile an Nayaras Seite, die sich bereits wieder aufgerichtet hat.
„Es geht mir gut“, sagt sie, ehe ich fragen kann. Sie stupst ihre Nase gegen meine.
„Ein Glück“, erwidere ich knapp. Denn meine Kehle ist immer noch wie zugeschnürt vor Schock.
„Lasst uns gehen, wir sind hier nicht willkommen“, raune ich und fühle einen dumpfen Schmerz in meiner Brust. Dieses Mal lasse ich Nayara voran gehen, werfe einen düsteren Blick zu dem xx Wolf, der zwar Abstand zu uns hält, aber ich Zweifle keine Sekunde daran, dass er jederzeit erneut auf uns losgehen würde.
Nayara wirft einen finsteren Blick über ihre Schulter, wendet sich voller Abscheu an meinen Erzeuger.
„Sie sollten stolz auf ihre Söhne sein, die es geschafft haben, voller Mut einer Welt entgegen zu treten, die ihnen nichts geschenkt hat außer Missgunst. Und die größte Missgunst ist es, eine Vater wie sie zu haben.“
Anstatt zu antworten, sieht er nur zu Boden. Diese Reaktion passt überhaupt nicht zu ihm, aber es soll mir nur recht sein.
Tarun bildet eine neue Barriere um uns, führt uns so sicher durch die Masse, die unten am Felsen auf uns wartet. Doch sie sehen uns alle nur gespannt an, scheinen auf der Hut zu sein. Wir gehen unbeirrt auf den Tunnel zu, der uns zurück in unser richtiges Zuhause führt.
Als wir uns hindurch zwängen und aus dem Baumstamm heraus ins Tageslicht treten, kneife ich die Augen etwas zu.
„Es tut mir leid“, höre ich Nayara an uns gewandt sagen. Und obwohl ich vermutet hatte, dass das passieren würde, hatte ich doch etwas anderes erhofft.
Allein die Fürsorge in ihren großen Augen gibt mir halt. Ich reibe meinen Kopf an ihrem.
Tarun, der für einen Moment still geworden war, sieht mich nun eindringlich an. Das heitere, glücklich Glänzen ist zurück in seinen Augen.
„Mir nicht“, meint er dann. „Ich wusste schon immer, dass unser Vater mich nicht liebt. Aber dafür habe ich einen Bruder, der bedingungslos für mich einsteht und immer für mich da ist.“
Aber natürlich.
Gerade als ich ihm das sagen will, kommt Tarun auf mich zu und reibt seinen Kopf ebenfalls an meinem.
„Danke, großer Bruder.“