Felan
Ich versuche meine Gefühle in Zaum zu halten, zwinge mich zu einer ausdruckslosen Miene. Natürlich wusste ich, dass wir dafür kämpfen, die Menschheit zu unterdrücken. Die schwachen, nutzlosen Menschen, die all dieses Unheil über uns gebracht haben. Wie könnte ich mich da nicht Aidens Plänen anschließen?
Aber unsere Freunde hintergehen? Die Welt neu erschaffen? Wovon redet er da? Das war nicht geplant!
„Ich würde gerne derjenige sein, der Talib erledigt.“ Die Worte dringen nur widerwillig über meine Lippen, doch ich bemühe mich kalt und entschlossen zu wirken.
Talib ist wie ein Bruder für mich. Er mag jung und manchmal dumm sein, doch ich mache ihm keine Vorwürfe, dass wir seinetwegen zu Menschen wurden. Er wollte Tarun retten. So wie wir alle. Zumindest habe ich das bis eben noch geglaubt.
Aiden tritt auf mich zu, klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. Es kostet mich all meine Kraft, ihn nicht zurückzustoßen und eine zu verpassen. Er hat uns verraten. Uns alle!
„Ich wusste doch, dass du zu mir halten würdest, obwohl ich anfangs ein paar Bedenken hatte.“
Er lässt wieder von mir ab, ich zwinge mich zu einem Lächeln. „Natürlich.“
Aidens Augen funkeln auf, dann nickt er. „Gut, du sollst ihn bekommen. Eigentlich ist mir egal, wer ihn tötet. Hauptsache er ist endlich weg.“
Seine Worte fressen sich wie scharfe Reißzähne in mein Herz, doch ich bewahre einen kühlen Kopf, lasse sie nicht zu. Auch Aiden war wie ein Bruder für mich, doch mir war bewusst, dass er kein Unschuldslamm ist. Aber für so durchtrieben habe selbst ich ihn nicht gehalten. Das kann und werde ich ihm nicht verzeihen!
„Danke“, erwidere ich. „Darauf habe ich so lange gewartet“, raune ich, hoffentlich überzeugend.
Ich strecke die Hand nach Fremont aus, mit der Handfläche nach oben. Fremont zieht eine Augenbraue nach oben, legt mir dann aber den Schlüssel in die Hand. Ein entrüstetes Schnauben entfährt ihm. „Immer bekommen die Anderen den ganzen Spaß.“
Dreckiger Bastard!
Aiden klopft ihm brüderlich gegen die Brust, was Fremont nicht sonderlich zu gefallen scheint. „Nimms nicht so schwer, den nächsten bekommst dann du.“
Den nächsten? Wie viele willst du noch für deine niederträchtigen Pläne opfern? Ich brauche keine Unsterblichkeit. Alles was ich wollte, ist ein Umkehrzauber, um wieder ein vollwertiger Wolf zu werden. Und Rache an den Menschen. Aber nicht zu jedem Preis. Nicht zu diesem Preis.
Mit einem Klicken öffnen sich die eisernen Ketten um Talibs Hände, kraftlos sackt er in sich zusammen, fällt mir über die Schulter, als ich mich daran mache, die Fesseln auch um seine Füße zu lösen. Er liegt über mir, bewegt sich nicht. Er ist ein gebrochener Mann und wer kann es ihm verübeln?
Es tut mir leid, mein Freund. Aber ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert!
Ich erhebe mich aus meiner hockenden Position und lege meine Arme um Talibs Beine und Rücken. Er scheint mir leicht wie eine Feder zu sein, obwohl er mir an Muskelmasse in nichts nachsteht. Der unbändige Zorn in meinem Inneren scheint alles andere zu verschlingen.
„Wo willst du hin?“, mischt sich Aiden nun ein, lässt mich die Zelle nicht verlassen.
„In Ruhe mit ihm spielen“, knurre ich ihn an. Unsere Blicke treffen sich. Er mustert mich skeptisch.
„Ist es nicht lustiger, wenn seine Zaubermaus dabei zusieht?“ So viel Ablehnung trotzt aus seinen Worten. Ich blicke nur kurz zu Nayara herüber, die mir einen verachtenden Blick zuwirft. Ich wende mich wieder von ihr ab und versuche gelassen zu wirken. „Solltet ihr euch nicht um Wichtigeres kümmern?“
Aiden sieht zu Nayara herüber, schaut dann zu Candra, die unschlüssig von einem Fuß auf den anderen tritt. Es ist Fremont, der mich unwissendlich bei meinem Vorhaben unterstützt. „Vergiss ihn, wir sollten uns tatsächlich auf unser eigentliches Ziel konzentrieren. Ich kann und will nicht länger warten.“
Aiden nickt, lässt mich dann gewähren. „Lass dir Zeit, quäle ihn bis zum Schluss, vielleicht kann ich ihn ja schreien hören.“
„Es wird mir eine Freude sein“, erwidere ich mit fester Stimme, hasse mich selbst für meine Worte. Noch immer, hängt Talib über mir, wie ein Sack Kartoffeln.
Halte durch, ich werde alles tun, was in meiner macht steht, um dir zu helfen!
Leider habe ich nicht genügend Zeit, um mir einen ausgereiften Plan zu überlegen. Erst als ich die Kellertreppe erreicht habe und mich davon überzeugen kann, dass niemand in unmittelbarer Nähe ist, flüstere ich Talib zu. „Ich weiß, es fällt dir im Moment schwer, mir zu vertrauen. Aber ich werde dafür sorgen, dass du hier rauskommst. Und dann befreie ich Nayara.“
Talib scheint sich über meiner Schulter zu regen. Irgendetwas veranlasst ihn dazu, mir zu glauben. „Wie willst du das anstellen?“ Er lässt sich von mir abfallen, ich halte ihn nicht auf. Sein Blick wirkt immer noch skeptisch, seine Worte zweifeln an mir. „Und wieso sollte ich dir vertrauen?“
Ich unterdrücke auch jetzt den Stich in meiner Brust. „Ich wusste nicht, was sie wirklich geplant haben. Aiden sagte, er habe einen Plan, um uns zurück zu verwandeln und sich an der Menschheit zu rächen. Zumindest an all denen, die uns die ganze Zeit wie Abschaum behandelt haben. Die, die glauben, sie ständen über allen Dingen und andere Lebewesen seien nur dreckiges Vieh. Ich war so geblendet von meinem Zorn, da habe ich nicht weiter nachgefragt.“ Ich hebe abwehrend die Hände, um meine Worte zu untermalen. „Ich bin gewiss kein Heiliger, aber ich würde meine Familie niemals verraten.“
Talib sieht mir direkt in die Augen, er scheint die Wahrheit in meinem Blick zu erkennen. Vielleicht ist es auch die Hoffnung, die mir zumindest in dem Moment vertrauen will.
„Ich helfe dir“, raunt er knapp, lässt keine Widerworte zu. Er scheint plötzlich wieder voller Leben zu sein.
„Hast du einen Plan?“
Ich schüttele leicht den Kopf, zwinge mich aber zu einem Lächeln. „Dir erst mal etwas zum Anziehen besorgen?“
Er zieht die Augenbrauen zusammen, erwidert aber mein Grinsen. „Ich dachte, du findest mich unwiderstehlich.“
Ich muss ein Lachen unterdrücken, bin unglaublich dankbar für diesen kurzen Moment der Unbeschwertheit.
Als Stimmen von oben an uns heran dringen, bedeute ich Talib sich schnell in einem der großen, leeren Weinfässer um der Ecke zu verstecken. Zwei Soldaten kommen mir die Kellertreppe entgegen, sie unterhalten sich über irgendwelche banalen Dinge, denen ich nicht weiter Beachtung schenke.
„Gut, dass ihr da seid.“
Sie sehen erst sich selbst und dann mich verwirrt an. „Ich habe einen Eindringling gefunden und brauche eure Hilfe“, flüstere ich verschwörerisch und deute in Richtung der Weinfässer. Sie nicken, schleichen sich dann leise um die Ecke. Ihre Hände legen sich um den Griff ihrer Pistolen.
Noch ehe einer von beiden sie Ziehen kann, um größeres Unheil anzurichten, schlage ich ihnen mit einem kräftigen, gezielten Schlag in den Nacken, der sie zusammensacken lässt. Talib springt nach vorn, um einen der Männer festzuhalten, damit er nicht auf den Boden schlägt und das Geräusch, die Aufmerksamkeit der Anderen auf uns lenkt. Mit seiner Hilfe verfrachten wir die zwei Soldaten in das Weinfass und hoffen, dass sie niemand entdeckt. Zumindest nicht allzu bald.
Selbst als Talib einem die Klamotten vom Leib reißt, um sie sich selbst überzustreifen, gibt keiner von ihnen ein laut von sich. Sie sind vollkommen weggetreten.
„Da hast du ja ganze Arbeit geleistet“, raunt mein alter Freund anerkennend, doch ich nehme sein Lob nur schulterzuckend an. „Keine große Sache, der schwierige Teil steht uns noch bevor.“