Nayara
Der Wind wirbelt um uns herum, lässt die glitzernden, eiskalten Flocken in mein Maul rieseln. Meine Pfoten tauchen ein in den meterhohen Schnee, doch die Kälte scheint mich nicht zu erreichen. Mein Herz überschlagt sich vor Freunde und Ausgelassenheit.
So lange habe ich darauf gewartet wieder eine vollwertige Wölfin zu sein und ich möchte es nie wieder vermissen.
Auch wenn die ganzen Ereignisse und neuen Informationen von heute ein bisschen zu viel sind, schiebe ich sie für's erste in Vergessenheit. Jetzt will ich einfach nur wieder ich sein, eine Wölfin, die durch die prachtvollen, winterlichen Berge tollt – zusammen mit ihrem Partner.
Leider haben sich die anderen bereits verabschiedet, Felan als erster, da er noch etwas erledigen wollte – und sicherlich wollte er erst einmal für sich sein.
Auch Leana, Dante und Tarun haben sich verabschiedet um ihren eigenen Plänen für heute zu folgen.
Also sind es nur Talib und ich, die durch den Wald entlang der schnbeebedeckten Berggippfel jagen.
Talibs unterschiedlich farbene Augen leuchten ebenfalls vor Glück, auch er tobt durch das frostige Pulver, fängt Schneeflocken mit seinem Maul ein als sei es sein erstes Mal.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich war.
Ich stoße ein heißeres, vor Glück und Kraft strotzendes Heulen hinauf zur Sonne, die wie ein goldener Ball über uns am Himmel thront.
Es hat uns beinahe zwei Stunden gekostet, den Berg hinauf zu wandern mit unseren menschlichen Beinen, aber als Wölfe sind wir so flink, dass wir es in weniger als einer halben Stunde zurück zur Hütte schaffen.
„Lass uns erst einmal etwas aufwärmen“, meint Talib und er verwandelt sich in einen Menschen, um die Tür vor uns aufzusperren.
Doch ich will nicht. Ich will das hier noch etwas länger genießen, dieses Gefühl weiter auskosten.
Also verwandle ich mich zurück in einen Menschen, gerade lange genug um einen Schneeball zu formen und ihn mit voller Wucht gegen Talibs Hinterkopf zu werfen und dann kehre ich zurück in meine ursprüngliche Form.
Es klappt tatsächlich, ich habe mich gewandelt, allein durch den reinen Gedanken daran, in welchem Körper ich stecken möchte.
Talib dreht sich überrascht zu mir um, der Schlüssel steckt noch immer im Schlüsselloch, als ich ihn spielerisch anknurre.
Ich kann gar nicht schnell genug reagieren, da macht er einen Satz auf mich zu, verwandelt sich noch im Sprung zurück in diesen unheimlich attraktiven Wolf, der kichernd auf mir landet und meine Nase in den Schnee drückt.
Ich versuche ihn von mir zu stoßen, doch er ist stark. Mit siegessicherer Miene beugt er sich herunter und knabbert an meinem Ohr.
Glaub ja nicht, du hast gewonnen.
Ich springe hoch, reiße ihn mit nach oben und rolle mich dann sofort auf ihn, beiße ihm ganz zärtlich in die Schnauze.
Er wehrt sich nicht dagegen, ganz im Gegenteil, er scheint es sogar zu genießen.
„Mhm“, dringt es tief aus seiner Kehle, „hör nicht auf damit.“
So ein Idiot.
Ich lache, verwandle mich dann doch zurück in einen Menschen, denn ich weiß, dass wir ein paar wichtige Dinge zu besprechen haben und ich bin mir nicht sicher, ob ich ernst genug bleiben kann, wenn ich als Wölfin herumstreune.
Als ich in meiner menschlichen Hülle auf dem schwarzen Wolf liege, wird mir das erste Mal richtig bewusst, dass ich Kleidung trage.
Natürlich ist es mir zuvor auch aufgefallen, aber erst jetzt stellt sich mir die Frage, wieso ich damals vollkommen nackt in einem fremden Körper steckte, wenn ich nun bei meiner Wandlung nicht darauf verzichten muss?
Talib, der sich ebenfalls zurück in einen Mann verwandelt hat, bleibt unter mir im Schnee liegen und schlingt die Arme um meine Hüfte, drückt mich enger an sich. Ich lege meinen Kopf auf seinen Brustkorb und lausche seinem Herzschlag, der von unserem Herumtollen etwas zu schnell ist.
„Woran denkst du gerade, meine Hübsche?“
„Daran, dass ich nicht mehr nackt bin“, antworte ich, mit den Gedanken ganz woanders.
Er lacht und dabei vibriert sein Oberkörper. „Ja, das ist wirklich schade.“
Ich merke, wie Hitze in mir auf steigt und über meine Wangen fährt.
„So meine ich das nicht!“
„Schade ist es trotzdem, aber wir können gerne reingehen und das ändern“, erwidert er und seine Stimme klingt auf einmal etwas rauer als zuvor.
Ich schlucke schwer, richte mich auf, um gar nicht erst seinem Bann zu erliegen. Auch er stemmt seinen Oberkörper hoch, verändert unsere Position so, dass ich auf seinem Schoss sitze und wir uns direkt in die Augen sehen können.
„Was meintest du dann?“, hakt er nach. Sein Blick ist so intensiv, dass ich mich in dem funkelnden Graublau verliere.
Ich lecke mir über die Lippen, die sich auf einmal unheimlich trocken anfühlen.
„Als ich zur Strafe das erste Mal in einen Menschen verwandelt wurde, da war ich vollkommen nackt, doch wenn ich mich nun in einen Menschen wandle, trage ich Kleidung.“
Talib, dessen Gedanken immer noch in sexuellen Gefilden zu hängen scheinen, blinzelt mich einfach nur an, ehe er sich wieder fängt.
„Vielleicht weil du damals Nichts hattest, man hat dir alles genommen...“, setzt er nachdenklich an.
„Und jetzt habe ich alles?“, beende ich seinen Satz.
„Jetzt hast du mich“, flüstert er in mein Ohr, ich spüre seinen Atem auf meiner Haut kribbeln.
„Und ich helfe dir sehr gerne dabei, dich zu entkleiden“, setzt er nach und zerstört den romantischen Hauch, der gerade um uns lag.
Doch ehe ich etwas erwidern kann, presst er seine Lippen auf meine, automatisch öffne ich sie etwas, fühle wie sich seine Zunge in meinen Mund schiebt. Er umspielt meine, heiß und leidenschaftlich, knabbert zwischendurch an meiner Unterlippe und entlockt mit dadurch ein sehnsüchtiges Stöhnen.
Ich spüre auch die Beule, die sich in seiner Hose breit macht und die Hitze, die seine Haut selbst durch die Winterjacke durchstrahlen lässt.
Er küsst mich immer leidenschaftlicher, scheint mich völlig ins ich aufsaugen zu wollen und ich erwidere es.
Ich will ihn schmecken, ihm noch näher sein und mich nie wieder aus seinen Armen lösen.
Und obwohl ich es so sehr will, beende ich dennoch den Kuss und richte mich umständlich wieder auf die Beine.
„Wir müssen wirklich was besprechen“, sage ich, wünschte meine Stimme würde ernster klingen, als ich mich derzeit fühle.
Talib sieht mich zuerst enttäuscht an, seufzt dann und richtet sich ebenfalls auf.
„Du hast recht“, sagt er, als er an mir vorbei zur Tür geht und sich den Schnee von den Kleidern klopft. „Aber das andere Thema“, er deutet auf seine Hose, „ist noch nicht vorbei.“
Dann zwinkert er mir zu, öffnet die Haustür und lässt mich eintreten.
„Du bist unverbesserlich“, sage ich lachend, als ich mich ebenfalls von dem eisigen Weiß befreie und an ihm vorbei ins Innere der Hütte trete.
Während ich dabei bin, die Jacke auszuziehen, hält er mich von hinten fest, schlingt seinen Arm um meine Taille und flüstert mir ins Ohr. „Ich weiß, aber du hast ja jetzt unser ganzes Leben lang Zeit, mir das abzugewöhnen.“
Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Ohrläppchen aus, breitet sich auch in meinem Nacken aus.
„Oder“, haucht er dann und leckt mir zärtlich über die Ohrmuschel, „ich kriege dich dazu, mich genauso sehr zu wollen, zu jeder Zeit des Tages.“
Seine Hand streift über den Bund meiner Hose, als er seinen Arm wegzieht und mich wieder frei gibt. Und obwohl er mich nicht mehr berührt, scheint meine Haut an den Stellen zu glühen, die er eben noch in Besitz genommen hat und in meiner unteren Mitte, beginnt es zu brodeln.
„Du wolltest reden?“, fragt er und ich sehe, wie er mich mit einem zufriedenen Lächeln beobachtet, wie ich reglos dastehe und den Kleiderhaken anstarre, an den ich schnell meinen Mantel aufhänge.
Ich räuspere mich, verdränge sämtliche Gedanken an unsere körperliche Zuneigung und deute mit dem Kinn zur Sitzgruppe hin.
„Wollen wir uns an den Esstisch setzen oder...?“
Doch er ist bereits an mir vorbeigelaufen und lässt sich auf das Sofa plumpsen.
„Oder auf das Sofa“, murmle ich dann zu mir selbst.
Ich lasse mich neben ihm nieder, halte aber etwas Abstand, um nicht wieder in Versuchung zu geraten.
„Ich weiß, das heute war alles ziemlich verwirrend“, beginne ich und Talib nickt nur leicht, „aber ich wüsste gerne, was wir nun machen wollen.“
Unsicher sieht er mich an, weshalb ich direkt hinterher setze, „Wir haben uns bereits füreinander entschieden, das ist unumstößlich, die Frage ist nur, wo wollen wir uns niederlassen?“
„Willst du zurück, zu deiner Familie?“, fragt er und überrascht mich vollkommen damit. Mein Herz gerät ins Stolpern.
Eigentlich wollte ich dich dasselbe fragen.
„Nein“, gestehe ich dann. „Ich meine, natürlich will ich sie sehen, aber...“
Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll.
„Aber du hast Angst?“, meint Talib, als hätte er meine tief versteckten Gefühle gespürt.
Ich nicke. „Was ist, wenn sie mich noch immer nicht erkennen? Oder mich erkennen, mich aber gar nicht mehr sehen wollen?“
Talibs Hand wandert auf mein Knie, er drückt es zärtlich, ehe er mir tief in die Augen schaut.
„Sie werden dich erkennen, Nayara. Du bist eine Wölfin, ein Teil ihres Rudels, ihre Tochter. Ich kann verstehen, dass es dir Angst einjagt, so geht es mir auch, ich fürchte mich vor ihrer Reaktion. Vor der Reaktion meines Vaters. Aber tief in meinem Herzen weiß ich, dass er uns auch vermisst.“
Er hat recht. Der Zauber ist aufgehoben und ich habe für meine Taten eingebüßt, wieso sollten sie mich noch immer verstoßen wollen?
Nun überwinde ich doch die Lücke zwischen uns und lehne mich gegen Talib, der mir ein Lächeln schenkt.
„Lass uns unsere Familien besuchen gehen“, beschließe ich, „aber erst, wenn wir bereit dazu sind.“
„Ja“, stimmt er mir zu. „Wir müssen ja nichts überstürzen. Wir sollten uns erst einmal an all das gewöhnen.“
Dann sieht er mich mit einem scheuen Blick an, der so gar nicht zu ihm passen mag.
„Wie wäre es, wenn wir einfach hier bleiben? In meiner Hütte, nur du und ich. So sind wir nah genug an den Menschen und nah genug bei den Wölfen. Ich will mich wirklich für beide Welten einsetzen und hier könnten wir das tun. Wir können unsere Fähigkeiten ausbessern und auch unsere Zweisamkeit genießen“, schlägt er vor. „Oder gefällt es dir hier nicht?“, fragt er dann unsicher nach.
„Doch“, befinde ich. „Das ist eine wunderbare Idee, ich finde es toll hier.“
Ich schaue mich in der Stube um, sie ist voller Erinnerungen, voller Neuanfänge und voller Liebe. Sie ist zu meinem Zuhause geworden.
Ich lehne meine Stirn gegen seine.
„Ich will auch das Geschenk nutzen, das uns gemacht wurde und mich sowohl um uns Wölfe, als auch um die Menschen kümmern. Wir sollten damit anfangen, das Rabenblut und Federkiel auszuräumen und danach weitere Orte wie diese aufspüren, um schwarze Magie unzugänglicher zu machen.“
Talib gibt mir einen leichten Kuss auf die Nasenspitze. „Ja,das sollten wir wirklich. Aber nicht mehr heute. Heute genießen wir einfach nur, unsere zurück gewonnene Freiheit.“
„Morgen dann?“, witzele ich lachend.
„Wenn ich bis dahin mit dir fertig bin“, raunt er in mein Ohr.
Schon wieder durchfährt mich ein Schauer.
„Was hast du denn mit mir vor?“, will ich wissen, schaue zu ihm auf. Er schenkt mir ein teuflisches Grinsen, ehe er aufsteht und das Licht aussperrt, indem er die Fensterläden zu macht. Ich schaue ihm verwundert nach, in meinem Magen beginnt es bereits zu Kribbeln.
Doch als er wieder zu mir tritt, macht er im Vorbeigehen den Fernseher an. Bunte Punkte schwirren über die dunkle Mattscheibe, ehe ein Bild erscheint. Er legt einen Film ein, den er aus dem Regal genommen hat und lässt sich neben mir auf das Sofa fallen. Dann sieht er mich mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen an.
„Ich möchte einfach nur hier mit dir liegen, einen unbedeutenden Film gucken und deine Nähe genießen. Einfach mal Nichts tun, außer kuscheln und reden - und vielleicht ein bisschen herumknutschen“, sagt er dann mit einem Augenzwinkern. „Es gab in letzter Zeit schon genug Ablenkungen, lass uns heute einfach nur beisammen sein. Heute zählen nur du und ich.“
„Klingt gut“, erwidere ich Freude strahlend, mein Herz flattert. Und als hätten wir uns abgesprochen, verwandeln wir uns beide in Wölfe. Ein schwarzer Wolf, mit einem grünen und einem blauen Auge und eine weiße Wölfin, die zusammen in auf der Couch liegen und aneinander gekuschelt einschlafen, während ein Liebesfilm im Fernsehen läuft.