Talib
Felans Stimme klingt nur gepresst an mein Ohr. „Er ist entkommen“, verkündet er atemlos. Aiden und Fremont fluchen gleichzeitig auf. „Das darf doch nicht wahr sein!“, bricht es aus Aiden heraus.
Jetzt mischt sich auch Candras Stimme darunter. „Da überlässt man dir eine kleine Aufgabe und du verbockst es.“
Der Unterton in Felans Worten bedeutet mir, dass er sich stark zusammenreißen muss, um seine Tarnung aufrecht zu erhalten. „Es tut mir leid, aber wenn wir uns beeilen, können wir ihn sicher noch schnappen.“
„Du bleibst hier“, presst Aiden zornig hervor. „Du hast schon genug angerichtet.“ Als schnelle Schritte auf dem steinernen Boden widerhallen, drücke ich mich noch enger an die Wand, versuche vollkommen in den Schatten zu versinken. Als ich Candra und Aiden aus den Augenwinkeln erspähe, halte ich den Atem kurz an. Doch mein Herz klopft wie wild gegen meine Brust, das Adrenalin rauscht noch immer durch meinen Körper. Hier drinnen stinkt es so sehr nach Wein, dass der Geruch meinen hoffentlich überdeckt. Zu meinem Glück scheinen sie mich in ihrer Hast nicht zu bemerken, sondern rennen auf die Treppe zu, die sie aus dem Keller führt.
Erst als sie aus meinem Sichtfeld verschwunden sind, wage ich es, wieder zu atmen.
Nayaras Stimme dringt gedämpft an mein Ohr, doch der Spott in ihren Worten ist nicht zu überhören. „Geschieht euch ganz recht! Ich hoffe, dass er entkommt!“
„Halt die Klappe, du kleine Schlampe!“, herrscht Fremont sie an, den die ganze Situation scheinbar nervös macht. Bereut er es nun doch, mir seinen Plan verraten zu haben?
Und plötzlich flackert das Licht, bevor es komplett dunkel wird. Normalerweise lassen mich meine geschärften Sinne zumindest schemenhaft etwas erkennen, doch die Dunkelheit ist so dicht und einnehmend, dass sich völlige Schwärze um mich herum ausbreitet.
Ich zähle auf dich, mein Freund.
„Was ist hier los?“, brummt Fremont, doch außer ihm ist es für einen Augenblick totenstill. Dann höre ich einen dumpfen Ton, kurz darauf folgt das Klirren von Metall. Fremont stöhnt gequält auf, er scheint etwas zu sagen, doch seine Worte sind so leise, dass ich sie nicht verstehen kann. Dann folgt ein Klacken und ein panischer Aufschrei, aus Nayaras Kehle. „Nein, lass mich los!“
Ich beiße mir auf die Unterlippe und warte ab, denn etwas anderes bleibt mir gerade nicht übrig. Schritte dringen an meine Ohren und schlagartig wird es wieder hell. Dunkle Punkte tanzen vor meinen Augen, doch ich blinzle sie wieder weg.
Wie aus dem Nichts steht Felan neben mir, er hat Nayara über seine Schulter gelegt. Sie schlägt und tritt zornig nach ihm und ich bin mir sicher, wenn Felans Hand ihren Mund nicht verdecken würde, würden wilde Flüche daraus hervordringen.
„Nayara“, flüstere ich, nicht nur aus Angst, dass wir entdeckt werden, sondern auch, weil mir bei ihrem Anblick, die Stimme zu versagen droht. Als sie mich hört, hält sie augenblicklich inne, wie auf einen stummen Befehl lässt mein alter Freund sie auf den Boden gleiten und schubst sie mir mit einem Augenzwinkern zu. „Ich checke mal die Lage, beeilt euch.“ Und schon verschwindet Felan um die Ecke.
Und obwohl mir der Augenblick mehr als nur schlecht gewählt zu sein scheint, schließe ich sie in meine Arme. Es fühlt sich trotz unserer heiklen Situation unheimlich richtig an. Sie schmiegt sich an meine Brust. „Es tut mir leid“, schluchzt sie. Ich drücke sie ein Stück von mir weg, zwinge sie dazu, mich anzusehen. Dann streiche ich mit meinen Daumen über ihre Lippen, bedeute ihr ruhig zu sein. „Lass uns das jetzt vergessen, wir müssen hier erst mal raus“, erwidere ich leise. Sie nickt, doch der schuldbewusste Blick in ihren Augen zerreißt mir fast das Herz. Ich nehme ihre Hand und ziehe sie sachte, aber bestimmend hinter mir her. „Was ist mit Fremont?“, flüstert sie, drückt meine Hand noch fester. „Um den müssen wir uns erst mal keine Sorgen machen“, murmle ich unwirsch, verstecke mich schützend hinter einer Mauer, als erneut Schritte an mein Ohr dringen. Nayara schmiegt sich eng an meinen Rücken, sie hält den Atem an und ich tue es ihr nach. Mein Puls rast, doch ich versuche mich zu beruhigen. Ich muss uns hier irgendwie rausbringen!
Als ich Felan erkenne, atme ich erleichtert aus. Auch Nayaras Hände, die sich in meinen Rücken gekrallt haben, entspannen sich etwas.
„Sieht schlecht aus.“ Sein Blick ist ernst, sein Gesicht wirkt etwas blasser als üblich.
Scheiße!
„Was ist da oben los?“
Wir müssen einfach einen Ausweg finden!
„Ein gutes Dutzend Soldaten suchen nach dir, Candra schließt sich ihnen an, während Aiden das Grundstück sichert.
„Wir müssen uns beeilen, bevor Fremont oder einer der Soldaten aufwacht.“
„Du hast recht, aber wir brauchen einen Plan. Es sind zu viele, um uns einfach durchzuschlagen“, wirft Felan bedenklich ein. „Kannst du dich verwandeln?“
„Ich habe mich im Wald verwandelt, als ich angegriffen wurde. Ich weiß leider nicht wie lange das her ist, da ich das Zeitgefühl hier unten verloren habe.“ Ich seufze. „Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon festgehalten werde. Außerdem bin ich noch etwas geschwächt.“
„Ich weiß es leider auch nicht genau, aber wir sollten mal davon ausgehen, dass du es nicht kannst. Gehe immer, von dem Schlimmsten aus und mach das Beste draus.“ Felan zwinkert mir mit einer Zuversicht zu, die ich nicht greifen kann.
Ich nicke betreten. Verdammt, wie soll ich von nutzen sein, wenn ich mich nicht verwandeln kann?
„Gibt es einen Hintereingang, durch den wir uns schleichen könnten?“ Nayara sieht verzweifelt in die Runde.
Doch Felan schüttelt den Kopf. „Leider nicht, zumindest habe ich keinen gefunden.“
Ein angespanntes Schweigen legt sich um uns. Mein Kopf glüht, wieder und wieder suche ich nach einer Lösung, kann aber keine finden.
„Wir brauchen ein Ablenkungsmanöver.“ Felan kratzt sich nachdenklich am Hinterkopf.
„Und wie hast du dir das vorgestellt?“
„Ihr zwei schnappt euch die Waffen der Soldaten, die wir vorhin ausgeknockt haben, für den Notfall. Dann rennt ihr so schnell es geht davon, während ich die Anderen ablenke.“
Mir bleibt der Mund offen stehen. Nein! „Das ist zu gefährlich“, zische ich.
„Wir haben keine andere Wahl.“
„Es muss eine andere Möglichkeit geben.“ Ich packe Felan an der Schulter. „Egal was du getan hast, ich lasse dich nicht im Stich.“
Felan prustet, klopft mir brüderlich gegen die Brust. „Du unterschätzt mich gewaltig.“
„Felan...“ Gerade als ich ihn erneut darum bitten will, eine andere Lösung zu finden, unterbricht mich Nayara,
„Was ist mit Aiden?“ Wir sehen sie beide sprachlos an. „Selbst wenn wir es raus schaffen sollten, sagtest du nicht, dass er draußen Wache hält?“
Verfluchte Scheiße!
„Das hätte ich fast vergessen“, murmelt Felan, massiert sich gedankenverloren die Nasenwurzel. Allem Anschein nach, ist er doch nicht so überzeugt von sich, wie er uns weiß machen will. Er scheint mächtig nervös zu sein, ansonsten wäre ihm niemals so ein Fehler unterlaufen.
„Den schaffe ich schon“, erwidere ich mit fester Stimme. Nicht nur Nayara, sondern auch mein Freund sehen mich zweifelnd an.
„Talib, du kannst dich nicht verwandeln.“ Felan presst die Lippen aufeinander, auch Nayara sieht nicht besonders glücklich darüber aus.
„Jetzt unterschätzt du mich aber“, gebe ich grinsend zurück. „Mit diesem Weichei werde ich doch locker fertig.“ Ich strecke Felan die Hand entgegen. „Solange du uns nur hier herausbringen kannst, kümmere ich mich um den Rest.“
Ich muss einfach.
Er schlägt ein. „Nichts leichter als das.“
Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um, bedeutet uns in einer stummen Geste zu warten.
Er läuft voran, um nachzusehen, ob die Luft rein ist. Als er uns herbeiwinkt, schleichen wir uns zu ihm, suchen Deckung hinter mächtigen Holzbalken oder in dunklen Ecken.
Als wir in das große Weinfass eintretten, liegen die beiden Soldaten noch immer bewusstlos auf dem Boden. Nayara sieht mich fragend an, sagt aber kein Wort.
Felan beugt sich zu ihnen herunter und reicht uns je eine Schusswaffe, doch Nayara weist sie ab. „Willst du nicht lieber eine nehmen?“
Felan schmunzelt. „Ich bin schon groß, ich kann auch ohne, auf mich aufpassen.“ Er leckt sich über die Lippen und beugt sich dann zu ihr vor. „Aber süß, dass du dir Sorgen machst.“
Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu, den er mit einem Augenrollen quittiert.
„Es ist nur für den Notfall“, flüstere ich ihr zu, nehme ihre freie Hand in meine und drücke sie sanft.
„Darum geht es nicht“, presst sie hervor, sie wendet den Blick von mir ab. „Ich kann damit nicht umgehen.“
Felan prustet los, als hätte sie den Witz des Jahres gemacht. „Du hättest ihr einfach zeigen sollen, wie man mit einem...heißen Eisen umgeht.“
Ich ziehe die Augenbrauen nach oben. Ist das sein ernst?
„Darüber lache ich, wenn wir hier raus sind.“ Ich nehme Nayara die Waffe ab und drücke sie Felan in die Hand. „Vielleicht ist es bis dahin ja lustig geworden.“
Er schnaubt entrüstet. „Zweideutige Anspielungen sind immer lustig.“
Doch als er merkt, dass weder Nayara noch mir nach scherzen zu Mute ist, zuckt er mit den Schultern.
„Ich geh da jetzt hoch und misch den Laden ein bisschen auf. Ihr wartet hier, bis ich euch ein Zeichen gebe.“
„Und wie sieht das aus?“
„Na wie ein Zeichen eben, du wirst es erkennen, wenn der Moment gekommen ist“, erklärt mein Freund als wäre es das logischste, auf der ganzen Welt.
Noch ehe ich etwas entgegnen kann, macht er sich bereits auf den Weg.
„Pass auf dich auf.“
Felan zwinkert mir amüsiert zu. „Das will ich von dir nicht hören.“
Selbst Nayara wünscht ihm noch viel Glück, ehe er um die Ecke tritt und uns zurücklässt.
Das Geräusch seiner Schritte auf der steinernen Kellertreppe lässt mein Herz noch schneller schlagen. Mein Puls rast in meinen Ohren und ich habe große Mühe, ruhig zu bleiben.
Nayara scheint es aufzufallen. Ihre zitternden Finger schließen sich um meine. „Er wird das schon schaffen.“
Doch ihr Versuch mich zu beruhigen, macht mich nur noch nervöser. Auch aus ihrer Stimme schwingt eine deutliche Unsicherheit mit.
Von oben dringt ein wirres Geschrei zu uns herunter, ein paar Möbel scheinen umzufallen. Porzellan zu zerbrechen und ein lauter Schuss lässt mich zusammenfahren. Nayaras Fingerspitzen krallen sich in meine Haut. Das Gebrüll wird lauter, lässt alles andere in den Hintergrund fallen.
Ich schaue um die Ecke aus dem Eingang des Weinfasses, als die Tür über uns aufgerissen wird. Ein paar Soldaten rennen panisch kreischend die Stufen nach unten, einer von ihnen stolpert und bringt die Anderen mit sich zu Fall. Auch Candra ist bei ihnen. Elegant springt sie über die Menschenkörper, ein elektrisiertes Glühen sticht aus ihren Augen hervor und noch ehe sie auf dem Boden aufkommt, verwandelt sie sich in einen Wolf. Ihr schwarzer Schweif setzt sich im starken Kontrast zu ihrem eher hellen, grauen Fell ab. Ihre stechend grünen Augen strahlen in dem gleißenden Licht noch viel intensiver. Ich ziehe mich etwas zurück, damit sie mich nicht bemerken. Gerade so weit, damit ich das Geschehen noch weiter beobachten kann.
Candra bleckt die Zähne und knurrt kampflustig. Was ist hier los?
Mit einem ohrenbetäubenden Aufschrei und wildem Flügelschlagen rauscht ein schwarzer Sturm aus Kolkraben durch die Tür in den Keller. Die Soldaten schreien ängstlich auf, versuchen sich in den steinernen Boden zu drücken, während ein paar der Raben gnadenlos auf sie einhacken. Weitere gehen auf Candra los, die wie eine Wilde umher springt, um gleichermaßen den spitzen Schnabeln auszuweichen, als auch nach dem Federvieh zu schlagen. Als sie von zu vielen eingekesselt wird, heult sie ängstlich auf, rennt weiter den Flur entlang. Die Raben folgen ihr unbarmherzig.
Was zur Hölle ist das?
Erst jetzt sehe ich über meine Schulter zu Nayara. Sie hat die Hand vor den Mund geschlagen, ihre Augen sind vor Schock weit aufgerissen. „Was geht hier vor sich?“
„Ich weiß es nicht.“
Aber was ich weiß, ist, dass das der perfekte Zeitpunkt ist, um abzuhauen.
Das ist unser Zeichen.
Entschlossen umgreife ich ihr Handgelenk und zerre sie hinter mir her, die Stufen hinauf.