Nayara
Unter all das Chaos, mischen sich noch mehr Schüsse, bereiten mir eine Gänsehaut.
Mein Puls scheint zu kochen, meine Kehle fühlt sich viel zu eng an, erlaubt es mir nicht gleichmäßig zu atmen. Glücklicherweise zieht mich Talib hinter sich die Treppe hinauf, sodass ich einen Augenblick habe, um mich wieder zu fangen. Vorsichtig öffnet er die Kellertür und lugt um die Ecke. Er drückt mich ein Stück zurück und bedeutet mir mit einer stummen Geste hier zu warten. Während er sich nach vorne beugt, um die Lage zu prüfen, spüre ich, wie sich jeder einzelne Muskel in meinem Körper anspannt.
Was zum Teufel war das eben? Geht es Felan gut?
Talib reißt mich aus meinen Gedanken. Er winkt mir zu. So leise wie möglich, schleiche ich mich zu ihm, um die Ecke. Wir stehen in einem kahlen Flur, an dem keine einzige Tür abgeht.
Talib greift nach meiner Hand und drückt sie aufmunternd. „Ich bin bei dir“, formt er stumm mit seinen Lippen. Ich nicke und folge ihm, dicht an der weißen Wand entlang. Der dunkelrote Teppich unter unseren Füßen dämpft unsere Schritte ab. Als wir das Ende des Gangs erreichen, bedeutet er mir erneut, kurz zu warten.
Talib schielt ums Eck, zieht sich dann schnell wieder zurück. „Noch nicht“, flüstert er kaum hörbar.
Ich halte den Atem an, spüre mein Herz in meiner Kehle schlagen.
Sein Druck auf meine Hand wird stärker, doch ich bin mir nicht sicher, ob er das tut, um mich zu beruhigen oder sich selbst.
Erneut schaut er, ob die Luft rein ist. Dann nickt er und zieht mich so schnell es geht mit sich, durch den türlosen Durchgang. Nur schemenhaft erblicke ich das riesige Wohnzimmer. Ein kristallener Kronleuchter hängt in der Mitte der gewölbten Decke und lässt den ganzen Raum erstrahlen. Vor der Fensterfront steht eine Couch und ein Zweisitzer, genau gegenüber an der Wand ist ein Kamin eingelassen. Daneben stapeln sich zu recht geschnittene Holzklötze, hinter denen wir in Deckung gehen. Felan versteckt sich hinter einem der vier Sessel, die links von uns stehen. Bei dem Anblick der zwei toten Soldaten, die neben ihm am Boden liegen, verknotet sich mein Magen. Noch immer dringt Blut aus mehreren Schusswunden in ihren Oberkörpern. Der süßliche Duft des Blutes steigt mir in die Nase.
„Bleib hier“, flüstert mir Talib ins Ohr, ehe er rasend schnell zu einem der anderen Sessel in Felans Nähe rennt. Drei Soldaten zielen mit ihren Pistolen auf ihn, als die Schüsse erklingen, bleibt mein Herz fast stehen. Adrenalin strömt durch meinen Körper, lässt es viel zu schnell wieder schlagen.
Talib weicht ihnen geschickt aus, zieht gleichzeitig seine eigene Pistole aus seiner hinteren Hosentasche. Felan flüstert ihm etwas zu und er nickt, leider kann ich sie nicht verstehen. Das Adrenalin rauscht viel zu laut durch mich, vernebelt meine Sinne.
Und auf einmal geht alles so unheimlich schnell. Talib lugt über die Lehne, feuert ein paar Schüsse ab, um die Männer in Tarnkleidung in Schach zu halten, während Felan wie ein Pfeil quer durch den Raum schießt, um als nächstes Schutz hinter einem Bücherregal zu finden. Zwei der Soldaten schreien auf, fallen zu Boden und krümmen sich unter Schmerzen. Einer von ihnen röchelt und spuckt Blut. Aus seinem Hals schießt noch mehr der roten Flüssigkeit und binnen weniger Sekunden, hat sich eine ganze Blutlache um seinen Kopf gebildet. Er presst die zittrigen Hände auf die Wunde, ruft seinen Kollegen etwas zu, doch seine Worte sind unverständlich, seine Stimme bricht. Und dann ist er komplett still geworden. Sein Brustkorb hört auf sich zu bewegen. Tot.
Mir stockt der Atem, ich beiße die Zähne fest aufeinander, um nicht loszuschreien.
Sollte ich mich nicht darüber freuen, dass einer unserer Gegner ausgelöscht wurde? Aber wieso fühlt es sich nun so entsetzlich falsch an?
Ich presse die Lider zusammen, um den Anblick zu vergessen. Nur für eine Sekunde, doch in genau diesem Moment folgt ein erneuter Schusswechsel. Ich reiße die Augen auf, mache mich noch kleiner hinter dem Holzstapel.
Zwei der fünf verbliebenen Soldaten stürmen auf Talib zu, dessen Munition aufgebraucht zu sein scheint. Fluchend schmeißt dieser seine Pistole nach den Angreifern und erhebt sich vom Boden. Ein erneuter Schuss fällt. Dieses Mal ist es Felan, der gekonnt einem der Feinde in die Beine schießt. Kreischend fällt dieser zu Boden. Blitzschnell greift Felan nach der Pistole des Soldaten, tritt ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Seine leidvollen Ausrufe verebben und er sackt bewusstlos in sich zusammen. Mit zwei Waffen hält Felan die jeweils verbliebenen Männer in Schach, während Talib sich mit Fäusten gegen die anderen beiden behauptet.
Ich beiße mir auf die Zunge, so fest, dass sich Blut darauf legt.
Ich will ihm helfen, aber ich wäre nur im Weg in meiner momentanen Form!
Doch als der Blonde, mit den eiskalten blauen Augen ein Messer zückt und auf Talib losgeht, brodelt ein hitziges Gefühl in mir auf, verdrängt jeden klaren Gedanken. Wie von Sinnen greife ich nach den Holzstücken vor mir und schmeiße sie nach ihm, überrascht brüllt er auf, wendet sich mir zu. Weitere Holzklötze folgen, ich treffe ihn mehrmals an der Schulter, ehe ein besonders großes Stück sein Gesicht trifft und seinen Kopf nach hinten reißt. Aus seiner Nase spritz Blut. Er presst sich die Hände davor, schreit qualvoll auf, doch Talib nutzt seine Chance und packt den blonden Soldaten. Er hält ihn mit einer Hand am Kragen fest, die andere fährt mehrmals mit knallharten Hieben ins ein Gesicht, immer wieder auf dieselbe, wunde Stelle. So lange, bis auch der Blonde wimmernd zusammensackt und sich nicht mehr rührt. Sein braunhaariger, etwas größerer Kollege schaut angespannt zwischen Talib und mir hin und her, ich versuche mich noch kleiner hinten den verbliebenen Holzklötzen zu machen, als er das bemerkt, stiehlt sich ein schelmisches Grinsen auf seine Züge. In einer raschen Bewegung hebt er das Messer vom Boden auf, das sein Kollege hat fallen lassen, genauso schnell schießt er wieder hoch und stürzt sich auf Talib. Dieser macht einen Schritt nach hinten, um den ersten Angriffen auszuweichen, doch der Soldat bewegt sich viel zu schnell. Mit einem lauten Ratschen fährt die Klinge erst durch den Stoff von Talibs Uniform, schneidet sich dann in seine Hand. Er schreit auf, hält sich den unteren Teil seines Bauches, an dem er getroffen wurde, lässt seinen Angreifer aber nicht aus den Augen. Dieser lächelt nun noch triumphierender. „Erst bist du dran und dann deine kleine Schlampe.“
Er deutet mit dem Kopf in meine Richtung, ehe er noch einmal ausholt und Talib so tief in den Arm schneidet, dass das Messer in seinem Fleisch stecken bleibt. Dunkels Blut fließt aus der Wunde und Talib stöhnt schmerzerfüllt auf. Panisch versucht er, die Klinge rauszuziehen, taumelt dabei nach hinten. Der Soldat nutzt seine Chance und stürzt sich auf ihn.
Alles geht so schnell, dass ich gar nicht erst reagieren kann.
Die Faust des Braunhaarigen wandert erst in Talibs Gesicht, dann mit einer fließenden Bewegung mehrmals in seinen Magen.
Talib würgt und röchelt, seine Gesicht ist vor Schmerz verzogen.
„Talib, nein!“, bricht es aus mir heraus. Ohne weiter darüber nachzudenken, gebe ich meine Deckung auf und renne auf die Beiden zu.
„Nicht!“, brüllt er, doch das hält mich nicht davon ab, den Soldaten von hinten an den Schultern von ihm loszureißen.
Dieser fällt fluchend zu Boden, rappelt sich aber schnell wieder auf.
Das hat er davon, mir den Rücken zuzuwenden.
Das heiße Brennen in meinem Inneren, das mir für einen Moment so viel Mut und Kraft geschenkt hat, erlischt bei dem eisigen Grinsen des Braunhaarigen.
„Lauf!“, zischt Talib, er versucht sich wieder aufzurichten, doch er braucht zu lange, sodass mich der Soldat schnappt. Ich schlage um mich, kreische, doch das hält ihn nicht auf. Mein Kopf schwirrt von dem Adrenalin und dem mächtigen Gefühl der Angst, das mich wie eine Lawine überrollt.
Ich spüre das kalte Metall des Messers an meiner Kehle, es sticht mir leicht in die Haut. Sofort halte ich in der Bewegung inne, versuche nicht zu atmen.
„So gefällst du mir besser, Süße“, flüstert mir der Soldat ins Ohr, der warme Hauch seines Atems, der mein Ohrläppchen streift, lässt mich erschaudern. „Wobei ich kratzbürstige Frauen eigentlich auch ziemlich sexy finde.“
Er lacht teuflisch auf, drückt die Klinge noch fester an meinen Hals. Ich presse die Augen zusammen. Mein Kopf ist leer, doch in meinen Adern kocht das Blut.
„Lass sie los!“, zischt Talib drohend. Er hat sich wieder erhoben, hält aber etwas Abstand, um den Soldaten nicht dazu zu verleiten, das Messer direkt durch meine Kehle zu jagen.
„Oder was?“, höhnt der Feind. Doch noch ehe Talib etwas erwidern kann, schießt ein dunkler Schatten auf uns zu. Der Soldat schreit auf. Ein gezielter Biss in seine Hand und er löst die Umklammerung. Klirrend fällt das Messer auf den Boden, das Geräusch wird von den leidvollen Schreien des Braunhaarigen übertönt, darunter mischt sich ein drohendes Knurren.
Ich presse die zitternden Finger an meinen Hals, merke, dass die Wunde nicht tief ist und atme erleichtert aus. Doch in meiner Kehle scheint es zu brennen, meine Sicht wird unscharf. Ich stolpere zurück, spüre zwei Arme, die sich fest um mich schließen, um mich zu halten. „Geht es dir gut?“ Ich erkenne Talibs Stimme, kann aber nicht antworten.
Erst zwei laute Schüsse erwecken mich aus meiner Trance. Talib reißt mich mit sich zu Boden, er presst mich fest auf den Teppich. „Bleib unten!“
Ich blinzle verwirrt. „Wer...was...?“ Stottere ich, versuche zu begreifen, was gerade passiert ist.
Erneut durchdringt ein ohrenbetäubendes Knallen den Raum, lässt meinen ganzen Körper versteifen. Und wieder wird ein Schuss abgefeuert. Noch einer. Dann ist es still. Der schwere Geruch von Schießpulver hängt in der Luft.
Ich hebe den Kopf vorsichtig an, um etwas sehen zu können. Nur ein paar Meter vor mir liegt der braunhaarige Soldat, seine grünen Augen sind vor Schreck geweitet. In seiner Stirn prangt ein riesiges Loch, aus dem Blut quillt. Angewidert wende ich den Blick ab, entdecke allerdings einen viel grausameren Anblick.
„Faye!“, kreische ich panisch und springe auf, vergesse alles andere um mich herum. Ich merke noch Talibs Hand, wie er nach mir greift, doch ich schüttele ihn ab. Faye liegt auf dem Boden, sein rotbraunes Fell klebt voller Blut, sein ganzer Körper bebt. Noch ehe ich ihn erreiche und neben ihm auf den Boden sinke, verwandelt er sich zurück in einen Menschen. Auf seinem nackten Oberkörper sind überall Schusswunden zu erkennen. Die meisten Kugeln stecken in seiner Brust, doch der schwerste Treffer ist der an seinem Hals. Es scheint nur ein Streifschuss zu sein, doch die Wunde ist trotzdem tief. Dunkelrote Flüssigkeit läuft heraus.
„Faye“, flüstere ich schluchzend, presse meine Hand auf seine Wunde, um die Blutung zu stoppen. „Halte durch.“
Er greift mit seiner Hand nach meiner, hindert mich an meinem Vorhaben und umschließt fest meine Finger. Seine moosfarbenen Augen leuchten warm auf und seine Lippen verziehen sich zu einem müden Lächeln.
„Ich hab dir doch gesagt, dass ich dich retten werde.“ Seine Stimme ist schwach, er bricht in ein angestrengtes Husten aus. Blut bildet sich in seinem Mund, es läuft über seine Lippen, doch er macht sich nicht die Mühe, es abzuwischen.
„Faye, lass mich nicht alleine!“, flehe ich. Ich kann die Tränen nicht länger zurückhalten.
„Du bist...“, er hustet erneut, es kostet ihn all seine Kraft um den Satz zu beenden. „...nicht allein.“ Ich schüttele den Kopf. „Du solltest nicht reden.“
Ich streiche mit meinem Daumen über die Innenseite seiner Hand. „Ich werde Hilfe holen. Ich lasse dich nicht sterben!“
Ich schüttele seine Hand ab, versuche panisch das Blut daran zu hindern, aus seinem Körper zu fließen. Ein dunkles Rot umschließt meine zitternden Finger.
Das tiefe Grün ist aus seinen Augen gewichen, wird von einem blassen Grau verdrängt. „Nicht weinen“, flüstert er leise, kaum hörbar. Seine Hand zuckt nach oben, legt sich auf meine feuchte Wange. Doch er ist so erschöpft, dass sie sofort wieder runterrutscht. Ich schluchze. Streife das Shirt über meinen Kopf hinweg und presse es kurzerhand auf seine Wunde. „Bitte, bleib bei mir“, flüstere ich erneut.
Obwohl ich nur im BH vor ihm sitze, ruht sein Blick auf meinem Gesicht. Er schaut mir tief in die Augen und eine neue Welle der Verzweiflung überrollt mich dabei. Ich versuche das Schluchzen zu unterdrücken.
„Du brauchst mich nicht.“ Seine Stimme ist nun so schwach und leise, dass ich seine Worte kaum noch verstehe. Er röchelt, ringt nach Luft. Der dunkle Stoff meines Oberteils fühlt sich schon ganz feucht an. Ich drücke weiter auf seine Wunde, will, dass die Blutung endlich aufhört.
Wieso heilt er denn nicht?
„Doch!“ Weitere Tränen stehlen sich davon, mein Herz hämmert so heftig gegen meine Brust, dass es schmerzt. Ich lehne mich zu ihm herunter, hauche ihm einen Kuss auf die Wange. Sie ist so kalt. „Du bist doch immer bei mir.“
„Werde glücklich.“ Seine Lippen streifen mein Ohr, eine unwirkliche Gänsehaut umfängt mich.
„Das kann ich nur, wenn du lebst!“, schreie ich ihn an, doch ich weiß bereits, dass er mich nicht mehr hören kann. Ich lasse meinen Kopf auf seine Brust wandern, auch sie ist kalt. Und feucht, von seinem Blut, doch das stört mich nicht. Ich presse mein Ohr auf seinen Brustkorb, versuche seinen Herzschlag auszumachen, doch es ist still. Ein tiefes Wimmern durchzuckt meinen Körper, ich halte es nicht mehr zurück. Mein Kopf schwirrt, mein Puls rauscht in meinen Ohren. Nein!
„Faye!“
Das kann nicht sein! Das darf nicht sein!
„Wieso heilt er denn nicht?“
Mein Magen verkrampft sich, genau wie mein Herz. Arme umfassen meinen Oberkörper, wollen mich von ihm herunterziehen, doch ich schlage sie fort.
„Seine Verletzungen waren zu stark“, wispert Talib sanft. Erneut fassen seine Hände nach mir. „Du hättest nichts mehr tun können.“
„Nein!“, brülle ich ihn an und dränge ihn erneut weg. Doch dieses Mal lässt er nicht locker. In seiner Stimme klingt ein einfühlsamer Unterton mit. „Ich verstehe dich ja, aber wir müssen von hier fort.“
„Gar nichts verstehst du!“ Erneut zuckt ein ungewohnter Schmerz durch meine Brust.
Auf einmal werde ich hochgerissen. Kalt und unbarmherzig. Als ich aufblicke, bemerke ich Felan, der mich fest im Griff hat. „Das ist gerade nicht der richtige Ort“, knurrt er scharf. „Ihr müsst jetzt gehen, heulen kannst du später noch genug!“
Ehe ich etwas erwidern kann, steht Talib an meiner Seite. Er umfasst meine Taille, drängt mit seiner freien Hand Felan etwas zurück. „Ich mach das schon.“
„Wir sind hier nicht sicher“, raunt er dann in mein Ohr, führt mich aus dem Wohnzimmer in einen weiteren, kahlen Flur.
„Das ist mir egal.“
Doch er schüttel nur den Kopf, zieht mich weiter durch die Villa. „Mir aber nicht.“
Felan läuft voraus, inspiziert den nächsten Raum, nur um sicherzugehen, dass uns keine weitere Gefahr droht.
Es ist eine in schwarz-weiß gehaltene Lobby, mit Schachbrettmuster Boden. Ich beiße die Zähne fest aufeinander, halte meinen Blick starr auf das Karomuster gerichtet und verbanne jegliche Gedanken aus meinem Kopf. Mein Puls rast noch immer, doch das Rauschen in meinen Ohren klingt langsam ab.
„Geht dir Treppe hoch, der erste Raum auf der rechten Seite ist die Küche. Von dort aus geht ein schmaler Balkon ab, es ist nicht allzu hoch. Ihr könnt von dort herunter springen und unbemerkt fliehen. Ich behalte den Vordereingang im Auge und lenke Aiden ab.“
Felans Worte dringen wie durch eine Nebelwand an mein Ohr. Ich höre sie, doch mein Verstand will sie nicht wirklich aufnehmen.
„Wir treffen uns dann in der Hütte?“, erwidert Talib. Er zweifelt keinen Moment daran, dass Felan einen Kampf gegen Aiden verlieren würde.
„Das ist zu gefährlich, ihr könnt erst einmal nicht in die Hütte zurück. Wir treffen uns am Felsen.“
Während ihrer kleinen Unterhaltung, eilen wir die Treppenstufen nach oben und ehe ich es richtig bemerke, befinden wir uns in einer kleinen, roten Küche. Gegenüber der Kochzeile, befindet sich ein schwarzer Tresen, an dem wir uns vorbeidrängen. In der grauen Wand, hinter dem Esstisch, ist eine Glastür eingelassen, die auf den Balkon führt.
Der schwarzhaarige Mann öffnet sie und tritt heraus, verschafft sich einen kleinen Überblick. Als er nickt, führt mich Talib ebenfalls hindurch.
Die Nacht ist bereits über uns herein gebrochen.
Wie lange waren wir nur da unten eingesperrt?
Die eisige Luft schlägt mir entgegen, ich atme tief ein und spüre ein kribbeliges Gefühl in meiner Kehle.
„Danke mein Freund.“ Talib reicht ihm die Hand, ehe er bis ganz vor an das schwarze Geländer tritt. Felan schlägt ein. „Das bin ich euch schuldig.“
Ich spüre seinen Blick auf mir ruhen, doch weder er noch ich sagen etwas. Felan zieht seinen Mantel aus und legt ihn mir behutsam über die Schulter, erst jetzt fällt mir wieder ein, dass ich nur einen BH trage. Sofort schlüpfe ich in den viel zu großen Mantel, bedanke mich aber nur mit einem zaghaften Nicken. Er erwidert nichts, dann dreht er sich um und verschwindet wieder durch die Balkontür ins innere des Hauses.
„Bereit?“ Talib umfasst meine Hüfte und hievt mich auf das Geländer, Schmerz durchzuckt augenblicklich sein Gesicht.
„Oh nein, dein Arm? Ist es sehr schlimm?“
„Es geht schon“, sagt er mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen. „Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das.“
Wie gerne will ich ihm glauben.
„Ja“, hauche ich. Hoffe, dass sich meine Stimme nicht halb so unsicher anhört, wie ich mich fühle.
Ich suche Halt an den schwarzen, eiskalten Stangen, um nicht rückwärts runterzufallen. Nur für einen kurzen Moment schaut er mir tief in die Augen. „Es tut mir leid.“
Mir auch.
Ich erwidere nichts, fühle aber erneut einen stechende Welle der Emotionen durch meinen Körper jagen. Schwungvoll springt er selbst auf das Geländer, schwingt die Beine darüber und bleibt auf dem schmalen Rand stehen, der hinter dem Zaun abgeht. Mit einer Hand hält er sich fest, mit der anderen greift er nach meiner. „So hoch ist es nicht, drei, höchstens vier Meter. Du brauchst keine Angst zu haben.“
Ich schwinge die Beine über das Geländer und stelle mich neben ihn. Der frische Wind peitscht mir die vom Blut geröteten Strähnen ins Gesicht. „Ich habe keine Angst“, erwidere ich und springe. Dabei reiße ich ihn mit, doch er scheint nicht wirklich überrascht zu sein. Kurz bevor wir auf den schneebdeckten Boden ankommen, lässt er meine Hand los. Ich rolle mich ab, stoße die Luft scharf aus. Die Schneemasse hat den Sprung etwas abgedämpft, so spüre ich nur ein leichtes Ziehen in meinen Beinen. Und dich plötzlich eintretende Kälte.
Ich richte mich wieder auf und klopfe das kalte Weiß von meiner Kleidung, als Talib mir die Hand reicht. Auch er scheint den Sprung unbeschadet überstanden zu haben.
Wir eilen durch den Schnee, der unter jedem unserer Schritte knirscht. Anscheinend befinden wir uns in einer Art Garten, der glücklicherweise nicht abgezäunt ist. Zielsicher führt mich Talib durch die Dunkelheit auf die großen Tannen zu, die uns etwas Schutz bieten sollen. Doch noch ehe wir die erste Baumreihe erreichen, springt ein dunkler Schatten auf uns zu. Er knurrt und seine weißen Reißzähne blitzen auf. Talib versetzt mir einen Stoß und ich falle keuchend auf den Boden, sodass mich unser Angreifer um ein Haar verfehlt. Talib baut sich vor mir auf, um mich vor dem Wolf zu schützen.
„Aiden!“, knurrt er ebenso bedrohlich zurück, er scheint keine Angst vor dem orange-roten Wolf zu haben, doch wir beide wissen, dass er in seiner menschlichen Form wohl kaum eine Chance hat. Aidens Augen scheinen zu glühen, er setzt zum Sprung an und reißt Talib mit sich. Dieser schreit und auch meine wildes Gekreische mischt sich darunter. „Nein! Lass ihn in Ruhe, du willst doch mich und nicht ihn!“
Aiden verbeißt sich in Talibs bereits wunden Arm und dieser stöhnt schmerzerfüllt auf. Mit aller Macht versucht er, den Wolf von sich abzubringen, doch es hat keinen Sinn.
Ich rapple mich auf, renne auf die beiden zu, doch in genau diesem Moment, springt erneut ein schwarzer Schatten an mir vorbei.
Es ist Felan. Ich erkenne ihn sofort. Ein dunkelgrauer Wolf mit silbernen Augen. Mit wildem Geheul stürzt er sich auf Aiden und bringt ihn so von Talib ab. „Geht!“, faucht er und versenkt dann seine scharfen Zähne in Aidens Rücken. Dieser jault auf, schafft es aber, Felan wieder von sich zu drängen. Der orange-rote Wolf stürzt sich auf Felan, sie wirbeln im Schnee umher, knurren und beißen sich gegenseitig. Ich kann nicht sagen, wer die Oberhand in diesem Kampf hat. Es ist ein wildes Hin und Her, welches von der Nacht verschluckt wird.
Talib stößt sich vom Boden ab, packt mich am Arm und zerrt mich mit sich. „Schnell!“
Unbeirrt rennen wir weiter auf die Tannen zu, meine Beine fühlen sich wackelig an. Ein ermüdetes Kribbeln setzt sich in meinem Körper fest, doch das Adrenalin treibt mich weiter voran. Wir rennen so schnell es geht zwischen den Silhouetten der Bäume hindurch, unser Atem stößt schwer hervor, verformt sich zu kleinen Wölkchen an der eisigen Luft.
Als ich einen Blick zurück werfe, kann ich die Villa kaum noch ausmachen. Sie zeichnet sich nur noch schemenhaft hinter den hohen Bäumen durch. Talib richtet seinen Blick stur geradeaus, läuft immer weiter, so schnell es geht.
Auch als ein lautes, qualvolles Heulen erklingt, dreht er sich nicht um. Ich merke wie sich meine Muskeln anspannen. „Wer war das?“
Auch er umgreift meinen Unterarm etwas fester. „Ich weiß es nicht“, gesteht er. „Aber ich hoffe, es war Aiden.“