Talib
Den gesamten Weg über schweigen wir uns an und hängen unseren Gedanken nach. Hin und wieder betrachte ich Nayara, ihre Miene ist eingefroren, ihre Augen strahlen eine eisige Kälte aus. Verständlich, nach allem, was passiert ist.
Sie sieht kurz zu mir auf, wendet aber sofort den Blick wieder ab, ohne etwas zu sagen. Ich beiße die Zähne so fest aufeinander, dass sie knirschen
„Es tut mir leid, was mit Faye passiert ist“, sage ich mit ernstem Bedauern.
Er war zwar ein nerviger Widerling aber ich wollte nicht, dass sie so leiden muss.
Nayara schüttelt sachte den Kopf, sagt aber immer noch nichts.
„Du glaubst mir vielleicht nicht, aber ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Ich weiß, wie schmerzhaft es ist, einen Freund zu verlieren.“
Ihr Kopf fährt zu mir herum, ihr langes Haar fliegt wirbelnd darum. „Er war mehr als nur ein Freund.“
Die Schärfe in ihrer Stimme lässt mich zusammenzucken, doch in ihre Augen tritt ein schmerzerfüllter Glanz. „Er war das letzte bisschen Familie, das mir geblieben ist.“
Dann werde ein Teil meiner Familie.
Ich greife nach ihrer Hand, doch sie weicht aus. „Ich will nicht mehr darüber reden“, gibt sie dann mit fester Stimme zurück. Ich nicke nur knapp. Hilflos.
Wir laufen stumm weiter. Erst als ich das spitze, rotbraun gekachelte Dach der kleine Hütte ausmache, fasse ich erneut Mut.
Ich bleibe stehen und hole tief Luft. Nayara, die nicht mit meinem abrupten Anhalten gerechnet hat, stößt gegen meinen Rücken. „Was ist?“, flüstert sie, in ihrem Unterton schwingt Angst mit. Ich drehe mich langsam zu ihr um, doch sie sieht mich nicht an. Stattdessen beobachtet sie aufmerksam unsere Umgebung. „Was siehst du?“
Ich packe sie an den Oberarmen, sodass sie mich verwirrt anblickt.
„Dich“, sage ich so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie mich verstanden hat. Doch ihre Augenbrauen ziehen sich fragend zusammen. „Was?“
Ich schüttele den Kopf, um den wirren Gedanken darin Einhalt zu gebieten.
„Seitdem du bei mir bist, habe ich dich von einer Scheiße in die andere gezogen. Das war niemals meine Absicht.“
Sie öffnet den Mund um etwas zu erwidern, doch ich rede schnell weiter.
„Am Anfang wollte ich dich benutzen, das stimmt. Aber ich wollte dir wirklich niemals etwas Böses. Vor allem als ich dich besser kennengelernt habe, habe ich mir geschworen, dass ich dich beschützen werde. Dass du nun all das wegen mir durchmachen musstest... es tut mir so leid.“
Nayara senkt den Blick, legt ihre zitternden Hände auf meinen Brustkorb, lehnt dann auch ihr Gesicht dagegen.
„Wieso entschuldigst du dich?“ Ihre Stimme bebt. Zärtlich fahre ich ihr durchs Haar, drücke sie mit meinem freien Arm noch enger an mich. „Weil...“, setze ich an, aber sie unterbricht mich.
„Es ist nicht deine Schuld.“ Nayara schaut auf, blickt mir dann fest in die Augen. „Du kannst nichts für die Fehler, die ich begangen habe. Du hast mich aus dem Schneesturm gerettet. Dass du mich angelogen und benutzt hast, war zwar nicht in Ordnung war, aber ich wüsste nicht, was ich an deiner Stelle getan hätte.“ Sie schluckt schwer. „Dass Aiden uns gefangen genommen hat, hatte auch nichts mit dir zu tun. Es ist meine Schuld, dass du mit hineingezogen wurdest. Du und Faye. Sein Tod ist auch meine Schuld.“
„Nein!“, stoße ich erbost aus. „Das ist nicht wahr!“ Ich habe große Mühe, leise zu sein, damit uns niemand hört. Nur für dann Fall, dass uns doch jemand auf der Spur ist.
Sie atmet tief durch, ihre Unterlippe bebt. „Doch“, gibt sie mit zittriger Stimme zurück. Ihre Augen füllen sich erneut mit Tränen. Gerade als ich etwas entgegnen will, legt sie ihre Hand auf meinen Mund. „Talib, es tut mir so leid, dass ich Faye ausgewählt habe und nicht dich.“
Ein gewohnter Schmerz durchzuckt meine Brust, als ich daran zurückdenke, wie sie sich gegen mich entschieden hat. Doch ich verdränge ihn – und auch die Gedanken.
Stattdessen wische ich ihr mit dem Daumen die Tränen von der Wange, zwinge sie, mich anzusehen. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich dafür sorgen werde, dass du dich auch in mich verliebst. Nur weil du Gefühle für Faye hast, werde ich nicht aufgeben.“
Ich versuche mich an einem zuversichtlichen Lächeln, bin mir aber sicher, dass es misslingt. Aus Nayaras Kehle dringt ein tiefes Schluchzen.
„Das ist es nicht“, murmelt sie, zwischen einem erneuten Wimmern. Aus ihrem Mund dringen klägliche Worte, die in einem einzigen, unverständlichen Geheule enden.
Ich streiche ihr sanft über den Rücken, flüstere ihr beruhigende Worte ins Ohr. „Ich verstehe dich nicht, du musst dich beruhigen, Kleines.“
Es dauert einen Moment, bis kein leidvolles Geräusch mehr durch ihren Körper zuckt. Auch ihre Atmung wird langsam wieder gleichmäßiger. „Der Gedanke dich zu verlieren, hat mich innerlich zerfressen, aber ich musste eine Entscheidung fällen, sonst hätten sie euch beide getötet. Dennoch habe ich die ganze Zeit gehofft, dass du irgendwie entkommen kannst.“
Sie atmet tief durch, ihre Finger krallen sich in mein Shirt.
„Du musst dich nicht rechtfertigen“, sage ich behutsam, obwohl es in meinem Inneren aufgewühlt kribbelt. Ohne darauf einzugehen, fährt sie fort. „Faye ist der Schicksalswolf, du weißt wie wichtig er für uns ist. Und wegen mir mussten schon so viele leiden, ich konnte doch nicht so egoistisch sein und unser aller Wohl gefährden, nur weil ich...dich nicht verlieren will.“
Der Schicksalswolf? Faye?
Noch bevor ich etwas entgegnen kann, bricht sie in einen hysterischen Redeschwall aus.
„Wenn der Schicksalwolf tot ist, haben wir keinen Schutzgott mehr. Niemand, der unser Schicksal ändern kann oder der den Neugeborenen ihren Weg vorausweisen kann. Wir wären verloren. Und jetzt... ist er tatsächlich tot.“
„Nayara!“, ich versuche sie zu beruhigen, umschließe sanft ihre Hände mit meinen.
„Natürlich weiß ich, wie wichtig er für uns ist“, pflichte ich ihr bei. „Ich verstehe dich, aber wie kommst du überhaupt darauf, dass ausgerechnet Faye der Schicksalswolf ist?“
„Hättest du die gleiche Entscheidung getroffen?“, flüstert sie mit zerbrechlicher Stimme, meine Frage ignorierend.
Hätte ich mich genauso entschieden? Hätte ich Nayara geopfert, für das Wohl aller Wölfe?
Einen Moment denke ich darüber nach.
Der Schicksalswolf ist der Schutzgott der Wölfe. Er achtet auf jeden einzelnen von uns, außerdem ist er es, der uns unsere Namen und somit Bestimmung hervorsagt. Ohne ihn könnten wir vermutlich nicht lange leben.
„Nein“, sage ich dann bestimmt. Nayara sieht mich überrascht an. Erneut rinnen Tränen aus ihren Augen. „Aber... ohne ihn sind wir verloren.“
„Nein.“ Ich schlucke fest, denn bei dem Gedanken daran, dass sie mir Nayara nehmen würden, zieht sich mein Herz schmerzvoll zusammen. „Ohne dich bin ich verloren.“
Ich lehne meine Stirn gegen ihre, unsere Nasenspitzen berühren sich.
„Ich verstehe deine Entscheidung, bitte mach dir keine Vorwürfe mehr, entscheidend ist doch, dass wir beide noch hier sind. Und ich werde nicht zulassen, dass sich daran etwas ändert.“
„Aber ich...“ Nayars Herz hämmert so fest in ihrer Brust, dass ich es fühlen kann. Ich fahre mit meinem Daumen über ihre Lippen. „Ich liebe dich, ganz egal was passiert.“
Noch bevor ich weiß, wie mir geschieht, landet ihr Mund auf meinem. Es ist nur eine kurze, zaghafte Berührung, doch sie löst einen tosenden Sturm der Gefühle in mir aus.
„Weißt du, ich wollte es mir selbst vielleicht nicht ganz eingestehen, aber ich denke, du musst mich gar nicht mehr dazu bringen, dass ich mich in dich verliebe...“
Ich schüttle ungläubig den Kopf, atme stoßweise aus. Hoffnung keimt in mir auf.
Soll das heißen, dass sie...
„Wieso?“, frage ich vorsichtig nach, versuche mein rasendes Herz zu beruhigen, doch es ist vergebens.
„Weil es schon längst passiert ist“, gesteht sie so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie es wirklich gesagt hat, doch als ich ihr in die silbergrauen Augen sehe verbannt ihr Blick jeden Zweifel aus meinem Inneren.
Das ist die schönste Liebeserklärung, die ich je bekommen habe!
Es fühlt sich an, als würde eine tonnenschwere Last von mir abfallen. Ich bin plötzlich federleicht und in meiner Brust breitet sich ein zeitgleich angenehm warmes, als auch ein aufregendes Kribbeln aus. „Sag das nochmal“, flehe ich sie an. Doch sie verzieht ihre Lippen zu einem schmalen Grinsen.
„Wir sollten das nun wirklich nicht hier besprechen. Und auch nicht jetzt.“
***
Über der heruntergekommenen Gaststätte hängt schräg ein Schild, auf dem in einst leuchtend roten Buchstaben „Am Felsen“ geschrieben stand, doch die Farbe ist mit der Zeit verblasst, so wie auch die Glanzzeiten dieses Betriebes. Ich laufe zur Rückseite der kleinen Hütte, schlage eines der drei Fenster mit einem großen Stein ein, der auf dem Boden von etwas Schnee bedeckt wird. Es zerbricht klirrend. Nayara wirft mir einen argwöhnischen Blick zu. „Was soll das werden?“
„Schon gut, die Gaststätte ist schon lange geschlossen. Sie hat mal Kenneths Onkel gehört, aber der ist vor gut einem Jahr verstorben.“ Ich ziehe mir das Shirt in einer fließenden Bewegung aus und stelle zufrieden fest, dass mich meine Begleiterin ungeniert mustert.
Ich zwinkere ihr frech zu, ehe ich mir den Stoff um Hand und Arm wickle, um das,was von der Scheibe übrig geblieben ist, zu zerschlagen.
„Das erklärt aber nicht wieso du hier einfach einbrichst.“
Ich lache auf. „Das hier“, ich nicke mit dem Kopf in Richtung der Hütte vor uns, „ist unser Geheimversteck. Du hast doch gehört, dass wir erst mal nicht zurück können.“
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und zieht die Augenbrauen nachdenklich zusammen. „Wenn das euer Geheimversteck ist, wieso kommen wir dann ausgerechnet hier unter?“
Ich streife das Kleidungsstück vom Arm und nutze es, um die scharfen Splitter von der Fensterbank zu fegen. „Wie meinst du das?“
Noch ehe sie mir antworten kann, stütze ich mich am Holzbalken ab und springe ins Innere des „Felsens“, bedeute Nayara es mir nachzutun. „Aiden müsste doch dann auch hierüber informiert sein oder nicht?“
Sie folgt mir durch die Öffnung und hält sich dann an meiner Hand fest, die ich ihr entgegen strecke, um in den Raum zu treten. „Nein, anfangs wussten nur Tarun und ich Bescheid wir haben diese Waldschenke benutzt um... Frauen abzuschleppen.“
Sie wirft mir einen finsteren Blick zu und ich verziehe gespielt unglücklich das Gesicht.
„Hey, das war vor deiner Zeit!“, werfe ich ein, grinse aber wie ein Idiot, da mich ihre Eifersucht erfreut. Sie seufzt. „Komm auf den Punkt.“
Ich versuche mich zusammenzureißen, kann das Glücksgefühl aber nicht abstellen. „Später haben wir Felan ein paar Mal mit hierher genommen, nur wir drei wissen davon. Und natürlich Kenny.“
Ihre Körperspannung lockert sich etwas, doch sie sieht immer noch etwas wütend aus. Ich gehe auf sie zu, drücke sie gegen die Wand und beuge mich zu ihr herunter. Ihr Mund schwebt direkt vor meinem, ich kann ihren Atem auf meinen Lippen spüren. „Ich liebe es, wenn du eifersüchtig bist.“
Grinsend überwinde ich den letzten Zentimeter zwischen uns und küsse sie, doch sie stößt mich zurück. „Ich bin nicht eifersüchtig!“, faucht sie, doch ihr Gesicht ist hochrot gefärbt. Ihre kalten Finger, die sie auf meine Brust gelegt haben, fahren über meine nackte Haut, rauben mir den Atem. „Außerdem solltest du dir endlich mal etwas anziehen.“
Mit meinen Händen halte ich ihre Finger fest an meine Brust gedrückt. „Wieso?“, flüstere ich, doch meine Stimme klingt rau, belegt.
Sie schluckt, schaut mir tief in die Augen. „Du erkältest dich sonst noch.“
Ich lache auf, ziehe sie wieder näher an mich und küsse ihren Hals, wandere hoch zu ihrem Ohr.
Sie keucht auf, dreht ihren Kopf zur Seite, um es mir zu vereinfachen. Ich beiße zärtlich in ihr Ohrläppchen, fahre zeitgleich mit meiner Hand ihren Rücken herunter. „Mir würde da etwas einfallen, wie uns beiden ziemlich... heiß wird.“
Ihr Körper erschaudert, doch sie drückt mich erneut von sich weg. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit.“
Ich stöhne enttäuscht auf.
Sie hat ja recht, es gibt jetzt wichtigeres, aber ich bin einfach machtlos in ihrer Nähe.
Ich wende mich von ihr ab und laufe auf einen schmalen Schrank zu, der von dem hellen Mondlicht beschienen wird. Ich öffne die Türen und ziehe eines der Hemden heraus, die Kenneths Onkel hier immer gelagert hat, falls er sich während der Arbeit schmutzig machte. Ich ziehe es über, ohne mir die Mühe zu machen, die Knöpfe zu schließen. Ein zweites werfe ich zu Nayara herüber, die noch immer nur in diesem sexy, roten BH unter dem Mantel vor mir steht. In Windeseile hat sie es angezogen.
Dann taste ich mich am Schrank weiter in die dunkle Ecke des Raums, die das silbrige Licht nicht erreicht. Aus dem Hängeschränkchen nehme ich die Taschenlampe, die sich nach all den Jahren noch immer am selben Platz befindet.
Zum Glück ist Kenneth zu faul, um sich um diesen Schuppen zu kümmern. Sonst wäre hier vermutlich alles schon leergeräumt.
Ich ziehe einige Mal den Dynamo auf, ehe sie sich einschalten lässt. Ihr goldener Lichtstrahl erhellt das kleine Zimmer, das in früheren Zeiten als Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter gedient hat.
Ich leuchte einmal kurz hindurch. Unter dem Hängeschrank ist die mir nur allzu gut bekannte, alte, weinrote Theke, auf der sich eine Kaffeemaschine und ein paar Tassen befinden, an denen ich mich jedes Mal nach einer wilden Nacht bedient habe, um mir neue Lebensgeister einzuhauchen. Daneben ist eine kleine Spüle, zu deren linken Seite es durch eine Tür hinaus in die Küche geht. An der Wand steht eine uralte Couch und ein Ohrensessel in der selben, hässlichen braungrünen Farbe, die mich an Kotze erinnert.
„Was suchst du?“ Nayara zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich schüttle den Kopf, was sie in der Dunkelheit unmöglich sehen kann. „Ich bin nur für einen kurzen Moment der Nostalgie erlegen.“
Dann krame ich etwas Folie und Klebeband aus einem der Schränke und mache mich daran, das Fenster notdürftig abzukleben. Nayara hält mir dabei die Taschenlampe.
Nachdem ich damit fertig bin trete auf sie zu nehme ihr die spärliche Lichtquelle ab und führe sie dann zum Sofa. Wir setzen uns nebeneinander und ich knipse die Taschenlampe aus, um unauffällig zu bleiben. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich dass zu so später Stunde noch Wanderer hier unterwegs sind, aber sicher ist sicher.
„Wieso denkst du, dass Faye der Schicksalswolf ist?“ Nayara zuckt bei meiner Frage zusammen, ich spüre ihre Bewegung überdeutlich.
Sie atmet schnaubend aus, scheint einen Moment darüber nachzudenken. Ich dränge sie nicht.
„Sie haben gesagt, dass ich sein Schützling sei. Denk doch mal darüber nach, wer sollte es sonst sein? Er stand plötzlich da, verwandelt in einen Menschen um mir zu helfen, mein Schicksal umzuschreiben. Wir kennen uns seit ich geboren wurde, er hat immer auf mich aufgepasst, es kann niemand sonst sein.“ Ein Zittern tritt in ihre Stimme, ich vermute, dass sich neue Tränen in ihre Augen geschlichen haben. Ich lege meine Hand auf ihr Knie, drücke es sanft und tröstend.
„Jetzt ist nicht nur mein bester Freund tot, weil er mich beschützen wollte... sondern auch der Schicksalswolf.“
„Nayara“, mahne ich sie. „Hör auf dir einzureden, dass es deine Schuld ist.“
„Aber wessen Schuld ist es denn sonst?“ Sie verkrampft sich unter meiner Berührung. Ich lehne mich zu ihr rüber und küsse sie aufs Haar.
„Definitiv nicht deine“, sage ich mit Nachdruck. „Aiden ist dafür verantwortlich und niemand sonst.“
„Und was machen wir jetzt?“, flüstert sie kaum hörbar.
„Uns bleibt nichts anderes übrig als zu hoffen, dass einer der Schicksalsträger bald zum nächsten Schicksalswolf aufsteigt, bis dahin wird schon alles gut gehen. Wir Wölfe geben nicht so schnell auf!“
Sie lehnt ihren Kopf gegen meine Schulter und atmet tief aus.
„Es ist seit tausenden Jahren nicht mehr vorgekommen, dass der Schutzgott starb ohne dass sein Nachfolger bereits feststand.“
Ich streiche ihr ruhig übers Haar. „Es ist aber schon vorgekommen und es ist alles gut ausgegangen. Hör auf so negativ zu denken.“
Ich meine ein Lachen in ihrer Stimme zu hören. „Ich hätte mir auch nie erträumen lassen, dass ausgerechnet du so ein dämlicher Optimist bist.“
Ich kneife ihr in die Seite. „Was soll das denn heißen?“
„Nichts.“ Ja, sie lacht. Definitiv.
Und es fühlt sich unheimlich gut an diesem Klang zu lauschen.
Doch so schnell wie sich dieser magische Moment über uns gelegt hat, ist er auch wieder verschwunden.
„Talib, ich...“ Nayara rutscht von mir ab, um etwas Platz zwischen uns zu bringen. „Ich habe deine Nachricht gelesen, in der ein Treffpunkt in einer Kapelle ausgemacht war.“
„Du hast mir hinterher geschnüffelt?“
Meine Worte klingeln vorwurfsvoller als beabsichtigt, sie zuckt merklich zusammen.
„Es tut mir leid, aber du hast dich so seltsam verhalten und...“
„Vertraust du mir etwa nicht?“
Das meint sie doch nicht ernst nach allem, was passiert ist.
„Ich war einfach so verzweifelt. Ich wusste nicht ob ich dir vertrauen kann – oder sonst irgendwem.“
Ich stoße die Luft scharf zwischen meinen Zähnen aus. „Weißt du es dann wenigstens jetzt?“
„Ja!“, beteuert sie mir, doch in ihrem Unterton schwingen Zweifel mit. „Es ist nur... Faye hat mir von der Wolfsnacht erzählt, wusstest du davon?“
Wie kommt sie denn jetzt darauf?
„Ja, natürlich“, gebe ich zu. „Sie ist ein wichtiger Teil unserer Prophezeiung.“
„Wieso hast du mir dann nicht eher davon erzählt?“
Was? Deswegen misstraut sie mir?
Wut steigt in mir auf. Ich fahre hoch, baue mich über ihr auf.
„Warum ich dir nicht davon erzählt habe?“, rufe ich, fühle eine brodelnde Hitze in mir aufsteigen. „Du warst schon so verängstigt, weil du dich in mich verlieben musstest und dann sagt dir Felan auch noch, dass du mit mir schlafen musst, um das Ritual zu versiegeln. Wie hätte ich dich denn bitte noch mehr unter Druck setzen können, indem ich dir sage, dass du nur zwei Wochen Zeit dafür hast?“
Jetzt springt auch Nayara auf. Ihre Augen blitzen selbst in der Dunkelheit gefährlich auf. „Es aber einfach zu verheimlichen und mich dann ins kalte Wasser zu schmeißen macht es besser? Du hättest ehrlich sein müssen! Und zwar von Anfang an!“
„Warst du es denn?!“
Nayara atmet hörbar aus. Ihre Stimme klingt nun sanfter, ruhiger. „Du hast recht, ich bin auch nicht besser. Aber bitte, versteh doch, dein geheimnisvolles Verhalten hat mich verunsichert, aber ich vertraue dir. Das tue ich wirklich, sonst wäre ich doch jetzt nicht hier.“
Ihre Worte treffen mich bis ins Mark. Sie hat ja recht.
Ich atme tief durch. Mehrmals. „Es tut mir leid, es ist gerade ganz schön mit mir durchgegangen. Ich verstehe dich ja schon...irgendwie.“
Sie drückt sich an mich, schlingt ihre Arme um meinen Nacken. „Und was sollen wir jetzt tun?“
Ich lege meine Arme um ihren Rücken, halte sie fest. „Wir warten jetzt erst einmal auf Felan, dann sehen wir weiter.“
***
Ein heller Lichtstrahl fällt durch das Fenster, lässt gelbe Punkte hinter meinen geschlossenen Lidern tanzen. Sofort breitet sich ein ermüdetes Gefühl in meine Körper aus, zieht unangenehm in meinen Gliedern. Ich blinzle, versuche mich zu orientieren.
Wann bin ich eingeschlafen?
Als der erste trübe Moment des Erwachens vorbei ist, erkenne ich deutlich Nayara, die sich auf einem Sessel neben mir eingerollt hat und mich stumm betrachtet.
„Hey“, flüstere ich, meine Stimme fühlt sich rau an.
Sie antwortet nicht, sieht mich aber durchdringend an.
„Was ist los?“ Sofort setze ich mich auf, lehne mich zu ihr herüber. Nayara wendet den Blick ab, ihre Unterlippe zittert. „Komm schon, Kleines. Sag mir was passiert ist“, flehe ich sie an.
„Er ist nicht da“, wispert sie mit brüchiger Stimme.
Wer?Faye?
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, antwortet sie darauf. „Felan sollte doch schon längst zurück sein, aber er ist nicht hier.“ Jetzt sieht sie mich doch an ihre grauen Augen glänzen traurig. „Ich glaube, sie haben ihn erwischt.“
Ich schnappe nach Luft.
Unmöglich. Felan ist stark. Viel stärker als Aiden. Und um die anderen haben wir uns gekümmert – oder waren da noch mehr?
„Er verspätet sich vermutlich nur etwas.“
Ich versuche die Zweifel aus meinem Kopf zu streichen. Felan wird schon nichts passiert sein.
Nayara steht auf, kommt zum Sofa herüber und lässt sich zwischen meine angewinkelten Beine nieder. Sie legt ihre Hände auf meine Wangen, sie sind eiskalt. „Talib, wir sind seit gestern Nacht hier. Felan braucht doch keine fünf Stunden um hierher zu gelangen.“
Ein unangenehmes Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, ein saurer Geschmack steigt in meiner Kehle auf.
Aber Felan kann nichts passiert sein! Es kann einfach nicht sein!
Ich schüttle vehement den Kopf, streife Nayaras Hände von mir ab. „Es geht ihm gut, da bin ich mir sicher!“
Sie beißt sich auf die Lippe. „Ich mir auch“, flüstert sie kaum hörbar.
Was?
„Ich denke nicht, dass sie ihn...getötet haben. Sie können ihn immer noch als Druckmittel nutzen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ihn gefangen haben.“
Ich springe vom Sofa auf, reiße Nayara fast mit mir runter. „Dann müssen wir ihn befreien!“
Felan mein Freund, bitte sei noch am Leben! Bitte halte durch! Ich hätte dich nie zurücklassen dürfen!
Nayara kommt auf mich zu, ihre Miene ist ernst. „Ich bin deiner Meinung, wir müssen ihm helfen. Aber wie hast du dir das vorgestellt?“
„Na, wir gehen da hin und machen ihnen die Hölle heiß.“
Sie schnaubt spöttisch.
„So einfach ist das nicht.
„Doch, genauso einfach ist das!“, schreie ich sie aufgebracht an. Sie verzieht keine Miene, weicht nicht vor mir zurück. Stattdessen kommt sie noch näher, steht unmittelbar vor mir.
„Talib, bitte...“, sie sieht mich tief und durchdringend an. „Wir brauchen einen Plan, wenn du ihn wirklich retten willst.“
Natürlich will ich das!
Ich atme hörbar aus. Ich weiß, dass sie Recht hat.
„Tut mir leid“, murmle ich unwirsch, doch sie schüttelt nur den Kopf. „Ist schon gut.“
„Wir werden Verstärkung brauchen.“
Und dann spricht sie meine schlimmsten Befürchtungen aus, die ich die ganze Zeit so sorgfältig verdrängt habe. „Talib, was ist wenn...wenn die Anderen mit Aiden unter einer Decke stecken? Was ist, wenn Dante und Leana uns auch verraten haben?“
„Sie sind meine Freunde!“, herrsche ich sie an. Diese Worte zu hören, die ich mir selbst nicht eingestehen will, trifft mich hart.
Nayara zuckt zusammen und sofort bereue ich es. Doch bevor ich mich entschuldigen kann, redet sie weiter. „Das weiß ich, ich will es ja auch nicht glauben. Aber von Aiden hättest du doch auch nicht geglaubt, dass er...ein Verräter ist.“
Ein Stechen durchzuckt meine Brust, trifft mich wie einen Blitzschlag. Der saure Geschmack brennt in meiner Kehle und ich habe das Gefühl, dass ich mich übergeben muss. Ich schlucke ihn runter.
„Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss. Ich meine doch nur, dass wir uns nicht sicher sein können.“
Ich nicke. Senke den Blick. Sind alle meine Freunde Verräter? Das kann nicht wahr sein! Dante und Leana, wären sie dazu imstande? Niemals!
Meine Gedanken überschlagen sich, mein Kopf beginnt zu rauchen. Verdammte Scheiße! Was soll ich glauben?
Nayara legt ihre kalten Finger auf meine Brust, ein prickelndes Gefühl breitet sich auf meiner Haut aus, reißt mich aus meinem inneren Kampf.
„Wir brauchen ihre Hilfe, aber vorher müssen wir rausfinden, ob sie auch wirklich auf unserer Seite sind.“
Ich ziehe sie an mich, versenke meinen Kopf in ihre Halsbeuge und sauge ihren Duft in mich auf. Es beruhigt mich. „Und wie hast du dir das vorgestellt?“
Sie fährt mit einer Hand durch meine Haare, streicht sanft darüber, während die andere beruhigend meinen Rücken auf und ab fährt.
„Wir müssen es darauf ankommen lassen, eine andere Wahl haben wir nicht.“
Dann zieht sie Felans Handy aus der Manteltasche hervor.