Talib
Nachdem Nayara diesem Faye von der Prophezeiung erzählt hat, um ihn dazu zubringen sich uns anzuschließen, ist er einfach so abgehauen. Ich bin mir zwar immer noch nicht sicher, ob es richtig war, ihm von unseren verknüpften Schicksalen zu berichten, aber ich bin mir dafür umso sicherer, dass er wieder auftauchen wird. Und das schneller als es mir lieb ist.
„Er vertraut dir nicht“, erklärt Nayara mir und legt sachte eine Hand auf meinen Arm. Ich schnaube verächtlich. „Ich ihm auch nicht!“
Dieser Typ hat Dreck am Stecken, das spüre ich einfach.
„Wie kannst du das nur sagen? Faye ist mein Freund!“ Nayara zieht ihre Hand von mir zurück und wirft mir einen empörten Blick zu.
„Achja? Und was bin ich dann für dich?“
Nayara sieht mich überrascht an. Während ich sie abwartend anblicke, muss ich mein Herz beruhigen, damit es nicht aus meinem Brustkorb springt.
„Ich.. also...Wie soll ich...“, stottert sie. Ihre Hände zittern.
„Du was?“ Ich ziehe die Augenbrauen nach oben.
„Ich weiß es nicht“, gesteht sie dann kleinlaut.
Mein Herz verkrampft sich und ich tue mich schwer daran, ruhig weiter zu atmen.
„Ohne zu zögern hast du ihn einen Freund genannt, aber bei mir fällt dir nichts ein?“ Ich lache sarkastisch auf, Nayara zuckt unter dem Laut zusammen.
Seit dieser Typ aufgetaucht ist, hat er nichts als Unruhe zwischen uns gebracht.
„Findest du das nicht auch unheimlich verwirrend? Wir kennen uns erst seit kurzem und ich weiß einfach nicht, was das zwischen uns ist. Kannst du das denn nicht verstehen?“
„Nein.“ Ich umgreife ihr Kinn und zwinge sie mich anzusehen. In ihren Augen glänzen unvergossene Tränen. Ihr Atem dringt hektisch hervor. „Für mich ist es ganz einfach.“
Ich atme tief durch, versuche mich an einem Lächeln. „Prophezeiung hin oder her, ich will, dass du an meiner Seite bleibst. Für immer.“
Nayara schluckt, blinzelt mich verwirrt an. Ihr Kopf scheint förmlich in Rauch aufzugehen.
Ich beuge mich zu ihr herunter, sodass sich unsere Münder fast berühren. „Ich habe mich in dich verliebt“, hauche ich ihr auf die Lippen. Ich sauge tief ihren süßlichen Duft auf, schließe die Augen. Nayaras Finger legen sich zitternd auf meine Brust, mit ihren Fingern krallt sie sich in den Stoff meines Oberteils. Tausend winzige Blitze durchzucken meinen Körper, regen mein Herz dazu an, Saltos zu schlagen.
„Sag doch was“, flüstere ich, fühle ihren warmen Atem auf meinem Gesicht. Hitze brodelt in mir auf, benebelt meine Sinne.
Nur ein einziges Wort reicht und ich werde dich nie wieder loslassen.
„Bitte“, flehe ich, kann mich kaum noch zusammenreißen. Ich will ihre Lippen in Besitz nehmen.
Doch als sich Nayaras Gesicht in meine Halsbeuge legt und ich heiße Tränen auf meiner Haut fühle, reiße ich verwirrt die Augen auf.
Mein Herz hält für einen Moment inne, ehe es noch schneller zu pochen beginnt.
„Es tut mir leid“, schluchzt sie und neue Tränen kitzeln an meinem Hals.
Ich dämlicher Idiot.
Zärtlich fahre ich ihr mit der Hand durchs Haar. „Nein, mir tut es leid.“
„Was?“ Ihre Stimme ist so leise, dass ich für einen Moment glaube, es war nur eine Einbildung.
„Ich hab dich völlig überrumpelt. Ich bin mir sicher, dass du gerade andere Dinge im Kopf hast.“
Ich drücke sie vorsichtig von mir, damit sie mich ansehen kann. Ihre grauen Augen werden von einem rötlichen Schleier belegt. Ich wische ihr mit der flachen Hand die feuchten Rinnsale aus ihrem hübschen Gesicht.
„Lass uns erstmal mehr Informationen sammeln, die nützlich sein könnten.“ Nayara presst die Lippen fest aufeinander, sieht mich dankbar an und ich schenke ihr ein sanftes Lächeln. „Ich werde warten.“
„Danke“, haucht sie und erwidert mein Lächeln. „Aber wo sollen wir anfangen?“
Die kleine Ablenkung wird mir gut tun und dafür sorgen, dass ich nicht die ganze Zeit an Nayaras Zurückweisung denke. Nun ja, halbe Zurückweisung. Wie auch immer.
Kurz darauf sind wir auf dem Weg zu einer kleinen Bücherei, die in einer abgelegenen Straße in Stadtnähe liegt.
Schon von außen macht die Fassade, deren weißer Putz sich schon längst Grau von all dem Schmutz gefärbt hat, einen mystischen Eindruck. Das dämmrige Licht im Inneren des Gebäudes erreicht niemals die Tür oder die Fenster, weshalb der Laden immer so wirkt, als sei er geschlossen. Als ich die schwere Tür öffne, bimmelt ein Glöckchen. Nayara folgt mir, drängt sich dicht an meinen Rücken. Staubige Luft umhüllt uns, schwarzer Nebel steigt aus einem Gitter vom Boden auf, verschleiert einen Teil unserer Beine.
„Wo sind wir hier?“, flüstert Nayara, aus ihrer Stimme meine ich Angst heraus zu hören.
„Willkommen im Rabenschwarz und Federblut, der einzige Ort, an dem fluchen erwünscht ist.“
Dieser Witz war damals schon nicht lustig.
Der schwarzhaarige Verkäufer beugt sich über den Tresen und verzieht die dunkel geschminkten Lippen zu einem finsteren Lächeln.
Nayara hält sich an meiner Jacke fest und ich kann mir ein Grinsen einfach nicht verkneifen. Ich nicke dem Verkäufer zu einer Begrüßung zu, dann wende ich mich zu ihr um, lege meinen Arm um ihre Taille und führe sie zum hintersten Teil des Ladens.
„Das ist eine mystische Bücherei. Hier findest du einfach alles. Alte Legenden, Anleitungen, um wirksame Waffen gegen Zombieapokalypsen zu bauen und sogar Zutaten für Zaubertränke.“
Nayaras weit aufgerissene Augen sind selbst in dem schwachen Lichtschein deutlich zu erkennen. „Zombieapokalypse?“
Ich lache. „Völliger Schwachsinn, wenn du mich fragst. Aber die wenigen Menschen, die diesen Laden betreten, scheinen drauf zu stehen.“
„Was wollen wir hier?“
Ich nehme mir eine der kleinen Lampen, die an dem Bücherregal neben mir hängen und beleuchte das hölzerne Schild, das über dem Balken vor uns hängt. „Schwarze Magie.“
Nayara löst sich schlagartig aus meiner Umklammerung. „Was hast du vor?“
Ich seufze. „Keine Angst, ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Ich will nur recherchieren.“
„Versprochen?“ Aus ihrer Stimme höre ich raus, dass sie immer noch an mir zweifelt.
„Versprochen.“ Ich greife ihre Hand und ziehe sie hinter mir her. Doch sie wirkt nicht gerade so, als würde sie mir das einfach so abkaufen.
Vor uns erstrecken sich vier lange Flure, die sich alle zu einem Labyrinth verknoten. Ganz am Anfang habe ich hier Stunden verbracht, weil ich den Ausgang nicht finden konnte, doch mittlerweile laufe ich hier blind durch. Wir treten in den zweiten Flur von links, vorbei an Decken hohen Regalen gefüllt mit Büchern. Ich nehme mir noch eine zweite Lampe vom Regal und drücke sie Nayara in die Hand. Sie richtet ihren Blick gebannt auf die Regale um uns herum und ich muss grinsen, als ich erkenne, wie neugierig sie das alles macht.
Für mich war mein erster Besuch hier unangenehm und am liebsten wäre ich sofort wieder abgehauen, aber ihre Beklommenheit von vorhin scheint nun vollkommen verblasst zu sein.
„Sieh dich ruhig um, aber bleib immer in meiner Nähe.“
Nayara schaut mich spöttisch an. „Hast du Angst, dass mich die Bücher entführen könnten?“
Ich zwinkere ihr zu. „Wer würde schon so ein anstrengendes Weib wie dich freiwillig entführen.“
Sie verschränkt die Arme vor der Brust, dabei fällt ihr Licht fast zu Boden. „Anstrengend? Vorhin hast du noch gesagt...“
Das ist die Reaktion, die ich wollte.
Ich lehne mich vor und drücke sie gegen eines der Regale. „Das meinte ich auch ernst“, raune ich ihr ins Ohr und beiße ihr dann zärtlich ins Ohrläppchen. Sie stöhnt leise auf, drückt mich dann aber zurück. Selbst in dem schwachen Licht schimmern ihre Wangen rot.
„Du bist unmöglich“, flüstert sie, meidet aber meinen Blick. Ich lasse wieder von ihr ab und räuspere mich. „Die Flure verschlingen sich zu einem Labyrinth, ich will dich hier drin nicht verlieren.“
„Hättest du das nicht gleich sagen können?“ Sie schlägt mir sachte gegen die Brust. Ich fange einen ihrer Finger und beiße vorsichtig hinein. „Hätte ich, aber so macht es mehr Spaß.“
Sie schnaubt und läuft voraus. „Blödmann!“
Während ich nach den Büchern suche, die uns von Nutzen sein könnten, lasse ich Nayara keine Sekunde aus den Augen. Ihre Finger gleiten über die Bücherrücken und manchmal zieht sie einen der Wälzer heraus und blättert darin herum. Der goldene Schein des Lichts, der die Dunkelheit um uns herum vertreibt, lässt ihr Gesicht erstrahlen. In ihren Augen glänzt Bewunderung auf, so manches Mal rümpft sie aber auch angewidert die Nase. Grinsend nehme ich ihr das Buch aus der Hand. „Ewiges Leben im Schutze der Nacht.“
Ich überfliege die Zeilen und klappe es dann rasch zu und stelle es zurück ins Regal. Nayara sieht mich überrascht an.
„Das ist ein Buch über die mächtigsten Zauber der Dunkelheit. Du kannst dir ein ewiges Leben erschaffen, aber im Gegenzug fordert der Zauber Blutopfer. Eine Menge davon“, erkläre ich ihr. Sie nickt knapp. „Sollten diese Bücher wirklich zugänglich für jeden sein?“
Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt.
„Keine Angst, die meisten Leute, die hierher kommen, haben keine Fähigkeiten, um diese Rituale wirklich zu vollziehen.“
„Schon ein Einzelner würde reichen“, erwidert sie und greift nach dem Buch.
„Was willst du damit?“ Ich will es ihr abnehmen, doch sie presst es fest gegen ihre Brust. „Wenn es wirklich so mächtig ist, dann will ich es mitnehmen, damit es nicht in die falschen Hände gerät.“
Ich zucke ergeben mit den Schultern. „Wenn du meinst, aber wir sollten uns jetzt wirklich auf andere Dinge konzentrieren.“
Ich drücke ihr zwei der Bücher in die Hand, die ich eingesammelt habe. „Wolfsnacht und Schicksalsleiden.“
„Kannst du sie durchsehen, ob etwas Nützliches dabei steht?“ Nayara nickt. Ich schiebe sie weiter durch den Flur, der sich am Ende zu einem Kreis ausweitet, der von weiteren Regalen umzäunt wird. In der Mitte stehen Sofas und Sitzkissen. Wir lassen uns auf eines der Stoffsofas sinken und vertiefen uns in die Bücher. Gelangweilt überfliege ich die Zeilen des Buches „Prophezeiungen deuten“, doch nichts darin ist neu für mich.
„Talib?“ Nayara schaut von ihrem Buch auf und kaut auf ihrer Unterlippe herum.
„Hast du was gefunden?“
Sie schüttelt den Kopf. „Nicht wirklich, aber mir geht da etwas nicht aus dem Kopf.“
Ob sie sich wohl doch auch in mich verliebt hat? Will sie mir das sagen?
„Wieso kannst du dich verwandeln, wenn du willst. Aber ich nicht?“
Wäre ja auch zu schön gewesen.
„Naja, ich habe mit dunklen Ritualen herumexperimentiert und uns aus Versehen verwandelt. Ich denke, dass es ein Nebeneffekt des Zaubers ist. Er wurde nicht vorschriftsmäßig durchgeführt und funktioniert deshalb nicht so, wie er sollte.“
Ich fahre mir mit den Fingern durch den Drei-Tage-Bart. „Ich kann mich auch nicht immer verwandeln. Es klappt nur alle drei Stunden für einen kurzen Zeitraum. Meistens sind es maximal zwanzig Minuten, je nachdem wie stark mein Wille ist.“
„Dein Wille?“
„Wenn ich zum Beispiel richtig wütend werde, dann verwandle ich mich, ohne es zu wollen. In diesem Fall sind meine animalischen Triebe so stark, dass ich länger in meiner Wolfsform bleiben kann.“
Sie nickt. „Ich verstehe, aber wieso kann ich das nicht?“ Ihre Lippen zucken nach unten. „So oft wie du mich schon wütend gemacht hast“, setzt sie dann provokant nach.
Oh, du willst also mit dem Feuer spielen?
Ich lehne mich zu ihr herüber und flüstere so leise, dass sie selbst mit ihrem Wolfsgehör Schwierigkeiten haben muss, mich zu verstehen. „Ich kann dich gerne noch ein wenig wütender machen, wenn es das ist, was dich anmacht.“ Provokant lecke ich mir über die Lippen und erreiche mein Ziel. Auf Nayaras wunderschöner Haut breitet sich Röte aus, kriecht langsam ihren Hals hoch und verfärbt ihre Wangen.
„Weißt du, was mich wirklich anmacht?“, gibt sie nach einem kurzen Räuspern zurück. Damit hat sie mich. Neugierig schaue ich sie an, lausche jeder Silbe. „Wenn du endlich mal die Klappe halten würdest.“
Touché.
Sie setzt ein siegreiches Lächeln auf und zwinkert mir zu. Und scheiße, ich mag ihre freche Art. Den Moment, wenn sie ihre Schüchternheit überwindet um mir Paroli zu bieten.
„Aber Mal im Ernst, woran glaubst du liegt es, dass ich mich nicht verwandeln kann?“ Ihre Stärke von eben weicht ihrer Unsicherheit.
Ich taste nach ihrer Hand und verschlinge ihre Finger mit meinen. „Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, es liegt daran, dass es für dich eine Bestrafung ist. Du kannst dich nicht einfach so dagegen wehren, ehe du nicht deine...Fehler wieder gut gemacht hast.“
In ihren Augen liegt Traurigkeit gefangen. Ich drücke ihre Hand etwas fester. „Du hast nichts falsch gemacht“, sage ich dann bestimmt und hoffe, dass meine Worte sie erreichen.
Sie schluckt, verdrängt dann aber das Thema. „Aber was war denn das mit meinen Augen, vielleicht war ich wirklich kurz davor mich zu verwandeln?“
„Aber du bist ohnmächtig geworden.“ Ich schaue sie ernst an. „Ich weiß, dass du dir nichts sehnlicher wünschst, aber bitte sei vorsichtig. Ich glaube fest daran, dass dies ein Anzeichen darauf war, dass wir in die richtige Richtung gehen. Aber du musst dich noch etwas gedulden, ich will nicht, dass dir etwas passiert.“
Nayara streicht mit ihrem Daumen über meinen. „Was bleibt mir schon anderes übrig.“
Ich seufze und hoffe inständig, dass sie keine Dummheiten versucht.
Doch in dem Moment erkenne ich einen Mann aus den Augenwinkeln, von dem ich gehofft hatte, ihm nie wieder begegnen zu müssen: Generalmajor Fremont. Der große, muskulöse Mann steckt in einem mir nur allzu bekannten schwarzen Anzug, von denen er tausende zu besitzen scheint. Sein Gesicht, wird von dem ebenfalls dunklen Hut bis zur Nase verdeckt, allein der kurze Bart und die kalten Lippen, die keine Freude kennen, stechen hervor. Als er sich bewegt, setzt er den Gehstock mit dem silbernen Griff, an dem ein Bärenkopf ragt, auf den Boden auf. Das Geräusch, das er hinterlässt, bereitet mir eine Gänsehaut am ganzen Körper. Mein Herz hört fast schon auf zu schlagen, in meinem Kopf rauscht das Blut und die Kälte, die sich augenblicklich in meinem Inneren ausgebreitet hat, frisst sich bis ins Mark.
Ich lasse den Mann mittleren Alters nicht aus den Augen. Die zitternden Hände, die er in die üblichen schwarzen Handschuhe mit weißen Spitzen gesteckt hat, wandern über die verschiedenen Buchrücken. Vor dem Zwischenraum zweier Bücher, verharrt er. Reibt sich dann durch den Bart.
„Es ist nicht da!“, höre ich ihn nur dank meiner geschärften Sinne fluchen. „Wir sollten gehen“, flüstere ich zu Nayara. „Schnell, aber leise.“
In ihrem Blick erkenne ich, dass sie nicht versteht, was plötzlich in mich gefahren ist, aber sie begreift, dass es wichtig ist, das zu tun, worum ich sie bitte. Sie nickt und erhebt sich so tonlos wie möglich von der Couch. Ich behalte Fremont weiter im Auge, greife nach Nayaras Hand und führe sie eilig durch die Flure zurück zum Ausgang.
Obwohl die Nervosität in mir aufsteigt und sich jedes Glied in meinem Körper taub anfühlt, mache ich an der Kasse halt. Wortlos schiebe ich dem Schwarzhaarigen die Bücher, samt meinem Buchausweis über die Theke und er scannt sie ein. Er nennt mir einen Preis, tippt dann etwas in die Kasse ein, als ich ihm ein paar Münzen hinlege und dann schwingt die Münzschublade piepend auf.
„Rückgabetag ist in zwei Wochen“, murmelt er mit seiner bassartigen Stimme, während er die Buchdeckel auf der Innenseite mit einem Stempel versieht.
Ich nicke nur wissend und drücke Nayara dann vor mir her, aus dem Laden. „Viel Vergnügen beim Lesen“, ruft er uns lachend hinterher, doch die einzige Antwort, die er von uns bekommt, ist das Läuten der Türklingel.
Erst als wir wieder an die frische Luft treten, wage ich es, laut zu atmen. Die ganze Anspannung entweicht aus meinen Muskeln und mein Herzschlag scheint sich langsam wieder zu normalisieren.
„Was ist denn los? Du bist ganz blass“, meint Nayara besorgt, doch ich ziehe sie einfach weiter.
Ich will hier so schnell es geht wieder weg.
„Ich erkläre es dir später“, erwidere ich knapp und bin ihr dankbar, dass sie es ohne Widerworte hinnimmt.
Als wir um die Ecke laufen, stößt Nayara gegen eine Mann, der mir erst jetzt richtig auffällt.
„Felan?“
Mein alter Freund sieht zwischen Nayara und mir hin und her. Dann greift er nach Nayaras freier Hand und haucht einen Kuss darauf. „Verzeihung die Dame, ich habe Sie einfach nicht gesehen. Ich hoffe, Ihr seid unversehrt.“
Schnaubend entzieht sie sich seiner Hand und reibt ihren Handrücken an der Kleidung ab. „Deswegen musst du mich nicht gleich ansabbern.“
Bei dem Anblick trete ich zwischen Nayara und Felan, auf dessen Lippen sich ein schelmisches Grinsen stiehlt.
„Was macht ihr denn hier?“ Anscheinend wechselt er lieber gleich das Thema, bevor ich eine Warnung aussprechen muss. Ich fasse den Träger des Rucksacks enger um meine Schulter, in dem ich die Bücher verstaut habe. „Shopping“, erkläre ich ihm knapp. „Und du?“
„Soso, hast du also erkannt, dass du die Frauen nur rumbekommst, wenn Geld mit im Spiel ist?“
„Ich bin gerade nicht zum Scherzen aufgelegt“, raune ich und drücke mich an ihm vorbei.
„Das war auch keiner“, erwidert Felan lachend und folgt uns.
„Bei jemandem wie dir, würde mich nicht einmal das Geld reizen“, entfährt es Nayara kalt. Sie wirft ihm einen finsteren Blick zu. Ich drücke ihre Hand und schenke ihr ein amüsiertes Lächeln.
„Danke, dass du mich verteidigst.“ Ich zwinkere ihr zu.
„Das tue ich gar nicht“, entgegnet sie. „Ich wollte nur klarstellen, dass Felan eine weitaus schlechtere Wahl wäre als du.“
Autsch, na vielen Dank auch.
Felan schnaubt empört. „Es gibt eine Menge Frauen, die das anders sehen.“
„Zu denen gehöre ich allerdings nicht“, erwidert Nayara scharf.
„Na da sind wir aber alle froh drum. Mit jemandem wie dir würde ich mich sowieso schnell langweilen.“ Felan leckt sich zufrieden über die Lippen, als er Nayaras entsetzen Ausdruck in den Augen bemerkt.
„Das reicht jetzt!“, ermahne ich ihn. „Wenn du jemandem auf die Nerven gehen willst, such dir einen Anderen.“ Als ich sehe, wie Felan den Mund öffnet, setze ich schnell hinzu, „oder eine Andere.“
Er zwinkert mir spöttisch zu. „Aber Talib mein Lieber, die Anderen haben alle keine Zeit.“
„Wir auch nicht“, mischt sich Nayara nun ein. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie Felan nicht sonderlich über den Weg traut.
Er ist sarkastisch und kann ganz schön unangenehm werden, aber eigentlich ist er ein wirklich guter Freund. Er ist loyal, zuverlässig und ziemlich intelligent. Und sein Charme scheint bei vielen Frauen zu wirken, was ich bis heute noch nicht verstehe.
Felan schürzt die Lippen. „So ist das also, kaum hast du dir ein Weibchen angelacht, da hast du keine Zeit mehr für deinen guten alten Freund“, scherzt er und übergeht Nayaras zornigen Blick. Ich seufze ergeben. „Du bekommst einen Kaffee, danach verziehst du dich wieder.“
***
„Wie ich sehe, hilft dir nicht einmal Geld weiter, um deine Kleine ins Bett zu kriegen“, bemerkt Felan grinsend, als er die Bettdecke und das Kissen auf dem Sofa entdeckt. Er lässt sich achtlos darauf fallen. „Du tust mir ja fast schon ein bisschen leid.“
Ich knalle die Tasse vor ihm auf den Tisch, sodass der Kaffee überschwappt und die weiße Tischdecke braun färbt. „Klappe!“
Zum Glück ist Nayara gerade im Bad und hat nichts von alldem gehört.
„Nein ehrlich, ihr scheint kein Stück weitergekommen zu sein.“ Felan nimmt einen großen Schluck von dem Kaffee. „Du hast doch keine Ahnung“, presse ich missmutig hervor, lasse mich neben ihm nieder.
Wir sind uns die letzten Tage näher gekommen, aber dann musste dieser dämliche Faye auftauchen!
„Mehr als du, wie es mir scheint. Immerhin bin ich schlau genug, mich auf die Vorzüge der Frauen zu konzentrieren und wenn es kompliziert wird, verschwinde ich einfach.“
„Du meinst du spielst nur mit ihnen, weil Gefühle zu anstrengend sind?“
Felan lacht und öffnet den obersten Knopf seines grauen Hemds. „Ganz schön heiß hier drin“, bemerkt er, vermutlich nur, um vom Thema abzulenken.
Er hat sich kein Bisschen verändert.
„Hör mal, ich muss mit dir etwas besprechen.“ Ich nehme selbst einen Schluck Kaffee, der bittere Geschmack auf meiner Zunge lässt mich besser fühlen.
Mein alter Freund hebt fragend die Brauen. „Willst du dir nun doch noch die Datingtipps abholen?“
„Es ist mir wirklich wichtig.“
Felan verzieht das Gesicht zu einer ernsten Grimasse. „Ich bin ganz Ohr.“
Doch ich schüttele den Kopf. „Nicht hier. Es ist besser, wenn wir ungestört sind. Außerdem hätte ich die Anderen auch gerne dabei. Kannst du da irgendwas einfädeln?“
Felan nickt, trinkt seine Tasse mit einem Zug aus und steht auf. „Ich kümmere mich sofort darum. Ich melde mich dann bei dir.“
Ich stehe auf und gebe ihm die Hand, drücke sie freundschaftlich. „Danke.“
Genau in dem Moment stößt Nayara zu uns. „Willst du schon gehen?“
Felans ernste Miene wandelt sich Augenblick zu einem schelmischen Grinsen. „Oh Liebes, ich würde auch gerne noch länger mit dir spielen, aber man verlangt nach mir.“
„Na hoffentlich behält man dich auch dort und zwar für immer.“ Ihre Augen sind zu Schlitzen verengt.
Felan schmunzelt, zieht sich den Mantel über und richtet den Kragen in seinem Nacken. Ehe er durch die Tür tritt, wendet er sich nochmal an Nayara. „Hör mal Süße, du solltest den armen Talib nicht so zappeln lassen und ihn endlich ranlassen, sonst hat er vermutlich bald die Schnauze voll von dir.“
„Felan, lass den Scheiß!“, mische ich mich ein. Doch es ist bereits zu spät. Nayara sieht ihn fragend an. „Ran lassen?“
Noch ehe ich dazwischen treten kann, hat er sich zu ihr rübergebeugt und raunt ihr ins Ohr. „Sex.“
Sie weicht erschrocken von ihm zurück. Ihre Reaktion lässt mich beinahe lachen.
Auf der einen Seite eine eiskalte Wölfin und dann doch wieder das scheue Rehlein.
„Wenn es keine Zweifel mehr gibt und ein Körper den anderen liebt...“, zitiert er die letzten Strophen der Prophezeiung. „Was meinst du wohl, was das bedeuten soll?“
Noch ehe Nayara irgendwas entgegnen kann, ist er bereits verschwunden. So geschockt wie sie aussieht, wäre ihr vermutlich sowieso keine schlagfertige Antwort eingefallen.
Ihr Gesicht hat sich knallrot verfärbt.
„Ist das wahr?“ Sie schaut mich aus aufgerissenen Augen heraus an.
Klasse, wieso muss es mir nur jeder so schwer machen?
Ich suche angestrengt nach Wörtern, die die ganze Situation weniger kompliziert machen.
„Ja“, gestehe ich dann und trete auf sie zu. „Die Prophezeiung kann sich nur erfüllen, wenn sich unsere Körper vereinigen, als Zeichen unserer Liebe.“
Als ich meine Hand nach ihr ausstrecke, schlägt sie sie weg. „Nicht!“
Ich wage es kaum zu atmen, schaue sie durchdringend an.
„Das hast du dir doch nur ausgedacht, um mich ins Bett zu bekommen.“
Glaubt hier wirklich jeder, dass ich eine Ausrede brauche, um eine Frau ins Bett zu bekommen?
Ich überwinde den Abstand zwischen uns, drücke sie gegen die Tür und presse mich eng an sie. „Ich werde nicht leugnen, dass ich mit dir schlafen will, aber das ändert nichts daran, dass die Prophezeiung es uns vorgibt“, hauche ich ihr ins Ohr, lege meine Hand um ihr Kinn und drehe ihr Gesicht auf die Seite. Zärtlich küsse ich ihren Hals. Zuerst versucht sie mich wegzudrängen, doch ich halte sie fest. „Du kannst dich dagegen wehren, aber ich werde dafür sorgen, dass du es auch willst.“ Ich lecke ihre Halsbeuge entlang, knabbere an ihrer Haut.
Ein tiefes Stöhnen dringt aus ihrer Kehle und ich lasse sie los, damit ich ihr in die Augen sehen kann. Mit meiner Zunge fahre ich über ihre bebenden Lippen, benötige all meine Willenskraft, um innezuhalten.
„Ich werde dich genauso verrückt nach mir machen, wie du es mit mir tust.“
Ihre silbergrauen Augen blitzen sehnsüchtig auf. Nayara stellt sich auf die Zehenspitzen und reckt sich mir entgegen. Ihr Mund schwebt direkt vor meinem, wartet darauf, leidenschaftlich in Besitz genommen zu werden zu werden. Doch ich überwinde den letzten Millimeter nicht. Stattdessen fahre ich mit meinem Daumen die Konturen ihrer geschwungenen Lippen nach. Ich werde dich erst wieder küssen, wenn du mir sagst, dass du mich auch liebst.“
Erst als ich mich von ihr abwende, traut sie sich, etwas zu sagen. „Träum weiter“, bringt sie mit zitternder Stimme hervor. Und in diesem Moment weiß ich, dass ich gewonnen habe.
Ich drehe mich nochmal zu ihr um und zwinkere ihr zu. „Eigentlich wollte ich mit dir etwas Wichtiges besprechen, aber wenn du noch einen Moment brauchst, um dich zu sammeln, dann kann ich das verstehen.“
Ich lasse mich zurück auf die Couch fallen, beobachte sie zufrieden. Nayara räuspert sich verlegen. „Mir geht es bestens, danke“, erwidert sie mit fester Stimme und setzt sich neben mich, lässt aber etwas Abstand zwischen uns entstehen.
„Ich glaube, ich schulde dir eine Erklärung für mein Verhalten im Rabenschwarz und Federblut.“
Nayaras graue Augen fixieren mich, sie nickt nur schwach.
„Damals kannte ich diese Bücherei noch nicht, hatte aber schon durch ein paar Menschen von schwarzer Magie gehört. Und irgendwann hatte mir Tarun von diesem Mann erzählt, den er schon lange beobachtet hatte. Tarun war sich sicher, dass dieser Kerl schwarze Magie praktizieren würde.“
Ich schlucke schwer. „Wir waren so blöd, als wir dachten, wir könnten einfach in sein Haus einbrechen und ein paar seiner Bücher und Ritual-Relikte stehlen. Wir waren mehrmals dort, um nach neuen Büchern zu suchen.“
„Ritual-Relikte?“ Nayara schaut mich fragend an.
„Dinge wie Kreide aus Drachenknochen, heilig gesprochene Ritualmesser, aber auch magische Gegenstände, allerdings weiß ich über diese selbst viel zu wenig.“
Als sie nickt, fahre ich weiter fort. „Natürlich wurden wir eines Tages erwischt. Tarun nahm die Sachen an sich und ich verschaffte ihm etwas Zeit, um zu fliehen, indem ich mich auf diesen Typen stürzte. Dieser Mann schien absolut keine Angst zu fühlen, seine Augen waren so finster und da war ich mir sicher, dass er weitaus gefährlicher war, als ich geglaubt hatte.“
Ich fühle Nayaras Bein an meinem als sie näher heran rutscht und ihre Hand, die zärtlich über meine streicht.
„Er hatte diesen Gehstock mit einem Bärenkopf am Griff. Obwohl ich in meiner Wolfsgestalt war, hatte ich keine Chance gegen ihn. Immer und immer wieder hat er mit diesem Stock nach mir geschlagen und mir sämtliche Knochen gebrochen.“
Nayara legt ihre Hand auf meine Wange. Erst jetzt bemerke ich, wie ich angefangen habe zu zittern. Liebevoll wandern ihre Finger über mein Gesicht. Ich atme tief durch. „Wäre Aiden nicht wie durch ein Wunder aufgetaucht und hätte diesen Kerl überrascht, wäre ich wahrscheinlich tot. Aiden half mir zu türmen und seitdem habe ich diesen schwarzen Magier nie wieder gesehen, bis zum heutigen Zeitpunkt.“
Nayara zieht mich an sich und ich lasse meinen Kopf auf ihre Schulter sinken, sie fährt langsam mit ihren Händen durch mein Haar. Das unregelmäßige Pochen ihres Herzens dringt leise an meine Ohren. Als ich ihrem Herzschlag lausche, beruhigt sich meiner wieder etwas.
„Ich habe ihn auch gesehen. Der breitschultrige Mann mit dem schwarzen Anzug und dem Hut. Oder?“
„Fremont“, flüstere ich. „Woher weißt du, dass ich ihn meinte?“
Ich ziehe mich aus ihrer Umarmung zurück, um sie ansehen zu können. Ihre Miene ist vollkommen ausdruckslos. „Ich hatte ein schlechtes Gefühl als ich ihn entdeckt hatte, als wäre eine dunkle Aura um ihn herum. Seine Anwesenheit trieb mir einen kalten Schauer über den Körper und als du dich dann noch so seltsam verhalten hast, wusste ich, dass etwas mit ihm nicht stimmen konnte.“
„Er ist gefährlich.“ Ich lege meine Hand auf ihr Knie und drücke es sanft. „Ich bin nur froh, dass wir unbemerkt entkommen konnten. Ich bin mir sicher, dass er in der Lage ist, mich auch in meiner menschlichen Form widerzuerkennen.“
Falls er das nicht bereits hat.
„Also seid ihr durch diesen Fremont auf die schwarze Magie gekommen?“
„In einem seiner Bücher habe ich ein Ritual dazu gefunden, wie man Körper wandeln kann. Ich wollte Tarun in einen Wolf verwandeln. Es benötigte das Blut eines Wolfes, um das Ritual durchzuführen. Allerdings ging irgendetwas schief und stattdessen verwandelte ich uns alle in Menschen.“
„Hast du denn schon einmal versucht es wieder rückgängig zu machen?“
Ich schnaube. „Natürlich hab ich das. Ich habe sehr, sehr lange nach einem Ort wie die Bücherei der dunklen Mächte gesucht. Dort habe ich Tage verbracht, um nach einem Umkehrritual zu suchen oder irgendetwas anderes, das uns helfen konnte. Und als ich endlich eines fand, ging es schief. Man benötigt das Herz eines Menschen und das Blut eines Wolfes, um es durchzuführen.“
Nayaras Augen weiten sich vor Schock. „Habt ihr...?“
Ich nicke sachte mit dem Kopf. „Als der Mann, der hier lebte, starb, haben wir sein Herz rausgeschnitten, um es für unser Ritual zu benutzen. Kurz vor seinem Tod haben wir ihm die Wahrheit über uns erzählt, er hat gelacht und gemurmelt, dass er es immer geahnt hatte. Es war ihm ganz egal, was wir waren, Johann hatte uns in eben dieses Herz geschlossen. Deshalb wollte er, dass wir es nutzen.“
Ich schließe die Augen, verdränge den Schmerz und die Gedanken aus meinem Körper.
Danke für alles, alter Mann.
„Allerdings hatte niemand von uns ahnen können, dass das Blut, das durch unsere Bahnen fließt, nicht weiter als Wolfsblut anerkannt wird. Das Ritual ging schief und das Herz des Alten verbrannte, als ein Blitz in den Zirkel einschlug.“
Ich öffne die Augen um Nayara ansehen zu können. Ihre silbergrauen Augen glänzen feucht. Ich streiche ihr eine Strähne hinter das Ohr, lasse meine Hand auf ihrer Wange verweilen. „Das war das letzte Mal, dass ich mich an schwarzer Magie versucht habe. Aber ich habe nie aufgehört nachzuforschen.“