Vor den weiträumig angelegten Ackerflächen, die bereits für die bevorstehende Einsaat gepflügt wurden, trennten sich die Kämpfer voneinander und jeder ritt seines Weges, um geschlagene Wunden zu lecken. Goram führte seine Streiter hinauf zum Plateau und Ben die seinen nördlich zur Burg.
Schon aus der Ferne war ersichtlich, dass der nahende Beritt gespannt erwartet und dafür alle Arbeiten niedergelegt wurden. Auf direktem Wege, beginnend am äußersten Ende der Zeltstadt bis zum Palas, fanden sich die Bewohner zum Spalier ein und empfingen den Fürsten und die Schwertmänner mit stetigem rhythmischen Klatschen. Trotz der erlittenen Verluste saßen sie stolz und aufgerichtet in ihren Sätteln, vereinzelt erhellten sich vor Trauer verfinsterte Minen. Sobald der letzte Reiter die Abfolge erreichte, schloss sich diese hinter jenem und die Menge folgte weiterhin klatschend hinauf zur Burg.
Ben war der Erste, der in den inneren Burghof einritt und lenkte Artemis zum Palas, wo ein Stalljunge auf seine Ankunft wartete. Korian stand hinter Lerina und hielt seine kräftigen Hände auf ihren schlanken Schultern - beide lächelten. Ben erwiderte die Geste müde, reichte dem Wartenden die Zügel und schwang sich aus dem Sattel. Auf dem Fuße und mit lediglich drei ausladenden schritten war er an Lerina heran. Er kniete nieder und griff nach ihrer Hand, die er sanft küsste. Er hob seinen Blick und schenkte ihr ein herzhaftes Lächeln. Dennoch lag geschlagene Trauer in seinen Augen.
»Geh mein Kind«, hauchte Korian ihr ins Ohr, gab ihre Schultern frei und nickte seinem Fürsten vertraut zu.
»Du bist zurück. In einem Stück und unversehrt ...« Sie schloss beruhigt die Augen und atmete erleichtert aus, da sie seinen schweren Blick richtig zu deuten vermochte.
Noch bevor sie in der Lage war ihre Stimme erneut zu erheben, richtete sich Ben auf und legte ihr seinen rechten Zeigefinger auf die Lippen. »Zu viele, aber wir haben gesiegt. Neumark ist derzeitig die sicherste Mark in ganz Rongard.«
Er zog sie in seine Arme und umarmte sie kräftig, küsst sie innig und vergrub sein Gesicht in ihren Hals. »Ich Liebe dich, Lerina«, flüsterte er und eine einzelne Träne rann ihm aus dem Auge.
»Ja. Ich liebe dich auch«, gestand sie mit belegter Stimme.
Als er sich ihr entwand, richtete er sich gefasst auf und wendete seinen Blick den wartenden Schwertmännern. Die künftigen Bewohner dieses Landabschnittes wie auch Arbeiter aus den angrenzenden Weilern hatten sich rund herum auf freien Flächen und Mauern versammelt. Alle beobachten gespannt und hellohrig.
»Schwertmänner der Mark, Freunde und Einwohner Neumarks. Heute schlugen wir mit unseren tapferen Verbündeten eine wichtige Schlacht. Die alten Anlagen ...« er zeigte mit ausgestrecktem Arm in jene Richtung. »... oben auf dem Gipfel sind vom Feind befreit und die kleinen Herren, wollen diese wiedererrichten. Unser Sieg erkauften wir nicht ohne Verluste, weswegen wir unsere Tapferen wie Mutigen nunmehr betrauern wollen.«
Ruhe kehrte ein und ein jeder senkte, in stiller zwiebrache, sein Haupt.
Kurz, nachdem Ben in Gedanken ein ihm bekanntes Gebet sprach, richtete er den Blick zu seinem Volk. »Schwertmänner, Freunde und Volk von Neumark. Auch wenn wir Opfer zu beklagen haben, ließen diese ihr Leben nur für diese eine Sache. Sie traten an, um uns allen ein Leben in Freiheit zu erstreiten. Wir wollen ihrer und denen unsrer Freunde mit einer Festlichkeit gedenken. Mit beginn des Morgengrauens, der dritten folgenden Tageswende, wollen wir unsere Freiheit lauthals feiern.«
Alle Anwesenden riefen erfreut durcheinander und die Schwertmänner trommeln mit ihren Schwertgriffen auf ihren Schilden – einem Donner gleich.
»Hurra!«
»Es lebe der Fürst!«
»Benjamin lebe Hoch!«
Zu den Feierlichkeiten galt die gesamte Mark geladen und einiges Hornvieh wurde anlässlich dieser geschlachtet. Die Ernten der vergangenen Jahreswende waren unerwartet üppig ausgefallen und so waren Brote wie anderweitige Backwaren reichlich vorhanden. Eine Abordnung der Naïns war zudem anwesend und es wurde ausladend, bis in die frühen Morgenstunden hinein gefeiert.
Goram hatte seinen Sohn die Obacht über die Baustellen der Schmiedeanlagen erteilt und bat um entsprechenden Entsatz an Arbeitern, die er auch bekommen sollte. Ein Bote eilte herbei und kam schlitternd und außer Atem vor dem Palas zum Stehen. »Eine eilige Nachricht aus der Pass-Wacht, für den Fürsten.«
»Sprecht, was gibt es?«, fragte Ben, der soeben aus dem Tor trat und Lerina an der Hand führte.
»Herr.« Der Bote verneigte sich und reichte ein Schriftstück, welches Ben an sich nahm und die Zeilen überflog. Sein Gesichtsausdruck entglitt ihm. »Wie?«
»Ein Reiter kam ans Tor der Wacht und berichtete, er sei als Vorbote vorausgeschickt. Der Hüter, Herr Elm‘emo, hat Menschen aus den Marken Brinlahs wie Südfluss zusammengerottet und schicke diese auf Umwegen nach Neumark. Sie lagern im Stumpfwald und reisen von Dämmerung bis Grauen.«
Ben verzog ungehalten die Brauen und fixierte den Boten. Er betonte seine Worte nachhaltig und wurde sich dessen nicht gewahr, dass Lerina ihn mit angstvollen Blicken ansah. »Wie viele?«
Der Überbringer schluckte und suchte mit den Augen Beistand bei Lerina. »Es sollen nahezu sechshundert Menschen sein.«
Bens Blick verhärtet sich und reckte den Kopf leicht vor, so als wolle er den Überbringer mit diesem strafen. »Sechshundert?«, hauchte er ungläubig und sein Blick streifte den Lerinas.
Ihre Lippen nährten sich seinem Ohr. »Wenn die Bauarbeiten an der Burg erst vollendet sind und das Volk sich um ihre eigenen Häuser kümmert, kann Eriador vom Platz bemessen, mehr als fünftausend Seelen ein Zuhause bieten.«
»Eriador? Fünftausend?«, hauchte er stirnrunzelnd und handelte sich ein liebliches Grienen ein. Der Bote lockerte seine versteifte Haltung erleichtert und verzog amüsiert die Mundwinkel zu einem Grinsen.
»Unsere Stadt und gleichnamige Burg. Ich finde den Namen hübsch. Und durchaus. Die Baumeister Gorams selbst haben diese Zahl berechnet.«
Der Fürst Neumarks, Herr der Burg Eriador und gleichnamiger Stadt, schürte die Lippen, pustete durch diese hindurch und verdrehte die Augen. Der Bote konnte sich ein herzhaftes Grunzen nicht verkneifen und handelte sich sogleich einen einschüchternden Blick Bens ein.
»Schickt nach dem obersten Schwertmann. Er soll sofort einen Beritt satteln und dem nahenden Tross entgegenreiten«, wandte er sich an die linke Torwache des Palas. Dieser quittierte den Befehl gehorsam und eilte davon.
»Nehmt euch ein Mahl und reitet zurück zur Wacht. Berichtet, dass Neumark und Eriador ihre Ankunft erwarten.«
Von zwei wehrhaften Bastionen an den Zugängen geschützt, auch wenn noch lange nicht fertiggestellt, war Neumark nunmehr die sicherste Mark Rongards. Am Pass zu den alt bekannten Marken befand sich die ausgebaute Pass-Wacht, die bei voller Besatzung einen gesamten Beritt beherbergen konnte. Oberhalb des Klippenstieges wurde seitens der Naïns, mit tatkräftiger Hilfe ihrer menschlichen Verbündeten, die alte Schmiedestätte wieder aufgebaut. Umgeben von dicken Mauern, umschloss diese zu allen Seiten den einzig überquerbaren Weg hinab. Zwei Tore, eines nach Neumark und das andere nach Westen, in unbekanntes Terrain.
Es war das Bestreben Gorams, die westliche Ummauerung samt Toranlage, als ersten wichtigsten Bauabschnitt zu vollenden. Die alten Minenschächte, drei in der Zahl, lagen geöffnet und frei zugänglich da und wurden von kundigen Schürfern ausgekundschaftet. Nur noch einer jener Schächte war zu gebrauchen und so hatten sich die Bautrupps entschlossen, die unbedarften Trümmer der Ruinen in die unnützen zu schaffen. Der Weg der Abtransporte war kurz und die Stollen konnten vom Ende bis zum Ausgang nach und nach verfüllt werden.
Benötigtes zum Bau verwendbares Gestein wurde aus dem zu verbreiternden Klippenstieg gehauen, sodass Lastenkarren und Pferde den Weg ohne Gefahr beschreiten konnten. Das Plateau, welches die alte Anlage trug, wurde durch den schieren Materialbedarf erweitert.
Ganz Neumark, inbegriffen der Stadt der Naïns, wie auch die wieder zu errichtende Außenanlagen auf dem Gipfel, zeugten von anstrengenden Tätigkeiten beider Völker – Menschen und Naïns – Hand in Hand.
Beiden war bewusst, dass die augenblicklich friedliche Situation kein andauernder Zustand bleiben würde und so konzentrierten sich alle auf die Fertigstellung ihrer Baustellen.
Im Herzen waren die nunmehr freien Bewohner Neumarks erpicht, den Frieden auch in die Nachbarmarken zu tragen.
Sie ritten wieder, Schwertmänner und Lords der Marken ...