Sie zählten viele Legionen und traten als ein unüberwindbares gewaltiges Heer auf, welches sich unaufhaltsam dem Ring näherte. Sie überrannten die Marken und standen vor der letzten Bastion der Pferdeherren. Alles, was sich vor den schützenden Mauern befand oder aufhielt, wurde von den Horden dem Erdboden gleichgemacht.
Ihre Krieger, aus den Gebeinen der Erde ausgespien, waren eine aufs Neue widernatürliche Zucht. Heimtücke und Mordlust stachen aus den Blicken dieser Bestien. Mit krallenbewehrten Pranken und klingenscharfen Auswüchsen ihrer Unterarme zerfleischten sie jene, die ihnen zu nahe kamen.
Niemand konnte dieser Woge unbändiger Zerstörungswut entgehen. Der Weg in den rettenden Ring war durch die auftretende Armee, genährt mit dem puren Hass ihres Schöpfers endgültig versperrt.
Auf ihrem Weg zeugten Tod und Verstümmelung ihrer unerbittlichen Gewalt. Abgerissene Glieder ermordeter säumten Wege wie Straßen. Geschundene Leiber verwesten in schwellenden Ruinen, die einst Höfe und Siedlungen waren. Myriaden von Schmeißfliegen labten sich auf klaffenden Wunden von Toten und solchen, die in Kürze dazuzählten, weil sich niemand mehr um ihre Verletzungen kümmern würde. Sie ließen sich durch nichts aufhalten und unterschieden nicht zwischen Mann und Frau ... oder Kindern. Sie metzelten alles und jeden, was auf ihrem Weg zum Ziel sich befand.
Den Namen Ring, trug der nachträglich errichtete äußere Schutzwall der Festung, die kreisförmig den inneren Zwinger umgab. Dieser besaß die Form eines fünfseitigen Sternes, aus dessen Mitte ein imposanter weißer Turm emporragte. Dieser fungierte einst als Machtzentrum, aller magisch begabten des Landes, die den einfachen Menschen und aus tiefster Bestimmung heraus ihre Dienste anboten. Sie waren bekannt unter dem geläufigen Beinamen ›Hüter‹. Die Führung und Leitung derer oblag einem der wenigen ihrer selbst, die sich den purpurnen Kragen und Saum verdient gemacht hatten. Das gemeine Volk nannte diese schlicht den ›Pretus‹. So war es zumindest in glücklicheren Zeiten gewesen.
Lord Inat war es gelungen, viele dieser Hüter mit trügerischen Versprechen zu korrumpieren und auf seine Seite zu ziehen. Es war derselbe, der die finsteren und öden Ebenen des Landes Ramdur befehligte, aus dessen Schoß jene dunklen Horden ihren Ursprung nahmen, um unser Volk, in seinem Namen, aufzureiben und noch heute zu unterdrücken.
Die letzten geeinten Verteidiger gaben von den Wällen des Ringes ihre Pfeilsalven ab, wohl wissend, dem Ende unausweichlich nahe zu sein. Einem düsteren Schwarm gleich, pfiffen ihre Geschosse durch die Luft. Bedingt der gewaltigen aufmarschierten Armee verfehlten nur wenige ihr Ziel oder prallten wirkungslos an den plump geformten Rüstungen der Angreifer ab. Dort, wo sie sich widererwartend ins Fleisch der Brut gruben, entstand oft nur geringfügiger Schaden, der die Verletzten mehr in Rage trieb als vom Vormarsch aufhielt. Die Horden stampften Stolpernde und Strauchelnde aus den eigenen Reihen rücksichtslos zu Boden. Doch für jene, die so ein jähes Ende fanden, rückten zwei weitere nach.
Dario hielt kurz inne, blinzelte mehrfach seine trocken gewordenen Augen und sah sich um. Die Menge war vollkommen in seiner Erzählung versunken und hing an seinen Lippen. Sein Nachbar zur Linken reichte ihm einen mit Wasser befüllten Becher und nickte ihm aufmunternd zu. Dario griff danach und trank. Dankend gab er diesen zurück und fuhr mit seinen Ausführungen fort. Seine Stimme schwang, einem Hauch gleich, in der Luft und zog die Umstehenden erneut ins Geschehen.
Auf dem obersten Sims des Turmes stand Os‘tono. Sein Herz erschauderte. An sich selbst gerichtet sprach er Worte, die die drohende Niederlage vorwegnahmen. »Welch Gewalt, welches sinnlose Gemetzel. Von welchem bedingungslosen Hass muss man getrieben sein, um solche Taten vollbringen zu können?« In seinen müde gewordenen Augen sammelten sich bittere Tränen.
Im Treppenstieg des Turmes kam der übrig gebliebene der obersten Schwertmänner zum Stehen.
»Herr! Die Brücke des Brinn ist gefallen und der Feind steht vorm Ring. Ein Rückzug in den Zwinger ist unausweichlich.«
Os‘tono, der letzte Wächter und vorstehende Hüter drehte sich nicht zum Sprecher herum, sondern hing weiterhin seinen Gedanken nach. Endlich überwand er seine Beklommenheit.
Erwiderte betreten aber mit: »Mein guter Herr Fordres, unsere Anstrengungen liegen nun nur noch im Überleben. Um das aufzuhalten, was vor langer Zeit begann, ist es zu spät. Blast zum Rückzug und rettet die Verbliebenen. Versucht zu fliehen, auch wenn dies gegen jeden eurer Eide entspricht – geht.«
Der Schwertmann eilte widerwillig zu den Stufen, um Rückzugsbefehle zu bellen, als Os‘tono ihm hinterherrief, er möge Elm‘emo schicken.
Bereits auf halbem Wege hinab, blies Fordres viermal in sein Horn, um den Seinen den Rückzug zu signalisieren. Das schallende Echo wurde von weiteren Hörnern bestätigt und die Verteidiger verließen umgehend ihre Positionen. Keinen Deut zu spät, denn das Bersten von Stein verdeutlichte den Ernst der Lage. Erste Breschen wurden in den äußeren Ring geschlagen, wo sich zuvor noch der Widerstand rührte und mit aufzehrender Kraftanstrengung versuchte, die Stellung zu halten.
Eine Gestalt umhüllt von einer staubig gräulichen Robe mit bläulichem Kragen und Saum, eilte die Stufen herauf und dem Schwertmann entgegen. Der verbliebene Hüter, welcher den Menschen treu ergeben geblieben war.
»Herr Elm‘emo, der Pretus ...«
»Ich weiß. Der Ring ist gebrochen und die Horden schwärmen ein. Eure Männer ziehen sich zurück und sammeln sich im Zwinger.«
»Er hat zur Flucht befohlen. Ich muss die Meinen aus diesem Hexenkessel führen. Lebt wohl.« Der Schwertmann nickt und lief die Stufen hinab. Betrübt und mit wissendem Blick erwiderte der Hüter dem Davoneilenden den Gruß. »Auch euch ein Lebwohl. Flieht, eilt, ihr ehrenvollen Lords.«
Von außerhalb des noch geöffneten Eingangsportals ließ sich unschwer erkennen, dass sich die verbliebenen Verteidiger zurückzogen. Nicht nur in den Zwinger, um diesen zu halten, sie flohen weiter, ins Innere des Turmes.
»Hört mich an!«, bellte Esule Fordres und sprang die letzten fünf Stufen hinab. »Der Pretus hat die Flucht befohlen. Gebt am Portal Deckung und schickt alle in die Tunnel. Die Tore des Zwingers halten die Horden nicht mehr lange auf.«
Abermals machte Dario eine Pause. Ein Seufzer entrückte seinem Munde und er schüttelte gedankenverloren den Kopf. Sein schulterlanges, längst ergrautes Haar fiel ihm ins Gesicht und verhüllte seine Züge, die sich schmerzerfüllt verzogen. Eine Träne rann ihm aus dem Auge und zeichnete eine feuchte Spur auf der linken Wange. Man hätte meinen können, dass dieser so dasitzend gebrochene Mann, deutlich mehr zu berichten wüsste, als er den Lauschern zumuten mochte.
»Geht es euch gut?« Sein Sitznachbar legte ihm die rechte Hand beschwichtigend auf die magere Schulter und blickte betrübt auf.
»Es geht wieder, danke. Nur einen kurzen Moment, bitte.« Dario holte noch einige Male tief Luft. Dann schaute er auf, verengte seine Augen zu schlitzen und nahm seine Erzählung erneut auf. Seine ihm nach wie vor ins Gesicht hängende Haare verliehen ihm einen gehetzten Ausdruck.
Ein Wall aus Lanzen und dazwischen aufgereihten Bogenschützen boten den sich Zurückziehenden ein gewisses Maß an Deckung. Der übrige Teil von ihnen, jene, die sich im Turm aufhielten, begaben sich durch die Tunnel, um den Brinn zu unterlaufen und die rettende Uferseite zu erreichen. Während des Rückzugs hörte man von draußen das wütende Grölen der Brut und dumpfes Poltern, verursacht von Rammen, die gegen das Gestein der Wehr krachten. Bestien erklommen Leitern, um die Mauern des Zwingers zu überwinden und stürmten dem Ziel entgegen. Eine Hatz um Leben und Tod begann für die übrigen Lords und Schwertmänner, die noch außerhalb des Schutz bietenden Turmes verstreut kämpften oder sich im Rückzug befanden. Die in Stellung Gezogenen rückten aus und öffneten für die in Panik Fliehenden eine Bresche. Mit unvermittelter Wut und letzten Kraftanstrengungen verteidigten sie ihre Kameraden wie ihr eigenes Leben, dabei schafften sie es, viele der Heranstürmenden zu erlegen. Mit dem nahenden Ziel ihres Herrschers vor Augen, stampfte die Brut ohne Rücksicht auf Verbündete voran. Nichts vermochte sie aufzuhalten. Einige dieser Bastarde wurden von Pfeilen der Verteidiger gefällt, andere fielen durch geworfene Lanzen. Die, welche zu weit vom rettenden Turm entfernt waren, stellten sich dem Feind trotzig im Nahkampf. Solche todesmutigen Opfer boten vielen der Ihren die Möglichkeit, sich in die ersehnte Zuflucht zurückzuziehen.
Elm‘emo eilte derweil, so zügig ihn seine alten Beine trugen, die sich windenden Stufen empor zur Balkonebene, hinauf zu seinem Wächter.
»Elm‘emo. Gut, dass du kommst.«
»Können wir diesem Wahnsinn noch Einhalt gebieten?«
»Nein. Die Lords haben sich zurückgezogen und verschließen das Portal. Der Ring und Zwinger sind Schwarz von den Horden Lord Inats.« Os‘tono drehte sich zu seinem Hüter und hielt ihm die ausgestreckte Hand entgegen. Sein Gegenüber schaute den gezeigten Gegenstand, einen flachen ovalen Stein, interessiert an, als der Pretus mit einem gehauchten, aber eindringlichen Singsang zu intonieren begann. »Dieser Stein, geprägt mit allem, was es zu finden gilt, wird dereinst den rettenden Funken tragen. Noch bevor du dem Ufer des Brinns entsteigst, wirst du diesen an dich binden. Bringe diesen Hoffnungsschimmer hinauf zum Brehin und verberge ihn. Tauche unter das verbleibende Volk und unterstütze es nach deinen Kräften. Eine Zeit, in der der Keim der Hoffnung erstarkt, wird durch einen Fremden gepflanzt. Zeige dich nicht, gebe dich nicht zu erkennen. Lebe inmitten von ihnen als einfacher Mensch. Geh mein Freund, dies wird die letzte unserer physischen Begegnungen sein. Eile dich, es bleibt keine Zeit.«
Ohne sich weiter zu erklären, blickte Os‘tono hinauf zum Himmel und begann zu zelebrieren. Das beginnende Leuchten des Pretus sowie die Intensität seiner Worte veranlassten Elm‘emo, schnellstens kehrt zu machen und die zuvor emporgestiegenen Stufen, hinab zu eilen. Der gesamte Turm geriet in Vibration, so als befände er sich im Überlebenskampf. Hinzu mischten donnernde und scheppernde Geräusche von dem verschlossenen Eingangsportal.
Kaum war Elm‘emo unten in der Halle angelangt, lösten sich die ersten Turmsteine und vereinzelt fielen Treppenfurten in sich zusammen.
»Hier her! So beeilt Euch doch!«, schallte es aus der zur Hälfte zugezogenen Tür neben dem Treppenabsatz. »Schnell, der verdammte Turm stürzt ein!« Wie zur Bestätigung barst genau in diesem Moment Holz. Das Eingangsportal zersplitterte einer Explosion gleich ins Innere der Eingangshalle. Ein Hagelschauer detonierender Holzstücke und Steine sausten durch die Halle und zerstörten umherstehendes Mobiliar. Türen wurden aus den Angeln gerissen. Ein riesiges Etwas donnerte von außen gegen die halb zugezogene Tür, die zu den Fluchttunneln führte, und schleuderte Esule gegen die Wand.
»Haben es viele geschafft?« keuchte Elm‘emo angestrengt, als er ihm half aufzustehenden.
»Ich fürchte nein. Meiner Schätzung nach etwa zwei Hundertschaften«, erwiderte Esule und rieb sich die schmerzende Schulter.
Elm‘emo schloss mitleidig die Augen und atmete mühselig. »Euer Volk hat schwer gelitten und das Leid wird weiter anhalten. Wir müssen die Übrigen am Leben erhalten.« Gedankenverloren blickte sich der Hüter beim Durchqueren der Tunnel nochmals um und wiederholte geistesabwesend die gehörten Worte seines Wächters, dem Pretus. »Es wird eine Zeit kommen, in der ein Funke die Hoffnung schürt und das Feuer die Marken rührt.«
»Was sagt ihr da?« Sein Wegbegleiter keuchte schmerzerfüllt und durch zusammengepresste Zähne.
»Nichts. Geht weiter. Wir müssen aus diesen Tunneln heraus. Sofort.«
»Dario, was ist mit dem Pretus geschehen?«
»Pssst. Hört einfach zu, dann werdet ihr es erfahren«, beschwichtigte eine sanft klingende Stimme und sorgte wieder für Ruhe.
Währenddessen reckte sich der Singsang des Pretus, auf der obersten Ebene des Turmes, seinem Höhepunkt entgegen. Die Worte, aufwallend in monotoner aber spürbarer Resignation, erklangen laut hörbar bis zum Ring hinaus. Eine Welle der Macht begann sich langsam, vom Turm aus, auszudehnen. Nur die übergelaufenen Hüter in Lord Inats Reihen vermochten diese wahrzunehmen und suchten ihr Heil in der Flucht.
»Wenn Missgunst und Zwietracht die Eide knechten und keine Freien mehr mit Zukunft rechnen, soll dieser Stein die Pforten brechen! Wenn der Samen mit der Hoffnung schwingt und der Ruf des Horns erklingt, so stelle dich der Wucht entgegen, die Lords werden dich erlegen! So entsende ich den Geist hinaus und erzwinge meinen Preis daraus! Begrabe hier den Kummer kleinst, auf dass aufsteigt der Glanz von einst!«
Die in das Portal eingedrungen rannten ziellos in den Hallen umher, da jeglicher Vorstoß in die oberen Ebenen durch die eingestürzte Treppe unmöglich war. Von den geflohenen Lords hielt sich glücklicherweise niemand mehr in seinem Inneren auf. Dieser wankte und ächzte, immer weitere Risse zeigten sich im Mauerwerk und herabstürzende Steine erschlugen viele der nachdrängenden Brut. Der bellende Ruf zum sofortigen Rückzug erklang unerwartet und zu spät. Keiner konnte dem heraufbeschworenen Inferno entkommen. Jeglicher Gedanke an Flucht war verschwendet, nicht nur für die, die sich im Inneren des Turmes aufhielten, sondern für alle, die außerhalb Aufstellung bezogen. Er stürzte nicht einfach zu einer willkürlichen Seite, oder stur in sich hinein. Er barst und schleuderte sein Gestein bis weit hinter den Ring. Der komplette Bau detonierte und die magisch geformte Druckwelle, die Os‘tono heraufbeschwor, dehnte sich wallend kreisförmig aus. Sie vernichtete das gesamte Arsenal, bis einige Längen hinter der äußeren Mauer.
Als der aufgewirbelte Staub sich legte, blieb nichts als Verwüstung und bis zur Unkenntlichkeit zerrissene Körper. Nichts konnte dieser magisch erzeugten Welle standhalten. Weder die Brut Lord Inats noch die seiner korrumpierten Hüter.
Nach und nach versammelten sich die geflohenen Lords am gegenüberliegenden Ufer und starrten auf die gebliebene Verwüstung.
»So hat der Pretus mit seinem letzten Atemzug das vollbracht, was wir nicht zu vollbringen vermochten. Hoffentlich erhalten wir dadurch die nötige Ruhe, die wir benötigen, um unsere Wunden zu lecken.«
»Nur zu welchem Preis, Oberster?«, fragte einer der Überlebenden keuchend, der auf sie zu hinkte und dabei versuchte, möglichst das linke Bein nicht zu stark zu belasten.
»Zum Preis unserer Flucht und den Fortbestand unseres Volkes. Wir müssen retten, was zu retten ist und die unseren aus den umkämpften Gebieten in die sichereren Berge geleiten. Lord Inat wird die Vernichtung seiner Legionen nicht ungestraft hinnehmen, auch wenn er diesen Kampf für sich entscheiden konnte. Ein düsteres Zeitalter hat begonnen.«
»Oberster, wo ist der Hüter geblieben? War er nicht bei Euch?« Einer seiner Schwertmänner ächzte schmerzverzerrt neben ihm mit rasselndem Husten.
Verunsichert sah sich Esule um, in der Hoffnung, den Gesuchten bei den Verletzten zu erspähen. Niemand hatte ihn, seid sich die Insel im Strom des Brinn zu einem Mahnmal der Verwüstung verwandelt hatte, mehr gesehen.
»Er war direkt hinter mir, bevor der verdammte Tunnel einstürzte. Verflucht, hoffentlich hat er es geschafft.«
Die mittlerweile Versammelten marschierten in südwestliche Richtung, um die Brücke nach Südfluss zu überschreiten, dort würden sie ein Leben in Angst und Ungewissheit fristen.
Die Überlebenden mussten sehr schnell begreifen, dass all jene die als wehrhaft galten und sich auch gaben, von umherstreifenden der Brut gnadenlos abgeschlachtet wurden. Aus dieser Erkenntnis heraus beschloss man, sich der Rüstungen und Waffen der Schwertmänner zu entledigen. Nur Wenige ließ man als Jäger für die Nahrungsbeschaffung verweilen. In allen Marken war man sich daher fortan einig, die eingesammelten Güter der Schwertmänner in einer geheimen Höhle in der nordwestlichen Mark Bregeran zu verstecken. Der einstige Hofschmied aus der Familie Astenay verbürgte sich, Waffen und Ausrüstungsgegenstände zu pflegen und die Kunst der Herstellung jener ausschließlich an seinen Erben weiterzugeben.
»Der Hüter ist demnach bestimmt umgekommen. Aber man ...«
»Man sagt, er wandere noch immer durch die Marken«, unterbrach Dario den Fragenden. »Es stimmt, er soll den Menschen Linderung versprechen und Gebrechen kurieren. Aber lasst euch gesagt sein, mir ist er bisher nicht über den Weg gelaufen. Ich habe nur noch wenig zu erzählen und nähere mich dem Ende. Reicht mir doch bitte einen weiteren Schluck des guten Wassers und ich fahre sodann fort.«
Elm‘emo betrat kurz hinter Esule das rettende Ufer, als der Tunnel mit schmatzendem Geräusch in sich zusammenstürzte. Sie hatten das Inferno überlebt und er spürte in seinem Gewand ein seltsames unbekanntes Gewicht. Es war derselbe Stein, den Os‘tono in seiner Hand hielt, nur dass sich auf diesem nun eine leicht schimmernde Rune befand, die es zuvor definitiv nicht gab. Was hatte er noch gesagt? »Bevor du die Ufer des Brinns entsteigst, wirst du diesen bei dir tragen.« Weiter hieß es: »Bringe diesen Hoffnungsschimmer hinauf zum Brehin und verberge ihn gut. Tauche unter das verbleibende Volk und unterstütze es nach deinen Kräften.« Elm‘emo wusste um die ihm auferlegte Aufgabe. Er stahl sich aus den Reihen der Verbliebenden und änderte seine äußere Erscheinung. Niemand durfte ihn erkennen oder aus seiner Anwesenheit unbegründete Erwartungen schöpfen. Es würde die Bestimmung einer zukünftigen Person sein, das Feuer einer neuen Hoffnung zu schüren.
So begab sich Elm‘emo mit seiner Verkleidung und verändertem Äußeren hinüber in das nunmehr geknechtete Land. Lange Zeit wanderte er durch die Marken – zu Fuß und nicht ohne Furcht.
Von zusammenkommenden Menschen, die einfache Zeltstädte errichteten und diese Siedlungen nannten, erarbeitete er sich Nahrung und Unterkunft. Einstige Städte, Weiler und Höfe waren rücksichtslos niedergerissen und gebrandschatzt. Es dauerte lange, bis die penetranten Gerüche Verbrannter und Verwesender endlich durch die der Natur überlagert wurden. Nicht alle der Opfer konnten von ihren Familien oder Freunden begraben werden.
Auf seinen Wegen linderte Elm‘emo sachkundig Verletzungen und erzählte als gelehrter Schreiber den Gebeutelten seine Geschichten. Sein Weg führte ihn von Südfluss an den Ringfeldsee, in dessen Mitte eine geheimnisumwobene Insel ruht, bis hinein nach Middellande. Angekommen am Ziel seiner Reise, suchte er sich einen Spalt und verbarg dort sein wohl gehütetes Mitbringsel.
Kaum hatte er den Runenstein versteckt und war zum Aufbruch bereit, begann der Stein kaum merkliches Vibrieren, welches sich zu einem Grummeln ausdehnte. Das Beben nahm an Intensität weiter zu, loses Geröll bahnte sich seinen Weg in die Tiefe, bis zu dem Augenblick, als der Berg sich anschickte zu zerbrechen. Es entstand ein Pass durch das unwegsame Gebirge, das in ein völlig unbekanntes Land führte.
Mit Beendigung des letzten Satzes schauten alle Zuhörer betrübt in die Flammen des Lagerfeuers. Sie hingen ihren Gedanken nach und nicht minder wenige trauerten um die alten Zeiten wegen. Tränen bahnten sich ihren Weg durch verschmutzte Gesichter.
»Dario, wir wissen, dass unser Volk vernichtend geschlagen wurde. Aber von einem Pass, der in ein rettendes Land führen soll, habe ich noch nie etwas gehört oder gelesen. Ebenso diese Person, die uns von dieser Brut befreien wird. Wer soll das deiner Ansicht nach sein?«, verlangte Thanh, ein begabter Kartenzeichner zu erfahren.
Zustimmendes Gemurmel wurde laut und wogte auf wie eine Welle. »Ja, Dario. Wer mag das sein und wo liegt dieser geheimnisumwobene Pass? Wer ist dieser Mann, der durch die Marken zieht und angeblich ein Hüt...« Den Satz zu beenden blieb der Sprecher den Umstehenden schuldig, denn ein dunkles Stück Holz mit schwarzer Befiederung steckte ihm noch zitternd im linken Auge. Nur wenige Herzschläge blieb der Getroffene noch auf seinen Füßen, bevor er in sich zusammensackte. Der Pfeil durchschlug den Schädel, drang bis ins Hirn vor und verursachte so den sofortigen Tod.
»Brut! Sie greifen an!«, erscholl es aus der Menge hinter Dario. Wie aus dem Nichts stürmten sieben dieser grobschlächtigen Bestien auf die Versammelten zu. Auf ihrem Weg zum Feuer schlugen sie, mit krallen versehenen Pranken auf die Menschen ein, dabei erschien es ihnen vollkommen gleich, ob es sich um Frauen oder Männer handelte. Zum Heil der Anwesenden befand sich diese Patrouille nicht in Raserei und hieben somit auch nicht mit ihren Klingenknochen um sich. Sie bahnten sich einen Weg durch die verängstigte Menge, die nur allmählich zu begreifen schien und sich flüchtend zerstreute. Nur Dario blieb unbekümmert am Feuer, wohl wissend, dass seine Beine ihn nicht geschwind genug entfernen würden.
»Nix weiter töten, Idioten. Legionenführer befohlen nur holen!«, blaffte eines dieser Wesen aus seinem schweinsartigen Maul. Die Art, wie er die Worte aneinanderreihte, ließ darauf schließen, dass diese Zuchtreihe unterentwickelt aber dennoch gefährlich war. Aufgrund seiner massigen Statur handelte es sich bei dem Sprecher eindeutig um einen Berserker – der Eliteeinheit der Brut. Diese Patrouille befand sich zumindest nicht in einer aktuellen Kriegssituation, da sie in einer plumpen, schäbig zusammengesetzten Lederrüstung auftauchten.
Ein weiterer Berserker trat unvermittelt aus dem Dunkeln, richtete seine groben Pranken in Richtung Dario und brüllte mit stotternd grunzenden Worten: »Du. Alter. Wir dich mitnehmen zu Legionenführer. Du verbreiten Lügen und Dummheiten. Menschen sind unser und verpflichtet zu tun, was Herrscher befiehlt.«
Dieses Wesen schien der Kopf der Patrouille sein. Gekleidet wie die übrigen seiner Artgenossen, trug er ein aufgemaltes Wappen und zwei schräg verlaufende Balken auf seiner Lederrüstung. Das Zeichen Ramdurs, ein eiserner Helm und angedeutete glühende Augen. Ein Rangabzeichen innerhalb ihrer Horden. Ohne Widerstand ließ sich Dario fesseln – nicht dass Gegenwehr etwas genützt hätte.
»Denkt an meine Worte, Volk von Middellande. Der Eine wird kommen«, rief Dario beim Abführen den sichtlich Verängstigten zu.
›Bruchfff‹ erklang es krachend, als eine herabsausende Faust dessen Kopf traf und ihn zum Schweigen brachte. Der gezielte Schlag auf Darios Hinterkopf versetzte ihn sofort in Bewusstlosigkeit. »Nicht töten! Wir suchen sollen und mitnehmen, nix töten!«, schrie der Anführer seinem Artgenossen drohend entgegen.
»Nicht totgemacht habe, er noch atmen. Brust bewegen sich.«
»Den da. Der gesprochen zuletzt, den wir auch mitnehmen. Wenn Alter sterben, wir sagen der ist Lügner.«
Entsetzt versuchte Thanh zu flüchten, doch einer jener Wesen stand bereits neben ihm und ergriff ihn am Kragen. »Ihr könnt mich doch nicht einfach als jemand anderen ausgeben. Euer Legionenführer wird das bemerken!«
Mit einem einschüchternden Blick brüllte der Anführer auf. »Maul halten Mensch! Du nix Ehre, wie alle Menschen! Wenn du abhauen, sie werden sterben. Klaro!?«
Niedergeschlagen blickte Thanh in die Reihen der Verängstigten, auf der minderen Hoffnung, doch noch Hilfe zu erhalten. Jedoch behielt der Berserker Recht. Diese Menschen hatten keinerlei Ehrgefühl mehr. Sie waren nur noch Sklaven ihrer selbst. Ohne weitere Erklärungen rückten die Gouwor mit ihren beiden Gefangenen ab. Eine Handvoll Tote, erlegen an gebrochenem Genick durch die derben Fausthiebe der brutalen Brut, ließen sie zum Betrauern zurück.