Keiner der Anwesenden im Tal bemerkte, dass sie bereits seit zwei Tageswenden beobachtet wurden. Die Betriebsamkeit und der anhaltende Lärm, hatte zwei Wesen neugierig gemacht, die das Treiben aufmerksam aus schützenden Schatten des Gebirges beäugelten.
»Was tun diese Menschen da? Hast du gesehen, wie sie den armen Berg misshandeln? Schlagen einfach wie wild mit ihren primitiven Werkzeugen darauf ein. Wir sollten Aguschal sofort benachrichtigen. Solange König Goram bei der alten Mine verweilt, hat er das Sagen.« Bevor er sich entfernen konnte, wurde er sanft an der Schulter festgehalten.
»Warte, wir wissen nicht, was sie vorhaben. Bisher haben wir nur gesehen, dass sie die Bäume verarbeiten und damit einen Wall errichten.»
»Der Lärm wird die Brut auf uns aufmerksam machen, wir müssen sie vertreiben, bevor es zu spät ist. Sie haben uns damals auch nicht geholfen, als die Horden uns aus unserem Berg vertrieben«, bestand Ersterer, sah seinem Gefährten grimmig entgegen und wischte die haltende Hand von seiner Schulter.
»Halt die Luft an Kabar, die Menschen wurden selbst überrannt. Sieh doch hin, wen wollen diese paar da unten denn schon bedrohen?«
»Mhm«, brummte der Angesprochene. »Du hast ja recht. In Ordnung, wir werden sie halt nicht davonjagen, aber Melden werden wir es dennoch müssen«, bestand Kabar weiterhin und blickte mit mahlendem Kiefer in die Tiefe.
Die beiden Beobachter verweilten in ihrem Versteck bis zum Einbruch der Dämmerung, sodass man ihre Bewegungen von unten nicht zufällig bemerken konnte. Mit ihren kurzen Beinen beschritten sie Pfade, die vom Pass aus nicht zu erkennen waren, und überquerten das Gebirge so deutlich schneller, als wenn sie sich ihren Weg ebenerdig hindurchschlängeln müssten.
Fendrik hockte allein vor dem eben entzündeten Feuer und schürte es mit einem angespitzten Stock, um es ordentlich zum Lodern zu bekommen. Die aufkeimenden Flammen flackerten in seinen Augen und erwärmten sein Gesicht. Einer seiner Jäger, der auf Wache postiert war, gesellte sich zu ihm. Er sah sich aufmerksam nach Mithörern um und sprach leise. »Ich muss mit dir reden, Fendrik.«
»Was gibt es denn, sind die Männer vom Pass nach Middellande zurückgekehrt?«
»Nein, noch nicht. Aber wir werden beobachtet.« Mit dem Kopf deutete dieser zum Gebirge hinauf. »Schau, oberhalb der Quelle, ein wenig weiter nördlich. Etwas verborgen, vor einer Geröllanhöhe lauern zwei Gestalten. Sie warten scheinbar auf die Dämmerung, sodass ihr Versteck von uns aus nicht mehr einsehbar ist.«
Fendrik strengte sich an und seine Augen gewöhnten sich allmählich an das Dämmerlicht und erspähten die Schatten der unerwarteten Gäste. »Ich sehe sie. Was denkst du, Gouwors?«
»Nein, dafür sind sie eindeutig zu klein und behändig. Ich wage es nicht auszusprechen, aber ich denke, dass es sich bei denen da, um Angehörige des verschollenen Volkes handeln könnte.«
Ungläubig sah Fendrik zurück zu genannter Stelle und seine Gedanken überschlugen sich. Die Schatten wurden unaufhaltsam länger und verbargen immer mehr der Erhebung, hinter der sich die unliebsamen Gäste versteckten. Er kratzte sich am Kopf und blickte zu dem Wachposten. »Naïns? Kann es sein, nach so langer Zeit? Können wir sie irgendwie abfangen und mit ihnen reden?«
»Solange wir hier sitzen, kommen wir nicht an sie heran, geschweige denn hinauf. Ich habe alles abgesucht, aber nichts gefunden, was und zu ihnen führen könnte. Es kann nur einen Weg hinter dem Pass hinaufgeben.«
»Das ist definitiv zu weit und soll nicht unsere Aufgabe sein. Die Zeit rinnt uns davon. Die Palisade selbst steht, nur das Tor bedarf noch zwei Tageswenden. Die beiden Türme und die Palisadenverstärkung werden ebenfalls erst in Fünfen einsatzbereit sein. Beobachte sie weiter, aber möglichst unauffällig, ich will nicht, dass jemand von ihnen erfährt und voreilige Schlüsse zieht. Hast du verstanden? Wenn sie uns nichts wollen, wird sich unser oberster Schwertmann mit ihnen befassen.«
»Jawohl.« Die Wache führte die geschlossene Rechte zum Herzen und begab sich zurück auf seinen Posten.
Weiter den Blick auf die Beobachter gerichtet, ging Fendrik zu seinem Zelt, um die beiden von dort aus im Auge zu behalten. Die Dämmerung schritt voran und die Arbeiter legten ihre Betriebsamkeiten nieder und setzten sich zum Essen an die vorbereiteten Feuer, um die Tageswende abklingen zu lassen und um ihre bisherigen Bauerfolge zu feiern.
Am nächsten Morgen waren die beiden Beobachter wie erwartet verschwunden und der Pass nach Middellande bereinigt. Die Jäger als auch einige der Arbeiter waren bereits auf dem Weg, den gegenüberliegenden Pass in die neue Mark zu bereinigen, als Fendrik sein Kopf ins Freie reckte und herzhaft gähnte.
»Guten Morgen Herr. Ich soll ausrichten, dass die Jäger und einige Handwerker aufgebrochen sind. Es gab in der Nacht keinerlei Aufmerksamkeiten und alles war friedlich.«
Sehr gut, die Naïns sind weg und haben keine Zicken veranstaltet.
»Danke. Geh ans Tageswerk, wir haben noch viel zu schaffen, bis unser oberster Schwertmann samt Tross eintrifft.«
»Unterwegs, Herr.«
Lächelnd schaute Fendrik dem sich Entfernenden hinterher und rieb sich die müden Augen.
Was ein bisschen Zuversicht doch bewirken kann. Mann, Benjamin, dich schickt der Himmel – oder wer auch immer.